Nepal gelebt
Nepal, warum Nepal? So weit weg? Diese Fragen hörte ich vor mittlerweile mehr als eineinhalb Jahren häufiger. (Wenn das Land nicht gerade mit der Stadt Neapel verwechselt wurde.)
Nepals Klischee ist der schneebedeckte Himalaya, auf dessen Dach, dem Mount Everest, sich Reinhold Messner mit Tausenden Sherpas tummelt und den Yeti jagt. Man weiß, dass es nicht so ist, aber besser weiß man es nicht.
Ich wollte einen großen Kontrast zu Deutschland. Eine Kultur und zwei Religionen, so weit wie nur möglich entfernt von dem, was ich kannte. Bewusst vermied ich es weitestgehend, mir ein Bild von diesem Land zu machen, in dem ich ein Jahr verbringen würde.
Dies hatte eventuell ein wenig mit Selbstschutz zu tun, denn eine nicht vorhandene Vorstellung kann nicht enttäuscht werden. Im Nachhinein war es eine gute Entscheidung. So entstand in mir ein persönliches, eigenes Bild mit nur wenigen Klischees.
Ich lebe nun schon einige Monate in Nepal, es ist Alltag entstanden, den ich gern lebe. Es liegen Tausende schöner Landschafts- und Sehenswürdigkeitsfotos auf meiner Festplatte. Nepal ist wunderbar.
In dieser Oberflächlichkeit hätte ich weiterleben können. Doch hätte ich das gewollt, wäre ich nicht nach Nepal gegangen. Es war also Zeit für ein neues Abenteuer: Das „hässliche“ Nepal wollte kennengelernt werden. Es ging nach Birgunj, einer Grenzstadt zu Indien. Sie wurde als eine Stadt beschreiben, in der man nicht bleiben möchte – perfekt.
Ich kam nachts dort an und bekam nur mit Schwierigkeiten ein Zimmer, aus dem ich noch vor den ersten Sonnenstrahlen floh. Die Straßen waren voller Müll, in dem Kühe und Hunde nach etwas Essbarem stöberten. Gleichzeitig bauten Straßenhändler ihre Stände auf und es mischte sich der süsslich-würzige Geruch von Milchtee in den Gestank von Müll und Ausscheidungen. Das Ganze in einem wunderbaren Morgendunst.
Ich begann, einige Straßenszenen abzulichten, ohne viel darüber nachzudenken. Es war das erste Mal, dass Menschen bewusst zu meinem Motiv wurden. Nach und nach wurden die Straßen gereinigt und es verzog sich der Dunst. Damit kamen aber auch Lärm, Sonne und Hitze – außerdem fiel ich auf.
Ich beschloss, die Kamera aus zu machen und nach einem Ersatz für meinen verloren gegangenen Objektivdeckel zu suchen. Ein Schild, auf dem eine DSLR abgebildet war, schien mir erfolgversprechend. Stattdessen landete ich bei ein paar jungen Nepalis, die ihr Geld mit Hochzeitsvideos verdienten.
Wir tauschten Musik, uns über unsere Kameras aus und tranken Milchtee. Wir verbrachten den ganzen Vormittag gemeinsam. Danach fuhr ich – zwar ohne Objektivdeckel, aber mit neuen Freunden – zurück in meinen Alltag. Ein Alltag, der jetzt um eine Idee reicher war. Die Idee, das Leben in Nepal festzuhalten.
Meine Erfahrungen in Sachen Menschen fotografieren beschränkte sich auf Portraits für Wahlplakate und einige Familienfotos. Insofern begab ich mich in eine für mich ganz neue Materie der Fotografie. Ich sichtete meine Bilder auf der Suche nach Ideen und einem Konzept, um meine Idee umzusetzen.
Ich fand schließlich ein Foto von einem Süßigkeitenladen, das ich sehr frontal aufgenommen hatte. Ich konvertierte es in schwarzweiß und probierte damit herum. Mir gefiel das Konzept, dennoch startete ich nicht sofort, sondern ließ die Ideen noch ein bisschen reifen.
Eines Nachmittags in Kathmandu ging ich mit meiner Kamera durch eine Straße, durch die ich schon etliche Male gelaufen war. Ich fing spontan an, meine Idee umzusetzen. Das Licht war nicht gerade gut, doch ich fing an, damit zu spielen und es zu nutzen. Am nächsten Morgen begutachtete und bearbeitete ich die ersten Fotos, war schon relativ zufrieden mit meinen Ergebnissen und nahm mir vor, dieses Projekt fortzusetzen.
Es entstanden viele Aufnahmen in Kathmandu und Umgebung und in der Nachbarstadt meines Wohnortes. Nur an Orten, die ich sehr gut kannte. Ich wurde mit den Aufnahmen immer routinierter und es machte mir immer mehr Spaß, durch die Gassen zu ziehen und nach Motiven zu suchen. Meine Intention, Nepal zu zeigen wie ich es wahrnehme, gelang mir immer besser und ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
Patan Durbar Square,
aus Tempeln ein Meer,
von Menschen noch mehr.
Händler rufen laut,
schmatzend Paan gekaut,
irgendwo wird gebaut.
Ich bleibe stehen
um mich umzusehen.
Sein eigenes Wort ist nicht zu verstehen.
Hier wird nicht geeilt,
Tikkas werden verteilt,
um alles wird gefeilt.
Patan Durbar Square,
alles ein wenig quer,
doch einiges was ich hier erlehr.
Viele meiner Fotos entstanden in den letzten zehn Tagen meines Aufenthalts. Diese Tage verbrachte ich in Kathmandu und hatte schon einen Abschied hinter mir: Den Abschied aus dem Dorf, in dem ich das letzte Jahr verbracht hatte.
Mir fiel dieser Abschied schwerer als der aus Deutschland, weil es keinen Ausblick auf ein zeitnahes Wiedersehen gab. Viele meiner dortigen Freunde sind ausgewandert in Länder wie Dänemark, Dubai, Tansania, Australien. Ich bin froh, noch mit ihnen in Kontakt zu stehen.
Meine letzten Tage also. Ich wollte mich verabschieden und runterkommen, dies funktionierte wunderbar durch meine Fotospaziergänge durch die Straßen. Natürlich freute ich mich auf Deutschland, doch die Gedanken daran waren sehr surreal. Real wurde es gar nicht komisch, sondern wie immer. Nepal ist nun ebenfalls ein Zuhause und wird es auch bleiben.
Seit meiner Rückkunft habe ich meine Kamera weniger in die Hand genommen. In meinem Kopf schwirren einige Ideen herum, auch die Fortsetzung dieser Serie sozusagen als Kontrast. Aber ich habe gelernt, Ideen Zeit zu lassen.
Derzeit beschäftige ich mich mit Film, was meine berufliche Zukunftsperspektive angeht, wird die Fotografie auch da immer mit dabei sein. Die Fotografie an sich steht deswegen aber nicht still, das Gegenteil ist der Fall.