18. Juli 2019 Lesezeit: ~16 Minuten

Über Pferde, Kalender und viele Zufälle

Als ich Gabriele Boiselle für ein Interview anrief, wusste ich fast nichts über sie, außer dass sie seit Jahren Pferde fotografiert. Ich lernte Gabriele als einen Menschen kennen, mit dem man sich stundenlang unterhalten kann und auch ein wenig aufpassen muss: Denn in der einen Sekunde geht es noch um Pferderassen und plötzlich findet man sich in einem anregenden Gespräch über Jordanien in den 80er Jahren wieder.

Kein Wunder bei einem spannenden Leben, das von Reisen und Abenteuerlust geprägt ist. Und ich bin aus diesem Grund sicher, dass Euch das Interview gefallen wird, selbst wenn Ihr Euch nicht für Pferdefotografie interessiert. Aber entscheidet selbst.

Gabriele, ich habe gelesen, dass Du Journalismus studiert hast. Wie kommt man vom Journalismus zur Pferdefotografie?

Ja, ich habe nach dem Studium in München zunächst beim Süddeutschen und Bayrischen Rundfunk gearbeitet. Später war ich bei Gruner + Jahr in Hamburg und habe zudem für verschiedene Tageszeitungen gearbeitet. Ich hatte immer gern geschrieben, aber auch schon immer fotografiert.

Mein Vater war Architekt und Schöngeist und hatte seine Kamera immer dabei. Damit hat er mich irgendwie angesteckt. Mit sechs Jahren bekam ich bereits meine erste eigene Kamera: eine Kodak Clack.

Die Pferde liegen mir aber auch im Blut. Mein Großvater war jemand, den man heute wohl als Pferdeflüsterer bezeichnen würde. Wenn ein Bauer ein Problem mit seinem Kaltblutpferd hatte, rief er meinen Großvater.

So habe ich mütterlicherseits von meinem Großvater die Pferdeliebe und väterlicherseits den Blick für die Ästhetik mitbekommen.

Cowboy auf einem Pferd

Mittlerweile arbeitest Du ja nicht mehr als Journalistin. Wie kam es zum Sprung in die Pferdefotografie?

Das war kein bewusster Entschluss. Ich besuchte nach einer Reportage über die Hungersnot in Biafra eine Freundin in Kairo und mir ging es durch die Eindrücke aus Biafra nicht besonders gut. Wir besuchten deshalb zusammen das Staatsgestüt El Zahraa und ich habe unglaublich dort viel fotografiert. Damals noch auf Diafilm!

Als ich zum Südwestfunk zurückkam, habe ich ein paar der entstandenen Fotos an die Wand gehangen, bekam viel Lob und wurde gefragt, was ich mit den Bildern machen möchte. Ich war ein wenig verdutzt, denn ich hatte die Aufnahmen ja einfach nur für mich gemacht. Selbst damals war die Pferdefotografie für mich noch keine Option.

Später flog ich wieder nach Kairo und traf dort einen Mann, der mich auf meine Fotografien ansprach und mich fragte, ob ich auch seine Pferde fotografieren würde. Warum nicht, habe ich gedacht, bis ich herausfand, dass er aus Jordanien kam!

Aber nach ein wenig Bedenkzeit flog ich dann tatsächlich mit meinem Mann nach Jordanien. Dort sollte ich die Pferde des Jordaniers und die Pferde seiner Nachbarin fotografieren. Sie wollten gemeinsam aus den Bildern einen Kalender machen.

Reiter mit langen Gewändern

Das war also völlig ungeplant Dein erster Job als Pferdefotografin?

Ja, das war mein erster Job! In Amman waren die Straßen damals noch nicht gepflastert und es gab für einige Stunden am Tag keine Elektrizität. Es war das Amman der 80er Jahre. Nachdem ich seine Pferde fotografiert hatte, gingen wir am nächsten Tag zum Gestüt seiner Nachbarin.

Wie sich da herausstellte, war seine Nachbarin die Prinzessin Alia von Jordanien. Eine unheimlich nette Frau, mit der ich bis heute befreundet bin. Ich habe also auch ihre Pferde fotografiert und wir machten zusammen einen Kalender aus den Aufnahmen.

Der Kalender wurde in Amerika von Arabian Horse World vertrieben und so war ich mit einem Schlag Pferdefotografin.

Ja, verrückt!

Ja absolut! Und dann hatte mich 1984/85 Arabian Horse World beauftragt, für sie nach Russland zu gehen. Es war die Zeit des Kalten Kriegs und keine amerikanischen Fotograf*innen trauten sich nach Russland. So bekam ich den Auftrag für 20 bis 30 Bilder einer bestimmten Auktion und flog in den Kaukasus.

Und es war wunderschön. Es war wild und romantisch und einfach eine so schöne Geschichte, dass ich ihnen am Ende 500 Dias schickte! Damals verschickte man so etwas noch per Post.

Ich wurde daraufhin gefragt, ob ich noch etwas dazu schreiben könnte und so begann ich eben zu schreiben: Von Russland, der Gastfreundschaft, den Menschen, der Natur und natürlich den Pferden. Ich dachte, die werden sich schon irgendwas aus den Texten heraussuchen.

Dann schlug ich die nächste Ausgabe von Arabian Horse World auf – damals eine Zeitschrift, die etwa 600 Seiten hatte – und fand einen Bericht über 100 Seiten mit meinen Fotos und Texten. Ein komplettes Kapitel nur von mir! Das machte mich unglaublich stolz.

Ab diesem Moment bekam ich immer mehr Aufträge und bin für Arabian Horse World noch einmal nach Polen, Ungarn, Spanien und andere Länder gefahren. Hier kam mir auf jeden Fall meine journalistische Ausbildung zugute, denn die meisten Pferdefotograf*innen können zwar gute Fotos machen, aber nicht so gut darüber schreiben. Meine Kombination war damals noch etwas, das außergewöhnlich war und mir sehr geholfen hat.

Mann mit Pferd

Ich hätte bis jetzt auch gar nicht gedacht, dass es bereits damals den Beruf Pferdefotograf*in gab, weil es einfach so ein Nischenthema ist und nahm an, man schickte einfach Journalist*innen zu solchen Aufträgen.

Nein, Pferde zu fotografieren ist wirklich etwas Besonderes. Ich behaupte, dass „normale Leute“ keine Pferde fotografieren können und wenn sie ein gutes Foto bekommen, ist es Zufall. Man muss einfach bestimmte Dinge beachten, Pferde kennen, über Besonderheiten Bescheid wissen.

Weißt Du noch, mit welcher Technik Du Deine ersten Aufträge in den 80er Jahren gemacht hast? Das war ja wahrscheinlich nicht mehr Deine Kodak Clack.

Mit der Minolta SRT 101 – die habe ich heute noch!

Aber mit der fotografierst Du nicht mehr, oder? Du bist ins Digitale umgestiegen?

Ja, mit sehr hohen Kosten. Meine erste Digitalkamera hat damals 20.000 DM gekostet und konnte nur einen Bruchteil von dem, was heutige Handys können. 250 MB war die Größe einer Speicherkarte.

Aus heutiger Sicht – obwohl es noch gar nicht so lange her ist – unglaublich, wie sich die Technik entwickelt hat.

Ja, ich bin auch durch diese ganzen Neuerungen mit durchgegangen und es war ein langer, langer Weg. Die meisten, die heute ein Smartphone in der Hand haben, sind sich gar nicht bewusst, was für einen wahnsinnigen Hochleistungsprozessor sie da besitzen. Das ist alles so selbstverständlich geworden.

Bleiben wir noch kurz bei der Technik. Darf ich Dich fragen, mit was Du jetzt fotografierst?

Mit der Canon 1Dx & Canon 1D Mark II, ich habe verschiedene. Da ich mittlerweile auch viel filme, habe ich zudem auch eine Sony Alpha 9 und 7.

Pferdeportrait

Mit welchem Objektiv arbeitest Du, um ein Portrait so großer Tiere einfangen zu können?

Das ist eines der wichtigsten Geheimnisse für gute Pferdefotos. Die meisten Menschen stellen sich direkt vors Pferd, das ist der größte Fehler. Man muss sich mindestens 15 m vom Pferd entfernen und mit 200 mm oder ähnlichen Brennweiten arbeiten.

Ich nutze auch kein Zoom, sondern meine Füße. Das ist für mich sehr wichtig, denn das Pferd ist einfach sehr groß und man muss die Proportionen im Bild richtig zeigen und das geht nur auf Entfernung. 300 mm f/2.8 ist meine liebste Festbrennweite.

Ich habe auf Amazon Deinen Namen eingegeben und es erschienen 302 Treffer. Wie schafft man so etwas?

Tja, ich bin schon länger dabei! (lacht) Ist das erstaunlich?

Ich kenne zumindest bis jetzt keine Person, die nur annähernd so viele Treffer hat. Aber zugegebenermaßen suche ich auch sehr selten danach.

Ich mache ja seit 1985 vorwiegend Kalender. Zuerst den Araberkalender, zwischendrin hatte ich aber auch eine Palette mit 36 Kalenderthemen! Mit Bertelsmann habe ich zusammengearbeitet und in den 90er Jahren unglaublich viele Kalender weltweit verkauft. Ich bin damals auch nicht nur bei Pferden geblieben, sondern es gab auch einen Eisbärenkalender, Taubenkalender, Hühnerkalender und Hunde und Katzen – einfach alles. Das war die große Zeit der Kalender. Das hat damals viel Spaß gemacht.

Pferde

Da klingt ein wenig durch, dass die Kalenderzeit vorbei ist. Du machst aber weiter, oder?

Ich habe schon hin und wieder überlegt, aufzuhören. Aber dann kommen Menschen, die meine Bilder lieben und mir sagen, dass sie seit über 20 Jahren meine Kalender an der Wand haben und einen neuen brauchen.

Was treibt Dich zum Gedanken, aufzuhören?

Heute kaufen viel weniger Menschen Kalender und in dieses Business ist so eine Schnelllebigkeit gekommen. Es werden Produkte und Bilder abgewertet, in denen so viel Liebe und Herzblut drin steckt.

Es ist ein starker Kommerz geworden. Wenn man im Oktober Kalender kaufen möchte und in eine Buchhandlung geht, hat man eine Auswahl aus 500 Kalendern. Als Einzelkalenderverlag kommst Du gar nicht mehr rein. Der Markt wird von den großen internationalen Kalenderverlagen bestimmt. Und hier geht es vor allem um Preisdumping und die Qualität der Produkte und Bilder leidet stark darunter.

Da will ich nicht mitmachen. Meine Kalender sind vorn und hinten bedruckt. Ich lege viel Wert auf die Texte, das Papier und den Druck.

Ist die Pferdefotografie eigentlich gefährlich? Ich sehe immer wieder kleine Kinder, die völlig ohne Angst auf diese großen Tiere zugehen und reiten lernen möchten. Ich selbst habe einen unglaublichen Respekt vor Pferden und nie den Wunsch verspürt, mich näher mit ihnen auseinanderzusetzen.

Ach, das ist ok. Nicht alle Menschen müssen reiten oder sich mit Pferden abgeben. Vielleicht finden auch nicht alle Menschen Pferde so schön wie ich, aber ihre Energie spüren sicher alle.

Ich hatte als Kind einfach schon so viele Berührungspunkte mit ihnen. Es kommt darauf an, wie man aufgewachsen ist. Als ich noch nicht laufen konnte, bin ich auf sie zu gekrabbelt und habe mich an ihren Beinen hochgezogen, um zu stehen. Für mich war das alles sowas von normal.

Pferde und Reiter unter Palmen

Hast Du schon gefährliche Situationen mit Pferden erlebt?

Ich mache ja viele Reisen und habe auch schon viele Menschen mitgenommen. Manchmal bemerken einige nicht, dass sie in Gefahr sind. Ich habe da einen sehr guten Instinkt und kann gut voraussehen, was als nächsten passieren könnte. Aber bei mir ist noch niemandem etwas passiert, darauf passe ich auf.

Ich selbst habe mich aber schon in sehr schwierige Situationen gebracht. Da kam mal eine Herde von 500 Mustangs in Südamerika auf mich zu galoppiert. Ich hatte keine Möglichkeit mehr, auszuweichen, aber es ging alles gut. Ich habe schon ein paar verrückte Sachen gemacht und bin auf jeden Fall abenteuerlustig, aber ich höre immer auf meine innere Stimme und wenn die stopp sagt, dann höre ich auf sie.

Mit Deiner Angst vor Pferden bist Du auch nicht allein. Ich hatte bei meinen Workshops auch ein Ehepaar aus Wien. Er hat große Angst vor Pferden und sie ist absolute Pferdeliebhaberin. Er fotografiert immer von außerhalb des Zauns und sie von innerhalb. (lacht)

Aber er fotografiert trotzdem, das ist ja schön!

Ja, man hat ja eigentlich auch einen großen Abstand zu den Tieren. Reiten etwa ist also viel gefährlicher als Pferde zu fotografieren. Wenn man eine Person dabei hat, die einem erklärt, wie es geht, ist es sogar ganz einfach.

Du zeigst in Deinen Bildern immer sehr schöne Pferde in Freiheit. Nun warst Du als Journalistin ja auch in vielen Ländern, in denen die Tiere nicht gut behandelt werden. Auch hier in Deutschland gibt es noch Ponys, die zur Kinderbelustigung im Kreis laufen müssen, oder Pferde, die gezwungen sind, bei 35 °C Kutschen bis zur völligen Erschöpfung zu ziehen. Hast Du jemals auch eine Reportage über Pferdeleid geschossen?

Als Person setze ich mich mit solchen Themen auf jeden Fall auseinander und habe auch an einigen Stellen schon eingegriffen, wenn ich es gar nicht mehr mit ansehen konnte. Ich unterstütze auch einige Organisationen, die Pferden und Eseln helfen, wenn sie verwundet sind oder schlecht behandelt werden. Also ich persönlich mache das, aber fotografisch möchte ich mich nicht damit auseinandersetzen. Dazu ist mein fotografischer Ansatz einfach ein ganz anderer.

Solche schlimmen Bilder habe ich im Herzen und möchte sie nicht fotografieren. Ich möchte lieber die Schönheit der Pferde zeigen. Deshalb habe ich auch aufgehört, irgendwelche Sportveranstaltungen zu fotografieren. Auch wenn ich Pferde mit Sattel fotografiere, dann nur, wenn jemand reitet, der wirklich erfüllt ist und etwas Besonderes hat. Mir geht es in meinen Bildern um das freie Pferd und die Seele dieser Tiere. Ich möchte ihre Kraft, Schönheit und Energie zeigen.

Detailaufnahme eines Pferdeauges

Das verstehe ich. Hast Du auch eigene Pferde?

Ja, ich habe einige Herzenspferde. Darunter auch einen Hengst, der nun 34 Jahre alt ist. Er ist bei mir geboren und wird auch bei mir sterben. Das ist ein Seelenverwandter.

Gibt es Pferderassen, die sich besonders gut fotografieren lassen? Oder hast Du bestimmte Vorlieben?

Meine Kalender sind über Araber, Friesen und Andalusier. Das sind die fotogensten Pferderassen, weil sie viel Mähne und auch viel Ausdruck und Eleganz haben. Arabische Pferde sind wohl die Topmodels unter den Pferden. Die Friesen haben etwas Mysteriöses mit ihrer schwarzen Mähne, die Andalusier haben spanisches Blut und Feuer in sich, das man nach außen sieht. Mit diesen Pferden hat man fotografisch auf jeden Fall Vorteile – verglichen mit einem Kaltblüter.

Aber ich fotografiere auch Haflinger, finde sie toll und bin auch immer wieder auf Island, um dort die Wildpferde zu fotografieren. Ich liebe einfach alle Pferde und Rassen. Ich bin ja auch auf der ganzen Welt mit und für Pferde unterwegs gewesen und es ist immer faszinierend.

Egal, welche Sprache man spricht und wo auch immer man hinkommt: Wenn man die Sprache Pferd spricht, wird man von den Menschen eingeladen. Als ich noch gereist bin, um Menschen zu fotografieren, war das alles viel, viel schwieriger. Wenn ich jetzt irgendwo hinkomme und es geht ums Pferd, dann fallen sämtliche Mauern und es öffnen sich alle Türen. Und plötzlich strahlen die Menschen, weil sie nicht mich sehen, sondern jemanden, der wie sie mit dem Pferd verbunden ist. Pferde verbinden.

Zwei Reiter am Wasser

Wenn nach solchen enthusiastischen Worten nun jemand frisch in die Pferdefotografie einsteigen möchte, was rätst Du dann?

Man muss sich auf eine Wiese setzen und Pferde beobachten. Dafür braucht man noch gar keine Kamera. So lernt man, Bilder zu sehen.

Es darf nicht darum gehen, sofort ein tolles Bild zu machen, dass man auf Facebook stellen kann. Man muss sich langsam annähern. Wie bewegt sich das Pferd, wann schnaubt es, wann schaut es sich um? Da reden wir noch lange nicht über Technik oder Bildbearbeitung. Das Wichtigste ist, das Sehen zu lernen. Wenn man das nicht kann, wird man auch mit der besten Technik keine guten Bilder machen.

Schaut Euch auch gute Pferdebilder an, kauft Bücher und lernt daraus. Mit den Augen klauen ist ja nicht verboten.

Oder man besucht Deinen Workshop?

(lacht) Ja, das wäre natürlich super! Ich lade alle herzlich zu meiner Sommerakademie in Marbach vom 9. bis 11. August 2019 ein. Marbach ist ein wunderschöner Ort, hier werden seit 500 Jahren Pferde gezüchtet und seit 200 Jahren Araber. Die Akademie soll drei Tage lang alle Menschen, die sich für Pferdefotografie interessieren, zusammenzubringen. Wir haben einen Tag für Anfänger*innen, für Fortgeschrittene und für Profis.

Canon wird mit einem Stand vertreten sein, bei dem man sich auch Kameras und Kameratechnik ausleihen kann. Es gibt einen Fotowettbewerb und verschiedene Workshops, die ich gemeinsam mit Alisa Konrad und Alexandra Evang anbiete. Bei ihnen geht es nicht nur um den Umgang mit Pferden, sondern auch um den Umgang mit Kundschaft oder die Bildbearbeitung. Drei Tage lang die höchste Konzentration an Wissen, die man sich wünschen kann.

Dann viel Erfolg bei der Sommerakademie und Danke für das Interview!

Ähnliche Artikel