Gesichter erzählen Geschichten – Menschen aus Westnepal
Seit rund sieben Jahren arbeite ich, als Fotograf ehrenamtlich, für die Hifsorganisation Govinda. Der Verein unterstützt in Nepal rund 5000 hilfsbedürftige Menschen. Im Frühjahr 2013 bin ich zum vierten Mal nach Nepal gereist. Mein Ziel war, Fotografien für den Jahreskalender des Vereines zu machen und die Arbeit von Govinda zu dokumentieren.
Nepal ist eines der ärmsten Länder der Welt; die Menschen dort gehören zu den herzlichsten, denen ich je begegnet bin. Von 1996 bis 2006 tobte ein blutiger Bürgerkrieg in Nepal, das Ergebnis waren Tausende Tote und eine völlig unstabile politische und wirschaftliche Situation. Unterdessen hat sich das Land wieder etwas erholt.
Aber auch heute gibt es täglich stundenlange Stromausfälle und lange Warteschlangen vor den Tankstellen, die das exklusive Benzin nur zu gewissen Tageszeiten verkaufen. Betroffen sind vor allem Taxi- und Lastwagenfahrer. 80 Prozent der Bevölkerung leben ohne eigenen Wasseranschluss im Haus.
Die Portraits, die ich hier zeige, sind in der Karnalizone im Nordwesten von Nepal entstanden – fern von den Touristenzentren des Landes. Die großartigen Bergkulissen des Anapurna-Gebiges und des Mounteverest befinden sich in der nördlichen Mitte des Landes und im Nordosten.
Zum Jahreswechsel von 2006 auf 2007 war ich das erste Mal in Nepal. Zusammen mit einem Journalisten und Jugendfreund arbeitete ich am Buchprojekt „Die Kinder von Shangrila“ für Govinda. Wir haben Portraits von Waisenkindern in Text und Bild erstellt.
Im Jahr 2008 bin ich während meiner zweiten Nepalreise zum ersten Mal in die Karnalizone in Westnepal gereist. Von Kathmandu aus fliegt täglich ein Flugzeug der Firma Yeti Airlines nach Nepalgunj. Die Stadt Nepalgunj, übersetzt „Tor nach Nepal“, liegt im Südwesten des Landes und ist ein Grenzort zu Indien.
Von Nepalgunj aus ging die Reise – nach langer Wartezeit am Flughafen – mit einer fragilen Propellermaschine nach Norden ins Gebirge. Nach einer knappen Stunde landete die Maschine, eine Dornier 228, auf dem kleinen, von Stacheldraht umzäunten Flughafen von Jumla. Der Ort war während des Bürgerkriegs die Hochburg der maoistischen Rebellen.
Das Licht war grell und die Luft warm und staubig. Menschen warteten mit einer primitiven Tragbahre am Rand des Flugfeldes. Sie kamen von weit her, um eine schwerkranke Frau mit dem nächsten Flug nach Nepalguj zu bringen. Bestimmt hatte die ganze Familie ihr Geld zusammengelegt, um den Flug zu bezahlen. Diese Szene hat mich damals sehr berührt. Die medizinische Versorgung dort oben in den Bergen ist auf das Einfachste reduziert – das lokale Spital muss mit einem Jahresbudget von 1500 Euro auskommen.
Im Jahr 2008 gab es noch keine Straße, die nach Jumla führte und darum auch keine Autos oder Motorräder. Sämtliche Waren wurden durch die Berge getragen, unter anderem auch Baumaterial für Häuser und Brücken. Heute, fünf Jahre später, führt eine schlecht befestigte, gefährliche Straße nach Jumla. Entlang dieser Straße sind viele neue Geschäfte und Übernachtungsmöglichkeiten entstanden – es herrscht eine Art Goldgräberstimmung, jeder will von der neuen Verkehrsader profitieren.
Von Jumla aus besuchten wir in ein- bis zweitägigen Fußmärschen die Dörfer der Region. Auf dem Weg dorthin begegnet man immer wieder Frauen, die sperrige und schwere Lasten auf ihren Rücken von einem Ort zum anderen transportieren. Bei ihren kurzen Verschnaufpausen rauchen sie gelegentlich gemeinsam mit ander Trägerinnen eine Haschischpeife – vielleicht, um die körperlichen Strapazen etwas zu mildern. Wenn man die Trägerinnen mit einem freunlichen „Namaste“ und einer leichten Verneigung begrüßt, fangen sie an, zu kichern.
Die Dörfer und die Menschen, die dort leben, sehen aus, als wären sie aus einer vergangenen Zeit. In den Dörfern leben ausgesprochen viele Kinder. Man bekommt fast den Eindruck, die Dörfer würden von den wilden und staubigen Kleinen beherrscht.
Bereits bei meinem ersten Besuch in Westnepal war ich von den ausgeprägten Gesichtern dieser Menschen fasziniert. Bei der Planung meiner letzten Reise im Frühjahr 2013 wusste ich, dass ich diese Menschen unbedingt portraitieren wollte.
Die Portraitserie entstand in den Bergdörfern Puru, Godasim, Pipalgaon, Luma und Padmara. Mein Ziel war, die Menschen so authentisch wie möglich zu portraitieren. Das heißt, ich habe die Leute genau so fotografiert, wie ich sie angetroffen habe. Ich nahm keinen Einfluss auf Kleidung, Schmuck, Kopfbedeckung und so weiter. Durch meinen kleinen, improvisierten Studioaufbau mit Hintergrund, Stuhl, Blitz und Stativ waren die Leute während den Aufnahmen sehr konzentriert.
Das Fotokonzept habe ich vor meiner Abreise gemacht, dadurch konnte ich mich – trotz der vielen Schaulustigen – wärend des Fotografierens voll auf meine Arbeit konzentrieren. Es war mir klar, dass ich nicht viel Gepäck mitnehmen konnte. Alles musste, neben Schlafsack und ein paar Kleidern, in einen Rucksack passen. Mein Fotomaterial bestand aus einer Kamera, zwei Objektiven, einem Systemblitz mit Schirm, zwei leichten Stativen und einem grauen Stoff als Hintergrund – schwer war der Rucksack dann trotzdem.
In den Dörfern habe ich jeweils einen gedeckten schattigen Ort gesucht, um mich einzurichten. Die Dorfbewohner waren natürlich neugierig und beobachteten mich gespannt. So konnte ich mir die vielversprechendsten Gesichter in aller Ruhe aussuchen. Auf die Frage, ob ich sie porträtieren dürfe, bekam ich meistens eine positive Antwort.
Heute macht es mich glücklich, dass ich diese Leute so nah portraitieren konnte. Ich denke, die Bilder erzählen etwas über das Leben der Menschen. Einige der Portraitierten gehören zur Kaste der „Dalits“, man nennt sie auch die Unberührbaren. Sie haben in Nepal nur wenige Rechte und dürfen nur die unterste und schmutzigste Arbeiten verrichten. Die Fotografien dieser Menschen haben für mich einen ganz besonderen Wert.
Namaste.
Sehr berührende Portraits. Danke für den Artikel.
Mit dem grauen Hintergrund wirken die Portraits auf mich etwas antiseptisch, ein spannender Gegensatz zu den gezeichneten Gesichtern. Für eine Bilderreihe nebeneinander eine mögliche Lösung, für ein Kalender-Einzelbild wäre der Miteinbezug des Umfeldes vielleicht doch zu überlegen. Danke fürs Zeigen.
Sehr schöner Artikel, schönes Projekt !
Hmm, ich bin ein wenig zweigeteilter Meinung zu den Bildern. Die Geschichte ist zumindest sehr gut und bewegend, aber die Bilder transportieren noch nicht so wirklich das Innere, das Gefühl, das Leid der Menschen, auch wenn sie schon eher etwas traurig gucken. Aber es sieht nunmal zu clean, zu sehr nach Studio aus. Ich hätte mir hier die Portraits eher in einer Umgebung gewünscht, die die Menschen mit dem, wo sie sind, was sie machen, wie sie leben zeigen. Gerne auch mit technischen Hilfsmitteln wie dem Blitz, wenn es sein muss.
Technisch sind die Portraits absolut in Ordnung. Aber wie gesagt, eine Geschichte erzählen sie mir nicht zwangsläufig. Wer weiß, ob der Junge, der so traurig schaut nach dem Foto nicht lachend mit seinen Freunden spielt? Bettelt das Mädchen mit der Decke? Ist ihr kalt? Was macht sie? Arbeitet sie im Dorf? Oder der alte Mann nebenan? Bauer, Vater, Opa, Dorfoberhaupt, ehemaliger Soldat? Wer ist er?
Ich glaube, ein Portrait dieser Menschen lässt sich besser darstellen in ihrer Umgebung, in der sie arbeiten, leben, im Kreise ihrer Familie, als vor einem grauen oder weißem Tuch.
Ich finde die Reduktion auf die Gesichter sehr spannend. Sonst hätten sie mit Umgebung und Hintergrund zu viel semi-dokumentarischen Charakter mit Betonung auf semi. Zusammen mit den Acceccoires und der Kleidung erzählen sie durchaus einen Ausschnitt einer Geschichte. Die Menschen sind ja nicht „zurechtgemacht“.
Natürlich ist das nur ein Fragment der Wahrheit, aber die Fragen , die ich mir aus den sichtbaren 10% Geschichte stelle, finde ich anregender als Antworten, die ich aus 60% Geschichte herauszulesen meine.
Mir gefällt an der Serie gerade der Aspekt, den du ansprichst.
Das die Personen aus der Umgebung „herausgerissen“ werden und im „cleanen“ Studiolook fotografiert werden.
Klar würden die Fotos in der Umgebung natürlicher wirken aber solche Fotos findet man sehr oft. Minimales Studioequipment zu transportieren um Menschen in der Art zu fotografieren, die für ihre Umgebung völlig unnatürlich ist finde ich eine sehr geniale Idee.
Gerade weil das ganze so unnatürlich wirkt bekommt die Serie einen einzigartigen Look und man kann sich auf die Person konzentrieren und wird nicht von der Umgebung abgelenkt.
Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, hier ein zur Diskussion passendes Zitat von Alec Soth:
„Photographs aren’t good at telling stories. Stories require a beginning, middle and end. They require the progression of time. Photographs stop time. They are frozen. Mute. […] So what are photographs good at? While they can’t tell stories, they are brilliant at suggesting stories. […] You can’t tell provide context in 1/500th of a second.“
Die Photos hier finde ich sehr gelungen. Ich tue mich allerdings schwer mit Serien, die visuell immer auf die gleiche Weise umgesetzt sind oder einen bestimmten Gegenstand zum Motiv machen. Nach einigen Bildern wird es dann für mich eher langweilig.
Schönes Zitat, das kannte ich noch gar nicht
(also war es für mich gut wenn du dich wiederholt haben solltest ;)
Ekdam Ramro (Sehr gut auf Nepali)Bin begeistert, die Portraits sind toll. Ich habe ein Jahr in Nepal verbracht und bin fasziniert von diesem Land. Bei meinem Aufenthalt habe ich mich auch viel mit Portraits auseinander gesetzt, Allerdings mehr im Kontext Alltag um das Leben zu zeigen; wen das interessiert:
http://www.flickr.com/photos/weltlinse/
Mir gefällt diese Serie super gut!
Was ich mich allerdings beim Setaufbau gefragt habe: Wie war der Schirm befestigt?
Du hattest geschrieben, dass du 2 Stative dabei hattest ? Ich nehme an, dass diese den Hintergrundstoff gehalten haben. Hattest du noch ein drittes Stativ für den Blitzschirm?
Das wäre für meine nächste Reise sehr interessant zu wissen, um einfach Gewicht zu sparen!
Danke