Im Gespräch mit Marwane Pallas
Hallo Marwane. Danke, dass Du Dir die Zeit für ein Interview mit uns nimmst. Zu allererst, erzähl uns doch mal ein wenig über Dich. Wer bist Du, was machst Du?
Ich bin ein junger, aufstrebender, französischer Fotograf. Für mich ist die Fotografie nur ein Hobby. Bevor ich mich in sie verliebte, habe ich viel gezeichnet und ich denke, dass man das auch in meinen fotografischen Arbeiten sehen kann.
Ich studiere an einer Wirtschaftshochschule. Aber um die Wahrheit zu sagen, wäre ich im Moment lieber ein Vollzeit-Künstler. Aber wie ich gehört habe, sind die Zeiten gerade hart und mir fehlt auch der Mut zu diesem Schritt.
Was war denn Deine erste Begegnung mit der Fotografie? Warum hast Du eine Kamera in die Hand genommen und weitergemacht?
Traurigerweise, weil ich für ein Blog ein Foto von mir brauchte. Einer meiner Freunde zeigte mir deviantArt und dann erstellte ich dort und auf flickr einen Account. Ich entdeckte, dass man mit einer Kamera auch Kunst machen kann.
Ich kaufte meine DSLR im Juni letzten Jahres. Davor hatte ich nicht die Zeit, um zu fotografieren, aber mir war klar, dass ich an einem bestimmten Zeitpunkt anfangen würde, ernsthaft Fotos zu machen. Im letzten Sommer hatte ich dann sozusagen die beste Zeit meines Lebens:
Ein freier Monat, ich draußen in der Wildnis, heißes Wettter… in dieser Zeit machte ich meine „Human Series“. Ich bin eigentlich sehr introvertiert und die Fotografie ist manchmal ein Vorwand, um mich von anderen zu isolieren – und trotzdem hilft es mir, mich mehr mit anderen Menschen zu verbinden: Zum Beispiel über das Internet.
Das klingt ja erst einmal wie ein Widerspruch. Hat die Fotografie Dein persönliches Leben verändert?
Manchmal fühle ich mich, als hätte ich eigentlich zwei Persönlichkeiten. Einerseits bin ich ein Wirtschaftsstudent, der sich wirklich für Ökonomie und Politik interessiert, der es genießt, Anzüge zu tragen und die Finanzpresse zu lesen.
Aber die Fotografie half mir, eine neue Seite zu entdecken. Eine Perönlichkeit, die Kunst und alle möglichen Arten von Kreationen genießt, ebenso wie barfuß im Wald herumzulaufen, obwohl ich vorher wahnsinnig auf Hygiene bedacht war.
Die Natur zu erkunden, während ich früher die Art sonderliches Kind war, die sich in Bücher vertieft und fast nie das eigene Zimmer verlässt. Also, ja – ich denke, die Fotografie hat mir einfach geholfen, mir bisher unbekannte innere Potentiale erkennen.
Während das ja großartig klingt. Wie reagieren denn die Menschen auf diese zwei Seiten von Dir?
Bevor ich diese Frage beantworten konnte, habe ich ein paar meiner Freunde dazu befragt. Sie sagten, dass es großartig ist, weil ich dadurch nicht einfach in eine Schublade gesteckt werden kann, dass ich aufgeschlossen bin, obwohl einige Leute denken, dass ich eigenartig bin. Ein Freund sagte mir, dass ich in einer priviligierten Position sei, die man beneiden könnte, weil ich sozusagen „das Beste von beiden Welten“ hätte.
Aber eigentlich ist das nur so, weil ich nicht den Mumm habe, um mich für eine der beiden Seiten zu entscheiden. Ich wäre lieber gänzlich ein Künstler. Aber im Moment weiß ich nicht recht, welchem Pfad ich am besten folgen sollte. In Wirklichkeit ist es also sehr frustrierend.
Meistens bist Du Dein eigenes Modell. Warum? Und wie fühlt es sich an, sich so öffentlich zu präsentieren, oft sogar sehr nackt?
Ich wurde das schon so oft gefragt, dass ich sogar ein kurzes Essay darüber geschrieben habe für eine Hausarbeit in Englisch. Ich werde jetzt nicht die ganzen 3.000 Worte des Dokuments hier einfügen, aber Selbstportraits bedeuten mir sehr viel. Ich mache Selbstportraits, um meine kreative Identität zu erforschen, meine Gefühle zu kanalisieren und mein Selbstbewusstsein zu stärken. Es ist eine Art Therapie.
Wenn ich kreativ bin, möchte ich aktiv werden, deshalb spiele ich auch alle Rollen. Und wenn ich schon mit Modellen arbeite, dann wähle ich die Kleidung aus, mache das Make-up und mime die Posen. Aber die meisten meiner Selbstportraits könnten auch nichts anderes als Selbstportraits sein: Ich denke, dass ich niemanden finden könnte, der auch nur die Hälfte von dem machen würde, was ich getan habe.
Ich saß auf einem brennenden Stuhl, habe mich selbst ungezählte Male verletzt, habe die schmutzigsten Dinge auf meinem Körper und Haar verteilt, lag im Winter nackt in einem kalten Fluss, während es schneite, schwamm mit dem Fernauslöser zwischen den Zähnen zu der Stelle, an der ich mich fotografieren wollte. Es schert mich nicht, wenn ich dabei komisch aussehe.
Und vor allem bin ich immer da, wenn ich mich selbst brauche, ich muss also keinen Termin finden und was noch dazu gehört, ich habe einfach Zeit. Es sind nur ich, ich und nochmal ich, es macht die Dinge so einfach. Ich denke nie daran, was die Leute über meine Arbeiten sagen werden; darüber, dass ich nackt seltsame Dinge tue oder nicht – es ist mir wirklich egal.
Was sind wiederkehrende Themen in Deinen Arbeiten, was möchtest Du zeigen oder erzählen?
Natur und Menschen. Ich mag urbane Umgebungen nicht so sehr, ich bin ein Junge vom Land. Ich zeige kaum Zivilisation, denn ich mag es, meine Hauptakteure in der Wildnis zu isolieren. Ich mag auch Traurigkeit; eine Emotion, die oft in meinen Bildern vorkommt.
Zudem bin ich von Gefühlen der Lethargie inspiriert, denn ich möchte, dass die Welt „angehalten“ aussieht. Ich möchte, dass die Zeit außen vor ist, ich sehe direkt in die Kamera, um Emotionen besser zu transportieren und manchmal bediene ich mich an den Gesten von Tänzern, um mehr Anmut zu erreichen.
Basierend auf dem Kampf der Kulturen und dem Kampf meiner inneren Ichs habe ich ganze Serien gemacht. Ich bin ein großer Fan der Geschichtswissenschaft. Ich denke, dass unser früherer Kolonialismus eine Menge darüber aussagt, was wir sind.
Aber abgesehen von diesen Beispielen gilt für den Rest meiner Werke, dass jedes einzelne eigenständig ist und dass ich meine Bilder nicht „zerdenke“. Es ist ein Prozess, der viel mehr unterbewusst stattfindet.
Das heißt, Du hast keine „Interpretationen“ zu Deinen Arbeiten? Wie taucht die Idee für eine Arbeit auf, entwickelt und vollendet sich dann im fertigen Bild?
Sehr oft sind meine Bilder improvisiert, ich mache spontan Dinge vor der Kamera. Ich gehe einfach raus, ohne dass ich Ideen im Kopf habe und lasse mich dann von dem Ort inspirieren, den ich finde, von Requisiten, die ich mitgebracht habe und vor allem vom Licht!
In der Nachbearbeitung bearbeite ich manchmal nur die Farben und manchmal versuche ich wiederum etwas vollkommen anderes und Ungeplantes, wie etwa, das Bild auf den Kopf zu stellen und so etwas. Das Ergebnis ist die Summe aus den zufälligsten Versuchen.
Das macht es erst zum Spaß, denn wenn alles geplant wäre, die ganze Zeit, dann würde es am Ende anstrengend werden. Die Vorstellungskraft sollte niemals von einem vorher festgelegten Pfad verschlossen werden.
Ich erinnere mich daran, dass Du einmal erwähntest, dass Deine Werke auf einige Betrachter hochgradig christlich wirken, ohne dass Du das beabsichtigt hättest. Was denkst Du über solche Interpretationen?
Das ist komplett damit verbunden, dass Gemälde aus der Renaissance schon seit meiner Kindheit meine hauptsächliche Inspiration sind. Als ich sehr jung war, zeichnete ich Madonnen, obwohl meine Familie nicht christlich ist.
Ich habe auch ein Foto von mir als Märtyrer am Kreuz gemacht. Aber selbst, wenn ich nicht eine unmittelbar christliche Szene darstelle, sind einige Themen an sich sehr christlich, zum Beispiel das Thema des Leidens. Aber ich denke, dass diese Wirkung vor allem durch meine Bildreferenzen entsteht.
Du hast vorhin schon ein anderes spannendes Thema angesprochen: Nachbearbeitung. Was machst Du in diesem Schritt und was bedeutet es für Deine Arbeiten? Wo siehst Du Grenzen, was würdest Du in der Nachbearbeitung niemals tun?
Mein Prozess der Nachbearbeitung macht die Leute immer sehr neugierig. Meistens spiele ich mit selektiven Farbanpassungen und den Kurven. Um das tun zu können, muss ich dafür Aufnahmen machen, die so bunt wie nur möglich sind, mit einer schönen orangen Sonne.
Einmal fotografierte ich eine Hochzeit und zeigte der Hochzeitsplanerin die Fotos, die ich gemacht hatte. Sie sagte, dass sie schön seien und fragte mich, wie ich sie bearbeitet hätte. Allerdings hatte ich ihr die Bilder auf meiner Kamera gezeigt, sie waren daher vollkommen unbearbeitet.
Es ist also eine Kombination von Nachbearbeitung und Vorbereitung, ich bin kein digitaler Maler. Es ist ärgerlich, wenn die Leute annehmen, dass alles manipuliert sei. Dass dieser Stuhl auf den Fotos nicht brannte, obwohl er es tat und ich mich auch fast verbrannt hätte. Wenn sie glauben, dass ich mich einfach in einen falschen Hintergrund hineinmontiert hätte und wenn sie denken, dass ich ein Studio besitzen und dort alles kreieren würde.
Dabei ist gerade das genaue Gegenteil der Fall: Ich mag es, die echte Welt künstlich aussehen zu lassen. Es ist viel beeindruckender. Ich mag es, der realen Welt, die ich fotografiere, einen malerischen Anblick zu geben. Bevor ich anfing, zu fotografieren, habe ich gezeichnet und gemalt, die Gemälde aus der Renaissance sind immer noch meine größte Quelle der Inspiration. Indem ich sie kopiert habe, lernte ich, zu zeichnen.
Ich mag es auch, meine Bilder alt aussehen zu lassen, indem ich entsprechende Themen, Kulissen und Texturen benutze. Irgendwie habe ich eine alte Seele. Mein Schlafzimmer sieht aus wie ein alter Dachboden, nur mit Holzmöbeln und Zeug, das ich sammle. Daher überrascht es die Leute nicht, wenn sie meine Arbeiten sehen. Es reflektiert wahrhaftig meine ruhige und romantische Persönlichkeit.
Was sind Deine Pläne und Träume für die Zukunft? Wohin willst Du mit der Fotografie?
Natürlich sind meine Zukunfsträume und -pläne nicht identisch. Ich wünschte, ich wäre talentiert und selbstsicher genug mit meinen Arbeiten, um alles andere aufzugeben und ausschließlich Künstler zu sein. Aber ich werde einfach meinen Abschluss machen und dann weniger Zeit für die Fotografie haben.
Kurzfristiger betrachtet will ich jedoch, dass meine Fotografie stärker handgefertigt wird, vielleicht mit selbst hergestellten Requisiten, insgesamt konzeptioneller und weniger naiv.
Marwane, ich danke Dir sehr für dieses Interview. Ich wünsche Dir für Deine Zukunft das Beste und freue mich schon sehr auf Deine nächsten Arbeiten!
Marwane Pallas‘ Arbeiten könnt Ihr auf seiner Webseite, deviantArt, flickr, 500px und Facebook sehen.
Das Interview habe ich mit Marwane auf Englisch geführt und anschließend übersetzt.