Portraits
24. Juni 2022 Lesezeit: ~8 Minuten

Wer war Zaida Ben-Yusuf?

Die heute fast vergessene Zaida Ben-Yusuf zählte zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrem New Yorker Studio zu den angesagtesten Kunstportraitistinnen der Zeit. Obwohl sie nur wenige Jahre ihres Lebens besonders intensiv der Fotografie widmete, steht sie stellvertretend für zahlreiche „neue Frauen“ ihrer Zeit, die selbstbewusst und selbstständig gegen widrige Umstände aktiv ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalteten.

Esther Zeghdda Ben Youseph Nathan wurde am 21. November 1869 in London geboren. Ihre Eltern waren die aus Berlin stammende Anna Kind Ben-Youseph Nathan und der Algerier Mustapha Moussa Ben Youseph Nathan. Esther, genannt „Zaida“, war die älteste von insgesamt vier Schwestern, die von ihrer Mutter Anna nach der Trennung vom Vater allein großgezogen wurden.

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Zunächst arbeitete ihre Mutter als Erzieherin in Ramsgate an der östlichen Küste der Grafschaft Kent in England. Um das Jahr 1888 herum wanderte sie nach Amerika aus und arbeitete dort als Hutmacherin mit eigenem Ladenlokal. Im Jahr 1895 folgte Tochter Zaida ihrem Vorbild und eröffnete zunächst als Hutmacherin ein Studio auf der Fifth Avenue in New York.

Etwa zur gleichen Zeit nahm sie die Fotografie zunächst als Freizeitbeschäftigung auf. Wo und wie sie das Handwerk erlernte, ist nicht bekannt, doch hatte sie wohl eine natürliche Begabung für die Technik und Kunst, denn ihre Arbeiten wurden von der gehobenen Gesellschaft, die sich für die Kunstfotografie der Zeit interessierte, schnell wohlwollend zur Kenntnis genommen.

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Für das Jahr 1896 lassen sich die ersten Veröffentlichungen in Zeitschriften sowie die ersten Ausstellungen ihrer Fotografien nachweisen. Im gleichen Jahr lernte sie George Davison, den Mitbegründer des Linked Ring, kennen und nahm ab diesem Zeitpunkt an den jährlichen Ausstellungen der Gemeinschaft teil.

Nachdem der Beginn ihrer Karriere als Fotografin so vielversprechend verlaufen war, eröffnete sie im darauffolgenden Jahr ein Studio für Portraitfotografie, ebenfalls auf der Fifth Avenue. Zaida Ben-Yusuf hatte sich große Ziele gesteckt: Sie wollte das amerikanische Pendant zu Julia Margaret Cameron werden und strebte daher an, so viele prominente Persönlichkeiten wie nur möglich zu portraitieren.

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Ähnlich wie etwa Gertrude Käsebier, die zwar 17 Jahre älter war, aber zur gleichen Zeit ebenfalls auf der Fifth Avenue in Brooklyn begann, sich mit der künstlerischen Portraitfotografie selbstständig zu machen, folgte auch Zaida Ben-Yusuf nicht den bildgestalterischen Konventionen der Zeit.

Auch ihre Portraits verzichteten auf übertriebene Posen und die sonst in Portraitstudios üblichen, gemalten Kulissen. Sie konzentrierte sich ganz auf die abgebildete Person in ihrer natürlichen Ausstrahlung und verwendete oft eine interessante, intim wirkende Lichtsetzung, die stille Momente der Einkehr betonte.

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Neben den kommerziellen Portraitfotografien, die sie anfertigte, um als Alleinstehende und Selbstständige ihren Lebensunterhalt zu verdienen, machte sie auch auffällig viele Selbstportraits. Darin experimentiert sie mit dem Ausdruck ihrer Persönlichkeit als Frau und erschuf sich eine eigene künstlerische Identität, die sie selbst erdete und die Aufmerksamkeit anderer erregte.

In den folgenden etwa zehn Jahren arbeitete sie kontinuierlich daran, sowohl international als Kunstfotografin anerkannt zu werden als auch ihren Unterhalt mit Auftragsportraits entsprechend den Wünschen ihrer Kundschaft anzufertigen. Neben diesem „Mittelweg“ in der Fotografie arbeitete sie auch während ihrer aktiven Jahre als Fotografin weiterhin durchgehend als Hutmacherin.

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Ihre Fotografien wurden auf zahlreichen Ausstellungen der bekannten Fotografiegemeinschaften gezeigt und erschienen sowohl alleinstehend, Artikel oder fiktionale Texte anderer Autor*innen illustrierend als auch gemeinsam mit den vielen Artikeln, die Zaida Ben-Yusuf selbst veröffentlichte. Dabei schrieb sie unter anderem zu Themen der Fotografie als auch über ihre zweite Profession, die Hutmacherei.

Bereits im Jahr 1899 hatte Zaida Ben-Yusuf sich eine erstaunliche Bekanntheit und einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. In der Oktoberausgabe der Photographic Times fragte sich der Kunstkritiker Sadakichi Hartmann in einer ausführlichen Vorstellung der Fotografin rhetorisch, „ob es in den gesamten Vereinigten Staaten eine interessantere Vertreterin der Portraitfotografie“ gäbe.

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Für die Weltausstellung 1900 in Paris kuratierte Zaida Ben-Yusuf mit ihrer Kollegin Frances Benjamin Johnston eine Ausstellung mit ausgesuchten Werken amerikanischer Fotografinnen, die anschließend von Frankreich auch noch nach Russland und Amerika reiste und dort gezeigt wurde.

Im Jahr 1903 unternahm sie eine Reise nach Japan, wo sie mehrere Städte besuchte und zahlreiche Facetten des Lebens in Japan fotografierte. Wie breit gefächert ihre persönlichen Interessen (und wie groß vielleicht einfach ihre Begeisterungsfähigkeit) waren, zeigt sich auch an den Themen, zu denen sie nach der Rückkehr sowohl Texte als auch Fotografien veröffentlichte.

Sie zeigte Portraits und Architekturaufnahmen und schrieb neben allgemeinen Berichten ihrer Reisen auch Artikel über die Frauen Japans, die Blumen Japans oder auch die Wohnarchitektur des Landes. Später folgte eine Artikelserie, die sich mit dem Leben in England beschäftigte.

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In diesen ersten Jahren des neuen Jahrhunderts begann Zaida Ben-Yusuf bereits, sich langsam wieder von der Fotografie zurückzuziehen. Sie stellte weniger aus, veröffentlichte weniger Fotografien und schrieb vermehrt Artikel ohne Bezug zur Fotografie. 1905 wurde sie Dozentin für Modeschneiderei in der Abteilung für Hauswirtschaftskunst am Pratt Institute in Brooklyn.

Ihre persönlichen Motive für diesen Schwerpunktwechsel sind leider nicht bekannt. Vielleicht haben sie einfach andere Themen interessiert, vielleicht hatte sie mit der Sprache der Kunstfotografie „alles gesagt“, was sie ausdrücken wollte oder vielleicht folgte sie schlicht ganz praktisch den sich jeweils am lukrativsten darstellenden Möglichkeiten, ihr Geld zu verdienen.

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Im Jahr 1908 verließ sie das Pratt Institute, um eine eigene Modeschule zu gründen. Aus der Welt der Fotografie tauchte sie weitgehend ab und reiste ab etwa 1912 vermutlich viel. Wo sie sich in den Jahren um diese Zeit herum aufgehalten hat, ist weitgehend unbekannt und es gibt ein paar Vermutungen.

Nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs kehrte sie per Schiff aus Europa, wo sie vorher zuletzt in Paris gelebt hatte, nach New York zurück. Später heiratete sie den Textildesigner Frederick J. Norris. Am 27. September 1933 verstarb Zaida Ben-Yusuf im Alter von 63 Jahren in Brooklyn.

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Wie so vielen anderen ihrer Zeitgenossinnen erging es auch dem Werk von Zaida Ben-Yusuf. Beim Schreiben dieser Worte, die ich so oder ähnlich schon in diversen anderen Episoden dieser Serie getippt habe, fühle ich mich wie eine Platte mit Sprung: In den folgenden Jahrzehnten wurden die Fotografien von Zaida Ben-Yusuf beinahe vollständig vergessen und rückten eher durch Zufall wieder ins Licht der Öffentlichkeit.

Frank A. Goodyear III, einem Mitarbeiter der National Portrait Gallery der Smithonian Institution, fielen bei der Vorbereitung einer Ausstellung im Jahr 2003 zwei Fotografien von Zaida Ben-Yusuf in die Hände. Als er große Schwierigkeiten hatte, etwas über das Leben der Fotografin in Erfahrung zu bringen, war sein Interesse geweckt.

Fünf Jahre lang forschte er in verschiedenen Archiven und Sammlungen sowohl in Amerika als auch Europa. So trug er den Großteil der heute bekannten Details über das Leben von Zaida Ben-Yusuf sowie zumindest genug ihrer überall verstreuten Arbeiten zusammen, um eine Ausstellung ihrer Fotografien zusammenzustellen.

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Diese wurde 2008 unter dem Titel „Zaida Ben-Yusuf: New York Portrait Photographer“ gezeigt. Der Kurator hofft, dass diese Ansätze andere dazu inspirieren, die Forschung zu Leben und Werk von Zaida Ben-Yusuf und anderen so gut wie vergessenen Fotograf*innen weiterzuführen.

Durch die Digitalisierung von alten Magazin- und Zeitschriften konnte er leichter nach Stichworten suchen, als wenn er, wie noch vor einigen Jahren üblich, etwa analoges Mikrofilmmaterial hätte durchsehen müssen.

 

Quellen und weiterführende Literatur

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