04. Juni 2021 Lesezeit: ~7 Minuten

Im Gespräch mit Simone Betz über BAVARIA

Wenn ich an Bayern denke, dann denke ich – es tut mir wirklich leid – an das Oktoberfest und an Weißbier. Als nächstes fallen mir das Schloss Neuschwanstein und die Alpen ein und das war’s. Ich war bisher selten in Bayern und mir ist natürlich klar, dass dieses Bild sehr einseitig ist. Bayern ist mehr als Sauffest und schöne Landschaften. Wie viel mehr, das zeigt Simone Betz in ihrem Projekt „BAVARIA“.

Um mehr darüber zu erfahren und um endlich ein vielfältigeres Bild von Bayern zu haben, habe ich die Fotografin um ein Interview gebeten.

Du fotografierst für Dein Projekt „BAVARIA“ erfolgreiche Frauen aus Bayern. Wie kam es zu dieser Idee?

Ich komme ursprünglich aus Bayern und habe eine Zeit lang in der Nähe von Köln gewohnt. Ich arbeite viel international und auch in anderen Teilen Deutschlands. Das Bild, das man überall von Bayern hat, ist immer dasselbe: Alle Frauen tragen Dirndl, die Männer Lederhosen. Alles, was die Menschen mit Bayern verbinden, ist traditionell und altbacken.

In Deutschland denkt man noch an die CSU und damit verbunden an alte weiße Männer. Aber Bayern ist einfach so viel mehr. Bayern ist auch jung und vor allem auch weiblich. Es kommen so viele tolle junge Frauen aus Bayern und das wollte ich zeigen.

Frau mit Spritzbeutel füllt schokolade in Behälter

FrauenportraitPralinen

Tamara Seidenglanz: Konditorin, Unternehmerin, Vizeweltmeisterin der Jungkonditoren, Vorstandsmitglied der Jungen Konditoren

Wir sprechen gerade am Telefon und ich höre, dass Du aus Franken kommst. Bayern und Franken macht für Dich keinen Unterschied? Ich frage das, weil ich schon hin und wieder zurechtgewiesen wurde, wenn ich eine Fränkin als Bayerin bezeichnet habe.

Klar gibt es zwischen Franken und Bayern Unterschiede und eine kleine Rivalität. Wobei ich das auch etwas lächerlich finde. Es kommt darauf an, wer mich was wo fragt. Momentan wohne ich in Forchheim und wenn ich in Nürnberg unterwegs bin, heißt es, ich komme aus Forchheim. Da gibt es die erste lokale Schwelle. Wenn ich etwas weiter rausgehe, heißt es, ich komme aus Franken und noch weiter weg kommt man aus Bayern, weil man Franken nicht mehr unbedingt kennt. Und noch weiter weg bin ich dann Deutsche und irgendwann vielleicht auch Europäerin.

Ich identifiziere mich nicht speziell mit Franken oder Bayern. Ich mag diese Labels nicht so gern und vielleicht wollte ich auch deshalb dieses bestehende Image etwas aufbrechen.

Drei Frauen an einem Bürotisch

FrauenportraitFrauenportrait

Kristina Lunz: Forbes 30 under 30, Feministin, Aktivistin, Mitbegründerin und Co-CEO des Centre for Feminist Foreign Policy, Gender and Coordination Officer bei der UNO

Also labelst Du das Image Bayerns mit dem Projekt um, wenn ich das richtig verstehe? Welche Frauen hast Du dafür ausgewählt?

Alle Frauen, die ich portraitiert habe, sind sehr erfolgreich in ihrem Gebiet. Das war mir wichtig, um Vorbilder zu zeigen. Ansonsten sind es sehr unterschiedliche Frauen. Ich habe zum Beispiel Tamara Seidenglanz portraitiert. Sie ist die beste Jungkonditorin Deutschlands 2017 und Vizeweltmeisterin der UIBC-Junioren-Weltmeisterschaft. Sie macht gerade die erste vegane Konditorei Bayerns auf.

Eine weitere Frau aus meinem Projekt ist Kristina Lunz. Sie ist Aktivistin und hat das Centre for Feminist Foreign Policy gegründet. Geboren wurde sie in einem ganz kleinen Dorf in Franken und hat es durch ihre Arbeit geschafft, mit einem Vollstipendium in Oxford zu studieren. Jetzt arbeitet sie in Berlin und berät Außenpolitiker*innen.

Ich habe Siggi Klein fotografiert. Sie ist Barkeeperin, was ja ein sehr männlich dominierter Bereich ist. Dennoch konnte sie sich bei einigen sehr großen und internationalen Barkeeperwettbewerben gegen die Konkurrenz erfolgreich durchsetzen.

Ebenfalls aus dem Bereich der Gastronomie kommt Kristina Eronina. Sie ist Barista, macht Latte Art und ist eine wahre Kaffeeexpertin. Sie hat vor wenigen Jahren ihr erstes Café in Fürth eröffnet.

Auf meiner Wunschliste stehen aber auch noch mehr Frauen. Zum Beispiel wünsche ich mir noch tolle Frauen aus der Industrie- und Finanzbranche. Ich hoffe, da ergeben sich noch ein paar Zusammenarbeiten. Die Corona-Pandemie macht das ganze Projekt aktuell natürlich nicht so leicht.

Wie hast Du diese Wunschliste erstellt? Es gibt ja sicher keine Liste erfolgreicher Bayerinnen im Internet, oder?

Ja, das ist gar nicht so einfach und ich habe viel gegoogelt und gesucht. Von vielen Frauen auf meiner Liste wusste ich vorher auch gar nicht, dass sie ursprünglich aus Bayern kommen oder noch in Bayern leben.

Barkeeperin

CocktailsFrau in einer Bar

Sigi Klein: Barmeisterin, Hotelmeisterin, Edelbrandsommelière, Gewinnerin des International Martini Grand Prix und einer Vielzahl nationaler und internationaler Cocktail-Meisterschaften, Barmanagerin, Seminarleiterin Gin and Cocktail, Initiatorin der High Spirits Society – Nürnbergs erster Ladies Whisky Club

Wie haben die Frauen denn auf Deine Anfragen reagiert?

Für die Anfragen hatte ich ein Moodboard erstellt, ein Konzept geschrieben und das als Paket an die Frauen geschickt, damit sie sehen, dass ich das Ganze wirklich ernst meine. Sie haben sich sehr geehrt gefühlt. Die meisten Frauen fliegen bisher eher unter dem Radar, obwohl sie großartige Arbeit leisten. Solche Anfragen bekommen sie daher nicht häufig, trotz ihrer Erfolge. Deshalb waren viele auch schnell bereit und haben den Portraits zugestimmt.

Wie hast Du die Fotosessions vorbereitet? Wie möchtest Du die Frauen zeigen?

Ich habe mir lange Posen überlegt, mit denen man die Stärke der Frauen in den Portraits zeigen kann, ohne in Klischees abzudriften. Ich muss zugeben, dass ich mich dabei viel an Portraits von Politikern orientiert habe. Die männlichen Posen sind oft leicht von unten fotografiert, wodurch viel Stärke und Kraft gezeigt wird.

Frauen werden viel häufiger von oben fotografiert, um das Gesicht hübsch in Szene zu setzen. Oft mit etwas Weichzeichner dazu oder zumindest sehr weichem Licht. Das wollte ich auf keinen Fall. Meine Frauen sollen sich so stark zeigen, wie sie sind. Dafür darf das Licht auch etwas kantiger sein und die Perspektive von leicht unten.

Frau vor einem Cafe

Cafe wird eingeschenktBlick in ein Fenster

Kristina Eronina: Barista, Unternehmerin, Vizemeisterin Latte Art Deutschland, Vizemeisterin der Deutschen AeroPress Meisterschaft

Hast Du mit den Frauen auch über ihre Verbindung zu Bayern gesprochen und die damit einhergehenden Klischees?

Ja, ich habe ihnen auch Fragen zum Thema Bayern gestellt und dazu, welche Verbindung sie damit haben. Aber auch Fragen, ob und welche Unterschiede sie zwischen Männern und Frauen in ihrem Berufsfeld wahrnehmen. Ich wollte wissen, welche Herausforderungen sie auf ihrem Weg bewältigen mussten.

Was verbinden die Frauen denn mit Bayern?

Kristina Lunz hat Spezi gesagt, das fand ich sehr lustig. Daran hatte ich in Bezug auf Bayern noch nie gedacht, aber sie ist wirklich sehr beliebt hier.

Hast Du durch das Projekt Bayern für Dich selbst noch einmal neu oder anders entdeckt?

Ja, vor allem weil ich am Ende überrascht war, wie viele tolle Frauen es hier gibt. Ich wusste natürlich, dass es einige gibt, aber dass es so viele sind, war mir nicht bewusst.

Dann bin ich sehr gespannt, bald noch mehr dieser tollen Frauen durch Dein Projekt kennenzulernen. Vielen Dank für das Interview.

9 Kommentare

Die Kommentare dieses Artikels sind geschlossen. ~ Die Redaktion

  1. Mit einer Bildreportage Klischees zu durchbrechen ist gar nicht einfach. Gratulation zu dieser hervorragenden Reportage. Sie ist gelungen und einfach wunderbar!
    Bitte mehr davon!
    Bernd Kockerols

    • Ich war auch mal in Bayern zu Hause, kann aber (vielleicht deswegen?) leider nicht erkennen, was die abgebildeten erfolgreichen jungen Frauen aus Bayern oder Franken von erfolgreichen jungen Frauen in anderen (Bundes-)ländern unterscheidet oder wo die Fotos Klischees über Bayern durchbrechen? Was mir dazu fehlt, wären z.B. Fotos von jungen erfolgreichen Frauen in der CSU, oder anderen Parteien oder in den zahlreichen tollen Brauereien Oberfrankens…ich weiss, dass es sie gibt! Also sehr gerne das Projekt weiterführen…

      Ein Prosit der Gemütlichkeit!

      • Lieber Herr Armin XYZ,
        ich möchte vorausschicken, dass Sie in Ihrem Beitrag die Partei nannten.
        Denn sind es doch die Politiker*innen, die gerne das Klischee von Bayern bedienen. Denken Sie doch einmal an den Auftritt von Edmund Stoiber als Gebirgsjäger oder den von Dorothee Bär (Staatsministerin im Bundeskanzleramt für Informationstechnologie), die gerne im feschen Dirndl auftritt.
        Was ich sagen will: es gibt sie, die Klischees über das alpenländische Bundesland. Und wenn sie bedient werden, dann oft und gerne von jenen, die sich in Bayern ach so modern geben. Nicht zuletzt deswegen ist meines Erachtens die hier präsentierte Reportage so hervorragend: weil sie ehrlich moderne Menschen zeigt.
        Beste Grüße
        Bernd Kockerols

    • Ich wusste nicht, dass man hier die „Partei“ nicht nennen darf, sollte es einen Verstoß gegen die Nettiquette bedeuten, bitte ich um Entschuldigung…aber, so gut kenne ich Bayern, dass ich sagen kann: Es sind beileibe nicht nur die Politiker*innen die Klischees bedienen…

      Wenn auf die Kleidung abgehoben wird: mir wäre es zu wenig, nur kein Dirndl oder nur keinen Trachtenanzug zu tragen um ein Klischee zu „durchbrechen“ nur um dadurch als „moderner Mensch“ zu gelten…

      Das Bedienen von Klischees ist in Bayern übrigens erwünscht – Nicht umsonst wurden die bairischen Trachten als Maßnahme zur Steigerung des Tourismusgeschäfts im 19. Jahrhundert eingeführt. Den Bayern kommen seitdem diese Klischees bis heute also nur allzu gelegen… sie sind beabsichtigt! Unter dem Aspekt des Erfolges gibt es sehr viele erfolgreiche moderne Menschen – in Bayern, aber auch in anderen Bundesländer. Ob sie Klischees durchbrechen? Ich weiss es nicht…

      Schönes Wochenende!

      • Hallo Armin,
        vielen lieben Dank für dein Feedback und die ein oder andere Politikerin steht durchaus noch auf meiner Wunschliste ;-) Ich hoffe du konntest auch durch die Lichtsetzung, die Posen und vor Allem auch durch die Frauen selbst sehen, dass ich auf unterschiedliche Art und Weise versuche diese Klischees zu durchbrechen? Ich bin auch ein Teil „Bayerns“ und kann für mich persönlich nicht sagen, dass ich diese Vorteile besonders mag – und das sogar obwohl ich jahrelang auch auf der Wiesn – im Dirndl – gearbeitet habe. In Bayern gibt es so viel mehr und so viele spannende, inspirierende Frauen die auch als Vorbilder dienen können, dass mir dieses Bild viel zu eindimensional und als Klischee zu platt ist. Ich möchte die Vielfalt und die Vielschichtigkeit zeigen – was aber natürlich auch nicht heißt, dass ich nicht auch gerne ein Bierchen trinke oder mal ein Dirndl trage ;-) aber dahinter steckt eben noch so viel mehr und vor Allem so viele spannende Persönlichkeiten die es zu entdecken und zeigen gibt. Doch diese Aufmerksamkeit bekommen leider vor allem immer Frauen meiner Meinung nach zu wenig… Das war die Intention zu dieser Serie! Falls Du also spannende Frauen kennst kannst du mir gerne ein paar Empfehlungen schicken!
        Alles Liebe,
        Simone

  2. Bild 2 – Frau Seidenglanz an die dunkle Wand angelehnt – ist sehr stark fotografiert: Ausdrucksvoll, cool und in Haltung und Farben sehr lässig und selbstbestimmt. Ich glaube, es sind solche Bilder, die Stärke und Selbstverständnis junger und erfolgreicher Frauen ausdrücken. Die Idee, mit einer solchen Serie ein bißchen Lokalkolorit zu beschreiben, ist definitiv nett und macht neugierig auf weitere Bilder.

  3. Liebe Simone,

    danke für deine ausführliche Stellungnahme! Ein wenig fehlt mir in den Fotos trotzdem, also trotz vielleicht durchbrochener Klischees, der Bezug zu Bayern. Denn du nennst dein Projekt ja „Bavaria“…

    wenn es um Politikerinnen geht, schau einfach mal in den Stadtrat von Forchheim…

    …bei den Brauereien Neder, Greif, Hebendanz oder beim Rittmeyer gibt es sicher auch tolle Frauen…

    Schönes Restwochenende und Grüße und gutes Gelingen!

    Armin

    • Hallo Elisabeth Müdsam!

      Ich wusste bisher nicht, dass „Essen, Trinken und irgendwas mit Feminismus“ Berufe sind.
      Noch dazu für Frauen typisch?
      Wenn dem so wäre, bin ich eine Frau.
      Ich esse und trinke aber rein aus Lebensnotwendigkeit und bekomme, obwohl ich wie alle Menschen darin professionell bin, keinen Cent dafür.
      Allerdings auch nichts für den Feminismus den ich hiermit und auf Umwege betreibe…

      Seltsam!