Not macht erfinderisch: Fenstershootings
Plötzlich ist alles anders. Die Corona-Pandemie hat für viele Menschen das berufliche und private Leben umgeschmissen. Viele Jobs sind abgesagt oder wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie wir damit umgehen, ist sehr verschieden. Tanja Deuß hat mich dabei mit ihrem Fensterprojekt sehr beeindruckt.
Statt den Kopf in den Sand zu stecken, hat sie ihre Angebote der Situation angepasst. Und während sie früher ihre Kundschaft in Büros portraitierte, werden Ihr nun für ein Shooting die Fenster geöffnet. Im Interview habe ich sie zur Idee und dem Ablauf eines solchen Fenstershootings befragt.
Wie hat Dich die Corona-Pandemie selbst getroffen?
Ehrlich gesagt, weiß ich es immer noch nicht so recht. Natürlich sind mir Aufträge weggebrochen. Zunächst alle. Sowohl im grafischen als auch im fotografischen und künstlerischen Bereich. Die wegfallenden Grafikaufträge treffen mich böse, da mein Hauptkunde in Bayern sitzt. Dort war ja noch eher Shutdown. Da geht nichts mehr.
Nach der ersten Ratlosigkeit war mir schnell klar, dass die ganze Welt in einem Boot sitzt. Das hat mich seltsamerweise beruhigt. Ich glaube fest an neue Ideen, Kreativität in Krisenzeiten und den Zusammenhalt. Menschen sind anpassungsfähig.
Du hast sicher die Soforthilfe beantragt. Was denkst Du darüber?
Für manche mag sich das jetzt seltsam anhören, aber ich bin froh, in dieser Krise in Deutschland zu leben. Und ich fand die Soforthilfe-Angebote irre gut. Ja, da kann man sich trefflich drüber streiten, aber hier gibt es zumindest eine Soforthilfe. Wir leben in einem gut abgesicherten Umfeld. Nicht alle Bevölkerungsschichten, ich weiß. Aber im Gegensatz zu anderen Ländern verfügen wir über ein gutes Gesundheitssystem. Ich weiß, wovon ich rede. Ich gehöre zur Gruppe der Vorerkrankten und habe durchaus zwischendurch Panik geschoben.
„Aufgeben“ war in meinem Leben noch nie eine Option. Genausowenig wie herumsitzen und heulen, weil früher alles besser war. Nachdem ich die Soforthilfe beantragt und alle weiteren Schritte bei diversen Institutionen eingeleitet hatte, fühlte ich mich schon viel besser und freier.
Hast Du versucht, weiterhin mit genügend Abstand normale Businessshootings anzubieten?
Ja, da ich meine Business-Shootings meist mit meinem 70–200 mm fotografiere, damit bin ich nicht nah an der Kundschaft. Wenn ich es also schaffe, im Vorfeld alles telefonisch abzuklären und alles draußen stattfinden lassen kann, dann wäre das eine Herausforderung – aber möglich. Deswegen habe ich die Angebote „Photo Gap Business“ und „Photo Gap Family & Co.“ ins Leben gerufen. Experimente, die aber gut funktionieren. Der Mindestabstand wird eingehalten und ich fotografiere nur Menschen, die nachweislich in einem Haushalt leben (bei Familien).
Die größeren Produktionen werden jedoch gerade nicht gebucht. Das liegt zum einen daran, dass auch den Firmen das Geld fehlt und zum anderen sicherlich auch daran, dass niemand das Virus ungewollt verbreiten möchte. Völlig verständlich. Und lockere Businessfotografie in Firmen ist natürlich aufgrund der Arbeitssituation nicht möglich. Die Abstandsregelung gilt ja zum größten Teil ebenfalls und ohne Visagistik geht auch nicht viel.
Und deshalb bist Du auf die Fenstershootings gekommen?
Ja, und die machen mir auch am meisten Freude. Denn so können Soloselbstständige wie ich zeigen, dass sie noch für ihre Kundschaft da sind. Und es ist toll, zu sehen, wie stark der Zusammenhalt und Ideenreichtum sein kann, wenn es um die Wurst … Existenz geht. Und es ist auch interessant für mich zu sehen, wie etwa Firmen arbeiten, die Notbesetzung haben. Auch das gibt es natürlich und ist absolut wichtig.
Wie kamst Du auf die Idee?
Leider war es nicht so ganz meine Idee. Meine Foto-Kollegin Ute Gabriel fing in Viersen damit an. Ich war sofort begeistert von der Idee und habe sie angeschrieben, ob ich das hier in Düsseldorf auch anbieten könnte. Wir haben beide einen ähnlichen Bildstil und sie fand die gemeinsame Idee auch super.
Ich arbeitete die Fenstershooting-Idee konzeptionell auf meinen fotografischen Bereich „Businessfotografie“ um. Immer unter dem Motto #wirbleibenzuhause #sindaberfüreuchda. Wir haben uns darauf geeinigt, die Bilder zum gleichen Preis anzubieten und den Hashtag #fenstershooting gemeinsam in allen sozialen Medien zu verwenden. Ute macht mehr im privaten Bereich und ich mehr im Business-Bereich, wobei es sich durchaus jetzt durchmischt.
Welche Menschen nutzen den Service?
Da ich in lokalen Gruppen und in meinen Online-Netzwerken viel damit geworben habe, sind es vor allem selbstständige Eltern, Familien und der lokale Einzelhandel. Da sich momentan so viele Eltern mit ihren Kindern im Home-Office befinden, kann ich meist zwei Fliegen mit einer Klappe fotografieren. Businessbilder für die Eltern und ein privates Bild für einen lieben Gruß an die Familie oder Bekannte. Aber natürlich spreche ich auch meine Leute im täglichen Arbeitsumfeld an. Wie die TMG, meine Druckerei.
Der Preis für ein Fenstershooting ist mit 25 € eher eine Aufwandsentschädigung als ein Verdienst. Wieso hast Du Dich dennoch dafür entschieden?
Die Fenstershootings kosten 25 € pro Bild. Wahrscheinlich ist es noch nicht einmal eine Aufwandsentschädigung. Aber es macht mir und den Kund*innen einfach Spaß. Es ist eine kleine Flucht aus dem Alltag und bleibt so für jeden erschwinglich. Da es meist nicht länger als 20 Minuten dauert, ist es kein Stress. Alle können sich vorher ein paar kreative Gedanken machen und sind auf positive Weise beschäftigt. Eventuell mit der Familie etwas vorbereiten, Utensilien zurechtlegen oder basteln.
Was etwas ausarten könnte, ist, das Fenster zu putzen. Warum sollte ich mehr Geld dafür nehmen? Das käme mir komisch vor. Wir sitzen alle im gleichen Boot.
Wie kann ich mir ein solches Shooting vorstellen? Du klingelst und dann rufst Du Posingideen nach oben?
Ja, fast. Es gibt es ein kurzes Vorabgespräch bzw. eine E-Mail mit Anregungen und ich schicke Beispielbilder. Danach sollte jede*r die eigene Fantasie spielen lassen. Ich gebe natürlich vor Ort noch ein paar Anweisungen, wie man sich am besten in Pose wirft, aber im Grunde müssen die Menschen selbst ihre Ideen finden. Das klappt prima, alle sind sehr motiviert.
Gab es schon Menschen aus der Nachbarschaft, die sich gewundert haben oder andere lustige Situationen?
Oh ja, mehrere. Meine ersten Shootings bei Normi und Denise waren lustigerweise fast nebeneinander und nur durch ein Haus getrennt. Leider habe ich es versäumt, von beiden am Fenster zusammen ein Bild zu machen. Ich konnte quasi vom einen ins nächste Haus fallen.
Bei Petra war es richtig toll. Sie hatte ihre Sessel, einen Tisch und ihr Roll-up auf dem Bürgersteig aufgestellt – die Vorrübergehenden waren sehr neugierig und wir wurden immer wieder von Weitem in kleine Gespräche verwickelt. Da ihr Fenster gegenüber einer Bushaltestelle liegt, haben die Fahrgäste gewunken. Ein Autofahrer hielt an und fragte, ob er auch ein Bild haben könnte. Mit Maske.
Aufsehen erregen wir immer. Und die Menschen auf der Straße lächeln und grüßen, das ist schön. Petra meinte schon, dass man das Prinzip „Straßensessel und Kaffee“ einfach in Zukunft übernehmen könnte. Gute Idee!
Dürfen sich Fotograf*innen aus anderen Städten Euren Fenstershootings anschließen?
Sehr gern, das wäre super!
Wie könnte Deine Kundschaft Dich aktuell sonst unterstützen, wenn sie kein Fenstershooting möchten?
Sie können mich weiterhin für konzeptionelle Businessfotografie buchen und wir können nach der vereinbarten Anzahlung vorplanen. Oder meinen Online-Shop besuchen und Polaroid-Kunststückchen oder Kunst-Magazine kaufen. Das sind allerdings Tropfen auf den heißen Stein. Wenn auch sicherlich sehr hübsche.
Von Gutscheinen und ähnlichem halte ich persönlich nichts. Die könnte ich sicher für Polaroid-Workshops anbieten. Aber das ist mir zeitlich gesehen zu unsicher. Durch die Fenstershootings lerne ich ja auch viele nette Menschen kennen, die eventuell später noch einmal andere Fotos benötigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass, wenn man etwas mit Freude gibt, es auch irgendwann zurückkommt. Karma oder so.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg!