04. April 2022 Lesezeit: ~7 Minuten

Good Vibes Only: Im Gespräch mit Timo Knorr

„Good Vibes Only“ – ein Titel, der zynischer nicht sein könnte, denn in der Fotostrecke von Timo geht es um seine Depressionen. In Selbstportraits visualisiert er seine Symptome und Probleme, die mit der Krankheit einhergehen. Im Gespräch mit ihm wollte ich wissen, wie ihm die Fotografie bei der Therapie hilft.

Wann und mit welchem Bild hat Deine Serie begonnen?

Das war die Zeit letztes Jahr im September, als herauskam, dass die Impfung nicht so stark wirkt, wie gehofft und eine nächste Welle anstand. Das hat mich nach dem Sommer, in dem sich alles wieder sehr frei angefühlt hat, sehr bedrückt. Mein soziales Umfeld gibt mir sehr viel Kraft und die Aussicht auf neue Einschränkungen war schlimm. Ich war sehr müde von der Corona-Pandemie. Dazu kamen Probleme mit meiner Partnerin – es kam einfach sehr viel zusammen.

In dieser Phase überlegte ich, was ich mit meiner Zeit machen kann und erinnerte mich an meine Selbstportraits von früher. Der Satz „ich habe die Schnauze voll von meinen Antidepressiva“ kam mir wieder in den Sinn und ich wollte ihn visualisieren. Eigentlich war das Ganze als Einzelbild gedacht, aber die Reaktionen in den sozialen Medien haben mich motiviert, weiter zu fotografieren.

Portrait mit Tabletten im Mund

Die sozialen Medien sind ein wichtiger Punkt. Du hast auch eine Aufnahme Deiner Bildschirmzeit gemacht und man sieht, dass Du sehr viel auf Instagram, Telegram, Twitter und Co. unterwegs bist. Wenn ich an Instagram denke, sehe ich diese perfekten Bilder, in denen das Leben und die Menschen möglichst schön dargestellt werden. Ist es nicht wahnsinnig anstrengend, solche geschönten Leben zu sehen, wenn es Dir selbst nicht gut geht?

Ja, ich weiß nicht, ob das bewusst passiert, aber früher hat es auf jeden Fall etwas mit mir gemacht. Besonders, wenn Menschen viel von ihrem Urlaub gezeigt haben. Noch stärker war aber der Vergleich mit anderen Fotograf*innen in den sozialen Medien. Ich war sehr neidisch auf den Erfolg anderer und habe mich noch lange nicht dort gesehen, wo ich gern mit meinen Arbeiten wäre.

Deine Serie ist das Gegenteil dieser typischen Instagramfotos und zeigt echte Bilder.

Ich frage mich, ob es wirklich echte Bilder sind. Sind sie wirklich authentisch oder inszeniere ich mich nicht doch in einer Rolle? Ich beschäftige mich in meiner Therapie viel mit meiner Außenwahrnehmung, meinem Selbstbild und hinterfrage mich sehr viel. Bin ich das in den Bildern? Sind es am Ende nicht einfach doch nur ästhetisch gut fotografierte Bilder?

Bildschirmzeit eines Handys

Du lügst doch nicht über Deine Depression, sondern die ist real und diagnostiziert. Mit „echt“ meine ich, dass Du etwas aus Deinem Leben zeigst, was andere zensieren würden. Zum Beispiel fotografierst Du den vollen Aschenbecher und sagst, Du rauchst zu viel und es tut Dir nicht gut. Während andere solche negativen Seiten in den sozialen Medien ausklammern und eher das geile Essen fotografieren, was sie sich vielleicht nur einmal im Monat machen, aber es so darstellen, als sei es das Normalste der Welt.

Ja, das stimmt. Ich frage mich dennoch, ob ich etwas hinzudichte, damit die Geschichte vielleicht spannender wird. Das zeigt vielleicht auch meine Unsicherheit mit dem Thema und mit mir selbst. Meine Depression hat viel damit zu tun, dass ich nicht genau weiß, was meine Identität ist. Ich frage mich oft, wozu ich diese Strecke mache und ob sie authentisch ist. Ist es eine Ermächtigung für andere oder brauche ich nur diese Likes, um einen Selbstwert zu generieren? Ich bin da sehr chaotisch und verkopft.

Ich kann mir gut vorstellen, dass solche Selbstportraits bei der Selbstfindung helfen.

Ja, langfristig wahrscheinlich. Was ich gemerkt habe, ist, dass sich die Texte zu den Bildern total gewandelt haben. Am Anfang waren meine Texte noch sehr kurz und mittlerweile kann ich ganz konkret benennen, was das jeweilige Thema der Bilder ist und was mich beschäftigt. Das sehe ich als Fortschritt. Diese Texte sind sehr wichtig. Vielleicht sogar wichtiger als die Bilder.

Aschenbecher

Die fertigen Bilder sind ja besonders bei persönlichen Projekten auch gar nicht so wichtig, wie der Prozess zum Bild selbst.

Ja, total! Ich weiß auch nicht, ob die Serie irgendwann fertig sein wird. Vielleicht ist sie nur ein Prozess zur Heilung meiner Depression. Oder zur Akzeptanz.

Ich würde gern noch einmal auf meine Bildschirmzeit zurückkommen. Ich habe gemerkt, dass das Handy meinen Zugang zu Gesellschaft darstellt. Ich isoliere mich oft, fühle mich antriebslos und liege im Bett. Soziale Medien bieten mir einen Zugang zur Welt. Es fällt mir auch leichter, über die sozialen Medien mit Leuten zu kommunizieren, als im aktiven Leben.

Also ist das Foto mit der Bildschirmzeit gar nicht so negativ, wie es zunächst vielleicht erscheint?

Ich habe auf jeden Fall eine Handysucht, das spiegeln mir auch meine Mitmenschen. Diese Sucht ist eins der Symptome meiner Depression. Das Handy dient der Ablenkung, aber bietet auch ein Sicherheitsgefühl. Ich sehe auf jeden Fall viel Negativität in den sozialen Medien. Es ist eine Art selbstverletzendes Verhalten, den ganzen Tag damit zu verbringen, obwohl ich weiß, dass es nicht gut für mich ist.

Gleichzeitig generiert es auch viel Selbstwert, wenn ich sehe, dass Leute meine Arbeit mögen. Das ist aktuell ein positiver Faktor, aber langfristig doch sehr toxisch.

Selbstportrait

Würdest Du etwas zu Deiner Diagnose erzählen und wie Du damit umgehst?

Ich habe vor Jahren eine Verhaltenstherapie angefangen. Damals war die Diagnose zunächst Dysthymie – eine Art leichte Form der Depression. Ich war mit der Verhaltenstherapie aber nie glücklich. Ich habe gemerkt, dass ich nicht mein Verhalten ändern möchte, sondern erst einmal Akzeptanz mir gegenüber brauche. Wie kann ich mein Verhalten ändern, wenn ich gar nicht weiß wozu, weil ich mich selbst nicht anerkenne?

In der neuen Therapie wird jetzt das erste Mal über mittelschwere Depression gesprochen. Diese läuft seit fast einem Jahr.

Wie war das Gefühl, als die Diagnose feststand?

Als ich diese Dysthymie-Diagnose bekommen habe, konnte ich meine Gefühle endlich einordnen und verstehen, woher sie kommen. Das war ein starkes Gefühl. Und ich konnte endlich auch konkret an etwas arbeiten.

Rauchende Person liegt auf einem Sofa

Ich habe den Eindruck, dass es in der Gesellschaft eine bessere Akzeptanz für das Thema gibt, als noch vor ein paar Jahren. Wie siehst Du das?

Ja, da haben Promis auch einen großen Einfluss. Kurt Krömer zum Beispiel geht sehr offen mit seiner Depression um und gibt damit vielen Menschen das Zeichen, dass es in Ordnung ist und dass es mehr Menschen gibt, die so fühlen, als man vielleicht denkt.

Heute trauen sich viel mehr Menschen, offen darüber zu reden. Und das ist wichtig, auch in anderen Themenbereichen. Nur so platzt vielleicht auch diese perfekte Blase der sozialen Medien.

Ich denke, dabei kann Deine Serie auf jeden Fall auch helfen. Vielen Dank für das Gespräch und Deine Offenheit!

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