Sterbende Schönheiten
Zur „Blümchenknipserei“ bin ich – wie die meisten anderen Fotografen wohl auch – gekommen, indem ich Motive in meiner unmittelbaren Umgebung gesucht habe. Als frischgebackener Familienvater hatte ich nicht immer die Möglichkeit, meine Fotosachen zu packen, um „mal kurz“ fotografieren zu gehen, sondern musste oft die Pausen nutzen, in denen die Kinder geschlafen haben.
Da meine Frau unser Zuhause gern mit Blumen schmückt, waren die Motive schnell gefunden. Also kaufte ich mir sehr bald ein Makro-Objektiv und merkte, dass durch die Nähe zum Objekt eine für mich bis dahin unbekannte Intimität zu den Motiven entstand. Ich stieß auf Details, die mich die Pflanzen haben anders sehen lassen. Ich begann, „Eigenschaften“ einzelner Blüten zu entdecken – keine glich der anderen.
Also fing ich an, ihre Unterschiede zu studieren und erkannte sehr bald, dass es vor allem die „Fehler“ waren, die die Blüten einzigartig machten. Das waren Bruchstellen, Blütenstaubkrümel, Insektenspuren, aber auch verwelkte Stellen. Jeder dieser „Fehler“ ließ die Blüte zum Individuum werden, jede Pflanze hatte ihre ganz eigene „persönliche“ Seite und ich begann, sie zunehmend als Persönlichkeiten zu betrachten.
Sehr schnell fand ich darüber hinaus, dass der Verwelkungsprozess jeder Blume ganz unterschiedlich verläuft. Deshalb fing ich an, mich besonders für die verblühten Pflanzen zu interessieren. Auf ihnen bildeten sich bemerkenswerte Strukturen und ihre Straffheit und ihr Stehvermögen veränderten sich, die Haltung der Pflanze und damit ihre gesamte Wirkung wandelten sich massiv.
Ich konnte beobachten, wie nach der „Blütezeit“ der Jugend eine neue Ästhetik die frische Schönheit immer mehr ablöste. Andere, neue Merkmale traten zutage: Stolz, Eleganz, Lebensfreude, Frohsinn – aber ebenso Demut, Trauer, Bescheidenheit, Melancholie, Verletzlichkeit. So hatte ich die metaphorische Kraft der Serie bald erkannt und versuche seitdem, menschliche Züge in den Pflanzen zu erkennen und wiederzugeben.
Mich interessieren vor allem die Parallelen zum Menschen, wenn nach dem Verblassen der jugendlichen Schönheit das Neue sichtbar wird. Jeder Einzelne geht mit den Veränderungen an seinem Körper anders um. Einige versuchen, diese Veränderung möglichst lange hinauszuzögern, während andere den Verlust der körperlichen Jugend rasch akzeptieren. Und wenn die frühere Schönheit auch noch das Kapital für Anerkennung und Erfolg war, so ist ihr Verlust umso schmerzvoller und schwieriger.
So hat sich letztendlich das eigentliche Thema der Serie entwickelt. Die Fragen, die sich in der Serie stellen sind: Welche persönlichen Umgangsformen gibt es mit der Vergänglichkeit? Wie nehmen wir Menschen die körperliche Endlichkeit und den Tod wahr und wie nehmen wir beides an? Halten wir an Vergangenem fest? Entdecken wir in uns Neues? Oder beides? Welchen inneren Kampf führen wir? Haben wir Ängste, wenn wir „nicht mehr schön“ sind? Haben wir Angst vor der „Entsorgung“?
Die Antworten auf diese Fragen sind vielfältig, individuell und sehr persönlich. Eine gibt uns beispielsweise die Amaryllis (links), die mit ihren kraftstrotzenden Fruchtknoten noch ihre Vitalität demonstriert, während die Tulpe in „Exhausted“ (rechts) mit dem Abfinden des nahenden Endes uns eine konträre Antwort gibt. Und das tun wir Menschen auch.
Ich wähle die Blumen erst dann aus, wenn sie bereits verblüht sind. Dann weiß ich, wie sie sich entwickelt haben. Es lässt sich nicht erahnen, an welcher Stelle die Blumen wie stark verwelken. Ich beobachte die Pflanzen ab dem Augenblick, in dem sie ins Haus kommen und erfreue mich oft ein zweites Mal an ihnen, wenn sie anfangen, sich zu verändern.
Aber manchmal entdecke ich sie auch beim Spazierengehen oder mir fällt ein verwelkter Geburtstagsblumenstrauß auf dem Tisch eines Arbeitskollegen auf. Bisher habe ich nur ein einziges Mal eine Callas mit der Absicht gekauft, sie am Ende auch zu fotografieren. Aus Respekt vor den Lebewesen würde ich niemals eine Pflanze absichtlich verwelken lassen. Das passiert mir leider oft genug ungewollt.
Mich haben Robert Mapplethorpes Blumenbilder schon früh beeinflusst. Seine Lichtsetzung und seine Linienführung waren für mich immer so verblüffend einfach und dabei so wirkungsvoll. Also versuche ich, ähnlich wie Mapplethorpe, die Dynamik des Bildes über die Linienführung zu gestalten und die Stimmung über das Licht zu beeinflussen.
Ein zweiter Fotograf, der mich ebenfalls geprägt hat, war Karl Blossfeldt. Die Klarheit seiner Pflanzenbilder, die er durch seine strenge und formale Bildsprache erzielte, finde ich heute noch phänomenal. Durch eine deutliche Reduktion und das Lösen der Pflanze aus ihrer natürlichen oder gewohnten Umgebung kann auch ich die Essenz besser erkennen und eine klare Aussage machen.
Die drei Faktoren Licht, Linien und Einfachheit bestimmen die Technik, die ich einsetze. Meist beginne ich mit der Wahl des Lichtes: Brauche ich Tages- oder Kunstlicht? Brauche ich weiches oder hartes Licht? Obwohl ich Tageslicht bevorzuge, bleiben mir als vollzeit-arbeitender Familienvater oft nur die Abend- und Nachtstunden, um zu fotografieren. Dann verwende ich eigentlich alles, was Licht erzeugt, wie zum Beispiel eine Schreibtischlampe, meist aber meine kleine Studioblitzanlage.
Im digitalen Zeitalter lässt sich ein Weißabgleich sehr einfach durchführen, sofern man darauf achtet, dass man kein Mischlicht verwendet. Außerdem achte ich darauf, dass die Lichtquelle nicht heiß wird, damit die Blumen nicht zu schnell erschlaffen. Für den Hintergrund verwende ich häufig einen neutralgrauen Hintergrund, den ich unterschiedlich ausleuchte. Manchmal verwende ich auch einfach ein schwarzes T-Shirt, eine Styroporplatte, ein Stück Stoff oder eine Decke.
In der Regel habe ich eine grobe Vorstellung vom finalen Bild und weiß deshalb schon früh, welche Art von Hintergrund, Licht und Accessoires ich benötige. Ich überlege mir im Vorfeld ein Setup und eine Handvoll von Szenen, die ich dann konsequent fotografiere. Dabei entstehen immer neue Ideen, die ich im Anschluss ausprobiere und die dabei wieder neue Ideen entstehen lassen. Nicht selten ist das letzte Bild des Shootings das Bild, das ich für die Serie verwende. Aber ebenso oft ist es auch das erste Bild.
Die Nachbearbeitung hat für mich einen ebenso hohen Stellenwert wie die Vorbereitung. Gewöhnlich weiß ich vor dem Fotografieren schon recht genau, welche Richtung das Ergebnis haben soll. Daher achte ich in der Vorbereitung darauf, dass ich eine gute Grundlage für das Endprodukt schaffe.
Fehler, die in der Vorbereitung gemacht werden, lassen sich in der Nachbearbeitung nur noch schwer korrigieren. Deshalb mache ich beispielsweise viele Bilder mit unterschiedlichen Blendeneinstellungen, da ich auf dem Display meiner Kamera den Schärfeverlauf zwar gut erahnen, aber eben nicht genau erkennen kann. Trotzdem verbringe ich viel Zeit mit der Nachbearbeitung, da mir jedes Detail wichtig ist.
Die Grundbearbeitung, wie Tonwertkorrektur, Ausrichten, Ausschnitt und Retusche mache ich mit Aperture und Photoshop CS3. Die Feinarbeit erfolgt danach im Schwarzweiß-Tool Silver Efex Pro 2, das ich inzwischen sehr schätze, da man die Bearbeitung dort sehr gezielt lokal durchführen kann.
Ich arbeite die Strukturen heraus und verändere die Kontraste, wedle ab oder belichte bestimmte Stellen nach. Schwarzweiß-Bilder erhalten am Ende eine leichte Tonung in den Tiefen und Mitten. Selbst Farbbilder bearbeite ich mit diesem Tool. Das Schwarzweiß-Ergebnis lege ich in Photoshop in eine Ebene, die ich dann mit der Fülloption „Luminanz“ in das darunterliegende Farbbild einrechne.
Ich arbeite ständig an der Serie, doch immer wieder mit Pausen, vor allem dann, wenn ich merke, dass ich mich wiederhole. Anfänglich habe ich in der Serie „nur“ die sogenannte „innere“ Schönheit der Blumen wiedergeben wollen.
Dann begann ich auch den Umgang mit dem eigenen, menschlichen Altern zu behandeln. Da dieses Thema unerschöpflich ist, bin ich überzeugt, dass ich wieder neue Aspekte finden und die Serie deshalb noch lange fortführen werde.