20. Juli 2017

Unter dem Schatten der Sonne

2010 zog ich nach Van, einer Stadt in der Region Ostanatolien in der Türkei, weil ich zum Dozenten an der Van Yuzuncu Yil University ernannt wurde. Ich begann, Fotokurse an der Fakultät für bildende Künste zu geben und wollte gleichzeitig mehr Zeit mit dem Fotografieren selbst verbringen.

Als ich feststellte, dass Van eine archaische Siedlung mit vielen traditionellen Dörfern, Bergen, Seen und Inseln ist, wollte ich diesen Aspekt der Umgebung in meinen Bildern festhalten. Ich wurde Zeuge der Beziehung der Menschen mit der Natur in der Region.

„Under the Shadow of the Sun“ ist ein fortlaufendes Projekt, an dem ich nun schon seit 2011 arbeite. Ich habe verschiedene Dörfer von Van fotografiert, wie Toreli, Bilgi, Uzuntekne, Alacayar und Gorundu. Wenn man die steilen Straßen hinter sich lässt und die Bergdörfer erreicht, erfährt man ein Leben, das die meisten von uns wohl nie kennenlernen werden und einige wenige vielleicht noch aus der Kindheit kennen, das jedoch nie wieder kommen wird.

Die Tierzucht formte hier den Alltag. Die Menschen treiben ihr Vieh, das ihre einzige Existenzgrundlage bildet, im Sommer ins Hochland, denn die Hitze stellt eine Gefahr dar, zum Beispiel durch Krankheiten.

Dort oben sind die Menschen nicht allein. Vans kühles Hochland ist auch der Zwischenstopp für die Nomad*innen. Sie treiben ihre Tiere aus den südöstlichen Provinzen ins Hochland und verbringen dort vier Monate des Jahres. Wenn alle ihre Zelte aufschlagen, beginnt der Kampf mit den schwierigen Naturbedingungen. Die Menschen verbringen ihre Tage mit der Suche nach Wasser und gutem Boden. Sie leben an einem Ort, an dem die Technik nicht überlegen, sondern im Höchstfall hilfsbereit ist. Die Dominanz der Natur über ihre Kultur ist absolut.

Ein Bergdorf

Zwei Mädchen stehen in einer Tür

Ein Viehhirte beim Tee

Eine bergige Landschaft

Ein Mann und Kind auf einem Pferd

Frauen in einem Bus mit Ziege

Jungen waschen ihr Vieh im Meer

Ein Schäfer mit Schafen

Jungen reinigen ihre Pferde im Wasser

Drei Frauen mit Pferden

Frauen tragen Wasserkanister

Drei Frauen in einem dunklen Zimmer

Zwei Männer am Freuer

Eine Frau auf einem Pferd

Eine Winterlandschaft

Schafe auf einem Pfad durch den Schnee

Eine Winterlandschaft

Ein Freund von mir sagte, nachdem er eines meiner Fotos gesehen hatte: „Die Menschen dort wären fähig zu überleben, selbst wenn der Welt ein Unglück geschähe.“ Und er hat wirklich recht: Weil sie wissen, wie man unter schwierigen Bedingungen lebt und ihre Bedürfnisse so weit wie möglich selbst erfüllen können.

Sie sind nicht Verbraucher*innen in dem Sinn, den wir kennen. Sie erfüllen ihre Bedürfnisse vom Essen und Trinken bis zum Heizen und einem Dach über dem Kopf selbst. Sie sind nicht auf die Industrie angewiesen. Dieses Leben ist so etwas wie die Antithese des „Techniklebens“, in dem wir nun leben, umgeben von Objekten.

Als ich noch Student war, las ich Soziologen wie Zygmunt Bauman, Paul Virilio und Manuel Castells. Sie sprachen über den Niedergang der menschlichen Erfahrung in unserer Zeit. Laut ihnen haben die Technologien Zeit- und Standortkonzepte ausgelöscht und allmählich die menschlichen Erfahrungen reduziert.

Heute wird eine Netzwerkgesellschaft in die elektronische Atmosphäre der virtuellen Welt gezwängt. Aber ich sah, dass menschliche Erfahrung noch in den Dörfern von Van existiert und ich denke, das ist die Hauptmotivation für das Projekt.

Dieser Artikel wurde für Euch von Katja Kemnitz aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

12 Kommentare

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  1. Eine interessante und lesenswerte Reportage.

    Ich bin aber etwas skeptisch.

    „Sie leben an einem Ort, an dem die Technik nicht überlegen, sondern im Höchstfall hilfsbereit ist. Die Dominanz der Natur über ihre Kultur ist absolut.

    Die Menschen dort wären fähig zu überleben, selbst wenn der Welt ein Unglück geschähe.

    Sie sind nicht auf die Industrie angewiesen.“

    Das ist zu idyllisch. Genau das ist vielleicht eines Tages das Problem. Wenn jemand aus der Schweiz, aus UK oder aus China oder aus den USA kommt und findet, dass man dort gut Seltene Erden fördern kann, und dann werden sie feststellen, dass das Land ihnen gar nicht gehört, und sie werden verdrängt.

    • Der Hinweis der Überlebensfähigkeit zielt eher auf das Selbstversorgertum ab: Eine Katastrophe, die die industrialisierte Welt hart treffen würde, hat hier kaum Bedeutung.
      Davon ist die Wahrheit deines Kommentars natürlich unbenommen.

  2. Ich finde das eine sehr schöne Reportage. Gerade die Herangehensweise, nicht nur ernst dreinblickende, wettergegerbte und hauptsächlich alte Leute zu zeigen – eine beliebte Herangehensweise an solchen Orten – finde ich geradezu erfrischend..
    Ansonsten sind da schlicht hervorragende Bilder (3, 4, 8, 9,….) bei.

  3. Die Hunde, der Schäfer mit seinem schwarzen Wasserkessel und seinem Glas Tee; das erste Ihrere Fotos mit den Eseln im Sonnenuntergang (?), die Frauen im Bus. Der makellos weiße Schnee (ich nehme an, er verdankt sich keiner Manipulation). Die drei jungen Frauen mit den Pferden. Die beiden Mädchen in der Eingangstür der Bäckerei (erinnern mich an die Po-Ebene Fotos von Paul Strand).

    Die Idee zu überleben nach der Katastrophe ist abgründig.

    Kennen Sie den Roman „Schnee“ von Orhan Pamuk?

    Ihre Fotos sind voller Spuren der industrialisierten Welt. Auch ein rostender Heuwender ist ein Industrieprodukt.

  4. Idyllisch? Dass die Natur die Kultur dieser Menschen dominiert?
    Diese wunderschönen Bildern zeigen auch: die Abwesenheit all dessen, was wir in unserer vermeintlich hochentwickelten Gesellschaft als komfortabel, notwendig und modern bezeichnen. Und doch: als idyllisch empfinde ich diese Bilder keineswegs; ich sehe harte Arbeit (die beiden Jungen auf den schleppenden Eseln!), aber auch Zufriedenheit, eine Art Zuversicht ob der Bewältbarkeit der dortigen Lebensbedingungen, ja, da fällt mir nichts ein: Zufriedenheit.
    Gewiss: ihre Abhängigkeit von Natur und Unabhängigkeit von unserer Industrie birgt eine Gefahr: jener Kulturkreis könnte sich nur schwer gegen die unsrige aggressive, kommerzielle Ökonomie behaupten können, da Menschen doch naturgemäß Sammler und Vegleicher sind.
    Die also dort – gut beobachteten – Erzeugnisse hiesige Industrie sind erste Anzeichen, stellen aber doch noch lange nicht eine industrialisierte Welt dar …

    ›Im Gepäck ihre rückständige Kultur‹ … Um Himmels willen! Was ist denn das für ein Kommentar? Inwiefern ›rückständig‹? ›Rückständig‹ gegenüber wem, was? Der unseren Kultur? Was soll das sein, Deiner Meinung nach? Kultur? Wer bildet den Maßstab? Oder geht es um Wohlfahrtsstaat; Gewaltenteilung; Bildungsmöglichkeiten, materielle Güter? Das, was Du da – nicht unrealistisch aber zumindest – überspitzt sagst, mag in Deiner Lebenswelt richtig sein, aber das bedeutet noch lange nicht, dass das Usus ist …

  5. Ich finde diese Reportage mit ihren Fotos sehr interessant und fotografisch gut. Originalität der Menschen und des Ortes spiegeln sich wieder. Das Foto mit den drei jungen Frauen spricht Bände über liebenswerte Menschen, Freiheit und Begegnungen.
    Ab hier würde nun die mediale Schreiberei über Religionen und Politik beginnen. Deshalb ende ich hier und rufe Bravo!
    Gute Dokumentarfotografie