Brennpunkt New York
Meine Reise begann lange vorher. Lange vor dem Jahr 2011, als ich durch New York reiste, um aufrüttelnde Bildmotive zu finden und zu zeigen, dass es so nicht weitergehen konnte. Dass Arme keine Chance auf ein besseres Leben haben sollten und Banker und Reiche viel zu fettbäuchig, satt und selbstgefällig durch die Straßen eilten. Blind für das Elend zu ihren Füßen und unwillig, zu helfen.
Ich bin aufgewachsen mit den Werten einer Kriegsgeneration. Zwar bin ich erst 26 Jahre alt und weit davon entfernt, aber mein Vater ist 81 – ein Generationensprung. Geschichten und Weltanschauungen übertragen sich oft unbewusst auf die Kinder. Mein Vater war Banker. Immer im Anzug. Die Haare immer säuberlich gekämmt. Er war immer sehr sparsam, um nicht zu sagen geizig.
Ich bekam die Lebenseinstellung vermittelt, dass man anderen helfen sollte. Die Sparsamkeit habe aufzuhören, wenn einer einen um Hilfe bittet. Auf der anderen Seite verachte ich meinen Vater aber auch für sein Gönnertum. Ich denke, er ist kein guter Mensch. Er teilt zwar sein Essen, aber man hat immer das Gefühl, er tut es, um sich dadurch besser zu fühlen.
Ich denke immer darüber nach, wie ich den Menschen helfen könnte, mit dem, was ich ausrichten kann. Mit Geld kann ich nicht dienen. Mein Traum war es immer, ein Heim für Obdachlose zu errichten und so beschloss ich, Fotografien zu erstellen, um die Menschen, die Mittel und Wege besitzen, durch Fotografien darauf aufmerksam zu machen.
Im September 2011 war ich auf einem Fotoworkshop in New York und sollte mir für die Ausstellung, die an die Reise anschloss, ein Thema überlegen. In der Stadt herrschte tiefe Trauer, da es gerade zehn Jahre her war, dass zwei Flugzeuge die Twin Towers zum Einsturz gebracht hatten.
Doch kam für mich ein anderes Themengebiet mehr in Frage: Ich wollte mich mit den sozialen Unterschieden in dieser Stadt befassen. Schon in Berlin hatte ich angefangen, mich fotografisch mit armen Menschen auseinander zu setzen.
Jedoch fiel mir mit der Zeit auf, dass in Berlin das soziale Netz die meisten Menschen durchaus auffängt und dass die Ursachen hier eher Alkohol und anderen Drogen zuzurechnen ist, die Menschen zu Boden fallen lassen und sie nicht mehr aufstehen lassen.
Menschen in Deutschland müssen nicht auf der Straße leben. Sie bekommen ein Bett und etwas zu essen, solange sie es noch schaffen, aufzustehen, zum Amt zu gehen und einen Antrag zu stellen.
Als ich nach New York kam, wurde mir sehr bald bewusst, dass hier ein anderes System herrscht. Ich sprach mit einem Bekannten, der in der Nähe von New York lebt und ich erfuhr, dass es dort durchaus nicht der Standard ist, eine Ausbildung zu bekommen.
Er erzählte mir, dass er für sein Studium 80.000 USD bezahlt habe und es ganz normal sei, dass eine Ausbildung in den USA soviel koste. Wenn man keine Ausbildung hat, bekommt man keine Arbeit. Keine Arbeit, kein Arbeitslosengeld. Das heißt, auf der Straße leben zu müssen.
Ich lief durch New York von einem Viertel ins nächste und es war erschütternd, welche Kontraste dort herrschten. Die sonnigen Gesichter der im Anzug gekleideten Bankertrüppchen neben dem perspektivlosen Ausdruck derer, die alles verloren hatten.
Ich schoss jeden Tag ein paar Bilder, auf denen beide Extreme vereint waren: Reich und arm und erstellte daraus eine Serie. Am 28. September, kurz vor meiner Abreise, begann eine Demonstration der „Occupy Wall Street“-Bewegung. Ein Kampf gegen die Armut und die Macht der Banken.
Die Demonstration schien zunächst relativ unbedeutend zu sein, aber ich machte dennoch Fotos, da sich ja genau damit meine Fotoserie befasste. Als ich dabei dann von Polizisten von der Straße gejagt wurde, schlich sich bei mir das Gefühl ein, dass es nicht erwünscht war, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Kaum war ich wieder in Berlin, war in den Nachrichten zu hören, dass die Situation in New York eskaliert war. Hunderte Demonstranten waren festgenommen worden.
Nach der Abschlussausstellung des Workshops, in der viele Teilnehmer Portraits präsentierten und bunte Bilder von New York, die weder Unglück noch Armut zeigten, fragte ich mich, warum ich mich eigentlich immer wieder mit Themen auseinandersetze, die doch eher die grauen Seiten der Menschen zeigen. Und ich wusste, dass es das Resultat meiner Erziehung war.
Meine Serie soll zeigen, dass es viel zu wenige Menschen gibt, die Mitgefühl für andere Menschen entwickeln können. Ich hoffe, dass mein Projekt dazu beiträgt, mehr Empathie in jedem Einzelnen auszulösen.
Leider entfernen sich die gezeigten Aufnahmen sehr von den im Artikel geäußerten Gedanken. Dein Anliegen, mit der fotografischen Arbeit Menschen für das Thema Armut zu sensibilisieren, wird nach meiner Auffassumg durch diese Bildserie nicht erreicht. Die Annäherung erscheint mir zu oberflächlich, das voyeuristische Moment überwiegt. Die eher schwache Intensität ist sicherlich das Resultat aus fehlender Zeit und damit der Beschäftigung mit der lokalen Umgebung und Gegebenheiten, sowie vor allem deren Menschen. Es reicht nicht, besonders wenn man sich mit diesem Sujet beschäftigt, durch die Straßen zu laufen, hier und da einmal auf den Auslöser zu drücken, und dann glaubhaft die Thematik zu transportieren. Es ist an dieser Stelle wichtig, nicht nur Empathie einzufordern, sondern genau mit dieser auch ein solches Projekt zu realisieren. Das sehe ich leider nicht.
Auch candid street photography ist eine gueltige form der reportage. Nicht jede form der fotografie fordert interaktion mit dem motiv.
Beim Lesen deines Artikels überfällt mich ein richtig angenehmes Gefühl, dass das Thema irgendwie langsam präsent wird und dass „unsere“ Generation da noch viel Potential hat etwas zu ändern.
Ich komme aus ähnlichen Familienverhältnissen, teile deinen Rückschluss auf die Erziehung und war zufällig am Wochenende in Frankfurt im Bahnhofsviertel – mit der gleichen Absicht, aber fehlenden Eiern in der Hose, die Kamera rauszuholen wenn vor dir ein Mensch völlig euphorisch (dem Blick nach war er auf Crystal/Crack) mit nem Fahrradsattel auf nen Stromverteilerkasten einschlägt, während nebenan dicke Porsche vorbeifahren und die Polizei an der nächsten Ecke steht und zusieht.
Und das passiert 500m entfernt von der Frankfurter Buchmesse.
Unsere Welt ist der pure Wahnsinn aber noch zu viele wollen das nicht sehen irgendwie.
Was braucht denn ein Mensch, der auf der Straße lebt? Eine Mahlzeit? Eine Unterkunft? Ein Foto?
Zitat: „““Er teilt zwar sein Essen, aber man hat immer das Gefühl, er tut es, um sich dadurch besser zu fühlen. „““
Meiner Meinung nach: Ein verflixt gutes Motiv, jemandem etwas Gutes zu tun.
Ich finde diejenigen Fotografien am besten, bei denen der Kamerastandpunkt nicht zu hoch liegt – auf der Höhe der Menschen, um die es geht.
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ui, ein schwieriges thema…. ich persönlich kann es nicht, ich kann mich nicht vor Leid stellen, und den Auslöser drücken, irgendwie habe ich da Angst den Menschen das letzte bischen an Würde zu nehmen indem ich mich als voyeuristischer Zuschauer hinstelle und diesen traurigen Moment festhalte. Gestern erst bin ich an einem jungen Bettler vorbeigelaufen, der ein Schild vor sich hielt „I need money to repair my time machine so that I can go back to the future“, ich fands total klasse und kreativ, habe mich aber nicht getraut, mein Handy rauszuholen und ihn zu fragen, ob ich ihn ablichten darf. Geht nicht. Irgendwie hab ich da total die Hemmungen. Deshalb bewunder ich dich ein Stück weit, aber ich hab trotzdem bei solchen Fotos etwas Bauchschmerzen. Spannender fände ich ein Projekt, wo ein Obdachloser selbst Fotos von sich und seinem Leben macht, bzw. ein Projekt, wo der Fotograf selbst ein paar Tage auf der Straße lebt und das Leben fotografiert. Wobei ich das nie machen würde. Aber dann wäre das nicht so die Außenperspektive, ich glaube dann könnten sensible Porträts entstehen, die mehr als beobachten. Aber es selbst tun, ne, das kann ich dann wiederrum auch nicht. Das ist einfach zu heavy.
So ehrwürdig es auch sein mag ein Obdachlosenheim zu gründen – wirklich helfen wirst du den Menschen, wenn du dich gegen den Kapitalismus stellst. „capitalism kills“ – daran wird sich wohl nichts ändern, solange es ihn gibt.
Was die Fotos angeht, so gebe ich Walter teilweise recht. Die Fotos habe eher etwas voyeuristisches, zeigen aber kaum wirkliche Auseinandersetzung mit den Menschen. Gerade die „armen Menschen“ scheinen heimlich, von relativ weit weg fotografiert worden zu sein.
Das zweite Foto finde ich dagegen sehr gut. Es zeigt in einem Foto was in diesem System falsch läuft.
New York ist anscheinend zu einer politischen Stadt geworden. Hätte gar nicht gedacht, dass sich die Bürger New Yorks auch für andere Sachen interessieren als für den Hipster-Kult.
Benny, dann empfehle ich Dir mal einen Besuch in NY. Und
versuche Dich mal von den Schicki Micki Straßen freizuhalten Um das
wirkliche NY kennen zu lernen. Dir werden Menschen begegnen, die Du
dort niemals erwartet hättest. Und vielleicht entwickelst Du dabei
eine Fragestellung, wie sie sich Anne-Kathrin gestellt
hat.
Das Schuhputzerbild trifft die Gegensätze am besten. Zuerst dachte ich, dass „Capitalism is a violent…“ und das rechte Bild eines wäre. Das hätte mir gefallen. :-)
Ich finde auch den Ansatz gut, Missstände und Ungleichgewichte aufzuzeigen. Ich werde jedoch das Gefühl nicht los, dass deine „Mission“ dich ein wenig einschränkt und die gezeigten Bilder dann doch nur eine recht schematische und willkommende Projektion deiner Gedanken sind. Leztendlich zeigt die Serie das, was jeder Passant sieht und lässt mich nicht hinter die Kulissen blicken, weder dokumentarisch noch emotional. So ertappe ich auch mich, dass ich nur an den Bildern vorbeigehe ohne viel Regung. Wichtig: Dies ist mein subjektiver Eindruck.