09. Februar 2017 Lesezeit: ~6 Minuten

Von Männern und Zärtlichkeit

Fotografien von Männern in der Natur gibt es viele, jedoch eher als Bildnisse des stereotypen und archaischen Beherrschers der Elemente. Raue Überlebensspezialisten, die vor einem Feuer sitzen oder Berghänge erklimmen.

Doch es geht auch anders: Sanft und symbiotisch habe ich meine Männermodelle in die Natur eingebettet, um die aktuelle Entwicklung eines Männlichkeitsbegriffs aufzuzeigen, der in der Fokussierung auf das neue Bild der Frau vielleicht abhandengekommen scheint.

Seit meinem 17. Lebensjahr beschäftige ich mich mit Fotografie. Dabei dienten mir zunächst meine Freundinnen oder ich selbst als Modelle. Über die Jahre habe ich mich in meiner Arbeit auf das weibliche Geschlecht konzentriert. Im Frühjahr 2016 begann ich, an einer Serie zu arbeiten, die sich mit der Desexualisierung und Entmystifizierung der Frau in zwei verschiedenen Stufen beschäftigte.

FrauenportraitEine Frau zieht eine Grimasse

Dabei verfolgte ich eine recht einfache Vorgehensweise: Ich schoss von allen beteiligten Frauen ein natürliches Portrait, das ihr natürliches Wesen einfangen sollte. Im Anschluss bat ich sie, Grimassen zu schneiden, ihr Gesicht mit den Händen zu verzerren oder irgendetwas damit anzustellen, das es verfremden würde. Ein ungewöhnlicher, neuer Anblick sollte entstehen.

Danach bat ich sie, ihren Oberkörper freizumachen, um ihre Brüste so zu verziehen, dass jede*r, die*der das Bild anschließend sehen würde, sie nicht direkt als solche identifizieren könnte. Im Idealfall würden die Betrachter*innen beim Anblick Unbehagen oder Schmerzen empfinden – zumindest sollte das Bild keine erotischen Gefühle wecken.

Ich wurde anschließend mehrfach gefragt, ob es mir darum ginge, den männlichen, sexualisierten Blick von der Frau abzuwenden. In der Tat ging es mir darum, den weiblichen Körper zu desexualisieren, jedoch wollte ich damit weder eine männliche noch weibliche Sichtweise darstellen. Es ging ausschließlich um meine Sichtweise.

Mund mit Zahnspange

Brüste die zusammengedrückt werden

Scrolle ich durch Instagram, Facebook oder Tumblr, sehe ich Frauengesichter und vor allem Frauenkörper. Manche von ihnen mehr, manche weniger behaart, aber wenn sie es sind, dann ist es im Bild deutlich erkennbar, da es ein Trend zu sein scheint, der beweist, dass man als Frau endlich zu sich gefunden hat.

Weil man sich nicht mehr von Männern abhängig machen möchte, lässt man jetzt die Bein-, Achsel-, und Schambehaarung wachsen, um endlich mal allen zu zeigen, dass man auch ohne Rasierer eine ansehnliche Frau ist. Die meisten dieser Bilder sind meiner Meinung nach dennoch sehr sexuell aufgeladen. Natürlich dürfen sie das sein. Aber es langweilt mich einfach, dass man sich fast ausschließlich Frauenkörper anschaut, egal in welchem Kontext.

Darüber hinaus hat es mich genervt, dass ich selbst, seitdem ich fotografiere, fast nur Frauen vor der Kamera stehen hatte. Bis zum letzten Jahr konnte ich die Männer, die ich im Laufe der Jahre fotografiert hatte, an einer Hand abzählen. Deshalb beschloss ich, mit einer zweiten Serie anzufangen: „Men in Bloom“.

Ein Mann auf einer WieseMännerportrait

Ich habe mich stets als selbstbewusste und unabhängige junge Frau wahrgenommen und viele gute weibliche Freunde hatte ich nie. Jungs waren für mich kein Mysterium. Selbst im Kindergarten blieb die Phase aus, in der ich Jungs blöd fand. Ich hatte nie das Gefühl, mich zu einem „Lager“ zu bekennen. Ich habe mich immer als gleichberechtigt gesehen. Der Satz „ich hasse Männer“ ist mir ebenfalls noch nie über die Lippen gekommen.

Meine Freunde erzählten mir ihre Liebes- und Herzschmerzgeschichten — ich war die Vertrauensperson bei Trennungsangelegenheiten, diejenige, die von ihren männlichen Freunden um Rat gebeten wurde. Also sah ich sie so, wie sie waren, nämlich genauso verletzlich und zart wie viele junge, pubertäre Mädchen, so unsicher und ratlos wie viele junge Frauen. Die feministische Fotografie zelebriert die verschiedensten Körperformen, sexuelle Freiheit und Unabhängigkeit der Frau und erlebt seit ein paar Jahren ihren Höhepunkt.

Ein Mann im Wasser

Brusthaar

Währenddessen habe ich mich gefragt, wie es heranwachsenden Männern geht. Mit welchen Rollenklischees wachsen sie auf? Was macht einen Mann zu einem Mann? In der breiten Öffentlichkeit gilt es als männlich, stark und entschlossen zu sein. Man geht seinen Weg, lässt sich emotional nicht aus der Fassung bringen. Weinen ist untypisch und eher reserviert für „Pussies“ oder homosexuelle Männer – oftmals leider der Inbegriff des „Anti-Mannes“.

Ein ehemaliger Dozent sagte einmal zu mir, dass es so, wie ich Männer fotografiere, nicht richtig wäre. „So fotografiert man doch keinen Mann!“ Es sei alles zu zart dargestellt. Auch, wenn er mit steiferen Rollenklischees aufgewachsen ist als ich und ich den Ursprung seiner Meinung nachvollziehen konnte, war es mir unmöglich, diesen Kommentar zu vergessen. Männer stets stark und maskulin zu portraitieren, ist mindestens genauso realitätsfern wie ausschließlich makellose Frauen abzulichten.

Ein Mann im GrasEin Mann mit Farn

Im Jahr 2016 habe ich vor allem den Sommer damit verbracht, Männer in der Natur zu fotografieren, um ihre zarte und verträumte Seite einzufangen. Ich befragte alle portraitierten Männer nach ihrer Definition von Männlichkeit und eines meiner Modelle, Lukas, antwortete auf den Punkt, dass er es männlich finden würde, wenn man „einen Fick auf die Männlichkeit geben würde.“

Während Frauen das Gefühl haben, sie müssten einem bestimmten Schönheitsideal nacheifern, erfahren Männer sicherlich den gleichen, wenn nicht sogar einen noch größeren Druck, männlich zu sein. Ich habe den Eindruck, dass junge Frauen und Mädchen viel über sich reden und was es bedeutet, eine Frau in der heutigen Gesellschaft zu sein. Meistens sollen die Männer dabei nur zuhören. Ich finde, es ist an der Zeit, dass ein Dialog zwischen den Geschlechtern stattfindet und nicht abgekapselt voneinander geführt wird. Egal, welche sexuelle Orientierung man hat.