Im Gespräch mit André Pfützenreuter
An einem grauen Oktoberwochenende besuchte ich den jungen Analogfotografen André Pfützenreuter in seinem Zuhause in Gießen. Da ich selbst auf Film fotografiere, finde ich es immer wieder spannend, mich mit Gleichgesinnten zu unterhalten und zu erfahren, wie sie diese Art der Fotografie für sich entdeckt haben. Mit André sprach ich über Kameras, Vorbilder und warum er seine Bilder als ausatmend bezeichnet.
Ich durfte André während des Interviews auch fotografisch begleiten.
André, wie bist Du zur Fotografie gekommen?
Ich habe ungefähr vor fünf Jahren angefangen. Nicht direkt mit professionellen Frauenportraits, sondern mich hat immer die Fototechnik interessiert, die Optik und wie das Bild in der Kamera zustande kommt. Ich habe dann einfach meine Sammelleidenschaft für Kameras entdeckt, vor allem für analoge.
Hast Du für Dich auch ein Ausdrucksmedium gesucht oder ging es wirklich erst einmal um die Technik?
Bei mir war es wirklich so, dass die ganze Technik mich interessierte und ich dann irgendwann entdeckt habe: Man kann ja auch Menschen fotografieren! Ich habe mich erst komplett mit diesen ganzen technischen Aspekten beschäftigt, wie man dem Bild durch die Technik Ausdruck verleihen kann, zum Beispiel durch verschiedene Objektive. Es ging mir nicht darum, wie man verschiedene Bildwirkungen durch den Inhalt erzielt, sondern durch die Technik.
Erst später habe ich gelernt, dass man auch mit Licht spielen kann und mit Emotionen. Mir hat die Kombination von beidem viel Spaß gemacht. Ich wollte nicht schon von Anfang an Frauen fotografieren. Ich habe mir gern andere Bilder angeschaut und analysiert. Ich habe mir zum Beispiel total gern die Bildstrecken in der Vogue angesehen und mich gefragt, wie das und das geht, wie man solche Emotionen herausbringt und mich gewundert, warum da immer so wenig Unschärfe ist.
So habe ich versucht, immer besser zu werden. Ich habe digital angefangen und schon von Anfang an diese Kombination aus digitalen Kameras und analogen, manuellen Objektiven geliebt, weil ich den Charme im Digitalen vermisste. Mir war da immer alles zu perfekt und zu scharf. Ich habe digitale Portraits gemacht, aber diese waren nicht aussagekräftig für mich – technisch perfekt, aber mich hat immer etwas gestört.
Vor allem die Bearbeitung. Ich kann nicht bearbeiten. Ich hasse es, zu bearbeiten und ich bin sehr faul. Ich will, dass ein Bild schon fertig ist und brauche einen Look, der einfach wirkt. Ich bin so ein Typ, der gern etwas hat, was von der Masse heraussticht, was anders ist.
Also war das auch ein Grund für die analoge Fotografie?
Ja, ich hätte niemals mit einer Kamera fotografieren können, die zehntausend andere auch haben. Ich habe einfach gern etwas, was sonst keiner hat. Ich mag es, damit aufzufallen, deswegen hat mich das Analoge auch so gereizt. Das ist eine eigene Welt. Und da ich mit digital angefangen habe und ganz früh schon alle digitalen Sachen durch hatte, war es irgendwann langweilig.
Deshalb wollte ich in die Analogfotografie eintauchen. Ich habe dann angefangen, mich mit Kameras auseinanderzusetzen, mit Objektiven, Mittelformat, später auch Großformat, so ging es dann immer weiter zu Polaroid, selbst entwickeln, Farbe, Schwarzweiß, Dia.
Also viel auch dieses Händische, das Selbermachen, was man beim Digitalen jetzt nicht unbedingt hat?
Ja, ich habe dieses original Analoge gemocht, mit Fusseln, mit Unschärfe, mit Körnung. Aber ich habe mich auch ein bisschen verändert und jetzt meinen Stil gefunden und der ist halt analog arbeitend, wahrscheinlich wegen der Kameras und wegen des Looks, den man erzielt, aber das alles auf eine sehr perfekte Art und Weise.
Du willst es dann irgendwo auch technisch perfekt haben? Du sagst, Du magst das Digitale nicht so, weil es einfach zu perfekt ist, aber man sieht bei Deinen Bildern ja kaum Fusseln oder Staubkörner – also es muss schon irgendwo eine gewisse Perfektion für Dich haben.
Es lag immer am Bildlook. Es haben mich immer analog arbeitende Fotografen interessiert und fasziniert. Ich verfolge kaum Fotograf*innen, die digital fotografieren und bei denen ich sage: „Die haben mich total umgehauen!“ Es war die Bildwirkung des Analogen, vor allem Mittelformat.
Es waren von Anfang an zwei Fotografen, die für mich absolut prägend waren und es immer noch sind, die mich inspiriert und motiviert haben, immer weiter zu machen und zu sagen: „Genau da will ich hin.“ Jetzt muss ich nur für mich herausfinden: Wie komme ich dahin? Deswegen teste ich dies und das und suche mir mein Setup, mit dem ich gut klar komme und mit dem ich auf diese Bildsprache komme.
Jetzt wäre es natürlich spannend zu wissen, wer denn Deine Vorbilder sind.
Als erstes wäre das Hannes Caspar – ganz ganz wichtig – und Jan Scholz. Ich denke, ich kann mich mit Jan Scholz einfach super identifizieren, weil er jemand ist, der auch dieses Problem hatte, dass er mit dem Digitalen nie zufrieden war und dann mit einem Mal das Analoge für sich entdeckt und gemerkt hat, dass das genau der Look ist, den er haben will.
Er hat mal genau das gesagt, was ich auch gedacht habe, dass Bilder analog fotografiert, so aus der Kamera kommen, wie er sie haben will, ohne zu bearbeiten. Würde ich digital fotografieren, würde ich so bearbeiten, dass es am Ende analog aussieht.
Ich kann das beim Fotografieren gut nachvollziehen, ich mache das selbst ja auch so. Ich fotografiere analog, aber scanne die Bilder dann ein. Ist das nicht eigentlich total bescheuert? Warum fotografieren wir nicht gleich digital, um mich jetzt mal ein bisschen aus dem Fenster zu lehnen?
Ich nenne das „Hybrid-Fotografie“: Analog fotografieren und das Bild digitalisieren. Ich liebe das. Ich kann nicht komplett nur analog. Ich liebe es, meine Bilder zu zeigen, ich habe sie gern in digitaler Form und da ich gern diesen perfekten analogen Look mag, komme ich nicht drum herum, da man durch Scannen 100 % vom Film und alle Details bekommt. Ich arbeite ja nicht analog allein wegen der Kameras, sondern wegen des Formats, das in vielen Fällen größer ist als ein digitales überhaupt realisierbar ist und wegen des Looks, der dadurch entsteht.
Ich arbeite auch im Kleinbildformat, was digital gesehen ja Vollformat wäre. Ich beschreibe das immer so: Ein digitales Bild besteht aus Pixeln und Pixel sind eckig, ein analoges Bild besteht aus Korn und Korn ist rund. Und etwas Rundes wirkt meistens angenehmer als etwas Eckiges. Auch wenn es dann gescannt und digital ist, bleibt der Charme trotzdem erhalten.
Findest Du es trotzdem wichtig, die eigenen Bilder zu drucken?
Ich finde es super schön und komme aus dieser Branche. Hätte ich einen Drucker zuhause, dann würde ich wahrscheinlich jedes Bild, das ich mache, direkt ausdrucken. Und hätte ich ein ordentliches Archivsystem, in dem ich alles ordentlich verstauen könnte, würde ich das auch machen. Dadurch, dass ich halt so eine Masse Bilder habe, ist das schwer. Man müsste noch einmal von vorn anfangen und alles, was man je gemacht hat, ausdrucken.
Du hast gerade gesagt, Du kommst aus der Branche, was heißt das? Verdienst Du mit der Fotografie Dein Geld oder was machst Du sonst beruflich?
Ich habe mit 16 Jahren eine Ausbildung zum Bogen-Offset-Drucker gemacht. Das ist ein indirektes, analoges Druckverfahren, weil ich mich auch schon immer für Druck und Bilder interessiert habe. Das war auch in der Zeit, in der ich mit der Fotografie angefangen habe. Und nein, ich verdiene mit meiner Fotografie kein Geld.
Hast Du es vor, irgendwann?
Sehr gern, ja. Nicht mit bezahlten Aufträgen, sondern mit Workshops. Ich würde gern anderen Menschen zeigen, wie einfach es ist, analog zu fotografieren und dass man nicht die mega Erfahrung haben muss.
Hast Du schon einmal etwas in die Richtung gemacht?
Ja, ich habe letztes Jahr sehr viele Coachings über die analoge Fotografie gemacht. Speziell auch diesen Hybrid-Fotografie-Bereich, weil es viele erst einmal abschreckt, mit Filmlabor und Filmtypen zu arbeiten und was man beim Kamerakauf beachten sollte. Ich habe mir irgendwann gedacht, ich habe mich so viel damit auseinandergesetzt und so viel Geld in die Fotografie gesteckt, jetzt muss ich davon profitieren und mein Wissen auch weitergeben.
Was ist denn Dein Lieblingssetup oder -equipment?
Das ist sehr komplex. Ich wechsle meine Kameras wie meine Unterhosen. Ich habe nicht so gern eine Kamera für immer und ewig, sondern ich muss alles ausprobiert haben. Ich habe immer das Gefühl, ich habe irgendetwas verpasst, eine Kamera, die genau das macht, was ich will. Deshalb habe ich auch viele Kameras getestet und bin natürlich auch hängengeblieben an verschiedenen Kameras, zum Beispiel am Nikon F-System – F1, F2, F3, F4, F5 … Speziell die F4, F3 und FE2.
Bei Objektiven arbeite ich, egal ob Kleinbild, Mittelformat, Großbild, im Normalbereich, also um die 50 mm bis maximal 35 mm Brennweite. Und im Telebereich bis maximal 70 mm. 40 mm ist für mich die perfekte Brennweite. Das wäre zum Beispiel das Voigtländer Nokton 40 mm f/1.4 , das ist für mich das absolute perfekte Objektiv. Im Mittelformat arbeite ich mit dem Pentax-67-System, ich habe aber auch schon andere Systeme ausprobiert. Ich liebe auch russische Kameras, aber zum Arbeiten nehme ich wirklich nur Kamerasysteme, die zuverlässig sind und das sind für mich Nikon und Pentax.
Und welche Filme nutzt Du gern?
Ich bin da relativ festgelegt und niemand, der bei Filmen gern viel herumexperimentiert – genauso wie bei der Entwicklung. Ich habe von Anfang an mit Kodak-Filmen gearbeitet und der TMAX 400 wird wahrscheinlich der Film sein, den ich immer benutzen werde. Die meisten Schwarzweißbilder, die ich von meinen Vorbildern kenne, wurden mit dem TMAX gemacht. Ich weiß nicht warum, mich zieht es einfach zu Kodak. Den TRI-X nutze ich gern, um zu pushen oder zu pullen, um einen dramatischen Look zu erzielen.
Die Farbfilme mag ich auch sehr. Ich habe früher kurz mit Diafilmen gearbeitet, habe aber dann gemerkt, dass das gar nicht meins ist. Ich liebe perfekte Hauttöne. Bei mir muss die Haut auf dem Bild genauso aussehen, wie sie ist. Das ist auch der Grund, warum ich den Kodak Portra nutze, er ist der perfekte Portraitfilm für mich. In 160 , 400 und 800 . Obwohl das alles Portra ist, hat jeder von den drei Filmen wirklich einen ganz anderen Look, vor allem in speziellen Lichtsituationen. Ich arbeite auch gern mit dem Ektar 100 , aber nur für Landschaften, nicht für Portraits.
Du fotografierst ja hauptsächlich Frauen, Dein Schwerpunkt liegt also mittlerweile auf Portraits?
Ich stehe total auf emotionale Portraits, emotionale Bilder. Frauen haben viel mehr Emotionen, viel mehr Körpersprache, viel mehr Ausstrahlung. Männer sind so statisch. Frauen eher dynamisch, sie sind nicht so steif. Ich als Mann schaue mir natürlich auch sehr gern Bilder von Frauen an.
Das kommt auch auf Deinen Bildern rüber. Deine Bilder sind sehr emotional und …
… ausatmend. Ich habe mich mal selbst gefragt: Wie definiere ich meinen Bildstil? Dann hat mir ein Modell gesagt, dass es auf meinen Bildern aussähe, als würden die Frauen beim Auslösen gerade ausatmen.
Was macht für Dich ein gutes Bild aus?
Man muss irgendwo hängen bleiben. Wenn ich ein Bild sehe, muss es mich faszinieren, von der Bildwirkung her sowie inhaltlich. Für mich persönlich ist das einerseits, wenn ich ein Großformatbild sehe, das mit einer ganz bestimmten Linse gemacht wurde, dann flasht mich das. Der Inhalt kann da egal sein, es kann ein schlichtes Portrait sein, aber für mich wirkt es dann einfach durch die Technik.
Andererseits ist es auch so, dass wenn das Gefühl im Bild stark ist, ist es auch egal, ob es mit einer Einwegkamera gemacht wurde. Wenn mich jemand nach einer Meinung zu einem Bild fragt, sage ich immer: Wenn Du das Bild ein bisschen weiter weg hängst und nur kurz drauf schaust, muss es schon wirken. Viele gucken sich das Bild digital an und zoomen ganz weit rein, um zu sehen, ob alles perfekt ist, aber im Ganzen das Bild irgendwo weiter weg zu sehen, das tut fast keiner so richtig.
Vielen Dank für das Gespräch und den Einblick in Deine Arbeit!