Menschliche Fragmente
Ich war schon als Kind und Teenager „Fotograf“. Nach zehn Jahren kehrte ich dahin zurück. Meine Tante ist professionelle Fotografin und ich hatte schon immer Zugriff auf das Equipment, während ich aufwuchs. Tatsächlich erinnere ich ich daran, mir auch die kleine 110-Kamera meiner Großmutter immer ausgeliehen zu haben.
Ich liebte dieses Ding, es war so ein ganz spezielles Gefühl, es zu nutzen, ein entschlossener, weicher Klick, wenn man den Auslöser drückte und eine leichte Verschwommenheit auf den kleinen, kleinen Bildern. Später war ich stolzer Besitzer einer Pentax K1000 mit einer Sammlung von Objektiven. Komischerweise war das auch schon das komplexeste Kamera-Setup, das ich jemals nutzten sollte.
Nachdem ich 2002 mein Studium abgeschlossen hatte und mit meiner Karriere als Lehrer begann, packte ich meine Kamera zugunsten eines neuen Hobbies in den Schrank – kreatives Schreiben. Ich guckte nie zurück bis zum Jahr 2010, als ich die Kamera erneut in die Hand nahm. Ein Monat später war das „The Human Fragment“-Projekt schon geboren. Ich war immer der „Ein Projekt“-Typ in Bezug auf die Fotografie. Das heißt, ich fotografiere Bilder, die mich spontan interessieren, Dinge, die direkt meine Aufmerksamkeit wecken.
Ich bin nicht wirklich organisiert, ich gehe nicht raus und suche nach speziellen Subjekten. Ich arbeite auch nicht an Langzeit-Dokumentationen und bin nicht der Typ, der sich spezielle Gegenstände oder Orte für seine Bilder sucht. Es gibt keinen roten Faden oder tieferen Grund für meine Arbeit. Ich mag es sogar, zu denken, dass meine Serien eher um verschiedene Kameratypen als um andere Elemente herum geplant sind.
Auch „The Human Fragment“ war eigentlich nicht als Essay oder Serie geplan. Es ist eigentlich eine Sammlung von einzelnen Bildern, die sehr gut zusammenpassen. Das liegt wohl daran, dass sie alle in New York und mit der gleichen Kamera und derselben Nachbearbeitung aufgenommen wurden. Sie sehen alle ähnlich aus in Sachen Stil, Herangehensweise, Ort und Zeit – das ist ihre Gemeinsamkeit.
Viele der Bilder aus „The Human Fragment“ sind vom Strand an Coney Island enstanden – es sind Strandfotos. Diese Bilder sind meine Lieblinge aus diesem Projekt. Das hat zum Teil mit den emotionalen und psychischen Verbindungen zu tun, die ich an den Ort und die Zeit habe, an die Bilder, die dort entstanden sind.
Coney Island ist so eine Art magischer Ort für Fotografen – ein Spielplatz. Außerdem war es speziell für mich ziemlich hypnotisierend. Ich habe wirklich eine hohe Zahl sehr heißer und schwüler New Yorker Sommertage damit verbracht, am Ufer umherzustreifen.
Der Schweiß auf der Stirn, der Sand zwischen den Zehen und Sonnencreme auf allem, sogar der Kamera und dem Objektiv. Es war ein Kampf, ein Krieg sogar, unter diesen feindseligen Konditionen zu arbeiten und das beinhaltet nicht nur die feindliche Persönlichkeit der New Yorker, die dort sonnenbaden.
Diese Art Fotografie ist nichts für jeden und sicherlich nichts für jemanden, der schwach in den Knien ist. Das soll nicht heißen, dass es in Manhattan besser ist, weil das nicht stimmt. Aber in Manhattan scheint es für Passanten mehr die Erwartung zu geben, dass sie in irgendeiner Form belästigt werden.
Oft bin ich mit meiner Kamera und meiner recht aggressiven Art sogar die geringste Belästigung auf der Straße. Der Strand steht in scharfem Kontrast dazu – ein Ort, an dem die Leute entspannen wollen oder sogar komplette Privatsphäre.
Trotz alldem ist New York ein großartiger Ort für Straßenfotografie. Hauptgrund unter einigen anderen sind wohl die sehr fotografenfreundlichen Gesetze, speziell, was öffentliche Orte betrifft. Es gibt sogar einen New Yorker Fotografen, der kürzlich eine Serie von Bildern veröffentlicht hat, bei der er aus dem Fenster seines Appartments mit einem Tele-Objektiv andere Leute in ihren Appartments gegenüber fotografiert hat.
Er wurde von einigen dieser Leute verklagt, als sie ihre Bilder in der Galerie wiedererkannten. Sie haben verloren. Der Supreme Court von New York entschied, dass sie ihre Vorhänge hätten schließen müssen, wenn sie mehr Privatsphäre wollten. Willkommen in den USA – wie gesagt: Ein guter Ort für Straßenfotografen – ich bin allerdings kein totaler Voyeur.
In der Reihe „The Human Fragment“ versuche ich, die kleinen Teile des Alltags zu beleuchten. Ich will die Aufmerksamkeit auf alle die Fragmente der Menschen, die wir täglich unterbewusst wahrnehmen und sogar beurteilen lenken, die aber selten fotografisch oder anders festgehalten werden.
Das heißt: Die Bilder in meiner Serie sind Bilder, die wir alle ständig sehen – der Ellbogen eines Menschen in der Nähe deines Gesichtes, der Teil des Kopfes, ein vereinzelter Fuß, eine Perücke, ein Schnauzbart – der Hintern einer Person, die sich nach vorne beugt.
Es sind keine besonders einzigartigen Bilder – das, was meine Bilder einzigartig macht, ist nur, dass ich diese Ausschnitte aufgenommen und als einzelne Bilder ausgestellt habe. Ich habe diese Schnipsel des urbanen Lebens ausgesucht und darauf hingewiesen, dass sie es wert sind, genauer betrachtet und als eigenständige Kunst wahrgenommen zu werden.
Diesen Ansatz verfolge ich überall in meiner Arbeit. Zur Zeit arbeite ich an einem Projekt, das das Gegenteil macht und nicht-menschliche Fragmente der Stadt sammelt. Es ist so, als wollte ich nicht das Ganze sehen, sondern einzelne Ausschnitte, die Geschichten für sich erzählen.
Tatsächlich gucke ich mir als Fotoredakteur und Autor oft Straßenfotos an, die sehr umfangreiche und komplexe Szenen zeigen und bin fasziniert von dieser Art der Herangehensweise. Wie lernt jemand, so einen Blick zu haben?
Meine eigene Vision ist eher kurzsichtig, eigentlich gehe ich immer näher dran an die Dinge. Der Gedanke fasziniert mich, dass ich vielleicht irgendwann auch die andere Richtung lernen muss, denn irgendwann werde ich wohl wortwörtlich an Wände stoßen.
Ich bin sehr glücklich damit, wie „The Human Fragment“ geworden ist, speziell als Buch. Ich schätze, ich habe eine Serie gemacht, die wirklich anders ist im Bereich der Straßenfotografie. Ich sage meinem Verlag immer, dass ich glaube, dass es ein Buch geworden ist, das überdauert und mit der Zeit wachsen wird. Das macht wohl für mich Kunst aus.
Dieser Artikel wurde von Sebastian Baumer für Euch aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.
Es ist immer wieder beeindruckend auf welche Ideen Menschen kommen, was sie in einem Bruchteil einer Sekunde sehen, den Moment auf einem Foto festhalten und diesen Bruchteil einer Sekunde noch gestalten. Völlig neue und unbekannte Blickwinkel, die meinen Horizont des Sehens erweitern und mich zum Nachdenken anregen. Vielen Dank.
Eigentlich sinds nur wahllose Schnappschüsse die mit dem sw/ws Effekt irgendwas künstlerisches Vortäuschen sollen, ich finds schlecht.
Auf den Punkt. Das sehe ich genau so.
Auch ich finde diese Bilder nicht gut.Sie haben nichts für mich,was mich irgendwie begeistert kann.
Patryk.
Knipserei, langweilig und austauschbar
Aus der Streetfotografie in Brusthöhe ohne Sucher ein Konzept zu basteln, ist wohl eher das, was „anders“ ist.
Seit langem nicht mehr so schöne Aufnahmen gesehen.
Vielen dank dafür.
Würde gerne mal wissen wie viele Fotos er gesammt gebraucht hat um die Serie fertigzustellen.
Das Hundefoto wirkt wie ein glücklicher Schnappschuss. Aber das scheint auch den „Kick“ an Streetphotography auszumachen.
Schöne Serie, die starken Kontraste finde ich gut.
Blogartikel dazu: browserFruits November, Ausgabe 2 › kwerfeldein - Fotografie Magazin | Fotocommunity
Ich bin ein großer Fan der Straßenfotografie mit einem ganzen Schrank voller Bildbände. Meiner Meinung nach ist dieser Mann („Michael Ernest Sweet“) ist nichts weiter als ein talentloser Nachahmer von Gilden/Daido/Parr. Wären die Bilder nicht so extrem (scheusslich) nachbearbeitet würden das auch alle sehen. Kompositionen sind nicht existent.
Leider scheint der Typ seine Person sehr gut verkaufen zu können, anders kann ich mir nicht erklären warum überhaupt irgendein Medium diese Bilder verbreiten will.
Aber auf kwerfeldein? Mein lieber Herr Rommel, wieso lassen sie das zu?