Bild einer Frau im Akt in blau in einer Entwicklerwanne und an einer Trockenleine.
26. November 2018 Lesezeit: ~10 Minuten

Analoge Hellkammer – digitale Cyanotypien

Einer digitalen Fotografie zur Aura eines Originals ­verhelfen – das war die Idee hinter diesem ­Projekt. Wir haben dazu Handyfotografien mit einem Druckverfahren aus dem 19. Jahrhundert kombiniert. Die Geschichte unseres Projekts begann in einer Sommernacht am Meer in Zingst.

Ich saß mit dem People- und Aktfotografen Ralf Mohr vor der Strandbar, die dort jedes Jahr während des Horizonte Fotofestivals errichtet wird, und wir sprachen über die Veränderungen der Arbeit durch die digitalen Bilder. Wie in solchen Diskussionen unter Fotoenthusiasten üblich, kommt man von Hölzchen auf Stöckchen und plötzlich waren wir bei einem Kunstthema gelandet: dem Verfall der Aura.

Die Sache mit der Aura

In der Kunstwelt galt die Aura eines Werkes, mit der seine Wahrhaftigkeit und seine Einmaligkeit im „Hier und Jetzt“ beschrieben werden, lange als zentrales Merkmal wahrer Kunst. Solange zumindest, bis sich Kunstwerke technisch reproduzieren ließen und man deren Aura in der Vervielfältigung nur noch ahnen, aber nicht mehr erfahren konnte.

Falls jetzt noch nicht so ganz klar ist, was man sich unter der Aura vorstellen muss, helfen vielleicht ein paar Praxisübungen: Man vergleiche ein Originalgemälde im Museum mit seinem Druck im Katalog oder die Aufführung eines Balletts mit ihrer Aufzeichnung auf Video.*

Fotografien wird als Ergebnis eines im Prinzip rein technischen Prozesses traditionell ohnehin keine große Aura zugestanden – ein weiterer Grund übrigens, warum die Fotografie fast 100 Jahre brauchte, um als Kunstform anerkannt zu werden.

Doch wer – wie wir – die Fotografie aus ihrem heutigen Entwicklungsstand als rein digitales Verfahren betrachtet, bei dem nicht einmal mehr sichtbare Variationen bei (aus)gedruckten Werkauflagen entstehen, hat durch diese Produktionsform letztendlich selbst den auratischen Rest seiner Werke ausgelöscht.

Wiederbelebung der Aura

Wie erzeugt man aber nun aus einer digitalen Vorlage ein – zumindest der Form nach – auratisches Werk? Ausdrucken entfällt, weil das Ergebnis zu leicht reproduzierbar ist, selbst wenn man sich mit Farbmanagement nicht auskennt. Auch die Belichtung des Datensatzes in analogen Verfahren ist in diesen Sinn zu technisch präzise und damit zu wenig „künstlerisch“.

Man könnte, so fabulierten wir einige alkoholische Getränke später, natürlich auch die Digitalfotos auf Filmmaterial ausbelichten und sie dann mit all der Kunstfertigkeit des Dunkelkammerzauberers in Unikate verwandeln. Aber wenn die Bearbeitung ohnehin analog erfolgen soll, warum dann erst digital fotografieren? Wir kamen zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Edeldruck ohne Dunkelkammer

Im Herbst 2012 besuchte ich einen Kurs bei Michael Weyl über das Van-Dyke-Verfahren, eine alte Edeldrucktechnik. Wir kamen dabei auf ein anderes altes Druckverfahren zu sprechen: die Cyanotypie. Diese Technik, so lernte ich, ist zum einen die älteste zur Reproduktion von Fotos, zum anderen kommt es gänzlich ohne eine Dunkelkammer und technische Geräte aus.

Das klang schon einmal angenehm voraussetzungsfrei. Die Ergebnisse dagegen entsprechen dabei weitgehend dem, was man sich unter einem auratischen Original vorstellt: Sie entstehen zwar auf der Basis einer Art Negativ, werden dann aber über mehrere und nur schwer steuerbare Prozessschritte zu einem nicht genauso wieder reproduzierbaren Werk ausgearbeitet.

Als mir Weyl dann auch noch verriet, er habe kürzlich Chemikalien entwickelt, mit denen eine Cyanotypie von ihrer typischen Blaufärbung befreit und in Richtung normales Schwarzweiß, Aubergine oder Braun getont werden könnte, dachte ich an das Gespräch mit Ralf Mohr am Zingster Strand zurück und die Puzzlesteine der Idee für dieses Projekt fügten sich zusammen.

Bild einer Frau in blau.

Im Offsetdruck lässt sich der Charme einer Cyanotypie leider nur ungenügend wiedergeben. Das Originalmedium, 300 g/m² schweres Büttenpapier, wurde zuvor per Hand mit einer lichtempfindlichen Emulsion beschichtet.

Die Umsetzung

Am nächsten Tag rief ich den Fotografen an und erzählte ihm von meiner Idee. Er war sofort Feuer und Flamme. Wir legten noch am Telefon die Parameter für die Umsetzung fest: Um die älteste Drucktechnik mit der neuesten Fototechnik zu kombinieren, entschieden wir uns für die Beschränkung auf den Einsatz eines Fotohandys, auf dem auch die Abstimmung des Negativs durchgeführt werden sollte.

Unter Verzicht auf eine weitere Bearbeitung in Photoshop wollten wir das Negativ direkt auf einem handelsüblichen Bürodrucker auf DIN-A4-Pauspapier ausdrucken und damit anschließend in den analogen Prozess gehen – zur Sicherheit unter Aufsicht von Michael Weyl in den Räumen seiner Firma in Braunschweig.

Was am Ende dabei herauskam, hat alle Beteiligten fasziniert, vor allem wegen des Überraschungsmoments. Es geht hier natürlich nicht um Perfektion oder Kontrolle und ganz sicher lässt sich ein solches Ergebnis ohne jede Zufälligkeit in Photoshop­ ­simulieren.

Aber es hat durchaus seinen Reiz, zur ­Abwechslung mal ein Original zu schaffen, das sich genauso eben nicht noch einmal reproduzieren lässt und abgesehen davon eine unbestritten einmalige Ausstrahlung hat. Den gesamten Weg von der Aufnahme bis zum Ergebnis zeigen wir Euch im folgenden ­Tutorial. (Anmerkung der Redaktion: Hier findet Ihr Einblicke in den Prozess.)

Digitale Cyanotypien

Mit dem Handy aufgenommen, in verschiedenen Apps abgestimmt, mit dem Bürodrucker auf Pauspapier gedruckt und dann unter minimalem Chemikalien-Einsatz auf feinstem Büttenpapier abgezogen: So erzeugt man mit einfachen Mitteln ein fotografisches Original.

2 Frauen im Akt. Eine grün eine in Hautfarben abgebildet.

Ausgangsbilder: Für unser Projekt haben wir zwei mit dem iPhone aufgenommene Akte von Ralf Mohr gewählt. Ein Bild (rechts) entspricht den Idealvorgaben und bietet maximale Durchzeichnung sowie hohe Kontraste, das zweite (links), das als klassisch blaue ­Cyanotypie diesen Artikel illustriert, wurde mit der iPhone-App Hipstamatic aufgenommen und bietet weder das eine noch das andere. Die Auflösung ist bei solchen Vorlagen eher zweitrangig, da der ­fertige Druck – nach digitalen Maßstäben – sowieso nur einen Bruchteil der ursprünglich aufgezeichneten Bildinformation wiedergibt.

Ansicht einer Bildbearbeitungsoberfläche mit Frauenbildern.

Bildbearbeitung: Um das Bild direkt auf dem iPhone in ein ­Negativ zu verwandeln, sind drei Funktionen nötig: die Umwandlung der Farben in Graustufen, die Abstimmung der Kontraste per Gradationskurve und die abschließende Invertierung in ein ­Negativ.

Wir haben, um alles in einer App zu erledigen, die Vollversion des Photowizard-Photo Editors gekauft. Wichtig ist vor allem der Arbeitsschritt mit der Gradationskurve, hier wird das Bild in den ­Tiefen nach normalem Ermessen übermäßig stark abgedunkelt.

Negativansicht einer Frau im Akt sitzend.

Negativ: Direkt vom Handy steuern wir per Air-Print einen normalen Tintenstrahl-Bürodrucker an, in den wir vorher ein spezielles Transparentpapier gelegt haben. Im Prinzip tut es auch Butterbrotpapier, nur wird dieses in gerollter Form und nicht plan ausgeliefert, was die Verarbeitung in einem Drucker erschwert.

Wenn das Papier damit klarkommt, funktioniert der Druck auch mit einem Laserdrucker. An Feinheiten der Einstellung muss man sich bei diesem Verfahren nicht abarbeiten, nur sollte die Tinte vor der Weiterverarbeitung vollständig getrocknet sein, was bei nicht für diesen Zweck beschichtetem Papier länger dauert.

Blatt wird mit grüner Farbe eingepinselt.

Abzug vorbereiten: Der Druck erfolgt auf einem starken Büttenpapier, das bei der Herstellung möglichst nicht mit Metall gewalzt wurde. Das Papier wird mit einer schwach lichtempfindlichen Emulsion bestrichen, die aus zwei Komponenten im gleichen Mischverhältnis besteht, und die man mit einem weichen Pinsel aufträgt. Beim Auftrag erhält man die Möglichkeit einer individuellen Randgestaltung. Anschließend trocknet die Emulsion etwa 20 Minuten im Dunkeln – zum Beispiel in einem Schrank.

Negativ an Wand.

Belichten: Zur Belichtung wird das Pauspapier-Negativ auf das Büttenpapier gelegt. So entsteht eine Kontaktkopie im gleichen Maßstab. Damit das ­Negativ plan aufliegt, beschwert man es mit einer überformatgroßen Glasplatte. Hier haben wir es zwischen zwei Glasplatten geklemmt, die von zwei einfachen Wäscheklammern zusammengehalten werden.

Belichtet wird mit UV-Strahlen. Wenn die Sonne scheint, setzt man ihr die Papier-Negativ-Kombination einfach zirka eine halbe Stunde lang aus, an ­anderen Tagen bedient man sich einer handelsüblichen Höhensonne, was die Belichtungszeit auf etwa zehn Minuten reduziert.

Bild einer Frau im Akt in blau in einer Entwicklerwanne und an einer Trockenleine.

Chemie-Einsatz: Die Emulsion dunkelt beim Belichten nach. Im Stoppbad werden direkt nach der Belichtung die Reste der Emulsion ausgewaschen, die durch die UV-Bestrahlung nicht belichtet worden sind, also vor allem die hellen Stellen des Bildes.

Das Bad besteht aus Wasser mit einem Schuss Zitronensäure. Der Stoppvorgang dauert rund zwei Minuten. Anschließend wird das Bild zehn Minuten in klarem Wasser gespült. Die Stabilisierung des Druckes schließt sich in Form eines kurzen Bades in einer schwachen Wasserstoffperoxid-Lösung an.

Bilder einer Frau im Akt in 2 Entwicklerwannen in verschiedenen Farben.

Tonen: Vor dem Trocknen (oder auch zu jedem späteren Zeitpunkt) kann man das Bild von blau in dunkelgrau, braun oder aubergine umfärben. Dazu wird es zunächst in ein Bleichebad gegeben, bis von der Belichtung fast nichts mehr zu sehen ist, und dann – je nach Farbwunsch – nacheinander in ein oder zwei Tonerbäder getaucht, die das Bild wieder fast in seinem ganzen Tonwertumfang „­hervorzaubern“. Bei diesem Arbeitsschritt muss man eine gewisse Erfahrung mitbringen, um zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, die Bäder zu wechseln.

Dieser Artikel ist zuerst 2016 im DOCMA Magazin erschienen.

Anmerkungen der Redaktion: Radiertechniken.de bietet eine ausführliche Anleitung der Zusammensetzung der Chemikalien sowie des Verfahrens an sich. Ein Komplettset gibt es beispielsweise von Stenoflex für 39 € oder von
TexturesFactory auf Etsy für knapp 35 €. Wer gern mit Kindern und daher ohne Chemie diese Art des Verfahrens ausprobieren möchte, findet ein Kit von SunPrint für 25 € vielleicht spannend.

Da derzeit eher weniger die Sonne scheint, kann man super mit einer UV-Licht-Lampe arbeiten, die man beispielsweise auch im Reptilienbedarf von Zoohandlungen kaufen kann. Und dieses Verfahren funktioniert auch super auf Stoff!

* Wer dieses Thema vertiefen möchte, sollte den Aufsatz „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von Walter Benjamin von 1935/36 lesen.

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