12. Januar 2012 Lesezeit: ~8 Minuten

Lieber Kindergartenfotograf… Ein Antwortbrief.

In den vorletzten browserFruits verlinkten wir auf den „Brief an den unbekannten Kindergartenfotografen“. In ihm beschrieb die Autorin, wie wenig sie mit den Standardfotos des Kindergartenfotografen anfangen kann und schlug vor, natürliche Bilder von den Kindern zu machen.

Kurz darauf veröffentlichte Katrin Dinkel einen Antwortbrief auf ihrer Facebook-Page. Sie hat viel Zeit damit verbracht, in Kindergärten zu fotografieren und dabei immer Wert auf Natürlichkeit gelegt. Standardfotos in Massenabfertigungen waren ihr zuwider. Wir freuen uns sehr, dass sie ihre Erfahrungen hier mit uns teilt.

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Drei Jahre lang habe ich Kinder in Kindergärten mit unkonventioneller Reportagefotografie begleitet. Drei Jahre lang habe ich Lob und Anerkennung bekommen, aber ich wurde mit noch sehr viel mehr Schwierigkeiten konfrontiert, sodass ich mich am Ende komplett gegen die Kindergartenfotografie in moderner Form entschieden habe.

Die meisten Eltern mögen die schrecklichen 08/15-Bilder aus dem Kindergarten nicht. Man hört immer wieder, dass sei nicht ihr Kind auf den Bildern. Grund genug, es anders zu machen, zumal ich selbst zweifache Mama bin und den Kindern mit sehr viel Geduld und Respekt begegne, was man von den Standardfotografen nur sehr selten behaupten kann. In der ganzen Zeit habe ich kein Kind gegen seinen Willen fotografiert, selbst die schwierigsten Fälle habe ich nach einer gewissen Zeit portraitieren können.

Ich bin Schreikindern begegnet, die keine Stunde brauchten, um am Ende nur noch an meiner Hand laufen zu wollen. Ich habe Kinderaugen glänzen sehen, weil sie auch ein Foto machen durften. Jede Gruppe begleitete ich über mehrere Stunden im Kita-Alltag, beobachtete, lag auf der Lauer, spielte mit den Jungs Fußball und fotografierte, während ich dem Ball hinterherlief.

Mir wurden selbstgemalte Bilder geschenkt und die Kleinen kamen mit ihren Wehwehchen zu mir. Sie respektierten mich in kürzester Zeit als Erzieher. Ich sehe meine Verantwortung als Erwachsener den Kindern gegenüber, habe ein Ohr, wenn ihnen etwas auf der Seele liegt und sie sich nur mir anvertrauen wollten. Es gab Kinder, die haben geweint, als ich tschüß sagen musste.

Ich schaute nicht weg, wenn es unfair wurde, legte lieber meine Kamera beiseite und schlichtete oder zeigte auch mal Grenzen auf, denn mir wurden natürlich auch Sand und Steine in die Linse geworfen und Stühle auf den Kopf gehauen. Aber gerade das sind alles Gründe, in dieser Form zu arbeiten. In erster Linie geht es um Kinder und als Mama fühle ich, was das für ein Traumberuf ist, der mir persönlich alles gab, was die Welt zu bieten hat, in seiner reinsten Form.

Und dann kam die Kehrseite der Medaille – viele Eltern und die Unwissenheit über meine Art zu arbeiten, trotz transparenter Information und Kommunikation.

Ich fotografiere jedes Kind bis zu 50 Mal (einzelne Kids sogar noch öfter), um wirklich mindestens fünf schöne und unterschiedliche Portraits zu bekommen. Ich fotografiere alle durcheinander, weil Kinder sich im freien Spiel bewegen und sich die Situationen ständig ändern. Ich sortiere im Nachhinein alle Bilder. Das können in einer Woche bei 150 Kids schon mal 4000 – 5000 sein und bearbeite alle Fotos, die ich für die Mappen geeignet finde.

Es gibt auch Schwarzweiß-Bilder, jedoch weder Sepia noch Weichzeichner oder gar ovale „Antikfotos“. Dafür viel Nähe und glückliche Kinderaugen, beim Springen, Schaukeln, Rennen, Lachen und natürlich auch mal beim Weinen. Kinder sollen so sein, wie sie sind und in ihrer Natürlichkeit kann man sie am schönsten einfangen.

Warum ist der Kopf abgeschnitten? Warum hat mein Kind die Mütze auf, Rotz in der Nase oder strubbelige Haare oder ein paar Strähnen im Gesicht? Manche Erzieher wussten, dass sie einige Kinder zwingend kämmen und waschen müssen, bevor ich ein Bild von ihnen mache, weil es die Mama extra so gesagt hat. Es wurde immer wieder geputzt und gestriegelt, was wiederum nichts mit dem Kita-Alltag zu tun hat. Offensichtlich war, dass die Eltern nicht verstanden hatten, was hinter der Philosophie meiner Arbeit steckt.

Am Anfang riss man sich noch um die Fotos, das Jahr darauf hatte ich teilweise 50% Umsatzrückgang. Aufgrund meiner Selbstständigkeit musste ich die Mehrwertsteuer draufschlagen. Die Reaktionen waren klar: „Warum sind die Abzüge teurer geworden? Können wir die Bilder nicht sehr viel günstiger bekommen, die sind ja eh schon gemacht! Und können sie uns vielleicht die Dateien der Gruppenfotos schenken? Dann könnten wir für jeden günstige Abzüge machen“. – Und das bei 2,50€ pro Abzug!

Die Gruppenbilder hatte ich sogar teilweise schon kostenlos in die Mappen gelegt. Und so zum Vergleich: Es soll sich doch jemand mal erlauben, im Supermarkt den Käse aus dem Regal so mitzunehmen, weil er ja eh schon produziert wurde und bereits da herumliegt.

Also versuchte ich mich darauf einzustellen, auf Bestellung zu arbeiten, um Zeit und Kosten zu sparen. Aber die bestätigten Zusagen für die Fotos wurden am Ende doch nicht eingehalten. Grund: „Da war kein Foto dabei, das wir der Oma hätten schenken können.“ Dafür wurde dann gar keins genommen, obwohl man meine Bilder vorher kannte und wusste, was man erwarten kann.

Es gab auch Eltern, die konnten einen Blick auf mein Display erhaschen und waren außer sich vor Freude über so großartige Momentaufnahmen – im Nachhinein für mich nicht verständlich, dass die Mappe zurück kam. Sogar trotz ausdrücklichem Wunsch, ein Bild zusammen mit der Oma zu machen, wovon ich zwei Abzüge kostenlos in die Mappe getan hatte.

Manche Kitas waren jedoch so groß, dass man eine vorherige Bestellliste nicht machen konnte, beziehungsweise wollte oder die kompletten Zahlungsmodalitäten über mich laufen sollten, was mich nochmals zusätzliche Arbeit gekostet hätte und das zusätzlich unter der Bedinung, dass meine Bilder nicht teurer hätten sein dürfen, als vom bisherigen Standardfotografen. Und 15% Provisionszahlung an die Einrichtung werden selbstverständlich vorausgesetzt. Das wissen im übrigen die meisten Eltern nicht!

Und eines Tages kam ich in eine Kita, in der ich bereits im Jahr vorher war und konnte gar nicht mehr frei arbeiten. Die Kinder warteten bereits gruppenweise in einen Raum gepfercht und wurden nach und nach aufgefordert, sich zu positionieren. Sie wurden angeschrien, an ihnen wurde gerissen und gezogen. Ich war so perplex, dass ich noch nicht einmal was sagen konnte. Ich zog in anderthalb Stunden mein Programm durch und meldete den Vorfall anschließend bei der Kitaleitung. Wir haben aufgrund des Vorfalls gemeinsam Maßnahmen ergriffen, jedoch leider ohne Erfolg, doch das ist eine andere Geschichte.

Ich habe gelacht und geweint in der Zeit. Ich habe sehr viel mitgenommen, vor allem die Erfahrung, dass man es niemandem Recht machen kann, außer den Kindern. Das aber auch nur, solange es auch den Erwachsenen gefällt. Meine Arbeit war teilweise nicht mehr wert als 2€ pro Stunde. Brutto versteht sich, als Selbstständige und alleinerziehende Mama. Keiner will das sehen, die meisten wollen nur perfekte Bilder. Die Kinder fallen dann hinten runter, auch meine, denn ich kann davon meine Familie nicht ernähren.

Stattdessen wird lieber etwas weniger Geld in Massenabfertigung und Akkordfotografie investiert. Die Kinder werden in Reihe gestellt, es wird verlangt, dass sie ruhig sitzen bleiben bis sie dran sind und wenn sie dran sind, dann sollen sie auf Kommando lächeln. Kein Platz und noch weniger Zeit für Herzlichkeit, kein kindgerechter Umgang – Hauptsache, alle sehen gleich „gut“ aus, denn Qualitätsunterschiede darf es nicht geben und es muss verdammt schnell gehen.

150 Kinder in zwei Tagen – die Bilder werden nicht weiter sortiert und auch nicht bearbeitet. So wie sie sind, werden sie auf den Server eines Speziallabors hochgeladen und in fertigen Mappen für 20€ verkauft. Die Masse macht’s – da kann ich nicht mithalten, auch wenn mir die Zeit mit den Kindern so wertvoll ist, meine Ideologie kann mir die Miete leider nicht bezahlen.

Aus diesem Grund sage ich: Diese Fotografie geht nur, wenn man davon nicht leben muss. Ich will und werde nicht in den Akkord gehen, den sich die üblichen Verdächtigen aufgrund des schnellen Standards leisten können. Es ist ein harter Preiskampf, allerdings geht der in erster Linie auf Kosten der Kinder.