Einblick in die Corporate- und Industriefotografie
Seit 15 Jahren arbeitet Christian Ahrens selbständig als Corporate- und Industriefotograf. Ein Bereich, von dem man sehr selten hört. Vielleicht auch – das unterstelle ich jetzt – weil er recht unbeliebt ist. Imagefotos für große Unternehmen und Industriebetriebe aufzunehmen, das klingt einfach nicht nach Glitzer und Ruhm.
Aber wenn man Christian darüber reden hört, ist da so viel Leidenschaft, dass man diese Meinung schnell ändert. Im Interview berichtet Christian von seinen Erfahrungen und gibt einen Einblick in sein Metier. Im Anschluss kommen wir auch auf sein neues Buch zum Thema zu sprechen.
Die meisten angehenden Fotograf*innen träumen von Portraits, Fashion oder Reisefotografie. Du hast Dich mit der Corporate-Fotografie für ein eher unbekanntes Genre entschieden. Was macht es für Dich so besonders?
Für mich sind die Grundprinzipien des Fotografen-Daseins die Neugierde, die Freude an spannenden Erlebnissen und an visuellen Abenteuern. In früheren Zeiten haben Fotograf*innen das zum Beispiel im Magazin-Fotojournalismus oder in der Reisefotografie ausgelebt. Die Glamour-Welt hat mich dagegen noch nie interessiert. Und Journalismus und Reise? Das sind heute leider keine besonders vitalen Märkte mehr – daher habe ich mich relativ früh den Abenteuern zugewandt, die hinter Werkstoren und Labortüren warten.
Wir leben in einer komplexen technischen Welt und es ist einfach spannend, bei einem Hochofenabstich, bei der Wartung einer Lokomotive, bei der Produktion von Schokolade oder in einem Hightech-Labor dabei zu sein und mittels inspirierenden Fotos darüber zu erzählen. Wir lernen in unserer Arbeit sehr viel über unsere Welt; es ist kurzweilig, es passiert immer etwas Neues und wir treffen dabei auf großartige Menschen. Der alte Spruch gilt auch für dieses Genre: „Die Kamera führt uns zu den Wundern der Welt“.
Welcher Auftrag ist Dir dabei besonders im Gedächtnis geblieben?
Da gibt es so viele großartige Momente, mir fällt es schwer, die Favoriten herauszupicken. Faszinierende Orte haben wir so viele erlebt: Mitten im Winter auf der Gondel einer Windkraftanlage – im Vollnebel und in 150 Metern Höhe. Absolut unwirklich. Herausragend war auch eine Produktion in Afrika, wo wir für unseren Kunden Fuchs & Hoffmann die ganze Produktionskette vom Kakao-Anbau bis zur Verladung im Hafen fotografiert haben.
Oder in der brüllenden Lautstärke eines Containerschiff-Maschinenraums zu fotografieren. Auch ein Erlebnis. Wir waren auf Strommasten, in Stahlgießereien, in Bergwerken und wir haben miterlebt, wie in Müllverbrennungsanlagen sogenannte Sprengreinigungen – richtig mit Sprengstoff und so! – durchgeführt werden.
Aber es sind nicht nur die spektakulären Orte, die die Faszination ausmachen, es ist genauso interessant, mitzuerleben, wie Landmaschinen repariert, Industrieanlagen abgebrochen oder Werksstraßen asphaltiert werden. Und überall gibt es diese tollen Leute, die erstaunliche Fertigkeiten beherrschen und meist wunderbar unkompliziert im Umgang sind. Hier fühlen wir uns einfach wohl.
Hinter welche Tür würdest Du gern mal mit Deiner Kamera schauen, die bisher verschlossen war?
Ich würde sehr gern mal auf einer Bohrinsel oder einer Offshore-Anlage fotografieren. Oder in einem Planetarium. Oder in einem Gezeiten- oder Sonnenkraftwerk – oder, oder, oder. Es gibt eine Menge Orte, die ich noch nicht gesehen habe.
Was sind die besonderen Herausforderungen in der Corporate- und Industriefotografie?
So faszinierend die Orte und die Tätigkeiten sind, die wir bei unserer Arbeit kennenlernen, so herausfordernd kann es sein, aus den Versatzstücken dieser Realitäten ein Foto zu gestalten, das den Werten und Inhalten der Kundschaft gerecht wird. Wir wollen ja Faszination vermitteln, Fähigkeiten herausstellen oder Leistungen eindrucksvoll illustrieren. Vor Ort gibt es aber praktisch bei jedem Motiv eine Menge Dinge zu umschiffen, ehe das gelingt.
Das Licht in Fabrikhallen ist in aller Regel miserabel: weiches Neonlicht von der Hallendecke. Und die Dinge sind, wie sie sind – und nie, wie sie idealerweise sein sollten. Man kann eine Abfüllanlage nicht eben mal woanders aufbauen, nur damit das Bild besser wird.
Überraschungen sind außerdem garantiert: Der Ort, den man am Vortag bei der Besichtigung als bestmöglich für ein Motiv erkannt hat, ist am nächsten Tag vielleicht auf einmal zugestellt von den Paletten eines Zulieferers. Oder der Mitarbeiter, der in der Szene auftreten sollte, wurde kurzfristig abkommandiert, weil seine Hilfe irgendwo im Werk dringend gebraucht wurde.
Mit anderen Worten: Wir dürfen immerzu improvisieren, Dinge möglich machen, Leute überzeugen oder Alternativen organisieren. Für das gute Bild haben wir schon ganze Fabrikhallen in Dunkelheit getaucht (der Betriebselektroniker wusste, welche die richtige Sicherung war), wir haben LKW-Anhänger in Hallendecken schweben lassen oder sind auch schon einmal um vier Uhr morgens zur Arbeit erschienen, weil uns der Sprengmeister dann eine Stunde Zeit für die Fotos eingeräumt hat.
Wir legen zudem Wert auf möglichst attraktive Lichtstimmungen, daher brauchen wir ein ganzes Arsenal von Lichtquellen: von LED-Lichterketten, über Kompaktblitze bis hin zu großen Kanonen, die auch eine große Halle von hinten zu durchleuchten imstande sind. Bei manchen Motiven spielen zehn oder mehr Lichtquellen eine Rolle im Foto – unserer Auffassung nach ist die Lichtstimmung besonders wichtig für die Magie des Bildes.
Mit anderen Worten: Es wird einem nie langweilig und man hat fast immer eine Denksportaufgabe zu lösen, wenn man von einer vage formulierten Kundenidee zu einem coolen Foto kommen möchte.
Du schreibst in der Wir-Form, denn Du arbeitest oft im Team zusammen mit Silvia Steinbach. Welche Vorteile hat die Teamarbeit in diesem Bereich?
Silvia und ich arbeiten seit zwölf Jahren zusammen. Wir haben uns kennengelernt, als wir in unserem Beruf beide noch ziemlich am Anfang standen und haben in dieser Zeit unseren Stil, unsere Technik, unsere Vorlieben und das Sujet gemeinsam entwickelt. Wir sind total vertraut mit der Arbeitsweise des jeweils anderen und können im Team unerreicht schnell und intuitiv auf den Punkt kommen.
Bei Produktionen wechseln wir die Rollen: Für das Motiv „Probeentnahme am Bigpack“ habe ich die Kamera in der Hand und Silvia assistiert. Und dann wechseln wir den Ort und Silvia fotografiert zum Beispiel eine Arbeitsszene bei den Sichtermühlen. Dann assistiere ich ihr.
Wir mögen Teamarbeit, man kann sich zu 100 % aufeinander verlassen und wenn ich zum Beispiel mit der Entwicklung einer Bildidee stecken bleibe, habe ich immer Silvia an meiner Seite, die ich um Rat fragen kann und der etwas einfällt, auf das ich selbst in diesem Moment nicht gekommen wäre.
Was auch toll ist: Wenn man der Fotografierende ist, hat man einen Haufen Sachen zu regeln, man muss das Bild erfinden, die Leute steuern, die Leitenden überzeugen, irgendetwas zu organisieren, gleichzeitig jemanden bitten, den ausgesuchten Ort aufzuräumen, ich muss mir Gedanken über die Lichtsetzung machen und vieles mehr.
In dem ganzen Trubel übersieht man schnell etwas und es ist gut, wenn noch jemand da ist und aus der Ruhe heraus die Lage beurteilt. Und im entscheidenden Moment die Frage stellt: „Moment mal, muss die Person bei dieser Arbeit nicht Handschuhe tragen?“ Klar muss sie, aber so etwas übersieht man leicht.
Du hast gerade ein Buch über die Corporate- und Industriefotografie veröffentlicht. Was war der Grund, dieses Buch zu schreiben?
Als ich vor rund 15 Jahren beschloss, meinem Leben noch einmal eine ganz neue Richtung zu geben und Berufsfotograf zu werden, war ich zunächst sehr orientierungslos. Es gab außer fototechnischen Hinweisen kaum Informationen, die mir weitergeholfen haben.
Nach sehr viel Recherche bin ich dann doch auf einige Bücher gestoßen, die mich sehr inspiriert und auf den Weg gebracht haben. Dafür war ich sehr dankbar. Jahre später beschloss ich, auch so ein Buch zu schreiben, um meine Erfahrungen weiterzugeben und Fotografen zu inspirieren.
Was waren das für Bücher?
Vor allem Gert Wagners „Beruf Fotograf“ und Gary Gladstones „Corporate and on location photography“. Beide Bücher reflektieren die 80er und 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und sind heute nur noch antiquarisch erhältlich. Auch die Bücher von Joe McNally haben mich begeistert.
Dein Buch hat ein ungewöhnliches Konzept. Es ist kein Lehrbuch, es ist kein Technikbuch, es ist kein Bildband. Es ist irgendwie von allem etwas und enthält sogar einige sehr emotional geschriebene Essays mit fotografischem Bezug. Wie kam es dazu?
Als das Buchprojekt konkret wurde und ich einen Verlag gefunden hatte, habe ich einfach angefangen, loszuschreiben. Mir ist dabei schnell klar geworden, dass ich keine sachlich-systematische Darstellung der Unternehmens- und Industriefotografie im Sinne eines Lehrbuches schreiben, sondern einen persönlichen Blick darauf werfen wollte.
Es sollte ein leidenschaftliches und empathisches Buch werden und einfach Lust auf diesen Zweig der Fotografie machen. Das konnte ich nur leisten, wenn ich subjektiv und ganz aus meiner Perspektive schreibe.
Du hast auch andere Fotograf*innen als Gäste in Deinem Buch zu Wort kommen lassen. Warum?
Jede*r Fotograf*in ist ja irgendwie ein eigenes Universum und erfindet sich im eigenen Beruf ganz individuell. Es schien mir sinnvoll, auch anderen Blickwinkeln und Herangehensweisen Raum zu geben. Wolfram Schroll zum Beispiel fotografiert am liebsten Sinfonien der Technik, große Anlagen, Maschinenträume. Oder Corinna Spitzbarth, die mit großer Leidenschaft Corporate-Portraits umsetzt.
Das sind beides nicht meine Positionen oder Lieblingsthemen, aber sie verdienen es natürlich, dargestellt zu werden. Auch der oben erwähnte Fotograf und Filmemacher Gert Wagner hat einen Beitrag geschrieben, worüber ich mich besonders freue. So schließen sich Kreise.
In Deinem Buch schreibst Du sehr freimütig über Deine Arbeitsweise, Technik und auch über geschäftliche Erfolgsrezepte. Hast Du nicht Sorge, dass Euch zu viel Konkurrenz erwächst?
Nein. Ich bin der Auffassung, dass es gut wäre, wenn möglichst viele Kollegen in diesem Markt professionell agieren und sich richtig gut aufstellen. Daher ist es wichtig, Wissen zu teilen und sich auf diese Weise gegenseitig zu stärken. Die Zeiten, in denen Fotograf*innen ihr Wissen hüteten und sich nach außen abschotteten, sind vorbei.
Natürlich kann es theoretisch sein, dass ich irgendwann einmal einen Auftrag an jemanden verliere, der zuvor mein Buch gelesen hat und vielleicht einige meiner Ideen für sich verwerten konnte. Na und? Dann hat er auf jeden Fall etwas richtig gemacht und den Job verdient. Der Markt ist groß genug.
Informationen zum Buch
„Corporate- und Industriefotografie – die Welt der Arbeit professionell in Szene gesetzt“ von Christian Ahrens
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Seiten: 350
Verlag: Bildner
Preis: 29,90 €