07. März 2011 Lesezeit: ~15 Minuten

Im Gespräch mit Ben Chesterton

Heute wollen wir euch keinen Fotografen vorstellen, sondern einen Radioproduzenten, der mit Fotografen Multimedia und Fotofilme produziert. Den ersten Kontakt mit Benjamin hatte ich vor etwa einem Jahr über eine meiner Multimediageschichten aus Rwanda. Seitdem standen wir in regem Kontakt, vor allem aufgrund unserer beider Arbeit in Afrika und den daraus entstehenden Diskussionen über das Bild der Entwicklungsländer in den Medien.

Benjamin vertritt klare Standpunkte, die unter Fotojournalisten oft nicht gern gehört werden, aber an denen ebenso oft viel Wahres dran ist. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, was Ihr beim Lesen dieses Interviews auch feststellen werdet. Ihr findet Benjamins Arbeiten unter http://duckrabbit.info und seinen Blog unter http://duckrabbit.info/blog.

Hey Ben, stell dich am besten erst einmal vor und erzähl etwas über deinen Hintergrund.

Ich bin Benjamin Chesterton und habe Duckrabbit vor einigen Jahren zusammen mit dem Fotografen David White gestartet. Mein Hintergrund sind Radio-Dokusendungen für die BBC, das habe ich zehn Jahre lang gemacht und geliebt. Außerdem habe ich eine Zeit lang in Äthiopien und Kenia gelebt und dort Medien-Entwicklungsprogramme mit einem Fokus auf Gesundheit und HIV/AIDS aufgebaut. Wir haben Radioprogramme gemacht, Journalisten trainiert und in Kenia auch zur humanitären Situation gearbeitet, die aufgrund der Gewalt nach den Wahlen herrschte.

Mit Duckrabbit produzieren wir Fotofilme, sprich Multimedia. Wir haben einen Blog und trainieren auch andere in Workshops.

Wie hast du angefangen, mit Fotofilmen zu arbeiten? Du hast ja mehr den Radio-Hintergrund.

Ja, das ist eine gute Frage. Ich liebe Fotografie – aber natürlich arbeitet man im Radio nie mit Bildern. Lange habe ich Radioprogramme gemacht und wollte mich irgendwann mit etwas anderem beschäftigen. Aber ich war auch nicht wirklich daran interessiert, mit Film zu arbeiten. Nach den Ausschreitungen in Kenia arbeitete ich im Rift Valley mit lokalen Radiostationen. Dort sind damals viele Menschen vertrieben worden, also suchten wir nach einem Weg, die Radiojournalisten in die Flüchtlingslager zu bekommen, anstatt dass sie nur mit den Politikern sprechen.

Das lief so ab, dass ich mit dem Fotografen Delphine Emali in die Camps gefahren bin, wir Fotos gemacht und diese dann mit Interviews von den Menschen verbunden haben. Das haben wir dann den Radiostationen gezeigt. Es war für sie eine Motivation, in die Camps zu gehen und mit den Menschen zu reden, weil sie auf einmal sehen konnten, was für einen Einfluss es haben kann, von dort zu berichten. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, dass Fotofilme ein kraftvolles Medium sind, um Dinge zu kommunizieren.

Als ich wieder zurück war, habe ich dann vor etwa zwei Jahren Duckrabbit gestartet.

Bei mir ist es ähnlich, nur dass ich von der anderen Seite komme, von der Fotografie. Ich habe das Gefühl, dass eine Geschichte mit Audio als zweitem Medium eine komplett andere, tiefere Dimension erhalten kann. Und Video ist manchmal sehr schnell und lenkt ab, da ist die Kombination von Audio und Foto oft intimer.

Ja, genau, intimer und authentischer. Ein Radioproduzent arbeitet, genau daran, das zu erreichen. Man denke einmal über die Wortwahl nach: „we take a photograph, but we give an interview“. Es ist eine andere Philosophie. Wir nehmen etwas von jemandem, wenn wir Bilder machen, während Audio uns von jemandem gegeben wird.

Dabei ist Fotografie oft viel künstlerischer, während Audio pragmatischer ist, funktionaler. Fotografie kreist mehr um den Fotografen, während der Audiointerviewer eher unsichtbar bleibt. Das ist auch eine der Stärken dieser Kombination.

Bei Fotografie weiß man immer, dass sie selektiv ist, dass da jemand hinter der Kamera ist. Aber wenn man darüber nachdenkt, wie viele Menschen visuell orientiert sind…

Das Internet ist ein visuelles Medium, das mit Worten und Bildern gemacht wird. Und um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen, ist das etwas, worüber man nachdenken muss. Wenn man sich beispielsweise die Emmys vom letzten Jahr ansieht, bei denen die New York Times mit ihrer Serie ‚One in Eight Million‘ gewonnen hat – die auch nur eine simple Kombination von Audio und Stills ist – und sich auch andere Projekte anschaut, dann hat die Fotografie dort einen großen Anteil. Dann sieht man, dass die Fotografie nicht verschwindet, wie manche vermuten.

Ja, ich denke auch, dass gerade die Kombination sehr stark ist, wenn man verschiedenen Medien Video, Fotografie und Audio miteinander verbindet. Man muss sich nur über ihre jeweiligen Stärken bewusst sein.

Absolut richtig. Wir alle werden uns weiterentwickeln und dabei viele Verbesserungen in der Zukunft erfahren. Es ist gerade nicht das erste und einzige Mal, dass sich etwas in dem Business verändert.

Ich glaube, solange man offen bleibt und sich mit den Veränderungen weiterentwickelt, ist es auch okay. Problematisch wird es nur, wenn man versucht, an dem festzuhalten, was man immer hatte und das nicht loslassen will.

Ja, du triffst den Nagel auf den Kopf. Das ist genau das Problem, das der Fotojournalismus heute hat. Es ist eine total nach Innen gekehrte Industrie, die jetzt versucht, ihren Teil des Kuchens zu behalten, was das größte Problem ist. Beispielsweise die Anpassung an neue Technologien: Viele haben gedacht, dass Multimedia die Erlösung sein würde. Aber wenn die einzige Idee dazu Paywalls sind, dann wird es nicht funktionieren. Dabei ist ein Markt vorhanden, weil es einen Markt für Videos gibt. Man hat einfach zu kurz gedacht. Aber das verändert sich langsam.

Es gibt ja neue Ideen, die Projekte zu finanzieren, wie es z.B. emphas.is jetzt mit Crowdfunding versucht. Aber für mich fühlt sich das auch nur wieder nach einem Versuch an, das zu behalten, was man bereits hat und nur einen anderen Weg der Finanzierung zu finden. Anstelle dessen sollte man sich viel mehr fragen, warum es nicht mehr funktioniert wie bisher, was sich eigentlich verändert hat. Es ist genauso wie mit NGOs, die vor einiger Zeit als die Retter des Fotojournalismus galten…

Ja, und für mich ist es die Philosophie, die dahinter steckt. Warum? Ich meine, geht es bei emphas.is nicht darum, Fotografen weiter Fotos machen zu lassen? Okay. Aber dann Projekte zu unterstützen, die umsonst an die Zeitungen weitergegeben werden, heißt doch nur, dass man am Ende den Guardian damit finanziert. Und das will ich nicht. Ich bin auch nicht interessiert daran, die Bilder immer der gleichen Fotografen und ihren Blick auf die Welt weiterhin zu sehen.

Ich habe das so oft gesehen, es langweilt mich. Es erzählt mir nichts Neues von der Welt. Ich bin viel mehr an den Geschichten interessiert, die mir Menschen vor Ort erzählen. Das alte Modell – wir fliegen hin, bleiben zwei oder drei Wochen, machen Bilder und dann wird es zusammen redigiert, dass es nicht mehr die Tiefe hat, die es verdient – wer will das noch?

Wenn es für sie funktioniert, super! Es ist immer gut, etwas auszuprobieren. Ob es ein nachhaltiges Modell ist? Ich glaube nicht, aber ich glaube auch nicht, dass sie das glauben. Und aus der Perspektive der Veränderung ist das Modell tot.

Es ist auch interessant zu sehen, wie das klassische Modell, das du beschrieben hast, sich durch das Internet verändert. Es gibt so viele neue Wege und eigentlich kann jeder seine Geschichte erzählen, man denke nur an Facebook. Als wir in Rwanda an unserem Projekt ‚With our own eyes‘ gearbeitet haben, nutzten alle Teilnehmer diese Medien wie selbstverständlich und ich bin mir sicher, dass Facebook heute eine der besten Quellen ist, wenn man etwas über das alltägliche Leben in Rwanda erfahren will.

Klar gibt es viele Geschichten, die nicht auf diesem Wege erzählt werden, die auch Aufmerksamkeit brauchen. Aber zumindest verändert es viel in der Geschwindigkeit, der Bedeutung der klassischen Medien und der Art von Fotografie, die wir aus Entwicklungsländern gewohnt sind. Man denke nur an die Geschichte mit schwarz-weiß Bildern von Afrika.

Ich bin von all dem einfach müde. Es ist einfach unglaublich:. Wir sind im Jahr 2011 und Menschen rennen rum mit ihren Kameras, als wären es die 70er und sie wollen die Welt retten. Und das ist der Grund, warum Fotografen in Uganda Kinderleichen ausbuddeln lassen. Und wenn wir uns die World Press Awards anschauen, dann gibt es dort so viele Bilder von Tod und Leid.

Warum sind das die besten Fotos? Warum ist das grauenvollste Bild auch das beste? Was ist der Sinn hinter so einer Fotografie? Wenn du Menschen zum Nachdenken anregen willst, dann ist das Bild eines toten Körpers das einfachste Bild der Welt, weil es natürlich hochgradig bewegend ist. Aber warum glauben wir, dass das die besten Bilder sind? Fakt ist, dass nun andere kommen, die Kamera brillanter nutzen und das hoffentlich viel verändern wird.

Denn es ist ja auch so, dass so eine Form der Fotografie eine Form von Rassismus kreiert, die uns glauben lässt, dass diese Menschen nur leiden, dass sie total verschieden von uns sind und weniger wert, Aliens. Und niemand will einem Alien helfen. Am Ende schafft es einfach Lügen und Fotofantasie. Es geht nur noch um den Stil, nicht um die Substanz dahinter, die Geschichte. Und es schafft mit Sicherheit keine größere Verbindung mit den Situationen.

Es ist ein klassisches Beispiel dafür, wie weit wir eigentlich von einem intellektuellen Ansatz entfernt sind, wie wir eigentlich unsere Geschichten erzählen. Fakt ist, das ist keine Geschichte. Es geht um mich, den Fotografen, der in Kaschmir, in Uganda, wo auch immer ist, aber es erzählt mir nicht wirklich etwas über die Situation. Und dann Statements zu machen, dass einem die Menschen wichtig sind, während man Bilder macht, die so vollkommen gegen diese Aussage sprechen, das ist in vielerlei Hinsicht sehr anmaßend.

Die Ästhetik sollte Teil der Geschichte sein, aber wenn es nur noch um die Ästhetik geht, die Ästhetik also die Geschichte produziert… Beispiel: Hier haben wir die schwarze Prostituierte, hier den weißen Freier, dessen Gesicht man nicht sieht. Das ist einfach nur ein rassistisches Bild von Afrika, wenn es so einen Ort überhaupt gibt. Ästhetisch ist es brilliant, natürlich, weil es inszeniert ist, jeder kann das.

Fotografen mit Integrität machen so etwas nicht. Aber wenn Fotografen nicht für ihre Integrität gefeiert werden, dann ist doch alles möglich. Und das ist traurig. Und es ist noch trauriger, dass niemand etwas sagt. Viele sind so abgehoben von ethischen Überlegungen. Und viele sind es nicht, aber es gibt keine Diskussion. Mir ist schon erzählt worden, dass viele sich fürchten, etwas zu sagen, weil sie Angst haben, dann keine Jobs mehr zu bekommen, auch wenn es die sowieso nicht gibt. Das ist doch ein Desaster.

Und es ist manchmal traurig zu sehen, dass Geschichten, die nicht in eine bestimmte visuelle Sprache passen, deshalb nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdient haben.

Aber am Ende ist es doch so: Niemand ist interessiert an Andy Spyras Bildern aus dem Kaschmir, nur Fotografen sind es. Die Bilder erreichen nie eine große Öffentlichkeit. Und dann ist da die Idee, die Welt zu verändern. Wenn du wirklich die Welt verändern willst, läufst du wohl kaum herum und machst Bilder.

Humanitäre Helfer verändern etwas. Lehrer, Sozialarbeiter machen es und Fotografen machen es auch, aber es ist wichtig, einen kritischen Dialog darüber zu führen, was Fotografie leisten kann und was nicht. Und wenn es nur um die Ästhetik geht, dann lasst uns doch sagen: Ich mache Kunst. Ich gehe an Orte des Leidens, um Kunst zu machen. Ich denke zwar, dass das ziemlich traurig ist, aber lasst uns ehrlich sein.

Ich will mit meiner Arbeit immer für ein besseres Verständnis sorgen, Menschen dadurch mit Situationen und Geschichten verbinden, anstatt nur ein Gefühl von Mitleid auszulösen. Das ist die einzige Motivation, es zu machen. Aber ich denke auch, dass es viele gibt, die einer ähnlichen Motivation folgen.

Natürlich, es gibt viele. Aber da sind nicht genug, die es so machen. Und auch die Idee, Menschen durch Bilder eine Stimme zu geben, ist doch Quatsch. Wir können ihnen eine Stimme geben, indem wir ihre Stimme aufnehmen. Oder wir ihnen zeigen, wie sie die Kamera selbst nutzen können, so wie du es in Rwanda gemacht hast. Ästhetik als die erste Priorität zu sehen, das ist okay. Aber dann zu sagen, man will Menschen eine Stimme geben, das ist falsch.

Ein weiteres Thema, worüber ich gern mit dir sprechen würde, ist ‚A Developing Story‘. Das ist eine Website, die ich mit einem Freund aufgebaut habe. Es geht darum, Arbeiten aus Entwicklungsländern zu präsentieren, die ein breiteres Bild zeigen, die interessanter sind und uns einen anderen Blickwinkel auf Entwicklungsländer geben.

Klassicherweise haben wir diese Geschichten durch Mainstream-Medien erzählt bekommen, die eher schlecht darin waren, sie zu erzählen. Und wir wollten mit dem Projekt zeigen, dass viele NGOs sehr gute Arbeit dabei leisten, diese Geschichten zu erzählen. Wir wollten es zu einer Inspiration für NGOs machen, die dazu anregt, uns aus Entwicklungsländern ein offeneres und differenzierteres Bild zu zeigen.

Es ist ein großartiges Projekt. Es transportiert viel von dem, was ich auch erlebt habe und ich glaube, dass etwas wie adevelopingstory.org gebraucht wird, wenn wir das Leben in Entwicklungsländern besser verstehen und über diese gefühlte Trennung der Welten hinwegkommen wollen. Zum Abschluss erzähl uns doch noch etwas über den Workflow mit Fotofilmen.

Es ist eigentlich alles sehr einfach: Mach viele Bilder im Querformat, eine große Auswahl an verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven, viele Details. Dann brauchst Du eine gute Audioaufnahme und am besten konzentrierst Du dich auf einen Hauptcharakter für die Geschichte. Vergiss nicht, auch Umgebungsgeräusche aufzunehmen.

Dann alles in Soundslides, iMovie 9 oder Windows Movie Maker importieren oder auch in Final Cut, Premiere, After Effects, wie man es eben mag. Das Programm ist nicht so wichtig. Es muss nicht komplex sein, wir sind ja auch eher simpel gestrickt. All das braucht vielleicht einen Tag, um es zu produzieren.

Und dann muss man es nur noch veröffentlichen. Ich mag die Einfachheit des Ganzen, die macht es brilliant. Am besten einfach mal rausgehen und es ausprobieren. Mach dabei erst einmal kleine Schritte, such dir kleine Projekte für den Anfang. Viele Arbeiten von anderen ansehen und analysieren, das hilft auch ungemein.

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P.S.: Das Interview ist leicht gekürzt, aber wenn ihr Interesse an der englischen Originalversion habt, dann könnt ihr sie euch als Video ansehen.

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