Trümmer – Ein Buchprojekt
Es ist fertig! Die Fotokünstlerin Antje Kröger und ich – Autor Daniel Noack – kreierten, schrieben, formten ein Bilderbuch. TRÜMMER! Antje, ich, das Buch, Olaf der Grafiker, die Lektoren, vor und zurück, wo fängt so ein Buch eigentlich an? Ach ja …
Bääähm … da war sie, Antje! Es war der 5. Januar 2018, wir trafen uns bei Tinder. Antje liebt die Kunst, ich liebe die Kunst, so gingen unsere Worte hin und her, bis wir einander treue virtuelle Wegbegleiter wurden. Wir vertrauten uns und mehr aus einer Laune heraus bemerkte Antje: „Daniel, schreib ein Buch über mich!“
Dies war natürlich mehr Floskel als Idee. Die Wochen zogen ins Land, Antje war auf Reisen und ich zu betrunken, als dass ein Treffen hätte stattfinden können Wir trafen uns irgendwann doch, gänzlich von der Buchidee entfernt, Mitte Februar zu einem Essen bei ihr. Dennoch reizte mich dieses Buch irgendwie noch immer. Ich habe noch nie in meinem Leben vorher über einen fremden Menschen geschrieben, so eine Intimität geteilt.
Und so machte ich es also immer wieder zum Thema: „Antje, schreiben wir nun ein Buch?“ Antje wich aus, so gut sie konnte, denn schon beim ersten Treffen wurde klar, dass es kein einfaches Unterfangen zwischen uns werden würde. Wir philosophierten, sprachen über Kunst, aber es drückten sich auch unsere Charaktere durch diese Atmosphäre.
Zu einer Antwort kamen wir an diesem Abend nicht. Ein paar Tage später aber folgte sie per SMS: „Ja, Daniel, wir schreiben ein Buch!“ Ich wusste nicht, ob es das Richtige sein würde, weg von der Écriture automatique, mit der ich mich sonst so beschäftige – über einen Menschen zu schreiben, den ich gerade erst kennenlerne.
Wir trafen uns, eine Woche war ins Land gegangen, nun in der Leipziger Pilot-Bar, die Geburtsstätte von TRÜMMER werden sollte. Ich erinnere mich noch genau an diesen kalten, sonnigen Wintertag im Februar. Es begann ganz ungezwungen mit einem Gespräch, in dem wir darüber sinnierten, was denn genau der Unterschied zwischen Trümmern und Schutt sein sollte, zwischen Kaffee, Kakao und kaltem Hund.
Wir verliebten uns in das Wort TRÜMMER, hielten es fest für einen möglichen Titel, schweiften wieder ab, machten uns Gedanken zu einem Konzept. Ich schlug Antje eine Biografie vor – ghostwritermäßig aus der Ich- oder Beobachterperspektive. Das gefiel ihr nicht. Antje wollte etwas anderes. Vielmehr etwas, was ihre Grundhaltung und Prinzipien in fotografischer Form illustriert festhält.
„Wie soll das gehen?“, fragte ich. Sie entgegnete: „Wir machen eine Fotoband-Biografie, ein Bilderbuch!“ Damit konnte ich etwas anfangen: Wir würden uns fotografische Meilensteine aus Antjes Leben suchen und diese textlich unterlegen und umspielen. Wir rührten im Kaffee und brachen den kalten Hund an, philosophierten weiter: „ … es wäre gut, so Grundprinzipien der (Foto-)Kunst einzubringen … “ Wir landeten zusammen bei der Fibonacci-Folge.
Das Buch sollte zu diesem Zeitpunkt 55 Werke aus Antjes fotografischem Leben enthalten (übrigens kritzelten wir die Fibonacci-Folge zwischenzeitlich auf herausgerissene Zettel, um zu einem Schluss zu kommen). Das hielten wir für eine gute Idee: TRÜMMER als Leitthema und 55 Fotos. Antje ging wie so oft wieder auf fotografische Reise und ich zerbrach mir den Kopf über Trümmer, Staub und Schmutz.
Wir beschlossen ein paar Wochen später, uns wieder zu treffen. Antje versprach, 55 Fotografien herauszusuchen. Sie kam mit 69 Bildern, ich sollte entscheiden, welche herausfielen. Das konnte ich nicht, ich fand sie alle grandios. Also fingen wir an, einfach die Fotos, wie sie irgendwo abgespeichert waren, zu besprechen. Ich hielt es für eine gute Idee, das aufgrund Antjes limitierter Zeit einfach via Handy als Audiomitschnitt aufzunehmen. So tasteten wir uns an die ersten sechs Fotos heran.
Antje gefielen die geschriebenen Geschichten, die ich aus ihren langen akustischen Monologen kreierte, hielt mich aber an, etwas konzentrierter und sachlicher zu arbeiten. Wir trafen uns wieder, tranken Wein und Bier und nahmen die nächsten Geschichten zu neun weiteren Bildern auf. Antje erzählte und ich versuchte, sie irgendwie mit journalistischen Fragen zu leiten, was ihr wiederum missfiel.
„Nein, Daniel, ich möchte erzählen, was ich zu sagen habe und keine Fotografien beschreiben – das sehen die Leute selbst!“ Ich nahm das so an, ließ sie erzählen. Später saß ich auf meinem Balkon und hörte Antjes Erzählungen und nannte sie die „Venus-Nächte“, weil in Wintermonaten die Venus ganz nah dem Mond steht, wie ein kleiner Hund, der seinem Herrchen folgt.
Wir trafen uns wieder und wieder. Antje erzählte. Wir nahmen es auf. Antje war wieder auf Reisen, ich wieder beim Mond und der Venus. Antje korrigierte, lobte und fluchte aus der Ferne, während ich schrieb. Je öfter wir uns trafen, desto mehr stritten wir. Antje rügte mich als faul und unkonzentriert und ich warf ihr Verbissenheit und Egoismus vor.
Ich erinnere mich noch an eine Situation, in der ich hochkant aus der Wohnung flog und mein Heil in der Flucht zur Straßenbahn suchen musste. Antje ist dominant, selbstbestimmt, dennoch klar in ihren Anforderungen, das macht das Arbeiten mit ihr nicht immer leicht. Aber wir hatten ja diese eine Idee, die uns wieder und wieder zusammenbrachte.
Texte und Fotos nahmen nach ein paar Wochen schon zusammen Form an. Antje sagt immer, sie glaubt an keine Zufälle, dem muss ich widersprechen. Denn während wir am Buch arbeiteten, fiel uns auf, dass die Fotografien, die Antje für das Bilderbuch auswählte, bereits genau in der Reihenfolge abgespeichert waren, wie sie nun auch erscheinen sollen.
Es war grandios. Uns rückte der Begriff TRÜMMER wieder ins Gedächtnis: „Ja, genau, was wir hier gerade machen, sind TRÜMMER! Wir haben Fotografien, nehmen Deine Geschichten dazu auf, schreiben, schreiben neu, wir (be-)schreiben Dich, Antje, und die Fotografie!“
Antje war weiter fortlaufend weg und wenn sie da war, hatte sie kaum Zeit, ihre Texte einzusprechen und die bereits von mir geschriebenen zu kritisieren. Antje muss man sich wie folgt vorstellen: Freundlich und offen, wenn man ihr begegnet, aber verdammt schnell kippt die Stimmung von Lob in Missachtung und endloser Unzufriedenheit – deswegen macht es mich stolz, es zu Ende gebracht zu haben. Durch all diese Kritik hindurch. Wir hatten eben diese Idee, die uns zusammenhielt. Bis Mitte Juli war der Inhalt des Buches fertig geschrieben.
Antje kam auch sehr schnell mit den Polaroids an, die zum Cover werden sollten. Diese hatte sie nebenbei während eines Workshops gemacht, weil ihr die Idee eben zu diesem Zeitpunkt kam. Die Fotos sind etwas mehr geworden und die Texte auch, denn es machte nach Umschiffung aller Ärgernisse wahnsinnigen Spaß, mit dieser Frau zusammenzuarbeiten. Mit 101 Fotografien, die es nun sind, ist es genau so richtig, wie es ist. Es sind TRÜMMER, von der ersten vagen Idee über ein Konzept bis zur Verwirklichung.
Es ist Antje und es ist zu einem Viertel „ich“. Menschlich als auch schriftstellerisch habe ich mich weiterentwickelt. Somit ist es nicht nur ein Buch, das Antje in ihren (künstlerischen) Grundzügen beschreibt, sondern auch ein Buch, das andere Menschen entwickelte und formte – durch neue Erfahrungen, aber auch vielen Ungereimtheiten, mit ihren Abszessen menschlichen Daseins.
Wer nun denkt, die Arbeit wäre zu diesem Zeitpunkt zu Ende, irrt gewaltig. Nun kam die wichtige Frage der Vermarktung auf. Da ich als Autor so einiges über Veröffentlichungen weiß, schlug ich Antje vor, das Rohmanuskript an verschiedene Verlage zu senden und abzuwarten, was sie aus dem Projektvorschlag machen würden. Aber nein, auch da hatte Antje eigene Vorstellungen. Sie wollte und will keine kommerzielle Vermarktung, sie möchte ihr Buch, so wie es ist, nach ihren Wünschen umgesetzt.
Deshalb übergab sie dem Mann ihres Vertrauens, Olaf Brandmeyer, das Manuskript zum Layout und Design der TRÜMMER. Er war anfangs genauso überfordert wie ich. Es folgten anfängliche Fehlversuche im August, denn TRÜMMER hatten sich mittlerweile so in unser Hirn gebrannt, dass sie auch eine adäquate Umsetzung im Design forderten.
Ich hatte bereits mit meiner Arbeit zu diesem Werk abgeschlossen und wollte mich meiner eigenen Entwicklung widmen, aber nein, wer einmal mit Antje anfängt, muss es auch zu Ende bringen. Permanent nagte Antje an mir, ich solle doch auch einmal etwas zu den Design-Ideen sagen.
Als ich zum Ersten Mal Olafs Layout-Vorschlag zu TRÜMMER sah, sagte ich: „Nein, Antje, das kann jeder Praktikant besser – ein Foto und parallel ein Text – nein. Das sind keine Trümmer … Trümmer müssen sich auch in der Visualität äußern!“
Und magisch, nach dieser ersten Fehlinterpretation zauberte Olaf grandiose Ideen zur Gestaltung des Buches. Ein uniques Format, unebene Brüche, keine Seitenzahlen, kein Inhaltsverzeichnis. Zwei weitere Monate harter Arbeit folgten, Absprachen, die auch Olaf unter Antjes Regie manchmal nicht so leicht fielen.
Es wurden Schriftproben erstellt, Layout und Formate festgelegt. Vor allem aber half Olaf mit, dieses Projekt auch im Druck professionell zu stemmen, alle Kommunikation mit Druckerei und Hefterei liefen über diesen Mann, der seinen Job so liebt wie kaum etwas anderes.
Weitere Menschen, die wesentlich zur Realisierung (unter Umgehung Antjes charakterlicher Schwankungen) des Bilderbuchs beigetragen haben, waren Dörte Apel und Tobias Crain, die sich die Mühe machten, alle meine fehlerbehafteten Texte Korrektur zu lesen. Das war mit Sicherheit kein einfaches Unterfangen. Ich denke, TRÜMMER ist nicht nur eine Niederschrift Antjes 20-jähriger fotografischer Reise, sondern auch ein bildgewaltiges Werk, das das Leben aller Beteiligten formte und seine Spuren hinterlassen wird.
Noch bis Ende Dezember 2018 sind limitierte Vorabexemplare exklusiv auf Antjes Webseite vorbestellbar, insgesamt aber nur zweihundert Stück.