Doppelt hält schöner
Als ich nach einer längeren Pause vor zirka sieben Jahren wieder in die „ernsthafte“ Fotografie eingestiegen bin, haben Doppelbilder von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt. Im Gegensatz zu geplanten Ideen und Projekten, bei denen ich vorher – zumindest ungefähr, der Rest ergibt und ändert sich beim Fotografieren – weiß, was ich will, sind die Doppelbilder uneingeschränkt spontane Bilder, deren Ideen und Umsetzung erst beim Betrachten am Rechner entstehen.
Es gibt Modelle, die nach jedem Klick der Kamera ihre Pose wechseln und eine andere Emotion zeigen. Dann ist immer Bewegung und Action drin, da muss ich dann nicht selten unterbrechen und um Bewegungsruhe bitten, wenn ich einen Ausdruck besonders schön finde. Ich plane die Doppelbilder nicht. Wenn ich mir die Bilder am PC anschaue, ist das ein rein instinktiver Vorgang: Ich sehe zwei verschiedene, aber doch sehr ähnliche Bilder und mir kommt geradewegs eine Idee.
Meistens setze ich das Doppelbild mit leicht veränderter Emotion hinter das erste Bild, indem ich es ausschneide, das Drumherum anpasse und es gegebenenfalls noch unschärfer mach, da ich meist mit relativ weit geöffneter Blende fotografiere. Manchmal setze ich das Modell auch neben sich selbst, das entscheidet aber grundsätzlich der Moment, wenn ich es sehe. Meist mache ich das mit nahen Aufnahmen, die sich nur auf den Kopf und vielleicht noch einen Teil des Oberkörpers reduzieren. Ich finde das wirkungsvoller als Ganzkörperfotos zu doppeln oder sogar mehrmals zu duplizieren.
Ich komme aus der Musik und sehe viele Parallelen in der Fotografie: Etwa das Improvisieren, also im Moment Ideen zu haben, von denen man vorher noch nichts wusste und diese dann zu einem fertigen Produkt wachsen zu lassen. Ich verliere mich in den Momenten, wenn ich Bilder bearbeite. Es ist wie eine Meditation, eine komplette Fixierung nur auf eine Sache, vollkommen losgelöst von allem, was um mich herum ist. Nichts anderes macht die Musik, wenn wir mit anderen zusammen spielen und in den besten Momenten dabei eins werden.
Allerdings kommt es auch nicht selten vor, dass ich Bilder lösche, an denen ich schon längere Zeit gearbeitet habe, weil das Ergebnis einfach nicht so wird, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sehr oft sind die Augen bei meinen Doppelbildern einmal geschlossen und einmal geöffnet. Ich finde diesen Tag-und-Nacht-Gegensatz besonders ansprechend. Geöffnete Augen symbolisieren für mich Wachsamkeit, Licht, Leben, Farben und andere Menschen wahrzunehmen. In geschlossenen Augen sehe ich eher Verletzlichkeit, Intimität, Genuss, Liebe, aber auch Dunkelheit, Verschlossenheit, Angst und Tod.
Ich mache mir viele Gedanken über das Leben und komme zu keinem guten Schluss. Viele meiner Bekannten kommen aus dem christlichen Bereich und ich beneide sie dafür, dass sie eine Perspektive für später haben. Ich habe keine. Vielleicht sprechen mich deshalb emotionale, dunkle, melancholische Bilder am stärksten an. Ich bin ein großer Freund der skandinavischen Melancholie. „Dieses schöne Scheißleben“ bringt es – für meine Sicht der Dinge – auf den Punkt.
Meine Fotografien sind vorwiegend schwarzweiß, ich finde die Bildwirkung des Reduzierten meist ansprechender. Aber dennoch fotografiere ich nicht ausschließlich schwarzweiß und möchte mich auch nicht darauf festlegen. Es gibt Bilder, die in Farbe einfach besser aussehen. Ich zweifle oft, ob das auch gut ist, dass ich mich da nicht festlege, da dies ja auch ein Merkmal vieler toller Fotograf*innen ist. Aber ich habe mir vorgenommen, dass mir das egal ist, – dass es nur zwischendurch mal funktioniert.
Überhaupt zweifle ich oft auch an meinen Arbeiten, weil das meiste doch eher spezieller Natur ist und ich denke, dass es eh kaum jemanden interessiert. Ich möchte aber auch nicht auf den Zeitgeist-Zug mit orange-braun getönten Bildern – zurzeit auch wieder sehr gern analog – aufspringen. Ich möchte Bilder machen, denen man hinterher nicht ansieht, in welcher Zeit sie entstanden sind. Denn irgendwann wird wieder eine anderes Stilmittel in sein, das dann von vielen benutzt wird.
Viele meiner Bilder neigen auch gern mal zum Absurden. Ich liebe es, Menschen anders darzustellen, als man es gewohnt ist. Da kann schon einmal eine Person ganz normal dastehen und brennen, mit dem Kopf in der Wand stecken oder als Mittelstreifen auf der Hauptstraße liegen, als wäre das alles völlig normal. Man weiß, dass solche Dinge nicht möglich sind und dennoch bietet die Fotografie uns die Möglichkeiten, es so darzustellen. Eigentlich ist doch alles wunderbar (scheiße).
Zunächst einmal, zweidimensional betrachtet, finde ich die Bilder schön. Mit Sicherheit ist das ziemlich anspruchsvolle Fotografie. Und die Idee auch. gut.
Aber dann vermisse ich irgendwie so etwas wie Tiefe in den Gesichtsausdrücken und in der Körperhaltung. Im Titelbild frage ich mich, wohin die Frau schaut. Sie schaut an mir vorbei. Im zweiten Bild fehlt mir die Körperspannung. Die Körperhaltung ist arrangiert und nur angedeutet. Sehr seicht. Das Farbbild könnte auch zwei Puppen andeuten. Die Frau wirkt auf mich innerlich tot. Die letzten beiden Bilder haben für mich mehr Spannung. Wirken etwas tiefer.
Auf mich wirken die Bilder wie Dekoration, aber die Protagonistinnen nicht wie Menschen mit eigener Geschichte. Aber vielleicht ist genau dies auch deren Geschichte- dass sie fremdbestimmt sind. Schon bei der Aufnahme genau den Anweisungen folgten und ihre eigene Seele nicht einbrachten….
P.S. Diese eine skandinavische Melancholie gibt es nicht :-) Aber gerade in den ärmeren Teilen mehr Zufriedenheit und Gelassenheit…
Hallo Kai, – Danke für deine Meinung. Es scheint sich für Dich anders anzufühlen, als für mich,- jeder sieht und empfindet ein Bild anders. Genauso wie die Redakteurin von kwerfeldein ihrem Gefühl gefolgt ist, als sie obige Bilder von mir gesehen hat, die sie für diesen Beitrag ausgesucht hat. Lieben Gruß, Jens
Im Text heißt es u.a.
„Überhaupt zweifle ich oft auch an meinen Arbeiten, weil das meiste doch eher spezieller Natur ist und ich denke, dass es eh kaum jemanden interessiert.“
Zweifel sind gut, sie lassen Raum für Verbesserungen. Wen es interessiert spielt keine Rolle, die Arbeiten müssen zuvorderst den Fotografen selbst überzeugen.
Sehr schönes Fotoprojekt, und ja, als ich las skandinavische Melancholie, kamen mir bei einigen der Bilder auch Eindrücke von den schweigsam aber zufrieden am Lagerfeuer sitzenden Menschen auf. Leider wird dazu zu oft die Melancholie durch Alkoholkonsum ertränkt.
Zum Alkoholkonsum im Vergleich: Liter pro Einwohner über 15 Jahre: Deutschland, 13,4 L, Dänemark 10,4 Liter, Schweden 9,2 Liter, Norwegen 7,5 Liter…. Auch, wenn diese Zahlen aus 2016 stammen, zeigen sie eine halbwegs hilfreiche Einordnung.
Man sollte gewisse Gerüchte einfach mal vor Weiterverbreitung prüfen:-)
Hallo Kai,
noch besser wäre es eine Quellenangabe zu machen!
Ich wäre wirklich interessiert, wie deine Daten zustandekommen, denn leider ist mein empirischer Eindruck in vielen Begegnungen mit Finnen, Dänen, Schweden dieser:
In den angeblich melancholischen skandinavischen Ländern wird möglicherweise weniger, aber dafür viel schneller getrunken, also exzessiv geschluckt. Das ist in Deutschland nur am Ballermann zu sehen…
Und das Gute ist: insgesammt wird weniger getrunken – trotzdem steigen die Suizide…
Schöne Grüße!
Sorry, aber es ist ein Unterschied ob ich jeden Tag ein Glas Wein trinke oder die gesamte Menge einmal in der Woche. Ich war nie als Touri in Skandinavien, sondern immer nur beruflich und habe immer mit den Einheimischen zusammengearbeitet, auch mit Jugendlichen, also Spar mir Dein Googlewissen.
„…Ich war nie als Touri in Skandinavien, sondern immer nur beruflich…“
Das mag für dich ein Argument für deine eigene Wahrheit (im Gegensatz zur Google-Wahrheit?) sein. Für mich zeugt das aber auch von Einseitigkeit…
Wie es ist, am Lagerfeuer beruflich und völlig nüchtern (?) neben besoffenen Skandinaviern Melancholie zu ertränken, davon erzählst du ja leider nichts…
Ach, ich werd‘ schon wieder depressiv, deshalb spar ich dir mein DuckDuckGo-Wissen für eine andere Gelegenheit auf…
Melancholie sieht für mich trotzdem anders als in den gezeigten Fotos aus…
Schönes Wochenende!
Die skandinavische Melancholie, die karibische Lebensfreude, die deutsche Gründlichkeit, der englische Humor, die russische Seele, die orientalische Geschäftstüchtigkeit … sowas sind Schubladen, in die man Individuen nicht stecken sollte.
Ich stimme Kai zu: zu einem fotografischen Portrait gehört auch, den Blick und die Haltung der Modelle zu sehen und ggf. zu kontrollieren, und ich hatte hier auch spontane Assoziationen wie „tot“ und „Blick entgleist“.
Da ich vor einigen Jahren selbst viel mit Models (Amateure, Semiprofis, Profis) gearbeitet habe, weiß ich aber nur zu gut, dass Amateurmodels oft nicht wissen, wie sie schauen oder sich bewegen müssen, und als Fotograf ist man oft so beschäftigt, dass man darauf zu wenig achtet.
Eine sehr schöne Bildidee, und das noch als serielle Arbeit, die geplant und umgesetzt werden will. Das du uns deine Arbeiten hier präsentierst, zeigt auch einen gewissen Grad an Zufriedenheit.
Meine Gedanken dazu:
Durch eine kleine Unsymmetrie in der Symmetrie, wie in den ersten beiden Bildern zu erkennen, entsteht das gewisse Etwas.
Viele Grüße
Michael
Mir persönlich gefallen die Fotos sehr gut. Ich finde auch die Dopplung als künstlerisches Stilmittel interessant. Ich selber nutze auch gerne Spiegelungen oder Doppelbelichtungen. Mich stört es auch nicht, wenn der Blick nicht immer in die Kamera gerichtet ist. Ein „emotionsloser“ Blick ist sicherlich auch immer subjektiv, aber müssen Fotos immer mit Emotionen protzen? Eine gewisse Kühlnis oder Ausdruckslosigkeit können auch begeistern, wobei ich das bei den o. g. Fotos nicht sehe (Ausdruckslosigkeit) Ich musste die Fotos auch länger als 3 Sekunden anschauen, was generell für gute Fotos spricht. Die schwarz-weiß Fotos wirken intensiver als das in Farbe, wobei mir das in Farbe durchaus gefällt.
„Ich mache mir viele Gedanken über das Leben und komme zu keinem guten Schluss.“
Vielleicht reicht es eben nicht nur über das Leben nachzudenken. Man könnte den Tod in wenigstens die Gedanken integrieren, wenn schon nicht ins Leben. Man muss ja keine Perspektive „für später“ haben. Eher für die Gegenwart.
Allein, es bleibt die Leere. Ich sehe sie auch in den hier gezeigten Portraits. Unabhängig ob es Posen sind oder nicht, danke ich für’s Zeigen!
Gute Stunden in Gedanken!
Blogartikel dazu: 26 Kleinigkeiten gegen Langeweile am 05.12.2021 - Meine Link-Tipps der Woche!