Alles begann damit, dass meine Mutter das eine Bild, das ich von ihr gemacht hatte, sah, auf dem man sie mit geschlossenen Augen sieht und sie mich bat, die Aufnahme erneut zu machen.
Dadurch erinnerte ich mich an die vielen Situationen, in denen ich um genau das Gleiche gebeten wurde. Das scheint ein Merkmal der digitalen Zeit zu sein. In der Vergangenheit gab es keine zweite Chance and so kam es, dass viele Bilder entwickelt wurden und die Abzüge endeten dann im Papierkorb, alle auseinandergerissen.
Das war der Moment, in dem ich beschloss, genau daraus eine Serie zu machen: Ich würde jeden bitten, die Augen für das Foto zu schließen, was ja eigentlich keine große Sache sein sollte. Lustigerweise konnten einige gar nicht aufhören zu lachen, als ich sie darum bat, die Augen zu schließen. Vermutlich erinnerten sie sich an all diese Fotos, auf denen sie geblinzelt hatten und es hassten.
Wenn ich mir jetzt die fertige Arbeit ansehe, muss ich an das alte Sprichwort denken, dass die Augen das Fenster zur Seele seien, denn sobald wir sie schließen, verbergen wir eine Menge von uns vor der Welt. Sie sähen aus wie tot, sagten mir manche und das erinnerte mich an die alten Fotobücher über tote Menschen, so schön hergerichtet für diesen letzten Blick, den man auf sie wirft.
Wer weiß, ob diese Menschen, die jetzt ewig ruhen, jemals zu Lebzeiten ihre Augen geschlossen hatten, um nach innen zu blicken, um den eingeschlagenen Pfad zu überdenken, um all den Ärger zu vergessen. Wer weiß, wie oft sie bei einer Aufnahme blinzelten, bevor sie ihre Augen für diese letzte Aufnahme für immer schlossen.
Aus irgendeinem Grund fühlen wir uns nackt. Viele der hier portraitierten Menschen hatten ihre Schwierigkeiten damit, die Augen bewusst zu schließen, während jemand in der Nähe war: Sie fühlten sich entblößt, für einen Augenblick sehr verletzlich.
Von Zeit zu Zeit müssen wir unsere Augen schließen, um uns ganz auf uns selbst zu konzentrieren, um der Welt da draußen für eine Weile zu entkommen, weit weg von der jederzeit uns beurteilenden Gesellschaft. Um eine Pause zu haben, im Tagtraum. Und dann, wenn wir wieder in der Welt angekommen sind, kennen wir uns selbst vielleicht ein Stückchen besser.
Dieser Gastartikel wurde für Euch von Tilman Haerdle aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.