Im Wahlkampfsommer 2017 standen alle Laternenmasten in Neubrandenburg – wie in jeder anderen Stadt Deutschlands – im Dienste der Politik. Während meiner Fahrten durch die Stadt fiel mir der materielle wie moralische Verschleiß der Wahlplakate auf. Zum Herbst hin verblassten die Kandidaten aufs Jämmerlichste und ihr politischer Gestus mutierte zu einer Grimasse.
So kam ich auf die Idee, mit den Mitteln der Fotografie den Verschleißprozess meiner visuellen Erfahrung zu simulieren. Ich fing an, die Plakate der Spitzenkandidaten zu fotografieren, die abfotografierten Plakate auszudrucken und den Ausdruck erneut zu fotografieren. Das Prozedere wiederholte ich solange, bis das Bild sich zerlegte.
Während ich die Bilder Schritt für Schritt zerstörte, sah ich eine neue bildliche Realität entstehen, die sich immer weiter vom ursprünglichen Motiv distanzierte und an Selbstständigkeit gewann. Und das so sehr, dass ich nur bedingt die Kontrolle über den Schöpfungsprozess behalten konnte und immer wieder von Wendungen mit unbekannten Folgen überrascht wurde.
Die Begeisterung für die entstandenen Gebilde war groß. Bald vergaß ich die Politköpfe und die sozialkritische Botschaft, die ich anfangs zum Ausdruck bringen wollte, und begann, nach der „destruktiven Methode“ Bilder aus beliebigen Bildern zu „entwickeln“. Ich fotografierte alltägliche Gegenstände und startete ungeduldig und ohne eine Idee zu haben, was daraus wird, die
Destruktionskette. Mehr oder weniger passiv sah ich, wie die Bilder ihre ursprüngliche Farbigkeit verloren und eine neue gewannen, wie die gegenständlichen Konturen sich auflösten und ungeahnte Formen auftauchten, wie die Details verschwanden, um Platz für plakative Abstraktionen zu machen.
Meine Fotografie hatte plötzlich eine zeitliche Dimension gewonnen. Denn der Entstehungsprozess eines Bildes konnte sich über einen ganzen Tag hinziehen, eine ganze Woche in Anspruch nehmen, wenn nicht einen Monat. Natürlich arbeitete ich an mehreren Bildern gleichzeitig, an manchen Tagen machte ich nur einen Schritt vorwärts und nicht selten vernichtete ich eine ganze Reihe von Reproduktionen und fing von vorn oder in der Mitte des Prozesses wieder an.
Ich war glücklich, endlich ein Handwerker zu sein. Nun entstanden meine Bilder nicht primär durch die Verschlusszeit einer Kamera, sondern als Ergebnis eines langen Reproduktionsprozesses. Noch nie war ich der ersehnten Grenze, an der Fotografie aufhört und Malerei beginnt, so nah. Und kurioserweise war ich noch nie so sehr Fotograf wie in den Zeiten, als ich mich unter den Malern am wohlsten fühlte.
Die Bilder dieser Serie machen mich immer noch glücklich. Sie zählen zu meinen ehrlichsten.