Geboren am Rande der Alpen wurde mir eine gewisse Faszination für die Höhen der Berge wohl in die Wiege gelegt, obwohl es zugegebenermaßen recht lange dauerte, bis ich endlich entdeckte, wie sehr es sich wirklich lohnt, das gemütliche Sofa gegen steinige Wege und windige Hänge einzutauschen.
Umso größer wurde diese Begeisterung, seit mir zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder eine analoge Kamera in die Hände fiel und sich mir die Welt der Landschaftsaufnahmen auf Film eröffnete. Seitdem lässt mich die Leidenschaft dafür nicht mehr los. Die wunderschönen Farben, die Unperfektheit, das aufgeregte Warten auf die Abzüge – all das macht für mich den Zauber aus, der mich immer mehr und mehr dazu bewegt, meine digitale Kamera liegen zu lassen, wenn das Abenteuer in der unberührten Natur ruft.
Zu meiner Freude ließen sich meine Eltern innerhalb weniger Minuten am Telefon davon überzeugen, mit mir diesen Spätsommer ein paar Tage in den Dolomiten zu verbringen. Nach einer recht kurzen Fahrt in das Vilnößtal – die wunderschöne Heimat Reinhold Messners – begannen wir am späten Nachmittag unseren Aufstieg. Je mehr Höhenmeter unter uns lagen, desto dichter umhüllte uns der Nebel und desto tiefer sank die Abendsonne hinab ins Tal.
Dieses Zusammenspiel erzeugte eine der magischsten Lichtstimmungen, die ich bisher mit eigenen Augen erleben durfte und machte es mir mehr als schwer, den Finger vom Auslöser meiner Kamera zu nehmen und mich darauf zu konzentrieren, nicht zu stolpern. Letztendlich erreichten wir die Alm, auf der wir das Wochenende verbringen durften und wurden mit einem großartigen Abendessen für den Weg nach oben entlohnt, während draußen vor den Fenstern auch die letzten Bäume in Dunkelheit versanken.
Am nächsten Tag hatten wir eine etwas größere Wanderung vor und begannen, die Umgebung der Hütte zu erkunden. Teils überquerten wir steile, felsige Abschnitte, dann wieder grüne Wiesen, von denen aus man die Murmeltiere pfeifen hören und ab und an mit etwas Glück sogar beobachten konnte. Doch egal, wohin es uns verschlug, eines blieb immer gleich: Die atemberaubende Aussicht und dieses einmalige Bewusstsein, wie klein und herrlich irrelevant man doch auf dieser Welt im Schatten der majestätischen Felsformationen ist.
Immer weiter näherten wir uns der 3000-Meter-Grenze und beobachteten, wie die kahlen Berggipfel abwechselnd in Sonne und Wolken getaucht wurden. Da meine Eltern allerdings meine absurde, fotografisch bedingte Begeisterung für Nebel nicht so ganz teilen, entschlossen wir uns beim Auftauchen der ersten leichten Regentropfen für den Rückweg. Natürlich nicht, ohne dass sie mir noch schnell als menschliches Stativ dienten und zur Belustigung passierender Wanderer nach meinen Anweisungen ein Selbstportrait für mich fotografierten.
Doch das größte Abenteuer erlebte ich an unserem letzten Tag ganz für mich: Noch mitten in der Nacht schlich ich mich, bewaffnet mit Stirnlampe, Stativ und zwei Kameras, aus unserem Schlaflager und machte mich auf den Weg zum nächstliegendsten Gipfel. Selbst oben angekommen war es noch immer vollständig dunkel und die einzigen Geräusche weit und breit waren mein eigener erschöpfter Atem und das Heulen des Windes.
Ein kleines bisschen stolz über meine morgendliche Leistung ließ ich eingekuschelt unter meiner Decke den atemberaubenden Nachthimmel auf mich wirken, bis sich das erste zarte Tageslicht zeigte. Mit steif gefrorenen Fingern begann ich – diesmal entgegen der meisten meiner anderen Bilder des Wochenendes digital – zu fotografieren und spurtete überglücklich im Rausch der Höhe immer weiter und weiter, ohne einer einzigen Menschenseele zu begegnen, bis plötzlich die Sonne mit voller Kraft hinter den Wolken hervorbrach und die endlose Weite der Berge in gleißendes Licht hüllte.
Und das sind dann die Momente, in denen Kameras versagen: Ich glaube, kein Foto der Welt hätte einfangen können, wie unglaublich frei und vollkommen ich mich in diesen Sekunden der Unendlichkeit gefühlt habe.