02. Januar 2014 Lesezeit: ~3 Minuten

Unaufgeregte Gedanken

Die Kamera ist schwer und metallen. Ihr Aufziehgeräusch mir wohlbekannt. Der Schachtsucher eckig und scharfkantig, die ausklappbare Lupe beim Komponieren mir immer eine Hilfe. Doch heute ist alles anders. Wir stehen uns gegenüber, sind getrennt und nur durch eine lange Schnur miteinander verbunden.

Ich befinde mich in einer Annäherung und einem Disput zugleich. Normalerweise fotografiere ich Menschen, seit nun drei Jahren ist das meine Hauptbeschäftigung, wenn ich eine Kamera in der Hand halte. Fremde Menschen, Freunde und manchmal auch die Familie.

Ich lenke, rücke, definiere, gebe Anweisungen mit Worten oder Blicken. Ich beruhige, lächle und gebe Zuspruch. Verwickle mein Gegenüber in Gespräche, sage „Stopp“ oder „So bleiben!“

Heute stehe ich selbst vor der Kamera, doch niemand dahinter. Ich halte den Auslöser in der Hand. Stelle mir vor, was die Kamera sieht. Ich beobachte das Licht, komponiere im Kopf, drehe und schütze mich. Ich atme tief ein und wieder aus, zähle bis drei und denke „Jetzt!“

Selbstbild © Marit Beer

Das Klacken des Spiegels hallt in mir nach. Wie kam es eigentlich dazu, hier jetzt, Du und ich? Fotografieren ist wie atmen, habe ich einmal gesagt. Jedes Bild mein Atemzug.

Es sind die Tage danach. Stille und dunkle Tage, wenn man niemandes Fremde um einen erträgt. Wenn man nicht aussprechen kann, wenn Freunde fragen, wie es einem geht oder man sich fühlt und jeder Händedruck und jede Beileidsbekundung sich wie Blei auf der Zunge anfühlen.

Selbstbild © Marit Beer

Die Kamera ist mein Atemwerkzeug und ich der einzige Mensch in diesem Raum. Warum also nicht etwas Neues wagen? Der Gedanke stand schon öfter einmal zwischen uns, aber immer fand sich jemand, der schöner, spannender, interessanter und seltsamer war. Jemand, der meine wirren Gedanken ausdrücken konnte, jemand, der Lust hatte, mitzuspielen, jemand, der sich selbst genug war. Ich habe das immer bewundert.

Doch nun ist alles anders. Dem Zahnrad fehlt ein Zahn, die Karten wurden neu gemischt, rien ne va plus raunt das Schicksal. Ich drehe Karte um Karte um und blicke der Kamera ins Gesicht. Hier bin ich, so und nicht anders. Jetzt in diesem Moment.

Selbstbild © Marit Beer

Danach, beim Sortieren und Sichten war es gar nicht so schlimm. Die Furchen um den Mund sind annehmbar, der Blick nicht zu ändern, die Strenge des Mundes normal. Man hat mir schon als Kind gesagt, ich solle nicht immer so ernst gucken.

Nun ist es also soweit, nach gut dreißig Jahren schaue ich mich richtig an, nicht durch andere auf mich, nicht mit verkniffenen Augen, sondern geradewegs durch mich selbst, auf mich ohne Wimmern und Wehklagen.

Die seltsamen Gedanken sind nicht sichtbar, versteckt hinter der Stirn, pochen jedoch schon und bitten um Auslass. Und das innere Kind fängt an zu kichern beim bloßen Gedanken an das, was in Zukunft Du und ich noch von mir selbst zu sehen bekommen.

14 Kommentare

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  1. Ja, Fotografen verstecken sich auch gern hinter der Kamera. Meister der Suggestion, Lenker des Moments. Bei sich selbst wird das schon schwieriger, ohne sich zu hintergehen. Respekt für den nächsten Schritt und das so öffentlich.

  2. Auch von mir vielen Dank für das mitteilen deiner An- und Einsichten, die inspirierend sind, auch wenn ich mich noch nicht so weit fühle. Aber das kommt ja vielleicht noch?

  3. Marit: Danke!

    die Bilder sind so ehrlich und aufrichtig, in ihnen steckt viel mehr als nur Selbstportrait. In deinem Blick sieht man Skepsis, Neuanfang, eine lange ausstehende Begegnung mit dir selber.
    Wunderbar und berührend.
    Solltest du ab und an zulassen!

    Anne

    • Danke für deine Worte dazu. Ich werde das sicher öfter mal machen. Vielleicht nicht immer so direkt und vorallem nicht immer öffentlich. Aber sich mit seinem Äußeren anfreunden scheint genauso wichtig zu sein, wie sich mit seinem Inneren abzufinden.

  4. Danke für dieses inspirierende Experiment. Du hast dich anderen so gezeigt wie du dich selbst siehst, als Fotografin vor der Kamera, mit dem gedanklichen Spiegelbild deiner Selbst löst du die Kamera aus. Keine Beeinflussung, nur du selbst entscheidest. Das sieht man den Bildern auch an, dass sie für dich sind, dass sie keinem Rechenschaft schuldig sind, sehr natürlich und authentisch.

    Sehr schön, das Experiment ist geglückt würde ich sagen.

  5. Du blickst in den „Spiegel“. Warum tust du das? Warum schaust du dich überhaupt so genau an? Weil du versuchst, dich zu erinnern, wer du bist.

    • Ich muss mich nicht erinnern, ich weiß ganz gut wer ich derzeitig bin. Aber mich immer wieder mit meinem Äußeren zu versöhnen, tut einfach gut und macht Selbstbewusster.

      • Ich glaube Berlin ist nicht die einfachste Stadt um seine Identität zu finden, ich würde sogar behaupten Berlin ist die schwierigste Stadt in Deutschland um seine Identität zu finden, um sich selbst zu finden, auch wenn die ganzen Möglichkeiten und Angebote erst einmal verlockend sind für einen Außenstehenden.

        Das ist ein Problem unserer Zeit, dass wir keinen Fokus mehr auf uns selbst haben. Ich würde sagen, dass ist auch ein Problem vieler Fotografen. Wie kann man als Fotograf von sich behaupten, man bildet andere Menschen persönlich ab, wenn man sich selbst nicht einmal kennt.

        Deshalb finde ich sind Selbstportraits fernab von Ego-Fotos für die Social-Media-Welt fotografisch eine sehr gute Möglichkeit um sich selbst besser kennenzulernen. Ich finde es mutig und toll dass du diese Selbstportraits für dich machst und nicht für andere.

        Ob der Betrachter der Bilder jetzt einen Zugang zu den Fotos hat ist in dem Fall ja nebensächlich.

  6. Blogartikel dazu: Links vom Rhein, 3. Januar 2014 | Hendryk Schäfer

  7. Wie immer ehrliche/r Artikel/Bilder, vielleicht die Schwersten ganz sicher aber die Mutigsten für Dich, für uns eine deiner interessantesten und besten Arbeiten. Da zieh ich meinen Hut(hab aber keinen;)