Junge Mutter mit Kind in Windeln auf dem Arm.
22. August 2017 Lesezeit: ~11 Minuten

„One Day Young“

Jenny Lewis’ Arbeit „One Day Young“ begegnete mir im Netz, als ich eigentlich etwas ganz anderes recherchieren wollte im Zusammenhang mit der Debatte um die Haftpflichtversicherung von außerklinisch arbeitenden Hebammen in Deutschland. Bereits vor zwei Jahren wurde dieses Buch hier bei kwerfeldein rezensiert.

Selten habe ich solche Fotografien von Müttern und Kindern gesehen, die eine solch bestechend-berührende Schlichtheit inne hatten und doch überwiegend so großes Potenzial bieten. Ob es nun an den Blicken der Mütter voller emotionaler Intensität direkt in die Kamera liegt oder es vielleicht auch ein wenig durch mein eigenes Frausein bedingt ist, all dies sind Faktoren, die da sicher mit hineinspielen. Jedenfalls habe ich Jenny Lewis für ein Interview gewinnen können.

Junge Frau lachend mit nacktem Säugling im Arm.

Hallo Jenny! Danke, dass Du Dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Diese auffallenden Portraits in Deinem Buch „One Day Young“ zeigen etwas sehr Natürliches, doch auch gleichzeitig etwas, das der Öffentlichkeit meist verborgen bleibt. Sehr junge Neugeborene mit ihren Müttern in häuslicher Umgebung, kurz nach der Geburt. Gab es einen bestimmten Moment oder eine besondere Situation, in der Du beschlossen hast, diese Art von Portraits zu machen? Und nach Erstellung der Bilder, gab es einen besonderen Grund für die Veröffentlichung in dieser Form?

Als Mutter von zwei eigenen Kindern war ich nach einiger Zeit frustriert von all den Bildern, die sich mit der Geburt beschäftigen und die in den Medien und in dazugehörigen Geschichten verbreitet werden. Ich fühlte mich bombardiert von negativen Stimmen zum Thema, sei es zum Schmerz oder all den Dingen, die schief gehen können.

Die Bilder und Geschichten um mich herum waren alles andere als eine Unterstützung während der Schwangerschaften und ich hatte das Bedürfnis, einen anderen Ton anzuschlagen, eine andere Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte von Freude, Stärke und Verantwortung, die man in der Übergangszeit zum Mutterwerden selbst erfährt. Vermutlich habe ich sogar ein wenig meine eigene Geschichte erzählt, indem ich diese Frauen fotografiert habe.

Frau mit dunklen Haaren sitzend mit Baby in der Hand welches sie anschaut. Junge Mutter mit Säugling im Arm.

Die Aufnahmen hast Du bei den Familien zuhause angefertigt. Hattest Du einen engen Kontakt zu den Müttern, bedingt durch die besondere Situation? Vielleicht war es ja sogar ein wenig wie bei einer Hebamme auf Abruf, nur in einer anderen Art und Weise, da Du ja auch nicht wusstest, wann genau das Kind geboren wird und wann Du für die Fotografien dort sein kannst?

Ich wollte die Frauen in ihren eigenen Wohnungen zeigen anstatt in den sterilen Räumen eines Krankenhauses. Es ging mir hierbei auch darum, zu zeigen, dass jede einzelne Frau auch eine eigene Identität hat und nicht bloß Mutter ist. Sie sind immer noch sie selbst – doch nun mit der zusätzlichen Tatsache, dass sie eine Mutter ist.

Ich liebe die Möglichkeit, die Bilder und ihre Inhalte lesen zu können – Dinge über das Leben im Hintergrund erfahren zu dürfen. Die Serie ist zu großen Teilen auch eine sozial-historische Dokumentation, die zeigt, wie wir zu dieser Zeit in städtischen Räumen leben, wie unsere Lebensräume aussehen, wie wir uns entscheiden haben, sie zu dekorieren.

Dadurch, dass ich die Frauen in ihrer eigenen Wohnung fotografiert habe, hatten sie auch selbst mehr Kontrolle über ihr eigenes Portrait. Sie haben ihre Umgebung bereits in ihrem Sinne eingerichtet, befinden sich in der eigenen Lebenswelt – somit manipuliere ich den Schauplatz nicht. Es gibt den Bildern eine andere Dimension von Ehrlichkeit.

Zu den Frauen hatte ich vor dem Treffen zum Fotografieren keinen Kontakt, außer dass ich den Entbindungstermin, Name und Adresse erhalten habe. Ich erfragte auch vorab keine Bilder der Frauen, denn ich wollte dieses Projekt frei von Fragen nach Aussehen, sozialem Status, Alter und dergleichen angehen.

Jede, die auf meinen Aushang reagierte, wurde in das Projekt aufgenommen. In fünf Jahren habe ich 150 Frauen fotografiert, alle innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt. Manche sogar bereits direkt zwei Stunden nach der Geburt.

Junge Mutter mit Säugling im Arm.

Es scheint beim Betrachten der Bilder so, als ob Du bereits im Vorfeld eine sehr genaue Vorstellung davon gehabt hast, wie die Bilder am Ende aussehen sollen. Zum Beispiel sehen wir keinen Vater im Bild, manchmal vielleicht ein Geschwisterkind. Während ich Deine Arbeit angesehen habe, hatte ich die Arbeit „Swedish Dads“ von Johan Bävman im Kopf. Wolltest Du die starke Verbindung zwischen Mutter und Kind in Deinen Bildern zeigen, besonders im Hinblick auf den nahen Zeitpunkt zur Geburt?

Ich hatte nicht wirklich einen festen Bildaufbau im Kopf, doch nach und nach realisierte ich, dass die Bilder, auf denen die Frauen in einer beinahe herausfordernden Art direkt die Betrachter*innen anblicken, am besten für mich funktionierten und ich darauf selbst am meisten reagierte. Erst bei der Auswahl und der Bearbeitung der Bilder fiel mir dies in seiner Häufigkeit wirklich auf.

Es ist, als würden die Frauen dem gesellschaftlichen Blick auf die Mutterschaft im Zusammenhang mit Verletzlichkeit und Ehrwürdigkeit trotzen und stattdessen sich selbst als triumphierende Kämpferinnen nach dem körperlichen Kampf der Geburt präsentieren.

Dieses Projekt ist absolut dazu gedacht, andere Frauen zu unterstützen und zu ermutigen, so war dies nicht der Platz, um die Väter einzubinden. Dies hätte die Botschaft durcheinander gebracht und die Bilder zu einfachen Familienschnappschüssen verwässert. Natürlich habe ich oft ein Bild der ganzen Familie gemacht, als Geschenk für die Teilnahme am Projekt selbst, doch dies hat nichts mit der Serie an sich zu tun.

Es ist eigenartig, wie oft ich gefragt werde, warum ich die Väter nicht eingebunden habe… warum ist es so merkwürdig, eine Serie nur mit den Frauen zu machen und ihre Leistung zu feiern? Wäre es eine Serie über Fußballer, würden die Menschen auch nicht fragen, warum keine Frauen zu sehen sind. Es ist irrelevant, die Väter hier einzubinden, es ist kein Kommentar auf ihre Reaktion oder emotionale Reise.

Junge Mutter mit Säugling im Arm.

Wir sehen jüngere und ältere Frauen, ebenso alle möglichen Hautfarben und Lebensstile. Wo hast Du die Teilnehmer für Dein Projekt gefunden?

In den Jahren, in denen ich das Projekt fotografierte, verteilte ich Flugblätter in meinem Bezirk, Hackney in London, mit denen ich Leute fragte, ob sie bereit wären, sich von mir zuhause fotografieren zu lassen, einen Tag nach der Geburt des Babys. Die Fotosession wäre kostenfrei und sie würden die Bilder erhalten.

Um eine größere Bandbreite von Frauen kontaktieren zu können, wandte ich mich an Hebammengruppen, die mir helfen konnten, junge Frauen oder auch Frauen, die meine englischen Flugblätter nicht unbedingt lesen konnten, zu erreichen.

Hackney ist ein sehr multikultureller Bezirk, somit war es nicht schwer, diese Mischung zu finden. Es ist eine wirkliche Repräsentation der Gegend, in der ich lebe, mir war es wichtig, dies wiederzugeben. Die Botschaft ist für alle gleich, nicht nur für weiße Frauen der Mittelschicht im mittleren Alter.

Lachende Frau mit Baby im Arm.

Auf Deiner Webseite habe ich ein zweites Projekt gesehen, das fast mit demselben Namen gestartet ist, nur an einem anderen Platz. Kannst Du uns etwas über Malawi erzählen und wie es dazu kam, dass Du genau dort mit dem Projekt weitermachst?

Nachdem „One Day Young“ 2015 herausgegeben worden ist, hat mich die Wohltätigkeitsorganisation WaterAid angefragt, nach Malawi zu gehen, um dieses Projekt dort zu wiederholen. Das Projekt dort war, die Umstände hervorzuheben: Wie es ist, in einer medizinischen Einrichtung ohne sauberes Wasser ein Kind zu gebären.

Nicht bloß, um es zu trinken, sondern um die Betten und Böden zu reinigen sowie für die Hebammen, um ihre Hände und ihr Equipment zu waschen. Ich fotografierte dort zehn Frauen und es war ein Privileg, die ihre Stärke zu sehen, die ziemlich wörtlich ihr Leben riskierten und gezwungen waren, ihre Babys unter diesen Bedingungen zur Welt zu bringen.

Die Körpersprache der Frauen und die Bandbreite ihrer Emotionen waren genauso wie ich sie bei den Frauen in Großbritannien erlebt hatte – nur die Hintergrundsituation war eine andere.

Dasa ich die Möglichkeit hatte, dieses bereits bestehende Format dort weiterzuführen, war unglaublich. Ihre Stimmen und Geschichten erzählen zu können, nicht als bemitleidenswerte Opfer, sondern als starke Frauen, die bessere Umstände verdienen. Die Kampagne war ein riesiger Erfolg und eine Wasserpumpe wurde in der Gemeinde aufgebaut, so dass nun sauberes Wasser vorhanden ist, das die Infektionszahlen und die Kindersterblichkeit deutlich verringern wird.

Junge Mutter mit Säugling im Arm.

Junge Kinder (wie auch die meisten Erwachsenen) mögen Blitzlicht nicht so sehr. Soweit ich sehen konnte, hast Du überwiegend mit natürlichem Licht gearbeitet. Kannst Du uns etwas über das Equipment erzählen, das Du benutzt hast?

Wie zuvor erwähnt, sind alle Bilder innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Geburt aufgenommen worden. Ich wollte diese Situation auf natürliche Weise fotografieren, mit vorhandenem Licht und nicht herumrasselnder Weise den Frieden des Momentes stören. Es ist bereits viel verlangt, für ein Foto in die Wohnung von fremden Menschen Eintritt zu erhalten, noch dazu in dieser intimen Situation. Also wollte ich in der Lage sein, diesen Bereich mit so wenig Störung wie möglich zu betreten und auch wieder zu verlassen.

Es hätte sich zu aufdringlich angefühlt, einen Blitz zu benutzen, wenn ich ein Baby fotografiere. Oft war ich zudem die erste Person, direkt nach der Familie, die in diesen privaten Raum eingetreten ist. Ich wollte die Blase aus Intensität nicht zerplatzen lassen und alles im selben Takt wissen, wie es war, als ich kam.

Junge Mutter mit Säugling im Arm.

Würdest Du uns etwas über Deine generelle, fotografische Arbeit erzählen? Oder hast Du finale Worte, die Du gern loswerden möchtest?

Immer wenn ich ein Portrait mache, versuche ich, Ehrlichkeit zu finden, die Person an sich zu feiern und vielleicht etwas zu enthüllen, das unter der Oberfläche schlummert. Ich bin sehr stolz auf die Serie „One Day Young“ und sie hat auch bereits so vielen Frauen so viel gegeben. Sie hat sie unterstützt und ermutigt, in sich selbst zu vertrauen und dem Übertritt in die Mutterschaft ebenso.

Dieses Jahr habe ich ein weiteres Buch veröffentlicht, „Hackney Studios“ , das eine andere Serie ist, die das fünfjährige Bestehen der Künstlercommunity in meiner Gegend feiert.

Jede*r Künstler*in schlug die*den nächsten vor, so habe ich über die Jahre sozusagen einen Stammbaum aus gegenseitigem Respekt aufgebaut, der das Netzwerk der Untergrund-Künstler*innen widerspiegelt, die Hackney zu dem Ort machen, der er ist – und der nun durch die Gentrifizierung der Gegend beginnt, zu zerbröckeln. Was als eine Huldigung begann, wird nun zu einer historischen Aufzeichnung von dem, was bald einmal war, bevor die Mieten gestiegen sind und Ateliers abgerissen wurden, um Platz für teure Wohnungen zu schaffen.

Lieben Dank, Jenny!

Jenny Lewis hat uns zudem noch verraten, dass sie für dieses Projekt mit Brennweiten von 35 mm und 50 mm gearbeitet hat sowie mit ihrer Canon 5D Mk III .

Tabea hat dieses Interview für Euch auf Englisch geführt und anschließend ins Deutsche übersetzt.