Rezension: Lifestyle von Frank Kunert
Ich bin stets amüsiert, wenn ich die kleinen Welten von Frank Kunert betrachte. So auch seinen aktuellen und inzwischen bereits dritten Band namens „Lifestyle“ aus dem Verlag Hatje Cantz. Er ist voller Fotos, die die Skurrilitäten des Alltags aufs Korn nehmen. Elemente, die uns überall im täglichen Leben begegnen, wie etwa den Blick in heimische Häuser, auf Straßenzüge oder Alltagssituationen.
Doch etwas Entscheidendes ist anders. Denn bei den abgebildeten Motiven handelt es sich um Modelle, die vom Künstler zuerst detailliert gebaut und danach fotografiert werden. Details und humorvoll verdrehte Tatsachen sind es dann, die beim Betrachtenden ein Kopfschütteln, ein Schmunzeln oder ein Kopfnicken entstehen lassen. Immer findet sich in den Bildern Vertrautes, gemischt mit einer Idee, die viel Interpretationsspielraum lässt.
Die Fotografien des 1963 in Frankfurt geborenen Künstlers Frank Kunert kann man als Bilder bezeichnen, die vertraute Inhalte mit neuen Elementen mischen, die viel Platz zum Nachdenken bieten. Der Fotograf, der sich inzwischen seit etwa 18 Jahren der Inszenierung seiner kleinen Welten widmet, hat ein scharfes und humorvolles Auge für die Gegensätze unserer Welt. In seinen Arbeiten verbindet er seine Liebe zum Modellbau mit der Fotografie und setzt seine Ideen in seinen Werken mal vorder-, mal hintergründig in Szene.
Seine Inspiration sucht und findet er im Alltag und entwickelt aus ihr Ideen, die er mit detailverliebter Genauigkeit im Maßstab 1:20 aus Materialien wie Leichtschaumplatten, Knete oder auch Verpackungsresten in seinen Modellen umsetzt. Wochen bis Monate dauert es dabei zum Teil, bis diese dann so weit sind, dass sie fotografisch in Szene gesetzt werden können.
Akribisch genau arbeitet der Künstler dabei an feinsten Details wie dem bröckelnden Putz heruntergekommener Fassaden oder an Miniaturen von Interieurs, die er dann etwa im „Ein-Zimmer-Appartement“ unterbringt, einem der Bilder, die im neuen Buch zu finden sind. In einer winzigen Kammer lehnt ein Bett über einer Toilette an der Wand. Ein Waschbecken befindet sich gleich gegenüber in Kopfhöhe. Man könnte sich quasi in Schräglage waschen. Alles ist vorhanden, sogar eine Kochgelegenheit, mangels Platz aber unter dem Bett.
Würde es diese Konstellation so in der Realität geben? Wahrscheinlich nicht. Dennoch fühlt man sich an die Wohnraumsituation in Städten wie London erinnert, in denen Vermieter*innen aus Profitgier zu kreativer Wohnraumaufteilung greifen und trotzdem interessierte Mieter*innen finden. Kunert nimmt hier auf ironische Art und Weise Bezug auf die zunehmende Wohnraumverdichtung, die – glaubt man vorherrschenden Medien – zum Lifestyle erkoren wird. Und so sind seine Fotos abstrus und gleichzeitig mitten aus dem Leben.
Apropos Leben – Frank Kunerts Szenen wirken stets lebendig, wenngleich niemals Menschen in ihnen zu sehen sind. Wohl aber Verweise auf ihr Vorhandensein, als kämen die Menschen gleich wieder zurück, wie auf dem Foto „Ewige Liebe“. Es zeigt den Blick in ein Familiengrab unter der Erde. Darin ein ordentlich gemachtes Doppelbett aus Särgen, darüber ein Stillleben mit Goldrahmen. Auf den Kopfkissen liegen betthupferlgleich zwei Rosen. Die Bewohner*innen scheinen nur mal kurz aus dem Bild gegangen zu sein – vielleicht sterben sie ja gerade, bevor sie sich akkurat, wie zu Lebenszeiten, nebeneinander zur letzten Ruhe betten. Der Sekt steht auf dem Nachtisch kalt – ein Grund zum Feiern.
Frank Kunerts Fotos lassen viel Interpretationsspielraum. Und dies ist vom Künstler durchaus gewünscht. Seine Werke entstehen in reiner Handarbeit – angefangen von der Beobachtung seiner Umgebung, die ihm viele Ideen liefert, dem Erstellen von Skizzen, dem Bau des Modells und der abschließenden fotografischen Umsetzung. Dabei arbeitet er seit jeher mit einer analogen Großformatkamera der Marke Cambo. Durch den handwerklichen und analogen Prozess, den er der digitalen Nachbearbeitung vorzieht, wirken die Szenen haptisch und sind zudem von hoher Detailgenauigkeit.
Wie Frank Kunert arbeitet, kann man auf den ersten Seiten von „Lifestyle“ nachlesen. Neben einem umfangreichen Text zur Entstehung seiner Werke dokumentieren Schwarzweißaufnahmen seine Arbeiten im Studio. Man erhält Hintergrundwissen über Kunerts Schaffensprozess und die Herangehensweise an ein Motiv, ebenso über die verwendeten Materialien und die Gedanken des Künstlers. Auf den letzten Seiten gibt es neben Frank Kunerts Vita eine Übersicht seiner inzwischen langen Liste von Einzel- und Gruppenausstellungen. Aktuelle Ausstellungen sind auch auf seiner Webseite zu finden.
Frank Kunert betrachtet seine Werke als Bühne, auf der Themen, die Vergänglichkeit, Leben, Traum und Alltag lebendig werden und die die Betrachtenden mit ihrer eigenen Fantasie bespielen können. Dafür bieten die Fotos jede Menge Raum. Das handliche und quadratische Format seines neuen Buches „Lifestyle“ passt hier mit seinem matten Einband und den auf Einzelseiten abgebildeten Fotos gut, es unterstreicht die zentrierten Einblicke in die kleinen Welten Frank Kunerts. Ein Grund mehr, sich „Lifestyle“ genauer anzuschauen.
Informationen zum Buch
„Lifestyle“ von Frank Kunert
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Seiten: 72
Maße: 22,5 x 22,5 cm
Verlag: Hatje Cantz
Preis: 16,80 €