Im Gespräch mit Poul Madsen
Poul Madsen ist Fotojournalist und Multimedia-Produzent. Seine Arbeiten, die er zusammen mit zwei weiteren Kollegen im Multimediakollektiv Bombay Flying Club (BFC) in den letzten Jahren produzierte, erhielten weltweit Anerkennung und Auszeichnungen. Außerdem zählt der BFC heute zu den führenden Studios für journalistische Multimediaproduktionen.
Nachdem der BFC zum wiederholten Male den Danish Picture of the Year Award für ihren Film über illegale Flüchtlinge in Dänemark erhalten hat, habe ich mich mit Poul getroffen, um mit ihm über Fotojournalismus, Multimedia und die Zukunft des BFC zu reden. Viel Spaß!
~
Hey Poul, stell dich und deine Arbeit doch zuerst mal vor.
Mein Name ist Poul Madsen, ich bin ein klassischer Fotojournalist mit einem Abschluss in Fotojournalismus von der Danish School of Media and Journalism. Während meines Praktikums 2005 hatte ich die Gelegenheit, in Mumbai (Indien) als Fotograf zu arbeiten. Dort habe ich mit Filmdokumentation und grundlegenden Multimedia-Sachen angefangen. Ein Jahr später gründete ich dann den Bombay Flying Club.
Was war deine Motivation, im Bereich des Fotojournalismus zu arbeiten?
Ich habe nie darüber nachgedacht, Fotograf zu werden. Das war sehr zufällig. Mein Bruder hat studiert, um Journalist zu werden und so traf ich einige seiner Fotografen-Freunde. Ich sah ihre Bilder und war sofort inspiriert, auch etwas Kreatives zu machen. Ich kaufte eine Kamera, reiste für einige Zeit durch Indonesien und realisierte, dass es für mich genau das richtige Ding war. Ich war 24 Jahre alt, als ich loslegte. Als ich an der Journalismus-Schule anfing, wusste ich, dass ich das Richtige gewählt hatte. Die Schule in Dänemark ist fantastisch und ich habe dort SO viel gelernt.
Wie ging es von dort weiter? Hast du für eine Zeitung gearbeitet? Oder warst du danach einfach als Freiberufler unterwegs?
Als ich 2006 meinen Abschluss hatte, gab es in Dänemark gerade einen Wirtschaftsbook. Die meisten Fotojournalisten meiner Klasse bekamen sofort eine Anstellung. Ich wurde als fest angestellter Fotograf einer neuen Tageszeitung namens Nyhedsavisen eingestellt. Diese Zeitung sollte mit 24timer und MetroExpress (zwei freie dänischen Tageszeitungen) konkurrieren. Ich war dort zwei Jahre… und habe es gehasst. Zum Glück hatte ich während meiner Arbeit auch etwas Zeit, mich mit Multimedia zu beschäftigen. Die Zeitung musste dann 2008 wegen der Wirtschaftskrise dicht machen und ich wurde selbstständig. Seitdem ist der größte Teil meiner Energie und Anstrengungen in Multimedia geflossen. Als dann die 5D Mark II herauskam, änderte sich alles.
Gab es eine Geschichte, die das Spiel für dich geändert hat? Die einen größeren Einfluss darauf hatte, wie du arbeitest?
Ja! Während meiner Zeit bei der Zeitung hatte ich die Gelegenheit, nach Rumänien zu fahren, um dort eine Story über Straßenkinder zu fotografieren. Unverzüglich nach meiner Rückkehr habe ich angefangen, mit Flash-Skripten zu experimentieren und fand eine Lösung, um die Bilder dynamisch im Vollbildmodus zeigen konnte. Das passierte, bevor der Vollbild-Flashplayer herauskam und ich denke, dass diese besondere Sache mir international so einige Türen öffnete. Zwei Monate lang programmierte ich abends, nachts und zwischen Aufträgen.
Großartig! Hingabe ist alles, um etwas Neues zu erreichen!
Eine der Diskussionen im Fotojournalismus ist die Frage, wie weit wir die Arbeit im Bezug auf Ästhetik und Nachbearbeitung treiben können bzw. sollen. Erst kürzlich gab es die Diskussion über Damon Winters iPhone-Bilder in Afghanistan, die Hendrik auf deinem Blog auch als das Ende des Fotojournalismus bezeichnet hat. Vorallem wenn Arbeiten wie diese Awards gewinnen können. Was denkst du darüber?
Ich denke, dass wir unterschiedliche Meinungen über viele Dinge haben. Ich sehe die Fotos von Damon Winter nicht als ein großes Problem. Aber die Frage ist wichtig und hat viel damit zu tun, wie wir die Welt sehen. Ich denke Schwarzweiß-Fotografie war genau genommen auch immer ein „verfälschter“ Blick auf die Welt. Meine hauptsächlichen Einwände richten sich insbesondere gegen zu exzessiven Einsatz von Photoshop. Und ich denke, dass wir in der dänischen Fotografie ein echtes Problem mit der Glaubwürdigkeit haben. Ich bin niemand, der Namen nennt, aber es gibt wohlbekannte Fotografen, die es zu weit treiben.
Aber ich denke auch nicht, dass Fotojournalismus objektiv sein kann. Wir haben kürzlich einige sehr schlechte Beispiele gesehen. Ein paar der Gewinnerbilder im POY sind einfach zu viel. Aber wer sagt, was richtig und was falsch ist? Ich bin nicht sicher.
Ich denke, dass es schwierig wird, wenn eine gewisse Ästhetik die eigentliche Geschichte des Bildes überlagert oder sie sogar ändert. Wie siehst du diese Diskussion in Multimedia? Es gibt auch Leute, die z.B. sagen, dass die Benutzung von Musik die Geschichte auch zu stark beeinflusst.
Ich sage: Sicher. Ich meine, wenn man eine multimediale Geschichte oder eine Filmdokumentation macht, benutzt man bestimmte Elemente, um die Geschichte oder Botschaft zu unterstützen. Und ich denke, das ist richtig so. Man sollte es nur nicht übertreiben. Wenn es der Geschichte hilft, die Botschaft rüberzubringen, die man will, dann sollte man es benutzen. Die meisten Filmdokumentationen sind ohnehin gestellt. Wir haben die Möglichkeit, denen eine Stimme zu geben, die keine haben und wir sollten diese Werkzeuge mit großem Respekt behandeln.
So, wie Bilder nicht objektiv sein können, gilt das Gleiche auch für Multimedia. Aber ich mag die Regeln nicht. Wenn man eine Geschichte nicht mag oder ihr nicht vertraut – dann sollte man sie nicht schauen. Und unsere eigene Geschichte über Asylbewerber ist beispielsweise hochpolitisch.
Ja, wie du bereits gesagt hast, niemand ist objektiv und die meisten Geschichten sind genau das: Geschichten, denn sie werden aus einer bestimmten Richtung erzählt.
Lass uns einen kleinen Schritt zurück machen. Du hast vorhin über deine ersten Experimente mit Multimedia geredet. Wie ist es schließlich zu dem entschlossenen Schritt zu Multimedia und der Gründung von Bombay FC gekommen?
Wir machten 2004 oder 2005 eine Geschichte über eine Selbstmordwelle in Nordirland. Wir haben einen NPPA-Award gewonnen und sagen, dass wir Geschichten auf einem professionellen Level produzieren konnten. Wir lösten ein großes Interesse in den neuen Medien aus – insbesondere aus den USA – und waren sehr stark von dem inspiriert, was man mit Flash tun konnte. Also verbrachten wir ein Semester damit, Flash zu lernen und wussten, dass es für uns (Hendrik und mich) genau das Richtige ist. Wir haben es genossen, mit verschiedenen Medien und Werkzeugen zu arbeiten und wir sagen, dass es eine große Herausforderung war, gemeinsam an Geschichten zu arbeiten. Es war ein Gewinn, gemeinsam als Fotojournalisten zu arbeiten. Außerdem wussten zu dem Zeitpunkt nur wenige Fotografen irgendetwas über Multimedia, also sahen wir es als Vorteil, ein Teil der „neuen Schule“ zu sein.
Worin siehst du die größten Unterschiede und Möglichkeiten des multimedialen Geschichtenerzählens, verglichen mit den „klassischen“ Methoden, an die wir gewöhnt sind?
Es gibt nun neue Plattformen wie das iPad, auf dem die Möglichkeiten von Multimedia noch nicht ausgeschöpft wurden. Ich denke, dass wir uns an eine ganz neue Art der Kommunikation gewöhnen müssen und das ist sehr aufregend. Aber während sich die Technologie mit solcher Geschwindigkeit vorwärts bewegt – tut es das Geschichtenerzählen selbst nicht. Also sehen wir noch nicht das volle Potential. Es ist ein langsamer Prozess, aber zum Glück gibt es da draußen viele kreative Individuen, die inspiriert sind und aus Leidenschaft arbeiten. Dieser Teil mit der Leidenschaft ist sehr wichtig. Ich genieße es, einige der NFB produzierten Sachen zu sehen, aber manchmal bin ich nicht sicher, ob sie das Richtige tun. Trotzdem ziehe ich den Hut vor ihrer Kreativität und der Tatsache, dass sie viel Geld in experimentelles Geschichtenerzählen stecken.
Wir sind eine klassische und lineare Denkweise gewöhnt und alle Fotografen filmen jetzt auch Videos. Mein Vorhaben ist, dieses Jahr eine coole nicht-lineare Geschichte zu machen, aber sie darf nicht zu kompliziert zu navigieren sein. Internetnutzer sind immer noch ein bisschen konservativ.
Wohin siehst du diese ganze Sache mit den interaktiven Geschichten für das Internet gehen? Denkst du, das wird der nächste große Schritt?
Ich denke, dass das Video der Weg ist, den man gehen sollte. Interaktive Videos – davon werden wir mehr sehen! Ich für meinen Teil werde immer noch traditionelle, unbewegte Fotografie betreiben, aber ich werde weiterhin die Grenzen austesten. Ich denke, dass wir auch viel mehr Teamwork zwischen Individuen mit Kernkompetenzen sehen werden. Professionelle und bahnbrechendes Multimedia kann heutzutage nur noch mit Teameinsatz produziert werden. Ich denke, dass die Tablett-Technologie das Ding sein wird, das neue Wege des Geschichtenerzählens öffnen wird. Für eine Weile, aber nur für vielleicht die nächsten zwei, drei Jahre. Danach können wir wohl erwarten, noch ausgefeiltere Kommunikationswerkzeuge zu sehen.
Es ist schwierig zu sagen, was passieren wird. Es ist unmöglich vorherzusagen. Aber die wichtigste Frage im Bereich Multimedia wird sich niemals ändern: Hast du eine Geschichte?
Eine der ersten Multimedia-Geschichten, die du gemacht hast und die die internationale Aufmerksamkeit erregt hat, war “Wasteland”. Was denkst du, was hat diese Geschichte so speziell gemacht, dass sie zu dieser Zeit derart viel Aufmerksamkeit bekommen hat?
Ich habe keine Idee. Persönlich denke ich nicht, dass sie so großartig war, aber wir haben zwei Dinge geschafft: Erstens kam sie zur richtigen Zeit raus, denn die meisten Fotojournalisten hatten damals noch kein Video mit der „neuen“ 5D Mark II produziert. Und zweitens war die Geschichte selbst – das Thema – faszinierend. Die Geschichte handelte von einem Ort, von dem nur wenige Menschen wussten, dass er existierte. Und nachdem wir die Geschichte produziert hatten, gingen plötzlich VIELE Fotojournalisten dorthin.
Ja und vielleicht – zurückkehrend zu einer Frage vom Anfang – weil sie visuell höchst überwältigend war.
Sicher! Es war Brent, der das Stück bearbeitet hat und ich hätte es wahrscheinlich auf eine ganz andere Art gemacht. Ich war noch nie ein Fan der fortlaufenden Musik. Aber weißt du, mit jeder Geschichte, die du machst, lernst du etwas.
Ja, sicherlich. Wo wir beim Thema 5D sind: Wie siehst du den Schritt zum Video? Deine letzte Geschichte „A matter of decency“ hatte mehr Videoelemente als deine Arbeiten zuvor. Denkst du, das wird zunehmen oder wird Fotografie immer noch eine wichtige Rolle in Multimedia spielen, auch auf lange Sicht?
Ich denke, dass Fotografie stark bleiben wird, sie ist zu wichtig, um sie auszulassen. Wir wollten nur mit Video arbeiten und experimentieren. Ich kann mir gut vorstellen, in der Zukunft viele Geschichten zu machen, die auf unbewegter Fotografie aufbauen. Es scheint, dass jeder – inklusive mir/uns – sich der Verwendung von geringer Tiefenschärfe den 5D-Mark-II-Videos zugewendet hat. Es ist jetzt nur ein Hype. Für einige Videogeschichten funktioniert das gut und für andere ist Fotografie großartig. Ich denke, dass es auf die Umstände ankommt: den Ort, die Geschichte, die verfügbare Zeit. Es ist einfach, sich zu sehr von den neuen Werkzeugen faszinieren zu lassen – dem Video, der Bearbeitung und Nachbearbeitung. Aber manchmal lassen sich Geschichten einfach besser über Videos erzählen. Es kommt auch auf den Kunden an! Auf den Malediven haben wir für einen klassischen französischen TV-Sender produziert und ich denke, dass sie von uns erwartet haben, viel im Videoformat zu liefern.
Natürlich. Ein paar meiner Kunden sind immer noch sehr konservativ. Sie wollen beides, aber dann einen Film und Fotografien für unterschiedliche Zwecke.
Oft machst du ja nicht nur Multimedia-Geschichten, sondern kreierst auch ganze Webseiten um diese Geschichten herum. Für wie wichtig hältst du diesen Teil der Arbeit?
Ehrlich gesagt denke ich, dass wir Erstaunliches machen könnten, wenn wir nur das Budget dafür hätten. Die meisten unserer Sachen sind selbst finanziert und ich sehe es nur als eine Gelegenheit, auch die Dokumentation zu liefern. Unsere Geschichte über die Asylbewerber ist eine sehr komplizierte Geschichte und beinhaltet sehr viel zusätzliches Material. Wir wollten da einfach noch einige zusätzliche Kerninformationen reinbringen. Wenn man eine klassische lineare Geschichte macht, dann ist die Geschichte selbst am wichtigsten. Einige unserer Kunden wollen nur, dass wir zusätzliche Ebenen einbauen, Grafiken und so was. Für mich geht es auch darum, eine neue Geschichte in ihrem eigenen Umfeld zu präsentieren. Das haben wir mit der Asyl-Geschichte getan, obwohl es SEHR grundlegend ist. Aber wir wollten auch die Möglichkeit bereitstellen, diese Geschichte einzubetten. Wir hatten nur wenige Betrachter der Geschichte auf Vimeo und YouTube, aber Tausende Besucher auf der Hauptseite.
Multimedia ist immer noch ein hartes Geschäft, wenn es darum geht, damit Geld zu verdienen. Du hast auch erwähnt, dass viele deiner Geschichten selbst finanziert sind. Wie lässt du deine Arbeit fördern und wie kannst du davon leben? Und wie siehst du diese Situation in der Zukunft?
Einige Geschichten sind selbst finanziert und andere sind gefördert. Ich werde eine Geschichte immer erzählen, wenn ich denke, dass es wichtig ist, auch wenn ich nicht das Geld dafür habe. Das ist ja nicht nur Arbeit für mich. Es ist Leidenschaft und eine Verpflichtung, die mit der Arbeit einhergeht. Betriebe fördern einen Teil und wir bewerben uns auch für Förderungen. Bisher war BFC ein Seitenprojekt neben dem, was wir alle zum Überleben tun – normale Fotografie und Video-Arbeiten für verschiedene Kunden. Wir waren nie so organisiert wie Mediastorm aus zwei Gründen: Erstens wollten wir uns erst international etablieren, bevor wir Geld und Zeit in eine Firma investieren. Und zweitens wollten wir sichergehen, einen Markt zu haben und davon leben zu können, bevor wir den nächsten Schritt machen. – Und so sind wir aktuell dabei, diesen nächsten Schritt vorzubereiten. Momentan sind wir nicht sicher, ob es BFC in ein paar Monaten überhaupt noch geben wird. Es war für uns ein Kindergarten und nun sind wir bereit, uns auszuprobieren. Im Team zu arbeiten ist essenziell. Der Markt – insbesondere der unternehmerische – verlangt viel, also ist es nicht möglich, hochqualitative Arbeit abzuliefern, wenn man allein arbeitet. Wir werden also mehr Unternehmen sehen, überall in Europa.
Das leitet ja perfekt zu meiner letzten Frage über: Was kommt für Bombay FC und dich persönlich als nächstes? Sind größere Projekte oder Geschichten in Aussicht?
Wie ich sagte, arbeiten wir an etwas. :-) Aber ich kann darüber noch nichts verraten. In meinem Kopf trage ich immer einen Katalog von Geschichten mit mir herum, die ich machen möchte. Aber ich bin sehr flexibel und auch gelassen mit den Dingen. Seit ich ein Kind habe, ist mir klar, dass ich kein „großer Name“ im Fotojournalismus werden kann. Die Familie ist mir zu wichtig, als dass ich so viel reisen könnte wie früher. Also kann ich mich gut als Produzent sehen, der für andere Leute in dem Bereich arbeitet – Leute wie du. Aber ich bin mir sicher, dass wir 2011 ein paar Geschichten produzieren werden. Ich bin offen für Kollaborationen mit jeden, der spielen will, aber erst mal abwarten, wie die Dinge sich entwickeln.
Großartig! Danke für deine Zeit, Poul, das war interessant. Ich bin gespannt, was da in den nächsten Monaten kommen wird.