Drei Monate danach
Ela Rohwetter lebt im Gewerbegebiet von Swisttal-Odendorf – ein Ort, der direkt von der Flutkatastrophe betroffen war und immer noch ist, wie sie mir am Telefon berichtet. Seit der Flut hilft sie in jeder freien Minute im Dorf und begann kurz nach den Ereignissen auch damit, vor Ort zu fotografieren. Im Interview habe ich mir ihr über die Tage der Flut, die Evakuierung und das mediale Interesse gesprochen.
Hallo, Ela. Dass Du nicht direkt im Dorf, sondern etwas abseits im Gewerbegebiet lebst, war bei der Flutkatastrophe im Juli Dein großes Glück, oder?
Ja, Odendorf ist eines der Gebiete, die stark von der Katastrophe betroffen sind. Durch das Dorf fließt der Orbach, der damals massiv übergetreten ist. Unser Haus steht aber eher am Rand des Dorfes. Vor uns liegt der Bahnhof mit einer tiefen Unterführung und hinter uns sind Felder. Diese beiden Gegebenheiten haben das meiste Wasser abgefangen. Zudem haben wir keinen Keller, weshalb unser Haus unbeschadet blieb. Im Gegensatz zum großen Rest der Gemeinde.
Ich bin am Tag der Flut von Nürnberg nach Bonn gefahren und in Koblenz blieben alle Züge stehen. Die Bahn-App sagte, es gäbe eine Störung im Stellwerk. Was wirklich passiert war, erfuhr ich erst am nächsten Tag in den Nachrichten. Kamen die Warnung bei Dir rechtzeitig an?
Nein, bei uns vor Ort war es das Gleiche. Es war starker Regen angesagt, aber was das bedeutet, war völlig unklar. Bei uns sind an dem Nachmittag der Strom und das Internet ausgefallen, wodurch es auch keine Möglichkeit mehr gab, an Informationen zu kommen.
Als die Handys aus waren, haben wir uns ins Auto gesetzt, um per Autoradio die Nachrichten zu hören. Erst am Donnerstag haben wir dann mehr über das ganze Ausmaß erfahren: Als wir noch bei Kerzenlicht zu Hause warteten, saßen nur 200 m weiter die Leute auf ihren Dächern und hofften auf Evakuierung. Auch auf so kurze Entfernungen gab es also keine Informationsübertragung.
Was habt Ihr dann am nächsten Tag gemacht?
Am Donnerstag kam die Feuerwehr vorbei und meinte, der Damm würde eventuell brechen, daher sollten wir besser ins Obergeschoss gehen und auf keinen Fall die Keller betreten. Es war sehr surreal und so richtig begreifen konnte man das alles gar nicht. Ich weiß zum Beispiel noch, dass ich am Mittwochabend im Regen noch die Mülltonnen vors Haus gestellt hatte, weil am nächsten Tag der Müll abgeholt werden sollte.
Uns fiel dann am Donnerstag ein, dass, falls wir das Haus verlassen müssten, nicht mehr genug Treibstoff im Tank unseres Autos wäre. Also sind wir Richtung Dorf zur Tankstelle gefahren. Nach wenigen Minuten sahen wir Schlammlawinen, übereinandergestapelte Autos und die Tankstelle war einfach nicht mehr da. Sie war komplett überflutet.
Wir sind daraufhin völlig leichtsinnig auf der Suche nach einer anderen Tankstelle herumgefahren, an den Dörfern vorbei und haben langsam besser verstanden, welche Ausmaße diese Flut hatte: Es gab Bauernhöfe, von denen man nur die Dächer sah, weggeschwemmte Häuser, sogar die Autobahn war weg!
Wir kamen nicht weiter und sind dann über Feldwege wieder zurück nach Hause gefahren. Im Nachhinein betrachtet, war das natürlich eine dumme Aktion, denn wenn man mit dem Auto auf einem Feld steht, wenn der Damm gerade bricht – aber als wir losgefahren sind, konnten wir das einfach noch nicht richtig einschätzen.
Also konntet Ihr Euch selbst auch nicht evakuieren?
Wir haben bei unserer Suche nach Sprit viele Menschen gesehen, die zum Teil zu Fuß mit Plastiktüten voller Habseligkeiten und ihren Haustieren auf den Armen an uns vorbeiliefen, um in höheres Gelände zu kommen. Der Anblick hat uns das erste Mal so richtig klar gemacht, was das für eine schlimme Katastrophe ist.
Wir haben selbst zwei große Hunde zu Hause, die keine fremden Männer mögen. Deshalb war uns klar, dass wir nicht in eine der Turnhallen gehen können. Und die Tiere zu Hause zu lassen, kam für uns auch nicht in Frage. Wir wären gern mit den Hunden nach Köln in mein Hauptstudio gefahren, aber wir kamen ja nicht raus aus Odendorf.
In der Nacht von Donnerstag auf Freitag klingelte uns der Nachbar um 2 Uhr raus und sagte, die Feuerwehr gehe mit Lautsprechern rum, jetzt müssten alle evakuiert werden. Wir haben daraufhin nachts wieder Gepäck und Hunde ins Auto geladen und haben erneut versucht, einen Weg raus zu finden. Über Bonn und einige Umwege haben wir es tatsächlich geschafft, so waren wir dann über das Wochenende bis Montagnachmittag in Köln in meinem Fotostudio.
Durftet Ihr dann wieder nach Hause?
Ja. In einer Telegramgruppe des Dorfes haben wir erfahren, dass der Damm wieder sicher sei und wir zurückkehren können. Wir sind nach unserer Ankunft auch direkt zum Dorfplatz gegangen. Unser Haus war eines von vielleicht zehn Häusern in ganz Odendorf, die schon wieder Strom hatten, daher wollten wir Hilfe anbieten. Uns war mittlerweile klar, wie viel Glück wir hatten, also boten wir unsere Dusche und Stromanschlüsse an.
Als nächstes sind wir einkaufen gefahren. Wir haben Isokannen, Desinfektionsmittel, Handschuhe, Lebensmittel und alles, was uns so eingefallen ist, geholt und haben das am nächsten Tag im Dorf verteilt. Stück für Stück haben wir uns organsiert und sind die ersten drei Wochen täglich stundenlang mit einem Bollerwagen voll mit frischem Kaffee, Getränken, Nudeln und Klopapier durchs Dorf gegangen und haben die Leute mit grundversorgt. Wir haben auch Informationen gesammelt und verteilt: Der eine hat das und braucht das; die nächste hat dieses und sucht dafür jenes.
War das THW nicht vor Ort, um Grundversorgung zu leisten?
Doch, das THW, die Bundeswehr und die Polizei waren im Dauereinsatz. Noch als wir in der Evakuierung waren, hatte das THW bereits damit begonnen, die Straßen wieder begehbar zu machen, soweit das eben ging. Die Bundeswehr hatte auf dem Dorfplatz auch eine Versorgungsstation mit Kaffee und Essen aufgebaut.
Das Problem war einfach, dass die Leute in ihren Häusern gearbeitet haben und man nicht mal eben zum Dorfplatz laufen konnte. Man muss sich vorstellen, dass der Schlamm zum Teil meterhoch war. Viele Straßenzüge waren nicht oder kaum begehbar. Sich durch den Schlamm zu kämpfen, war ein unglaublicher Kraftakt und sehr langwierig. Das haben nur wenige Leute auf sich genommen.
Vom äußersten Ende der Orbachstraße zum Zehnthof hat man ungefähr eine Stunde gebraucht. Normalerweise ist das ein Weg von fünf Minuten. Den Menschen hat es also wahnsinnig geholfen, dass man ihnen Sachen und Informationen vorbeigebracht hat, während sie damit beschäftigt waren, ihre Häuser wieder aufzubauen und vom Schlamm zu befreien.
Wie hast Du die mediale Berichterstattung wahrgenommen?
Dadurch, dass wir zuerst kein Internet hatten und danach den ganzen Tag beschäftigt waren, habe ich kaum etwas davon mitbekommen. Was ich mitbekommen habe, empfand ich eher als Effekthascherei. Mir ist bewusst, dass über so eine Katastrophe berichtet werden muss, aber ich habe vor Ort selbst erlebt, wie die Kolleg*innen gearbeitet und Aufnahmen gemacht haben.
Das war teilweise sehr pietätslos: Teilweise wurde in Häuser hineingefilmt, ohne zu fragen. Bei einer Familie wurden die minderjährigen Kinder gefilmt, wie sie den Schlamm rausgeschleppt haben, obwohl explizit darum gebeten wurde, das nicht zu tun. Die Aufnahmen wurden dann sogar trotzdem veröffentlicht. Ich hätte mir da mehr Menschlichkeit gewünscht.
Du hast später auch selbst fotografiert. Wie bist Du zu dieser Entscheidung gekommen?
Nach zehn Tagen habe ich mit dem Fotografieren unter dem Titel „ten days after“ begonnen. Ich kam ja mit den Leuten auch ins Gespräch und erwähnte, dass ich eigentlich Fotografin bin. Ich habe zudem in der Ortsgruppe auf Facebook geschrieben, dass ich im Zuge meiner Verteilung von Kaffee und Essen auch gern meine Kamera mitnehmen würde. Wer Interesse hätte, mich ins Haus zu lassen und die Erfahrungen mit mir zu teilen, sollte sich melden.
Ich hatte ein aufrichtiges Interesse daran, wie es den Leuten geht und mir war wichtig, dass sie wissen, dass ich das nicht aus Sensationsgier heraus tue. Auf meinen Aufruf kam dann auch sehr viel Zuspruch.
Das Fotografieren und die Gespräche waren sicher auch eine Art Seelsorge für die Menschen, oder?
Klar, für viele Leute war es sehr wichtig, das alles noch einmal zu erzählen. Ich habe auch nicht nur die Häuser und die Verwüstungen fotografiert, sondern auch das Familienleben. Viele Häuser sind zweigeschossig. Das heißt, viele Menschen leben in den oberen Stockwerken, während unten die komplette Zerstörung herrscht. Viele müssen draußen kochen, weil es keinen Strom gibt oder die Küchen zerstört wurden.
Das ist auch heute noch nicht anders. Viele haben immer noch keine Küche. Die meisten haben auch keine Heizungen. Mich hat interessiert, wie es den Menschen geht, wie sie sich arrangieren. Die Familie muss ja weiter versorgt werden. Die Leute gehen morgens zur Arbeit und am Abend wird das Haus weiter aufgebaut. Das Leben hört ja nicht auf.
Auf vielen Deiner Bilder sieht man auch kleine Details und Gegenstände. Wie hast Du entschieden, was Du fotografierst?
Eine meiner Fragen war immer, ob es etwas gibt, was gerettet werden konnte. Die meisten haben natürlich während der Flut erst einmal nur sich selbst gerettet, aber am nächsten Tag oder wenn sie aus der Evakuierung kamen, haben sie damit begonnen, im Schlamm und all dem Chaos nach Dingen zu suchen, die ihnen wichtig waren.
Eine ältere Dame hat zum Beispiel jedes Weihnachten eine Krippe aufgestellt und im Schlamm eine der Figuren gesehen und gerettet. Sie verbindet mit ihr die Erinnerung an ihren Mann und die Kinder.
Andere haben ihre Karnevalsorden gerettet oder alte Fotos und andere Andenken. Diese Gegenstände habe ich oft fotografiert, weil sie einen hohen emotionalen Wert haben. Vielen ging es nicht um die verlorene Waschmaschine oder das kaputte Auto, sondern um diese verlorenen Erinnerungen.
Ich habe das Gefühl, dass das mediale Interesse langsam abnimmt. Ist das ein Problem?
Die Öffentlich-rechtlichen berichten schon noch. Ich sehe sie hin und wieder im Dorf. Aber ja, es nimmt ab, was ich aber auch verstehen kann. Es ist schwer, jetzt noch zu berichten, ohne das Publikum zu langweilen. Wenn man keine emotionale Verbindung zur Katastrophe hat, was soll man da zeigen? Die Straßen sind jetzt wieder aufgeräumt und die Häuser sehen von außen sauber aus. Und rein kommt man ohne Kontakte kaum.
Aber es muss natürlich weiter berichtet werden, denn es wird nach wie vor Hilfe benötigt. Der Winter steht vor der Tür und die Menschen leben zum Teil noch in Häusern ohne Isolation, ohne Fenster oder warmes Wasser.
Was hast Du mit Deinen Fotos geplant?
Ich fotografiere noch weiter. Es ist ein Langzeitprojekt und ich werde auch zu Weihnachten einige Familien noch einmal besuchen, um zu schauen, welche Fortschritte es gibt und wie es ihnen geht.
Ich habe mich dagegen entschieden, die Serie zu verkaufen. Ich hoffe, es klappt mit einer Ausstellung für alle Betroffenen hier im Ort. Im nächsten Jahr gibt es vielleicht auch ein Buch mit den Bildern und zugehörigen Texten.
Wichtig ist mir, dass nichts davon mit einem kommerziellen Hintergrund passiert. Die Bücher sollen für die betroffenen Familien sein und Nichtbetroffene können die Bücher zum kleinen Preis erwerben. Der Gewinn soll zu 100 % in Spenden umgewandelt werden und dem Ort zu Gute kommen.
Wie kann man aktuell helfen?
Ich habe ein privates Spendenkonto über Paypal angelegt. Das Geld geht zu 100 % direkt an die Betroffenen hier im Ort. Ansonsten gibt es auch ein Spendenkonto des Ortsausschuss Odendorf e. V.:
Spenden-Kontonummer: DE46 3705 0299 0059 0017 75
Kreissparkasse Köln
Vielen Dank für Deine Arbeit und den Einblick in die aktuelle Situation!