26. Juni 2012 Lesezeit: ~3 Minuten

Buchrezension: Photo Opportunities

Eine Sehenswürdigkeit – was ist das eigentlich? Im Zeitalter des Massentourismus, wenn der Reisende in seinen Reiseführer schaut und dann geschichtlich oder kulturell bedeutsame Orte, Bauwerke oder Landschaften aufsucht, um – ja was eigentlich? Nun, in der Regel um ein Foto davon zu machen.

Mit der Frage, warum Menschen das tun, hat sich schon Susan Sontag in ihrem Buch „On Photography“ beschäftigt, und eine mögliche Antwort im Drang des Kurzbesuchers gefunden, eine „photo trophy“, also eine Fototrophäe des Ortes zu ergattern.

Egal, ob es nun der Eiffelturm ist oder der Burj Khalifa, Schloss Neuschwanstein oder das Taj Mahal – alles sind dies Orte, von denen man schon ein Bild im Kopf hat. Warum? Weil man es schon unzählige Male medial wahrgenommen hat.

Offenbar sind es auch genau die Bilder, die Millionen und Abermillionen von Menschen an den kulturellen Kondensationspunkten des öffentlichen Weltinteresses aus immer wieder ähnlicher Perspektive aufnehmen.
Es sind Bilder von Bildern.

Vormals noch wurden diese Fototrophäen dann in Alben geklebt, die nach dem Vorzeigen im Freundes- und Familienkreis im Bücherregal geparkt wurden und fortan fleißig Staub ansetzten. Mittlerweile werden Urlaubsfotos online in Bildergalerien abgelegt und sind so von überall her öffentlich zugänglich.

An dieser Stelle setzt die französisch-schweizerische Künstlerin Corinne Vionnet mit ihrer Arbeit „Photo Opportunities“ an. Sie hat sich in Bilddatenbanken und -plattformen im Internet umgesehen, Tausende von Bildern mit offenen Lizenzen zusammengetragen und gewissermaßen fotografisches Crowdsourcing betrieben.

Für jedes ihrer Bilder überlagerte sie digital bis zu hundert ähnliche Einzelbilder aus verschiedenen Quellen. Wie gut trotz des erheblichen Abstraktionsgrades die Gestalt in jedem Bild erkennbar bleibt, ist erstaunlich. Das lässt sich beim Durchblättern schön spielerisch testen. Und sollte man bei dem ein oder anderen Bild doch ratlos werden, hilft der Index am Ende des Buches, den Ort zu enthüllen.

Ist der Effekt eines jeden Bildes immer wieder ähnlich, so ist die Serie doch eine stringente Umsetzung des Themas. Ein bisschen schade ist, dass die Mona Lisa nicht darin auftaucht. Als eines der meistreproduzierten Bilder dieses Planeten hätte sie im Rahmen dieses Projektes ganz sicher eine „bella figura“ gemacht.

Mit seinem schweren rauhen Papier in Fadenbindung hat das Buch die Anmutung eines Skizzenheftes; die Bilder wirken darauf beinahe wie Gemälde. Das Buch hat ein Softcover, das sich vom Band lösen und anschließend zu einem Poster auffalten lässt.

„Photo Opportunities“* ist im Kehrer Verlag erschienen, hat 76 Seiten und kostet neu 30 EUR.

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