Persönlichkeit in der Portraitfotografie
Kann man mittels eines Portraits die inneren Werte und Einstellungen einer Person, eine Facette der wahren Persönlichkeit festhalten? Oder bildet die Fotografie nur die Oberfläche ab? Und ist es überhaupt noch spannend, wenn man die Persönlichkeit in einem Foto entschlüsseln kann?
Diese Fragen habe ich mir für meine Abschlussarbeit gestellt und daraufhin eine fotografische Untersuchung gemacht.
Natürlich ist es möglich, Persönlichkeit in einem Portrait darzustellen. Wenn man sich zum Beispiel die Portraitarbeiten von Richard Avedon ansieht, der es mit minimalen Attributen sowie durch die Kleidung oder die Gestik geschafft hat, einen Eindruck der abgebildeten Person zu vermitteln. Wenn auch nicht die ganze Persönlichkeit, so zumindest eine Facette davon.
Doch was passiert, wenn man die Kleidung, den Gesichtsausdruck und die Kulisse möglichst neutral hält? Thomas Ruff hat dies in seinen Portraits in den Achtzigerjahren getan. Ruff ist der Ansicht, dass die Fotografie nur die Oberfläche abbildet und dass es nicht möglich ist, zu erkennen, wer die abgebildete Person wirklich ist. Das wollte ich nicht hinnehmen und so entstand das Thema meiner Abschlussarbeit.
Ich kann Thomas Ruff nicht widersprechen, die Fotografie ist eine Momentaufnahme. Zu glauben, von diesem einen Moment etwas über eine Person zu erfahren, scheint doch sehr naiv. Daher entschied ich mich dazu, Portraitserien zu machen. Mehrere Personen portraitierte ich regelmäßig über einen Zeitraum von mehreren Monaten hinweg. Durch den seriellen Aspekt gibt es die Möglichkeit, innerhalb der Serien nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu suchen.
Die Bedingungen waren immer die gleichen: Ein neutraler Hintergrund, eine ausdruckslose Mimik und der gleiche Anschnitt der Fotos. Diese nahezu wissenschaftliche Herangehensweise schaffte Typologien, die eine direkte Vergleichbarkeit der einzelnen Bilder möglich macht.
Zuerst suchte ich Personen, die schon durch ihr Äußeres etwas über sich selbst verraten, beispielsweise jemanden aus der linken Szene mit Dreadlocks, jemanden, der regelmäßig Sport treibt und bei dem dies auch sichtbar ist, oder ein Modell, das durch mehrere Schönheitsoperationen zu ihrer eigenen Idealvorstellung geworden ist.
Es war nicht besonders schwer, diese Fotos zu entschlüsseln, schnell hatten die Betrachter*innen eine Idee davon, welche Werte und Einstellungen die abgebildete Person hat. Somit machte das die jeweilige Serie langweilig für die Betrachter*innen. Wozu eine ganze Serie ansehen, wenn sie nach dem ersten Bild alles verraten hat?
Also suchte ich meine Modelle nach anderen Kriterien aus. Es durften nicht zu viele Merkmale vorhanden sein, die auf die Persönlichkeit schließen lassen. Trotzdem achtete ich noch darauf, dass ich Personen fotografierte, die „das gewisse Etwas“ hatten und zumindest auf mich den Eindruck machten, dass ich eine starke Persönlichkeit vor mir habe. Ich schloss in diese Untersuchung Personen aus möglichst verschiedenen Altersklassen ein.
Insgesamt fertigte ich von 23 verschiedenen Personen Serien an. In meiner Endauswahl befinden sich allerdings nur noch fünf Personen. Teilweise lag das daran, dass ich – trotz der wissenschaftlichen Herangehensweise – auf ein harmonisches Gesamtbild achtete. Manche Personen sind neben anderen einfach untergegangen oder stachen zu sehr hervor. Bei anderen Personen gab es wieder das Problem des zu schnellen Entschlüsselns.
Selbst durch das Weglassen von möglichst vielen Anhaltspunkten bekamen die Betrachter*innen bei manchen Personen einen vermeintlichen Eindruck der Persönlichkeit, was die Portraitserie wieder langweilig machte. An diesem Punkt begann sich der Kontext meiner Arbeit zu verändern.
Zumindest bei einigen Personen konnte ich zwar beweisen, dass man auch mit möglichst neutralen Portraits eine Facette der Person erkennen kann, aber genau das machte die Serien nicht mehr sehenswert.
Spannend sind die Serien, die keinerlei Anhaltspunkte zur abgebildeten Person zeigen. Mit jedem neuen Bild der Serie wird eine Unterschiedsuche zum vorherigen Bild angeregt und trotzdem nicht genug verraten, um sich einen Eindruck von der wahren Persönlichkeit der abgebildeten Person zu machen.
Ich konnte beobachten, wie manche Betrachter*innen selbst nach 20 nahezu identischen Fotos ein und derselben Person nicht müde wurden, noch mehr zu vergleichen und fast schon verzweifelt nach Anhaltspunkten zur Person suchten. Es macht den Menschen Spaß, wenn sie beim Betrachten von Bildern gefordert werden. Nur belohnt wurden sie bei mir dafür nicht.
Das ist ja interessant, von dieser Seite habe ich die Fotos noch nie betrachtet. Du hast aber irgendwie recht, oft sieht man einem Bild gewisse Dinge an :) Da ist wieder beeindruckend was unser Hirn so leistet.
Liebe Grüsse
Sylvia
http://www.mirrorarts.at
Es ist wohl das Talent des Photographen das erlaubt eine Persönlichkeit zu ent-decken …
Ich denke, ja, ein Moment (Momentaufnahme) kann sehr viel über eine Person erzählen.
Ob die Fotografie ein geeignetes Mittel ist, um eine Untersuchung nach wissenschaftlichen strengen Regeln durchführen zu können, bezweifle ich. Wissenschaftliche Untersuchungen stellen Fragen und beantworten sie, woraus sich immer wieder neue Fragen ergeben. Fotografien stellen keine Fragen. Fotografien sind ein Statement.
Für mich ist es erstaunlich, dass es immer noch Fotografen gibt, die den Mythos einer Persönlichkeitsdarstellung in der Portrait-Fotografie weiter verbreiten. Unser Sehen ist zwar eng mit unserem Wissen verknüpft und wir wissen, dass Menschen eine Persönlichkeit haben, aber wir sehen/erkennen sie in einem Foto trotzdem nicht. Sie ist zu komplex, als dass uns eine Unter-, Ober- oder Direktsicht der Kamera, ein offener Mund oder geschlossene Augen usw. auf einem zweidimensionalen Fotopapier irgendetwas über die Persönlichkeit sagen könnte. Wäre es möglich, würden Psychologen und Therapeuten die Kamera als Diagnoseinstrument in ihrer Arbeit einsetzen – tun sie aber nicht. Ja es wäre verführerisch und verwerflich zugleich, den zeitaufwendigen Diagnoseprozess auf Zehntelsekunden zu reduzieren.
Attribute wie Kleidung oder Gestik sind kein ausreichender Hinweis auf eine bestimmte Persönlichkeit. Gesten können gepost sein, Kleider können „Leute“ machen. Nein, auch diese Parameter sind viel zu ungenau, um eine ernsthafte wissenschaftliche Untersuchung durchführen zu können.
Trotzdem schauen wir uns gerne Portraits an. Portraits, deren „ausstrahlende“ Menschlichkeit uns tief in unserer Seele berühren. Wir fühlen das, eben weil wir als Betrachter dieser Gattung Mensch auch angehören. Diese Portraits bleiben in unserer Erinnerung. Paul Strand, ein amerikanischer Fotograf, sagte einmal: Ein Portrait ist dann gut, wenn man sich daran erinnert.
Das Talent oder die Kunst, die tiefe Menschlichkeit in der Fotografie darstellen zu können, gelingt nicht vielen Fotografen, aber Richard Avedon war einer von ihnen und in der Malerei konnte es Rembrandt ebenso mit seinen Selbstportraits.
Natürlich kann man nicht die gesamte Persönlichkeit in einem Portrait darstellen, Gestik, Mimik, Kleidung etc. können aber sehr wohl Hinweise geben. Was Portraits interessant macht, ist nicht die vollständige Abbildung der Persönlichkeit, sondern die Hinweise durch bestimmte Merkmale (Gestik, Mimik, Kleidung etc.) auf Teile der Persönlichkeit.
Auch durch eingeübte Posen und gezielt (falsch) ausgewählte Kleidung können Hinweise entstehen. Es liegt hier einzig und allein beim Fotografen, in einer Session ein Portrait „herauszukitzeln“, dass am meisten von der abgebildeten Person „zeigt“ und in dem sie sich trotz eingeübter Posen und ausgewählter Kleidung „verrät“.
Es gibt auch Hinweise, die nicht zu verbergen sind: Narben und Falten z.B. Es ist durchaus möglich, anhand eines (guten) Portraits darzustellen, in welcher Lebenssituation sich ein Mensch befindet, wie er bis dahin gelebt hat, ob er schwere Arbeit verrichten musste, viel mit Drogen zu tun hatte, usw.
Ich denke hier z.B. an Walker Evans und „Let us now praise famous men“ während der Zeit des „New Deal“ in Amerika, spezifisch an das Portrait der Mutter mit ihren Kindern.
Zumindest geschichtswissenschaftlich und sozialwissenschaftlich können Portraits durchaus zu Untersuchungen herangezogen werden. Allerdings dann in genau umgekehrter Form, wie es hier mit den seriellen Portraits versucht wurde.
Ohne Umgebung, Emotion und Merkmale verkommt das Portrait zum Passbild und das sagt wirklich nichts aus.
Wie man hier sehen kann, die Idee von der Persönlichkeit im Bild hält hält sich ziemlich hartnäckig. Anja schreibt:
„Zu glauben, von diesem einen Moment etwas über eine Person zu erfahren, scheint doch sehr naiv“
Nicht nur naiv, ist irrational und unlogisch, es ist nur ein Märchen an das man so sehr glauben möchte, nur ein Mythos, eine Legende. Ein Portrait ist nur ein Schauspiel (Täuschung, Inszenierung, Interpretation, Anschein, Trugbild, Vermutung, Verschleierung, Veranstaltung, Darbietung, Vorführung, Spielerei, Illusion …) und daher …
Für mich war und ist das offensichtlich.
Den Charakter oder Eigenschaften eines Menschen aus seinem Passfoto azuleiten oder gar sein Verhalten zu prognostizieren – der Traum eines jeden Sicherheitsbeamten am Flughafen.
Auch wenn das wohl ein aussichtsloses Unterfangen ist, finde ich diese Versuchsreihe und die Resultate interessant.
Der Traum nicht nur von jedem Sicherheitsbeamten, von allen Psychologen, besonders von den Personalern in den Firmen, auch der Bauer, der die Frau sucht hätte leichter, es hätte ein Blick auf ein Foto gereicht …
Ja, es ist ausichtslos. Trotzdem glauben sehr viele, dass das doch möglich ist.
Eigentlich komisch.
Die vorgestellte Arbeit macht sehr deutlich, dass es sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Portraitfotografie gibt. Auf der einen Seite das sachliche und neutrale Fotografieren von Menschen im Stile von Thomas Ruff. Auf der anderen Seite das Portraitieren im Sinne einer Begegnung zweier Menschen: einem Menschen vor und einem hinter der Kamera. Bei letzterem spielt der persönliche Blick des Fotografen eine entscheidende Rolle und zwei Fotografen werden nicht dasselbe Portrait machen. Der Name Richard Avedon fiel ja bereits – ein Fotograf mit ganz eigenem Blick; man schaue sich einfach einmal die Portraits aus seiner Serie „In the American West“ an.
In meinen Augen wird durch die neutrale Portraitfotografie vor allem das Medium Fotografie selbst reflektiert und unser Blick auf die Bilder hinterfragt. Es ist die nicht-neutrale, subjektive Portraitfotografie durch die wir – im besten Falle – etwas über den fotografierten Menschen (und seine Persönlichkeit) erfahren können.
Ich finde die Arbeit von Anja Groß sehr beeindruckend beim Betrachten der regungslosen Gesichter fühlt man sich als Gegenüber gedrängt mit den Personen in Interaktion zu treten, um Ihnen eine Regung zu entlocken. Es entsteht der Wunsch, diese Personen lächeln zu sehen und zu erfahren, wie sich dabei die Ausstrahlung verändert
Sehr interessante Betrachtungsweise der Persönlichkeitszusammenhänge in der Portraitfotografie, die meine kürzlich entwickelten Betrachtung „Persönlichkeitsentwicklung DURCH Fotografie“, die ich in einem Videokurs erläutere, von einer anderen Seite beleuchtet.