Im Gespräch mit Vesko Gösel
Die Arbeiten von Vesko Gösel wirken zuerst weit entfernt von dem, was man allgemeinhin auf den ersten Blick als fotografisch einordnen würde. Doch der zweite Blick offenbart eine große Nähe zur Fotografie und eine intensive Auseinandersetzung mit selbigem Medium. Vesko ist Objektkünstler, Bildhauer, Zeichner – seine Werke könnte man der „erweiterten Fotografie“ zuordnen, die sich als objekthafter und prozesshafter begreift als die klassische Fotografie innerhalb ihrer Genres.
Veskos Arbeit „Coulissen“, zu der wir später noch kommen werden, ist mir bei einer Ausstellung auf der Biennale für aktuelle Fotografie besonders aufgefallen. Wie der Zufall es wollte, führte räumliche Nähe zur Möglichkeit eines Treffens in meinem Atelier im beschaulichen Schloss Styrum in Mülheim. Dort führten wir dann ein stundenlanges Gespräch über das, was die Fotografie für uns ist oder wie wir sie vielleicht beschreiben würden.
Ausgehend davon habe ich mir dann folgende Fragen für Vesko überlegt, die dann digital beantwortet wurden. Ich danke Dir, Vesko, für Deine Zeit und den fotografischen Austausch zu Deinen Herangehensweisen.
Um einen direkten Einstieg zu Deinem Blick auf die Fotografie zu bekommen, eine meiner letzten Fragen aus dem Gespräch provokant vorweg: Traust Du dem (simplen) Bild nicht?
Anfangs schon! Unter simplen Bildern kann man viel verstehen. Sie können entweder sehr einseitig oder ebenso kompliziert lesbar sein. Da ich gern das Positive entdecke, bin ich schon ein Optimist. Grundsätzlich sollte man den Dingen trauen, aber ebenso lernen, zu hinterfragen. Vorweg misstrauisch zu sein, führt zu wenig Erkenntnis, finde ich. Auch bei Instagram etwa kann man das gut trainieren. Da geht es ja eher um das Image, den Kontext und weniger um das Bild.
Oder anders gefragt: Reicht Zweidimensionalität für Dich manchmal einfach nicht aus?
Fotografien interessieren mich sehr! Schon als Kind war ich sehr bildfixiert und habe meine Lieblingsmotive aus der TV-Zeitschrift ausgerissen. Im Nachhinein betrachtet, hatte ich so angefangen, einen ästhetischen Geschmack zu entwickeln. Doch habe ich auch gemerkt, dass mir handwerkliche Herausforderungen große Freude machen, was in meinen Arbeiten in einer Vielzahl von Materialien und Techniken zum Ausdruck kommt.
Da „Coulissen“ die erste Arbeit war, die ich von Dir im vergangenen Jahr auf der Biennale für aktuelle Fotografie sah, ist mir ein gewisser Hang zur Ordnung bei dieser und weiteren Arbeiten aufgefallen. Speziell dann, wenn man auf Deiner Website durch die Kategorisierungen schaut, die Du einzelnen Rubriken gegeben hast. Wie kam es zu dieser prägnanten Zuordnung und den präzisen Begrifflichkeiten?
Ich reduziere gern. Vor allem, weil die vorgefundenen Materialien sehr komplex sind und ihre eigene Geschichte mitbringen. So reizt mich das Widersprüchliche. Eine Skulptur wie „Coulissen“ funktioniert für mich durch die Klarheit ihrer Form im Kontrast zur historischen Unklarheit der Herkunft ihres Materials. „Coulissen“ nennt man auch die Seiten eines Fotoalbums für Kabinettkarten und Cartes de Visite, aus denen diese Arbeit ja auch besteht.
Ich möchte meine eigenen Arbeiten nicht bewerten, beziehungsweise fällt es mir schwer zu sagen: Das ist Kunst und das ist keine. Das Urteil darüber, ob ich als Künstler wirklich Kunst produziere, überlasse ich anderen. Bei vielen meiner Werke weiß ich selbst nicht genau: Ist das sogar praktisch oder funktioniert das nur ästhetisch?
Für mich ist Kunst ein Begriff, der dazu dient, jene Dinge sprachlich aufzufangen, denen wir keine konkrete Sinnkategorie zuweisen können. So benutze ich lieber Schlagworte und Tags auf der Webseite, die den Werken eine Zugehörigkeit geben, anstatt Begriffe wie „Skulptur“ oder „Foto“, weil es Werke gibt, die auch beides sind.
Dort finden wir auch den Begriff der „Post-Photography“ – was bedeutet dieser Begriff für Dich?
Ha! 2008 suchte ich mit einem Freund nach diesem neuartigen, damals unbekannten Begriff im Internet, weil er für uns eine passende, beziehungsweise renitente Abgrenzung zur üblichen Fotografie bot. Wir zeigten 80 Dias, vom Computerbildschirm abfotografiert, auf einem Kodak-Carousel-Diaprojektor, die sich unter „postphotography“ finden ließen. Es bedeutet wohl so viel wie „die Fotografie nach der Fotografie“, „Meta-Fotografie“, „Erweiterte Fotografie“, „Photography Proper“ oder auch „lens-based sculpture“ oder wie Urs Stahel es betitelte: „Ja, was ist sie denn die Fotografie?“
Wir sprachen über ein „Vom-Material-geleitet-Sein“ beim praktischen Arbeiten, die in Deinem Fall oft dem Analogen mehr verbunden sind als dem Digitalen – obwohl es auch das Schlagwort „computer assisted work“ auf Deiner Webseite gibt. Gab es hier einen auslösenden Moment, der zu dieser Herangehensweise führte?
Da sprichst Du zweierlei Paar Schuhe an. Mein Interesse ist immer auch ein Digitales sowie ein Zeitgenössisches. An unserer alten Dunkelkammertür stand der Spruch: „Seit es die Digitalfotografie gibt, wissen wir, was wir hier drin tun!“ Umgekehrt verhält es sich genauso, deshalb ist die (Foto-)Kunst wohl immer noch so materiell geprägt, in Ambivalenz zur Welt unter unseren Displays.
Mein Ausgangmaterial finde ich vermehrt in der analogen Fotowelt der Geräte und Maschinen, da mir diese technisch und handwerklich verständlicher sind und das heutige Design, sei es bei Photoshop oder beim Kameradesign, weiterhin stark beeinflussen.
Die Komplexität digitaler Geräte verbaut uns ja leider das Verständnis, wie eine Maschine funktioniert. Als Beispiel, die Türklingel: Früher hat man an die Tür geklopft. Später drückten wir einen Knopf, der eine Klingel auslöste. Heute wischen wir mit den Finger über ein Symbol einer Klingel und es klingelt. So verstehen wir die heutige Welt nur, wenn wir ihre Geschichte hinterfragen. Wie Du meine Arbeitsweise kennst, baue ich gerne Dinge auseinander und lasse mich, während ich das tue, von den Eigenheiten der jeweiligen Materialien zu einer neuen, zeitgemäßeren Formsprache verleiten.
Wie würdest Du diese Formsprache in wenigen Worten allgemein formulieren, bezogen auf Deine Arbeiten?
Die Form ergibt sich aus meiner täglichen Verfassung und meiner Frage, was ich heute mit einer Idee, einem Material oder Bild, das in mir eine Idee hervorruft, anfangen kann. Am Morgen darauf fange ich meist wieder von vorn an. So genau kann ich das gar nicht sagen. Die Form ergibt sich bei meinen Objekten meist aus ihrer bisherigen Funktion.
Du verbindest auch häufig fotografische Aspekte mit zeichnerischen Komponenten. Kannst Du uns dazu mehr erzählen?
Vor ein paar Jahren gab es bei kwerfeldein einen Beitrag über die Karikatur in der Fotografie, in dem auch über mein erstes Zeichenbuch „New Photographic Pleasures“ berichtet wurde. Ich war während meines Studiums genau im gefühlt größten persönlichen Umbruch zwischen dem Analogen und Digitalen. Gerade hatte ich etwas lieb gewonnen, da wurde es mir auch schon wieder genommen – so fühlte sich das an. Die Kamera hatte mich aber nie künstlerisch interessiert und so blieb ich während meines Fotostudiums bei Prof. Jürgen Klauke beim Zeichnen und schuf mir schon damals eine eigenwillige Position in diesen Seminaren. Nun fragst Du mich, ob es ein zweites Zeichenbuch geben wird, oder?
Ja, wird es denn eines geben? Da mir das erwähnte Buch ja vorliegt, würde ich es durchaus begrüßen!
Ich hoffe es! Es wird mich holen kommen, wenn es gemacht werden muss.
„Enjoy Photo Life“ ist Deine wohl fotografischste Arbeit, wenn man von der klassischen Fotografie als Bild ausgeht. Darin verbirgt sich, wie ich finde, eine Art Augenzwinkern im Hinblick auf die Fotografie und ihre Gebrauchsweisen. Ist Humor ein Bestandteil einiger Deiner Arbeiten?
Dass Du die gefunden hast! Ja, diese Fotoreihe ist bisher nur auszugsweise auf meiner Website zu sehen. Bisher fühle ich mich noch zu unsicher, sie zu drucken, zu rahmen oder in ein Format zu bringen. Vielleicht muss ich ihnen einfach mehr (zu)trauen – also diesen „simplen“ Fotos meines Alltags, die vielmehr das Leben mit der Fotografie erzählen sollen. Sei es ein Bild meiner Agfa-Badeschlappen oder meiner Hasselblad-Unterwäsche. Jetzt fragen sich sicher einige, wie die wohl aussieht.
Es gab im letzten Jahr ein Symposium mit dem Titel „Die Fotografie ist tot, es lebe die Fotografie!“ Wohl kaum ein Medium ist so oft in einer anderen Form wiederauferstanden. Die Fotografie erlebte innerhalb kürzester Zeit diverse Verwandlungen. Wie ist Dein Blick auf diese Entwicklungen in der verhältnismäßig jungen Geschichte, die Du ja auch in Deinen Arbeiten thematisierst?
Diese Parole klingt wie von einer siegreichen Revolution, doch fällt mir auf Anhieb nicht ein, wer die geführt oder gewonnen habe sollte. Dazu kommt mir kurioserweise ein Zitat von Jürgen Klauke in den Sinn, das ich in einem alten Künstlerbuch las:
Elsass, 10.10.1975: Habe beim Fotografieren den Fotografen erschossen, einen Augenblick lang, Claudia hat einen dazu gedreht, wohin mit der Leiche, am besten erschießen wir sie einfach!
Da sieht man mal, wie ich von meinem Professor geprägt wurde. Einen wirklichen Tod oder Wandel spüre ich nicht, vielmehr eine Entwicklung, die zu manchen Zeiten eher zögerlich und sogar regressiv war. Ich behaupte, die Fotografie verändert sich nach ihrem Gebrauch und der Geste des Auslösens. Dem technischen Wandel unterliegen alle Medien.
Selbst die Malerei schien schon mehrfach gestorben zu sein, die arme! Seit der ersten Fotografie 1826 gab es verschiedene fotografische Verfahren, die nebeneinander existierten und so ist es ja auch noch heute. Künstlerisch hat sich die Fotografie gerade durch diese vielen Verfahren und differenzierten Ästhetiken eher entwickelt.
Die Arbeiten von Vesko könnt Ihr Euch auf seiner Webseite ansehen. Das Browsen durch die verschiedenen Kategorien ist hierbei ebenfalls interessant, gibt es so doch Einblick in die Vielfalt des Umganges mit der digitalen Präsentation von Bildern.