17. Dezember 2020

Hausbesuche – Spuren und Fragmente

In einer globalisierten Welt gerät das Lokale zunehmend aus dem Fokus. Gesellschaften fragmentieren und die Gefahr, dass wir den Kontakt zu zentralen Fragen des Zusammenlebens verlieren, nimmt zu. Wer sind unsere Nachbar*innen? Was unterscheidet uns voneinander? Und was verbindet uns? Diese Fragen wollte ich in meiner Diplomarbeit behandeln – und musste feststellen, dass das viel schwieriger ist, als angenommen.

In einer Zeit, in der Ausgrenzung und institutionalisierter Rassismus sichtbarer und zugleich von Teilen der Gesellschaft relativiert werden, war es mir wichtig zu betonen, dass Heterogenität der gesellschaftliche Regelfall ist – und schon immer war.

Im Zentrum des Diplomprojekts „Hausbesuche – Spuren und Fragmente“ stand deshalb die Grundidee, dass „Kultur“ kein starres Konstrukt ist, sondern innerhalb und über die Grenzen der eigenen Lebenswelten hinaus stets neu verhandelt wird. Als theoretische Grundlage orientierte ich mich lose am Milieubegriff Bourdieus. Es lag nahe, dass ich dazu einen Blick in unterschiedliche Lebenswelten werfen muss. Also besuchte ich Menschen zuhause.

Um die Vielfalt im Gemeinsamen fotografisch darzustellen und zu vergleichen, wählte ich einen Ansatz, den ich von Thomas Struths Familienportraits übernahm: Alle Familien sollten sich für einen Ort entscheiden, der für sie wichtig ist und sich so aufstellen oder hinsetzen, wie sie sich zueinander sehen.

Dabei war es mir wichtig, dass ein verstellender Ausdruck wie das reflexhafte Lächeln vermieden wird. Thomas Struths Ansatz, dass ein nicht lächelndes Portrait noch einmal eine wahrhaftigere Ebene öffnet, hat mich dabei am meisten überzeugt, obwohl ich in Kauf nehmen musste, dass ein familiärer Habitus (des Fotografiertwerdens) damit unterdrückt werden könnte.

Die gleichartigen Familienportraits kombinierte ich mit Stillleben und Orten in den Wohnungen der Familien, um der individuellen Erzählung der Familie einen wertschätzenden Rahmen zu geben.

Ausschnitt: Bilderrahmen und Vorhang vor Tapete

Gruppe von Menschen posiert auf einem Sofa

Kleintierstall im Garten

Detail eines Sessels

Familienfoto

Badezimmer

Schädel auf einem Möbelstück

Mann mit Hund auf einer Luftmatratze

Wandgemälde

Modellschiff

Familie an einem Tisch

Foto mit Lichtreflex

Fotos im Bilderrahmen

Familie posiert im Wohnzimmer

Schuhe vor einer Balkontür

Foto einer Familie an einer Wand

Familienportrait vor einem Bücherregal

Im Laufe des Projekts, für das ich vier Monate Zeit hatte, wurde mir klar, dass ich die Ausgangsfrage weder befriedigend noch abschließend klären konnte. Das theoretische Problem war in der Frage selbst angelegt: Wenn man davon ausgeht, dass sich Kultur (diesen schillernden Begriff hatte ich zu dem Zeitpunkt, das weiß ich jetzt, nicht ausreichend definiert) im steten Wandel befindet, wie ist es dann möglich, ein statisches Medium wie die Fotografie zu verwenden, um eine Bestandsaufnahme zu machen?

Die praktische Problemdimension wurde aber dringender: Um Vielfalt abzubilden, muss man Vielfalt abbilden. In vier Monaten inklusive Projektentwicklung in einem berufsbegleitenden Studiengang war es kaum möglich, den allumfassenden Anspruch an das Projekt umzusetzen.

Vor allem aus letzterem Grund entschloss ich mich dazu, das Projekt, durch das ich viele liebe Menschen kennenlernen durfte und das wegen der Pandemie nun erst einmal pausieren muss, als Langzeitprojekt fortzuführen.

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