Buchcover mit Frau
23. September 2015 Lesezeit: ~7 Minuten

Buchvorstellung: Francesca Woodman

Wer ist eigentlich Francesca Woodman? Mit dieser Frage beschäftigt sich die neueste Publikation über die Fotografin, welche 2014 in der SAMMLUNG VERBUND und anlässlich der Ausstellung in Wien erschienen ist.

Darin versuchen verschiedene Experten, sich den unzähligen Fragen zu nähern. Doch zuvor eine kleine Einführung für diejenigen, denen die Künstlerin bisher verborgen geblieben ist.

Der späte Erfolg Francesca Woodmans ist geradezu tragisch. Denn Berühmtheit erlangte sie erst ein paar Jahre nach ihrem Selbstmord. Sie stürzte sich von einem New Yorker Hochhaus in den Tod und war gerade mal 22 Jahre alt. Das war im frösteligen Januar 1981, dem Jahr, in dem auch Bob Marley starb.

Doch etwas blieb: Neben ihren zahlreichen kleinformatigen Fotografien hinterließ sie auch großformatige Cyanotypien, Zeichnungen, Videos und Künstlerbücher.

Erst im Jahre 1986 rückten ihre Bilder wieder ins Blickfeld der Betrachter, mit einer Wanderausstellung der Hunter College Art Gallery in New York. Die ersten Essays entstanden. Die Bilder faszinierten, und es folgten weitere Ausstellungen, auch in Europa. Man wollte das Werk dieser Künstlerin verstehen und zahlreiche Kunstverständige und jene, die es werden wollten, beschäftigten sich mit ihren Bildern und Videos.

Und genau hier setzt das Buch an. Denn die Grundaussage bisheriger Essays und Betrachtungen ist, dass die künstlerische Auseinandersetzung Francesca Woodmans mit ihrem Körper und denen anderer Modelle eine Vorwegnahme, ja, geradezu eine Prophezeiung ihres frühen Selbstmordes andeutete.

Die SAMMLUNG VERBUND möchte in ihrer Publikation dem etwas entgegensetzen und das Werk neu betrachten.

Eine Frau ohne Kopf vor einer Wand.

Untitled, Rome, Italy, 1977-1978/2008, Schwarz-Weiß-Silbergelantineabzug auf Barytpapier

Dies gelingt dem Verbund mit sechs unterschiedlichen Betrachtungen ihrer Arbeit. Den Anfang macht die Kultur- und Literaturwissenschaftlerin und Mitherausgeberin Elisabeth Bronfen. Sie widmet sich der Vergänglichkeit, der wir Menschen stetig ausgesetzt sind, und der Manifestation dieser Fragilität in der Kunst. Sie betrachtet unter diesem Aspekt einzelne Arbeiten Woodmans genauer. Die „künstlerische Umsetzung von Fragilität“ ist dabei eines „der ästhetischen Kernanliegen Francesca Woodmans“, so Elisabeth Bronfen.1

Gabriele Schor, Leiterin der SAMMLUNG VERBUND und ihres Zeichens Kunstkritikerin, nähert sich Woodman über die Poesie. Sie stellt zu Anfang ein poetisches Kochrezept vor, das Woodman für den Besitzer einer Buchhandlung in Rom schrieb, in die sie sich gerne begab, um Gleichgesinnte zu treffen. Die Liebe zum Wort soll damit untermauert werden.

Desweiteren untersucht Gabriele Schor drei ihrer sieben Künstlerbücher. Some disordered Interior Geometries ist das bekannteste davon, den Titel schrieb Woodman auf ein Lehrbuch für euklidische Geometrie, in die sie ihre Fotografien einklebte, und ihren ureigenen inneren Raum beleuchtete, den sie in Bild und Wort zu offenbaren versuchte. Gerade diese Betrachtungen fand ich spannend, sie machen die Künstlerin nicht nur lebendig, sondern bauen eine eigentümliche Nähe zu ihr auf.

In ihren Notizbüchern und Briefen an Freunde findet Schor die „Lust und Freude, mit [Wort und Sprache] zu experimentieren, und ihr[en] Wunsch, Sinnverschiebungen zu erzielen.“2 Mein Lieblingszitat aus einem ihrer Notizbücher ist:

Ich habe Sand auf der Kopfhaut, Schlafsand in den Augen, eine Zunge wie Sandpapier und nur Sand im Kopf, alles vom Meer.3

Links: Brief von Francesca Woodman aus New York an den Fotografen Hank Londoner, 27. Juli 1979. Rechts: Blauer Stift auf Barytpapier

Links: Brief von Francesca Woodman aus New York an den Fotografen Hank Londoner, 27. Juli 1979. Rechts: Blauer Stift auf Barytpapier

Auf diesem Essay aufbauend, betrachtet Johannes Binotto, Kultur- und Medienwissenschaftler, die „eigenen Räume“ Woodmans. Die Künstlerin ist vor allem wegen ihrer vielen Selbstportraits bekannt. Binotto meint, dass Woodman zwar ihren Körper inszeniert, dass aber dem Raum, in dem sie ihn inszeniert, eine große Bedeutung beikommt. Wie ein Archäologe fächert er die dargestellten Räume auf und versucht, die Mysterien von schiefen Türen, schemenhaften Personen oder das Fehlen von Licht aufzudecken.

Im vierten Essay steht nun aber genau dieser Körper im Fokus, und sein Verhältnis zu den abgebildeten Gegenständen. Beate Söntgen sieht in diesen „Instrumente einer Bedrängung und Einengung, die den Körper zum Verschwinden bringen“ wollen.4 So schreibt sie auch: „Geschwungen und sich windend, treten Stoffe und Folien als Stellvertreter der weiblichen Figur auf, dringen ein in die geometrische Ordnung der Rahmung und überziehen sie mit anmutiger Willkür.“5 Söntgen nimmt die Bilder auseinander, ja seziert sie regelrecht. Aber die Erkenntnisse, die sie dabei erhält, sind spannend und lohnenswert zu lesen, auch wenn sie manchmal, wie mir scheint, ein bisschen über das Ziel hinaus schießt.

Eine Frau schaut zur Kamera und steht vor einer Tür.

Untitled, Providence, Rhode Island, 1975-1976/1997-2000, Schwarz-Weiß-Silbergelantineabzug auf Barytpapier

Abigail Solomon-Godeau ist die fünfte im Bunde. Sie war eine derjenigen, die 1986 Woodmans Arbeiten das erste Mal sahen, bewerteten und staunend zur Kenntnis nahmen. In ihrem Text widmet sie sich den seit 1986 erschienenen Büchern und Aufsätzen über Francesca Woodman und ihrer eigenen Wahrnehmung von damals und heute. Ein Essay, das einen Überblick schafft, und auch einige Antworten darauf liefert, warum Francesca Woodman Kritiker wie Bewunderer anzieht und darüberhinaus heute zu einer Kultfigur geworden ist.

Den persönlichsten Einblick und den textlichen Abschluss der Publikation bildet Betsy Berne, eine Freundin Woodmans aus College-Tagen. Sie ist es, die den Menschen hinter der Kunstgestalt kennt, mit all seinen Hoffnungen, Wünschen und Ängsten. Nach der zuvor durchgeführen „Obduktion“ von Woodmans Raum- und Zeitempfinden sind die Sätze Betsy Bernes eine Erfrischungskur.

Francesca war eine echte Spinnerin, aber eine von der guten Sorte. Sie war eine altmodische Künstlerin, von jener professionellen unprofessionellen Art, die nie das auf die Reihe kriegt, was man das wirkliche Leben nennt. Sie suchte sich nicht aus, Künstlerin zu sein – wer tut das schon, wenn er alle beisammen hat? Sie war einfach eine.6

Eine Frau hängt Bilder an eine Wand.

Francesca Woodman beim Installieren der Ausstellung „Cinque Giovani Artisi“ in der Galleria Ugo Ferranti, Rom, 1978

Im Anschluss folgen auf 168 Seiten Werke Francesca Woodmans in Originalgröße aus der Sammlung Verbund und umfassen dabei den Zeitraum von 1972 bis 1980.

Wird die Publikation der Eingangsfrage nun gerecht? Ja und nein. Auf jeden Fall liefert sie Positionswechsel wie jene, die Woodman selbst in ihren Werken angestrebt hat. Hätte Woodman das Buch gefallen? Eine Frage, die leider ohne Antwort bleiben wird.

Empfehlen möchte ich das Buch vor allem jungen Künstlern, aber auch all jenen, die sich für die Codierung des weiblichen Körpers und deren Umbrüche interessieren. Woodmans Bilder sind verschlüsselte Gedanken, die der Betrachter selbst entschlüsseln muss.

Francesca Woodman. Werke der Sammlung Verbund“* von Gabriele Schor, Elisabeth Bronfen
Sprache: Deutsch
Einband: Gebunden
Seiten: 302
Maße: 25 x 3,5 x 30,4 cm
Verlag: König, Walther
Preis: 48 €

Quellen und Literatur

  1. Gabriele Schor, Elisabeth Bronfen (2014). Francesca Woodman, Werke der Sammlung Verbund, 14.
  2. Vgl. ebd., S.37.
  3. Vgl. ebd., S.36.
  4. Vgl. ebd., S.64.
  5. Vgl. ebd., S.65.
  6. Vgl. ebd., S.89.

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