Rezension Wallace Berman: Photographs
Wallace Berman ist eigentlich für seine Assemblagen und Drucke bekannt und auch die eine oder andere bildhauerische Arbeit habe ich schon von ihm bestaunt. Sein fotografisches Werk zeigt noch einmal eine ganz andere Seite des 1926 geborenen und an seinem 50. Geburtstag verstorbenen amerikanischen Künstlers.
Der Bildband „Wallace Berman: Photographs“ ist voller intensiver Schwarzweiß-Aufnahmen, die das Leben um Berman herum in den Jahren 1950 bis 1976 – seinem Todesjahr – in South Califoria zeigen. Die Aufnahmen sind sehr dicht, dennoch leise und beruhigend. Häusliche Szenen, eine Gruppe von Kindern am sommerlichen Mittagstisch im Garten, viele Portraits seiner Freunde und Bekannten. Ich bilde mir ein, ich höre den Wind rauschen, Bienen summen und Kinderlachen.
Alle strahlen eine Ruhe und Gelassenheit aus, niemand eilt oder hetzt von einem Ort zum anderen, alle sind in ihre Gedanken vertieft, rauchen Zigaretten und sind in einer Wartehaltung.
Die Fotografien, die sich immer auf der Grenze zwischen Dokumentation und Pose befinden, zeigen alternative Lebensentwürfe am Rande der Gesellschaft, Wallace Bermans Künstlerfreunde, Musiker, Poeten und Schauspieler und einen Überfluss an Zeit. Die Bilder sind sehr nah und persönlich, als würde man durch Bermans privates Fotoalbum blättern.
Zwischendurch tauchen immer wieder Selbstportraits des Künstlers auf, der mit seiner zweiäugigen Beautyflex in einen Spiegel fotografiert oder seine Ehefrau Shirley, die bekleidet, in Unterwäsche oder nackt posiert.
Seit 1952 waren die beiden verheiratet und Berman fortan für die Erziehung des Sohnes zuständig, während seine Frau arbeiten ging. Dieses für die 50er Jahre sehr untypische Familienmodell spiegelt sich auch in all den freien, wilden und alternativen Familienfotos wieder, die im Bildband zu finden sind.
Das Buch ist 21 x 25 cm groß, viele der Aufnahmen sind einseitig gedruckt, manche erstrecken sich aber auch über eine ganze Doppelseite. Insgesamt ist es nicht überlagert, aber auf 150 Seiten bekommt man einiges zu sehen.
Dazu kommt noch ein Vorwort und ein Nachwort in englischer Sprache, mit einem Hauch Bildanalyse und kleinen Berichten über die Zeit der aufkommenden Beat Generation und Hippie-Bewegung.
Eines meiner Lieblingsbilder aus dem Buch ist ein Foto von Bermans Frau Shirley, die nackt auf einem Boot liegt. Hinter ihr erheben sich die Bergwipfel von Mount Tam und schweben wie ein dreifaches Echo über Shirleys nacktem Körperprofil, das sie in ihrer Form auch wiederspiegeln. Unter ihr ist ein Anch-Kreuz am Boot zu sehen – das altägyptische Symbol für das Weiterleben im Jenseits.
Die Detailliebe ist in vielen weiteren Fotografien zu finden und macht den Bildband zu einem meiner liebsten im Bücherregal.
Da das Buch vergriffen ist, muss man für gebrauchte Ausgaben leider ein kleines Vermögen zahlen, dennoch kann ich es ehrlich empfehlen, es ist wirklich ein belebender und auch beruhigender Bildband, der einen wunderbaren Einblick in das Leben von Wallace Berman und seiner Generation gibt.