Im Gespräch mit Alex Stoddard
Es ist schon eine Weile her, dass Martin mir den Link zum flickr-Stream von Alex Stoddard schickte und mich fragte, ob ich ihn vorstellen möchte. Vor zwei Monaten habe ich mit Alex das erste Mal Kontakt aufgenommen, denn die Bilder, die er zeigt, haben mich direkt gefesselt.
Ich sah sofort, dass dort jemand mit seinem ganzen, ganzen Herzen dabei ist und sich an einer Sache festgebissen hat. Genauso ausgiebig hat er sich auch diesem Interview gewidmet, weshalb es sich über einige Zeit hinzog. Währenddessen hat er auch immer großartigere Bilder produziert, die ich hier am liebsten alle zeigen würde. Übrigens sind in seinem Stream nicht nur die Fotos empfehlenswert: Auch seine Kommentare dazu haben gern einen subtilen Humor.
Hallo Alex. Danke, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst. Erzähl unseren Lesern doch zuerst einmal ein wenig über dich. Wer bist du, was machst du?
Tja, um ehrlich zu sein gibt’s da gar nicht so viel zu sagen. Mein Name ist Alex Stoddard, ich bin 17 Jahre alt und lebe in Georgia, USA. Ich fotografiere gern, aber ich betrachte mich nicht als „Fotografen“, denn ich denke einfach, dass es anmaßend klingt. Das erste Mal, dass ich eine Kamera mit der Absicht, etwas zu kreieren in die Hand genommen habe, war vor etwa einem Jahr.
Seitdem bin ich in mein eigenes 365-Projekt eingetaucht, bei dem ich ein Jahr lang jeden Tag ein Foto mache. Zur Zeit habe ich etwa 300 Tage davon abgeschlossen und wenn ich so zurückblicke, auf das, was ich bisher getan habe, bemerke ich definitiv eine starke Entwicklung.
Wenn ich die High School abgeschlossen habe, hoffe ich, nach New York ziehen zu können und werde versuchen, mich dort als konzeptioneller Fashion-Fotograf zu etablieren. Ich erzähle einfach gern Geschichten.
Du erzählst also gern Geschichten. Wenn ich so durch deine Arbeiten streife, denke ich, dass ich bestimmte Themen erkennen kann, die du erneut aufgreifst und aus einem anderen Blickwinkel noch einmal betrachtest. Aber ich frage mich, ob das unbewusst geschieht und nur für den Betrachter sichtbar ist. Also, gibt es Themen, die dich bewegen, Geschichten, die du öfter erzählst?
Ich denke, dass ich mir dessen tatsächlich bewusst bin. In etlichen Fällen hatte ich das Gefühl, dem Konzept beim ersten Anlauf nicht gerecht geworden zu sein. Also wollte ich versuchen, es besser zu machen, indem ich es nochmal aufgegriffen habe, aber vielleicht auf eine andere Art und Weise.
Von der Natur und der Interaktion des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung fühle ich mich sehr angezogen. Menschen vergessen so schnell, dass vor Millionen von Jahren, Tausenden sogar nur, wir alle zwischen den Bäumen und Tieren gelebt haben und dass wir ein Teil der Natur waren. Es ist, als hätten wir uns in diesem Zeitalter trotzdem von ihr abgespalten.
Alles, was mit Wasser und Schlaf zu tun hat, liebe ich auch. Ich denke, dass sie einander sehr ähnlich sind, weil der Mensch in beiden so ungeschützt, so deplatziert ist.
Wer und was inspiriert dich?
Mich inspiriert Erfahrung, oder das Fehlen selbiger. Ich weiß nicht. Ich ziehe viel aus Dingen, die mir zuvor passiert sind, aber ich kann auch Geschichten kreieren über das, von dem ich mir wünsche, dass es irgendwann passiert. Im Gegensatz zu den meisten anderen finde ich in Filmen, Liedern oder den Medien nicht wirklich Inspiration.
Was den „wer“-Teil deiner Frage angeht: Es gibt unzählbar viele Fotografen, die ich in höchstem Maße verehre und aus deren Arbeiten ich Inspiration ziehe. Zum Beispiel Tim Walker, Rosie Hardy, Gregory Crewdson, Ryan McGinley.
Um noch einmal auf das 365-Projekt zurückzukommen, in das du gerade verwickelt bist: Wie kann man sich das vorstellen – gehst du jeden Tag für ein paar Stunden raus, hast eine Idee im Kopf und kreierst dann dieses spezielle Bild für den Tag?
Das 365-Projekt – ach, was kann ich sagen, um es zu beschreiben? Also, es ist wahrscheinlich das Härteste, dem ich jemals ausgesetzt gewesen bin. Als ich mit dem Projekt angefangen habe, war ich ganz neu in der Fotografie, also war ich glücklich mit allem, was ich jeden Tag so produziert habe. Für meine früheren Fotos hatte ich nie so richtig eine Idee oder ein Konzept. Sie passierten irgendwie einfach so mit Leichtigkeit und ich mochte sie.
Als meine künstlerischen Fähigkeiten jedoch wuchsen und ich mehr Aufmerksamkeit von der Online-Community bekam, hatte ich das Gefühl, mich jeden Tag überbieten zu müssen. Ich fühlte mich, als müsste ich ein starkes Konzept und starke Fotografien haben.
Fast, als würde ich ausschließlich anhand meines letzten Fotos beurteilt werden und wenn es schrecklich wäre, dann wäre auch ich schrecklich. Das war ein ziemlich jugendliches Denkschema, aber es hat dazu geführt, dass ich rasch gewachsen bin und ich kann nicht behaupten, dass ich es komplett bereuen würde.
In dieser Zeit hatte ich so wenig Zeit und kaum die nötigen Materialien und Requisiten, um geplante Szenen umzusetzen, also bin ich einfach zwei oder drei Stunden herumgewandert. Durch die Wälder, meinen Dachboden, Keller, Schuppen und die Höfe der Nachbarn…
bis mir irgendetwas auffällt und ich ein Foto mache. Es ist ein sehr, sehr zeitraubendes Projekt, aber ich muss sagen, dass seine Vorteile mich wirklich sehr für seine Beeinträchtigungen entschädigen.
Es ist wirklich interessant, da einen gewissen Kampf zu beobachten: Einerseits fühlst du, dass es hart ist, aber du weiß, dass es das wert ist. Wenn du dann ein Foto gemacht hast, wie geht’s weiter? Welche Nachbearbeitung wendest du an?
Ich habe bemerkt, dass ich eine gewisse Routine entwickelt habe, nach einem Foto erst einmal zu duschen oder schwimmen zu gehen, bevor ich irgendetwas anderes mache – wahrscheinlich, weil ich fast immer mit Schlamm oder sowas bedeckt bin, haha.
Zum Bearbeiten benutze ich Photoshop und beginne normalerweise damit, ein neues Dokument zu erstellen, auf dem ich aufbaue. Die meisten meiner Fotos sind Quadrate, denn ich mag die Symmetrie des Ganzen und ich denke, dass Quadrate meine Kompositionen meistens besser unterstützen, je nach Foto.
Also, in einem solchen Fall endet es damit, dass ich irgendwas zwischen drei bis zwanzig verschiedene Fotos zu einem neuen kombiniere, um den Rahmen des Ausgangsbildes zu erweitern.
Wenn ich dann eine Komposition gefunden habe, die ich mag, benutze ich das Kurven-Tool, um die Farben und Töne des Bildes abzustimmen und dann spinne ich noch etwas mit dem Ebenen-Tool, der Sättigung, der Farbbalance und sowas herum. Ich experimentiere immer mit etwas Neuem, wenn ich bearbeite, deshalb ist es schwierig, meinen Bearbeitungsprozess zu beschreiben.
Mit welcher Ausstattung arbeitest du inzwischen? Wie hat sie sich vielleicht entwickelt, seit du angefangen hast zu fotografieren? Ist dir das überhaupt wichtig – denkst du über die Geräte, mit denen du arbeitest, viel nach?
Erst vor ein paar Wochen habe ich mich entschieden, den Preissturz zu nutzen und habe eine Canon 5D Mark II mit dem 50mm f/1.4 gekauft. Dafür hatte ich das Geld gespart, das ich seit September 2010 verdient habe. Deshalb war es entsprechend großartig zu sehen, dass meine ganze Arbeit sich auszahlt.
Davor habe ich nur eine Nikon D3000 mit einem 50mm-f/1.8-Objektiv benutzt, es macht also keinen so großen Unterschied. Klar sind die Dinge bequemer geworden und vielleicht hat sich die Druckqualität meiner Bilder verbessert, aber ich habe in meiner Arbeit wenige Veränderungen festgestellt.
Solange man dazu fähig ist, seine Ideen und Geschichten zu übersetzen, denke ich, dass die Kamera egal sein sollte. Die Stärke deiner Arbeit wird Bände sprechen, unabhängig von deiner Ausrüstung.
Schön zu sehen, dass wir nicht nur eine ähnliche Ausrüstung benutzen, sondern auch ähnliche Ansichten dazu haben, was die Bildqualität beeinflusst.
Lass uns den technischen Kram beiseite schieben: Inwiefern hat Fotografie dich verändert, abgesehen von deiner eigenen fotografischen Entwicklung? Welchen Einfluss hat sie auf dein Leben, auf deine Gedanken, vielleicht auf deine Selbstwahrnehmung?
Ganz ohne Übertreibung: In meinem Leben gab es nichts, was mich mehr beeinflusst hat als die Fotografie. Ich kann gar nicht beschreiben, wie sehr ich mich im letztem Jahr zum Guten verändert habe. Ich bin so zufrieden mit mir selbst geworden und habe mich selbst mit all meinen Makeln akzeptiert und werde nicht mehr rot oder fühle mich beklemmt in Situationen, die mir früher unangenehm gewesen wären.
Ich habe wirklich die Essenz dessen angezapft, was ich bin, was ich von der Welt und dem Leben selbst überhaupt will. Fotografie war das erste, wofür ich eine Leidenschaft entwickelt habe. Davor habe ich denen, die mich gefragt haben, was ich werden will, wenn ich älter bin, wortwörtlich gesagt: „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich etwas im medizinischen Bereich. Ich will es gar nicht, aber ich bin so ein Geschäftemacher. Ich werde mich niederlassen.“
Und jetzt gibt es absolut nichts mehr auf dieser Welt, wofür ich mich niederlassen würde – außer für ein Leben in der Fotografie. Ich habe dadurch, gleichzeitig vor und hinter der Kamera zu sein, gelernt, wer ich bin.
Auch physisch sehe ich jetzt alles anders. Die Art, wie Licht auf eine besondere Weise fällt oder die Schatten in den winzigsten Winkeln des Waldes. Für einzigartige Erscheinungen der Menschen, die mir in den Fluren oder auf der Straße begegnen, habe ich einen Sinn einwickelt. Fotografie ist, was ich will und immer wollen werde.
Was wird passieren, nachdem du das Projekt beendet hast? Wirst du es vermissen oder die freie Zeit genießen? Hast du dir jemals über das „Leben danach“ Gedanken gemacht?
Ich sehe da ein überwältigendes Gefühl von Erleichterung vorher, wenn ich das 365-Projekt beendet habe. Ein Teil von mir wird sich wohl immer noch danach sehnen, jeden Tag etwas Neues zu erschaffen und das ist wahrscheinlich auch normal, wenn man an so einer Routine derart lange festgehalten hat.
Seinem Ende habe ich jetzt schon so lange entgegengesehen, aber ich denke auch, dass ich mich dann vielleicht etwas nutzlos fühle. Während des 365-Projektes habe ich mich immer so gefühlt, als würde ich die ganze Zeit arbeiten, sehr produktiv und nützlich sein. Ich möchte mich nicht mehr so fühlen als würde ich nur… existieren, danach.
Trotzdem sehne ich mich nach dem Ende, denn es wird mir so viel mehr Zeit geben, um größere Shoots zu planen und qualitativ bessere Fotos zu produzieren. Ich werde mir nicht mehr um Zeitfristen Sorgen machen müssen und darum, alles in einem Tag zu schaffen oder davon abgelenkt sein, was ich gestern gemacht habe oder morgen tun werde.
Ich fürchte, dass ich mich wegen der neu gewonnenen Zeit und Ressourcen gänzlich von Selbstportraits wegbewegen werde, aber ich werde daran arbeiten, an diesem Thema dran zu bleiben. Weil ich denke, dass es mich einzigartig macht und meinen Fotos ein besonderes Etwas gibt.
Alex, ich danke dir sehr für dieses Interview und dafür, dass du uns so tief in deine Gedanken hast blicken lassen. Um es abzuschließen, hast du irgendwelche nächsten kleinen Schritte auf deinem Weg, deinen persönlichen Traum zu verwirklichen, geplant?
Zuerst will ich mich auf dieses 365-Projekt konzentrieren, um endlich damit fertig zu werden! Ich fühle mich, als könnte ich mich nicht weiterbewegen, bis das nicht erledigt und aus dem Weg ist. Und wenn ich es nicht vollende, würde ich mich nicht vollständig fühlen.
Ansonsten bin ich dabei, einige lokale Modell-Agenturen zu kontaktieren, um vielleicht mit ihren neuen Talenten Testshootings zu machen. Ich halte auch immer Ausschau nach neuen Orten, Anblicken und Geschichten. Für diesen Sommer habe ich ein paar Reisen zu anderen Orten geplant und ich hoffe, dass sie einige großartige Ergebnisse bereithalten werden.
Ebenfalls während des Sommers wird Karrah Kobus, eine befreundete Fotografin, mich aus Minnesota besuchen und wir veranstalten gemeinsam ein Treffen für die Leute von flickr, die Lust haben, zu kommen und gemeinsam mit uns zu fotografieren. Dafür habe ich einige tolle Schauplätze und sowas organisiert, daher sollte es ziemlich spannend werden.
Das Interview habe ich mit Alex auf Englisch geführt und anschließend übersetzt.