13. Mai 2013 Lesezeit: ~4 Minuten

Bildvorstellung: The Rise

Das Bild, das ich vorstellen möchte, zeigt eine Ansammlung von Blättern, die langsam vertrocknen und durch irgendeine Kraft so angeordnet wurden, dass sie eine fremdartige Skulptur ergeben. Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie sehr ich mich darüber gefreut hatte, diese Struktur zu entdecken.

Ich weiß bis heute nicht, ob sie als Ganzes Teil einer Pflanze war oder ob der Wind und die Naturkräfte sie dort einfach neben einer Hecke so arrangiert hatten. Die ganze Fototour an diesem Tag entstand aus einem Experiment: Ich wollte an einen Ort fahren, an dem ich normalerweise keine Bilder machen würde und dort nach Dingen suchen, die es zu fotografieren gibt. Mein Auge dafür schulen, Motive zu finden und festzuhalten.

© Sebastian Baumer

„The Rise“ ist im Anschluss Teil einer ganzen Serie geworden, die bis heute noch weiter wächst (sic!). Während die meisten Naturfotografen, die ich kenne, im Frühling und Sommer ihre Kameras auspacken und wild nach draußen laufen, um Blümchenbilder zu machen (was ich natürlich auch tue), habe ich mir angewöhnt, meinen Schwerpunkt auf den Herbst und den Anfang des Jahres zu setzen.

Ich gehe dann in Parks, in den Wald oder einfach an irgendeinen Ort, an dem Pflanzen wachsen und beobachte, was passiert, wenn die Blätter von den Bäumen fallen, die Blumen verwelken, die Blüten langsam verblühen oder wie die Flora aussieht, wenn sie nach dem Winter wieder aus der Schneedecke hervorkriecht. Ich versuche, diese ganz eigentümlichen Formen des Verfalls einzufangen, die meiner Meinung nach nicht weniger beeindruckend als die Blütezeit sind und zusätzlich viel ungewöhnlicher wirken, weil man sie nicht so oft auf Fotos vorgeführt bekommt.

© Sebastian Baumer

Die Bearbeitung und die Technik, die hinter „The Rise“ stehen, sind nicht groß der Rede wert. Es ist technisch auch gar kein gutes Makrofoto (heute würde ich beispielsweise wohl die Spitze mit in den Fokus nehmen). Ich sah das Bild schon in schwarzweiß, als ich es aufnahm und habe es mit meiner üblichen Schwarzweißkonvertierung bearbeitet. Diese ist sehr stark darauf ausgelegt, die Details hervorzuheben und auch die Kontraste zu verstärken. Zusätzlich habe ich ihm einen leichten Sepia-Ton und eine Körnung für einen analogeren Look gegeben. Es verstärkt den Effekt, es hier mit einer Art abstrakten Installation zu tun zu haben.

Auf Facebook schrieb ich unter das dazugehörige Album, in das ich neue Bilder aus der Reihe oft hochlade, den Satz „Ich sehe tote Pflanzen“. Eine Anspielung auf einen Film, die eigentlich zunächst nur als spontaner Witz über mein eigenes Projekt gemeint war – Witze über sich selbst machen zu können, ist eine sehr wichtige Eigenschaft, glaube ich.

Je länger ich über den Satz nachdenke, desto besser beschreibt er aber doch sehr präzise, was das Projekt und das Bild sagen wollen: Als Fotograf die Dinge zu sehen versuchen, die sonst nicht gesehen werden, seinen ganz eigenen Blick auf die Welt zeigen.

Der Tag, an dem ich das Bild „The Rise“ und die ersten anderen Fotos aus der Reihe aufnahm, war ein grauer Herbsttag im Oktober. Ich lief durch das Industriegebiet der Stadt, in der ich damals wohnte und machte Bilder von einem kargen Gestrüpp, als ein älterer Passant an mir vorbeilief, mein Treiben beobachtete und fragte: „Was bilden Sie denn da ab? Da ist doch nichts.“

Genau dieses Nichts, das im normalen Kontext Nicht-Wahrgenommene will ich mit der Reihe einfangen, denn ihm wohnt meiner Meinung nach eine sehr fremdartige Schönheit inne. Pflanzen wissen, wie man elegant stirbt.

10 Kommentare

Schreib’ einen Kommentar

Netiquette: Bleib freundlich, konstruktiv und beim Thema des Artikels. Mehr dazu.

  1. Interessante Idee. Doch warum dreimal das gleiche Bild in unterschiedlichen Ausschnitten? So bleibt das schale Gefühl das die Idee ansich zuwar Gut ist, bei der Umsetztung aber nicht genügend Material für eine Serie zusammengekommen ist.

  2. Mir gefällt das Bild gut. Innerhalb der Serie gefällt es mir sogar noch besser, weil so die Idee klarer wird und die einzelnen Motive sich gegenseitig „stützen“. Ich mag es grundsätzlich, wenn sich Fotografen mal den Dingen widmen, an denen man sonst achtlos vorbeigeht. Das ist wirklich eine schöne Übung für das eigene fotografische Auge.

    Kennst du Walter Schels? Ein recht bekannter Fotograf eigentlich vor allem wegen seiner Porträts. Lebt auch in Hamburg. Vor nicht allzu langer Zeit hat er eine Serie von Fotografien verwelkter Blumen(sträuße) präsentiert, war bei Hilaneh von Kories zu sehen. Teilweise mit abgelaufenen Filmen fotografiert und bewusst unter nicht sachgemäßer Anwendung der Chemikalien entwickelt, quasi Vergänglichkeit und Verfall als Gesamtkonzept mit philosophischem Überbau :-). Ich hab das Projekt und die Idee mal in einem Portfolio vorgestellt. Das darf ich hier zwar nicht einfach posten, könnte es Dir aber bei Interesse zur privaten Verwendung zukommen lassen. Einstweilen hier der Link zur Seite des alten Meisters: http://www.walterschels.com/h/blumen_70_de.php

    • Sehr hübsch. Ja, das geht in die Richtung, die ich mit der Serie auch machen will. Aber halt noch lieber im natürlichen Kontext. Vor allem ist es oft spannend, wenn verschiedene Pflanzen auch ineinanderwelken oder der Wind eben Sachen weg- oder irgendwohin trägt. Gestaltung durch die Natur selbst.

  3. Das obenstehende Bild ( hochformatige Version), wie die gesamte Serie gefallen mir sehr. Der Grund könnte darin liegen, dass mich das Thema an den Hamburger Grafiker Horst Janssen erinnert.( Vor 20 jahren kannte den jeder ). Der hat z.B. mit dem Bild „4 Tage Amaryllis“ den physischen und farblichen Verfall einer Blume mit dem Zeichenstift dokumentiert. Den eigenen Verfall hat er nicht weniger kalt, x-fach nachgezeichnet – (manchmal auch vorgezeichnet.)
    Dass dieses bildnerische Thema bei ihm aus einer ganz interessanten Grundhaltung zum Thema Tod, Krankleit und Verfall ( wenn man will auch :“Wabi-Sabi“) erwächst, läßt sich in seinem Heftchen „hommage a‘ Tannewetzel“ nachlesen. Das ist ein Vortrag aus der Lübecker Marienkirche von 1986.
    Wenn man das gelesen, dann finden sich Zusammenhänge zwischen der SchönheitsOP, der verschönernden Bildbearbeitung, der Waschmittelwerbung und einigen Urängsten, denen wir uns nicht stellen mögen. (Das sind mal echte Tabus.)
    Kann mal zwar schlecht dem Senior erklären, der fragt: „Was bilden Sie denn da ab.. ?“, hat aber für meinen Geschmack alles mit diesen Fotos zu tun.
    Grüße
    Andreas V.

    • @Andreas: Das Thema Tod und Sterben ist hier natürlich auch mit drin, vor allem im Sinne eines unausweichlichen, eben im wörtlichsten Sinne „natürlichen“ Prozesses, der einfach passiert. Natürlich macht es für die Ästhetik einen Unterschied, was ich abbilde, um das zu zeigen – mit verwesenden Tieren käme man vermutlich nicht ohne scharfen Protest durch, bei Pflanzen ist es uns als Menschen aber wesentlich fremder und es entwickelt in seinen Mustern eine sehr eigene Art von Schönheit, die ich einfangen mag, weil ich sie immer wieder beobachte, die aber als künstlerisches Motiv eher selten wahrgenommen wird – Danke für Dein Beispiel, das sehe ich mir mal näher an.

  4. Warum nimmst Du nicht einfach Film, wenn’s analog aussehen soll? Dieses ganze auf analog Getrimme von Digitalphotographien geht optisch so ziemlich immer nach hinten los. Analoge Photographie und deren optisches Erscheinungsbild ist gemeinhin etwas mehr als nur sichtbares Korn.

    • Ich bin mir sicher, dass dies dem Sebastian bewusst ist. Deswegen schrub er auch „analogeren Look“ und nicht „analogen Look“. Fotos, die digital fotografiert sind, sind selbstverständlich nie das, was aus der Filmrolle entspringt. Jedoch finde ich es in Ordnung, selektive Charakteristika integrativ zu imitieren. Und bei Sebastians Sterben-Serie geht dieser Ansatz meiner bescheidenen Meinung nach vorne los.