Die Hände der Musiker
Musik umgibt mich, seit ich ein kleiner Junge war. Zuerst als passives Vergnügen zum Beispiel in Form der Sgt.-Peppers-Platte, die mein Papa manchmal hörte. Später dann auch aktiv mit der Trommel, die mir meine Tante sehr zum Missfallen meiner Eltern zu meinem 4. Geburtstag schenkte.
Aber auch beim späteren Gitarrenunterricht und meiner mit 15 entdeckten Liebe zum Klavier und zum Jazz, die bis heute anhält. Ich kann mir ein Leben ohne Musik nicht vorstellen und so suche ich sie auch in jedem anderen Bereich meines Lebens.
Zum Beispiel in der Fotografie. Ich fotografiere am liebsten Musiker auf der Bühne, hinter der Bühne, mit oder ohne Instrument, musizierend oder einfach als „normale“ Menschen, kurz: In jeder Lebenslage.
Bei den Aufnahmen zu meiner Platte „Another Life“, für die ich mit einem befreundeten Gitarristen die Ausnahmebassistin Julie Slick für eine Woche nach Deutschland geholt habe, ist mir aufgefallen, dass Musikerportraits doch irgendwie immer dasselbe zeigen.
Entweder ist es ein Portrait des Gesichtes oder des Musikers an oder mit seinem Instrument. Die wenigste Aufmerksamkeit wird dem Teil des Musikers gewidmet, der in den meisten Fällen den Ton erzeugt, den Klang initiiert, den Sound formt: Die Hände.
Hände zeigen Spuren jahrelangen Übens der immer gleichen Bewegungen. Schwielen an den Fingerspitzen, hervorgerufen durch pausenlose Reibung an Metallsaiten oder Grübchen und Falten, die sich den Formen des Instruments angepasst haben.
Und diesem musikalischen Körperteil wollte ich fortan meine Aufmerksamkeit widmen. Damit war das Projekt „Hands“ geboren.
Zuerst machte ich mir Gedanken über die gestalterische Umsetzung. Was wollte ich zeigen? Mir war von Anfang an klar, dass ich auf jeden Fall beide Hände im Bild haben wollte und dass ich einen einfarbigen Hintergrund bevorzuge, um Ablenkungen vom eigentlichen Motiv zu eliminieren.
Ich machte Serien von meinen eigenen Händen und den Händen meiner Bass spielenden Tochter, probierte verschiedene Handhaltungen, verschiedene Beleuchtungen und Hintergrundfarben. Da ich hauptsächlich in schwarzweiß arbeite, stellte sich heraus, dass entweder ein reines Weiß oder ein tiefes Schwarz die beste Wirkung zeigen.
Hätte ich mir zwar auch denken können, aber „Versuch macht ja bekanntlich kluch“ und parallel konnte ich auch diverse Hintergrundmaterialien, Beleuchtungen und Handhaltungen durchprobieren.
Letztendlich habe ich mich für einen weißen Hintergrund entschieden. Die Handhaltung richtet sich nach der Haltung des Instruments, das der entsprechende Musiker spielt. Ein Gitarrist wird also die für ihn typische Handhaltung einnehmen, sodass ich – mal vorausgesetzt er ist Rechtshänder – von seiner rechten Hand den Handrücken und von seiner linken Hand die Handfläche fotografiere.
Wie genau er seine Hände und Finger präsentiert, überlasse ich in den meisten Fällen den Musikern selbst. Und so ist jeder bemüht, seine persönliche Handhaltung des Instrumentes in Szene zu setzen.
Ohne weiteren Hinweis stellt sich so für den Betrachter meiner Bilder die Frage, wessen Hände man gerade betrachtet und welches Instrument dieser Musiker spielt. Bei Gitarristen und Schlagzeugern ist dies recht eindeutig. Auf das Akkordeon von Lydie Auvray oder die Posaune von Nils Landgren wird allerdings kaum jemand kommen.
Ich hatte eine Idee, ich hatte die technischen Möglichkeiten, jetzt fehlte mir ein Motiv. Die vorhin erwähnte Julie Slick hatte schon für meine Versuche herhalten müssen und so wartete ich auf einen passenden Künstler, der im Jazzclub um die Ecke ein Konzert geben würde.
Und ich bin wählerisch. Natürlich könnte ich jetzt hingehen und die Hände von jedem Musiker, der mir über den Weg läuft, fotografieren. Aber das wäre erstens einfach und zweitens langweilig. Ich will Musiker, deren Musik ich mag oder deren Musik für meine eigene musikalische Entwicklung wichtig war.
Und so war es ein großes Glück, dass ich nur kurz auf T. M. Stevens warten musste. T. M., der durch seine Arbeit bei James Brown, Joe Cocker, Tina Turner und Steve Vai bekannt geworden ist, gehört zu den wichtigen Funk-Bassisten unserer Zeit.
Vollkommen ungeachtet dessen, mit was für Legenden er bereits auf der Bühne gestanden hatte, ging ich also nach seinem Konzert zu ihm, erklärte ihm mein Anliegen und fand ihn Minuten später vor mir auf dem Boden kniend wieder, während ich versuchte, über ihm stehend seine Hände vor dem mitgebrachten weißen Diffusor ins rechte Licht zu rücken.
Für ihn ein großer Spaß, für mich echter Stress, denn nun musste alles stimmen. Wann sonst bekommt man einen solchen Musiker mal zu Gesicht, geschweige denn kniend vor sich auf den Boden? Aber T. M. sagte etwas, was mir für alle zukünftigen Hands-Shootings in den Ohren geblieben ist:
Take your time.
In diesen simplen drei Worten steckt viel Wissen und Wahrheit über das Entstehen von Kunst, egal welcher Art. Es braucht eben seine Zeit. Man kann natürlich alles optimieren und schneller machen, aber manche Dinge sollte man auch einfach nicht übers Knie brechen.
Mittlerweile mache ich mein Licht-Setup immer, bevor ich den Musiker involviere, ganz für mich allein. Ich kenne meine Einstellungen, habe das beste Hintergrundmaterial für meine Zwecke ermittelt, habe gutes Licht, den passenden Lichtformer und vor allem weiß ich, dass ich einen Tisch oder eine Kiste benötige, auf die ich mich stelle, damit der Musiker nicht vor mir knien muss.
Aber dieses Wissen brachte letzten Endes nur die Praxis und die Zeit, die ich mir zum Experimentieren nahm. Und ich kann bei jedem Management ohne zu lügen behaupten, dass ich wirklich nur maximal fünf Minuten des Musikers benötige – damit passe ich in jeden noch so eng gestrickten Tour-Zeitplan.
Das Management ist noch eine ganz andere Geschichte. Ich versuche ja gern, den direkten Kontakt zum Musiker meiner Wahl zu bekommen. Manchmal klappt es, manchmal muss ich nach anderen Wegen suchen und diese führen dann in den meisten Fällen über das Management.
Und eben dieses Management hat als höchstes Ziel, die Tour für den Musiker so angenehm und reibungslos wie möglich zu gestalten. Das hat natürlich zur Folge, dass alle unnötigen Termine – wie zum Beispiel kleine Foto-Kunstprojekte – vom Musiker fern gehalten werden.
Es braucht also gern mal drei oder vier E-Mails, ein paar Anrufe, verschiedene Kontaktpersonen und natürlich auch ein gehöriges Maß an Hartnäckigkeit, bis das Projekt überhaupt dem Musiker vorgestellt wird. Und dann kann man nur hoffen, dass die Idee Anklang findet.