05. Februar 2019

Im Schatten leben – Auf der Straße mit Sebastian Trägner

Obdachlose fotografieren und anschließend mit den Bildern in den sozialen Medien Likes sammeln. Oft ungefragt und sogar von schlafenden Menschen. Das sieht man leider viel zu häufig bei selbsternannten Straßenfotograf*innen. Ich war deshalb zunächst sehr skeptisch, als mir Sebastian Trägner von seinen Fotos erzählte.

Schnell wurde mir aber klar, dass er niemand ist, dessen Kampf gegen Ausgrenzung eine Plattitüde ist. Wenn er von den Menschen spricht, die er auf den Straßen Kölns trifft, sind da ganz viel Leidenschaft und Respekt. Er begleitet sie, hört sich ihre Geschichten an und die Fotos entstehen mehr nebenbei.

Ich bat ihn, für kwerfeldein einige seiner Bilder mit den dazugehörigen Geschichten zu zeigen:

Zwei Männer umarmen sich

Ich sehe Krystof und Ingo jeden Tag und es ist sehr selten, dass beide reagieren. Oft, fast jeden Tag, sind sie betrunken und haben den Kopf gesenkt. Ich habe dies nie fotografiert. Im Sommer aber rief mir Krystof zu. Er schien mich immer und immer wieder beobachtet zu haben, wie ich mit meiner Kamera durch die Straßen gehe. Er fragte: „Würdest Du bitte ein Foto von Ingo und mir machen?“ Ich kniete mich hin, denn ich wollte beide glücklich zeigen, nicht mit gesenktem Kopf.

Später druckte ich dieses Bild zweimal aus und trug es immer bei mir. Als ich irgendwann beide an ihrer Stelle sitzen sah und sie ansprechbar waren, gab ich ihnen ihre Portraits. Mit der kleinen Hoffnung, dass sie positiv in den Tag starten können. Als ich ging, drehte ich mich noch einmal um. Krystof umarmte Ingo und beide lachten. Krystof rief: „Schau – mein bester Freund und mein Foto!“

Ein Mann mit Zeitung

In der Adventszeit habe ich mit Gabriel ein wenig Schokolade gegessen. Er erzählte mir, dass er Süßigkeiten echt gern hat. Vor allem Crêpes. Vor ein paar Tagen war er auf einem Kölner Weihnachtsmarkt, hatte selbst noch etwa 4 € und wollte sich einen Crêpe kaufen. Der Crêpes-Verkäufer aber schenkte ihm einen.

Als Gabriel sich zurückziehen wollte, um den Crêpe zu genießen, wurde er umgehend von der Security aufgehalten. Sie hätten beobachtet, wie er gebettelt und nicht bezahlt habe. Anstatt beim Verkäufer nachzufragen, sprachen sie für Gabriel ein Hausverbot auf Lebenszeit aus.

Mann hält ein kleines Buch

Narbe auf dem Schlüsselbein

Ich verbringe täglich Zeit am Brüsseler Platz. Dem „hippen Ort“ für viele Leute. Auf dem Bild ist Sauer zu sehen. In einer Hand ein Eis und in der anderen ein kleines Buch. Wirre Bewegungen, Drogenrausch. Er setzte sich neben ein junges Paar. Der Mann stand auf und sagte: „Geh weg, Typ, oder es knallt!“ Also stand Sauer auf und setzte sich in die Nähe einiger junger Frauen. Sie schauten auf und die ganze Crew entschied, zu gehen. Sauer war enttäuscht und sagte: „Bevor ihr geht, gehe ich!“ Dann sah er mich und kam zu mir.

Ich fragte ihn, was er für ein Buch bei sich trägt. Er war verwundert, dass ich mit ihm spreche und erklärte mir Folgendes: Ich muss mit diesem Buch in meinen Händen spielen und mir dabei selbst eine Frage stellen, die mein Herz wissen möchte. Das Buch wird immer die Antwort für mich haben. Sauer weinte und er sagte: „Dieses Buch ist das einzige, was ich besitze.“

Ich kam später zurück und sah wieder das junge Paar, zeigte ihnen die Bilder und erklärte die Geschichte dahinter. Ich bat sie, die Menschen mit Respekt zu behandeln oder demnächst einfach nur zu gehen, der Mann aber beleidigte mich.

Mann raucht

Person zwischen Autos

Wie ist es, im Schatten zu leben? Tag für Tag. Sich zu verstecken oder einen Ort zu suchen. Ein Zufluchtsort, um sich zu vergiften. Ich blieb von Anfang bis Ende bei ihm und dann fiel nur ein Wort: Danke! Das Wort kam nicht von mir. Aber von ihm. Er war dankbar, weil er in den Minuten seiner Selbstzerstörung nicht allein war.