31. Januar 2018 Lesezeit: ~25 Minuten

Im Gespräch mit Winfried Bullinger

Winfried Bullinger fotografiert seit Jahren mit einer Großformatkamera Angehörige der Nuer, der Afar, der Karamajong und anderer Völker bei seinen Reisen durch Ostafrika. Dabei entstanden ist eine konzeptionelle Portraitserie mit dem Titel „An den Rändern der Macht“ sowie ein gleichnamiger Bildband , der im Verlag Hatje Cantz erschienen ist.

Vor ein paar Jahren haben wir uns schon einmal unterhalten und unser Gespräch hatte mir einen wunderbaren ersten tieferen Einblick in Dein Werk verschafft, das ich bis auf den heutigen Tag voller Neugierde verfolge. Du bist Deinem großen Thema Afrika treu geblieben und nicht nur das: Deine fotografische Arbeit in Afrika formt sich immer mehr zu einem Bildarchiv, das über seine künstlerische Qualität hinaus auch eine in meinen Augen bedeutende historische Komponente enthält. War es Dir von Anfang an klar, dass Du mit Deinen Portraits aus Afrika mehr schaffst als Kunstwerke?

Stets vor Augen hatte ich einen Fuß der Arbeit im Dokumentarischen. Die Portraits sollten Individuen zeigen, die am Rande staatlicher Strukturen als nomadische Außenseiter leben. Die formale Form für mein Thema hat sich dann gefunden. Ich bin dabei vom einzelnen Portrait ausgegangen. Den Gedanken, ein Bildarchiv zu schaffen, hatte ich dabei nicht. Zu Beginn war mir auch nicht bewusst, welchen Umfang die Bildserie bekommen würde.

Über die Jahre wurden die Querbezüge der Werkteile zueinander aber immer deutlicher. Politische Veränderungen an Orten, die ich über den Zeitraum von rund zehn Jahren mehrfach besucht habe, spiegeln sich in den Portraits wider. Mir wurde bewusst, dass die von Dir angesprochene historische Komponente und der Begriff Archiv ins Spiel kommen.

Die von Dir bereiste Region ist immer dieselbe: der afrikanische Grabenbruch, grob beschrieben im Nordosten des Kontinents gelegen; Sudan, Südäthiopien, Nordkenia, Ost-Kongo. Was hat Dich speziell in diese Gegenden geführt, warum hast Du Dich für die dort lebenden Völker und nomadisierenden Menschen entschieden?

Die Fokussierung auf die Region Ostafrika, in der die Portraitserie entsteht, ist mir sehr wichtig. Indem ich an Orte zurückkehre, die ich schon kenne und neue Orte aufsuche, zu denen es vielfältige Verknüpfungen gibt, entsteht eine Topografie.

Ich portraitiere eine einzelne Person als Individuum, die im Moment der Aufnahme ihre Gruppe verlassen hat. Die Portraits als Serie erzählen aber zugleich eine Geschichte über die Gesellschaften. Dabei geht es besonders um die Wechselwirkung der Lebensbedingungen auf die soziale Struktur. Die Konkurrenz um zu knappe Ressourcen etwa führt zu Konflikten zwischen Nachbarvölkern. Die Portraits spiegeln die Situation auf leise Weise wider.

Ostafrika ist von den Auswirkungen der Globalisierung stark betroffen. Wirtschaft und Hauptstädte etwa wachsen rasant. Zugleich bleiben die Randgebiete der Staaten weiterhin abgehängt. Gerade in diesen entlegenen Regionen sind die Klimaveränderungen massiv spürbar.

Ich interessiere mich für den afrikanischen Kontinent seit drei Jahrzehnten und habe viele Regionen kennengelernt. Die laufende Portraitserie entsteht bewusst in Randregionen im östlichen Afrika. Es sind Gebiete, die vielfach von indigenen Völkern mit eigenen Sprachen bewohnt werden. Die Veränderungen in diesen Gebieten finden kaum Beachtung und wenn überhaupt, dann nur sehr punktuell in Nachrichten über Konflikte und drohende Dürren.

Person mit Gewehr

Um die von Dir geschilderten Lebensumstände zu verstehen, um sie überhaupt erkennen zu können, musst Du Dich vorbereiten. Wie gut bist Du tagespolitisch über das, was in den von Dir bereisten Regionen geschieht, informiert? Liest Du historische und soziologische Texte und wenn ja, welche?

Informationen über die gegenwärtige Situation bekomme ich oft unmittelbar vor Ort durch die jeweilige Vertrauensperson, die uns begleitet. Wir besprechen gemeinsam mit unserem Team, welche Orte wir besuchen. Bei diesen Gesprächen erfahre ich viel über die Lebensumstände und über das, was gerade geschieht. Oft kommen weitere Personen dazu, die mit uns gehen und es entstehen Gespräche, die manchmal über mehrere Stufen übersetzt werden: Von der lokalen Sprache in die nationale Sprache des Landes und von dieser ins Englische.

Mit den Kenntnissen über eine Region ist es wie mit den Ringen einer Zwiebel: Die inneren Schichten entsprechen der Vorortinformation. Weiter außen liegende Informationsschichten bilden sich über Recherchen von Europa aus. Ich nutze dazu das Internet. Es gibt eine Vielzahl Quellen, etwa Seiten aus Afrika oder Berichte über bestimmte Orte, die teils alt und teils neu sind. Interessant etwa sind ältere Vorortberichte oder Filme, die die persönliche Sichtweise der Autor*innen aus der Zeit wiedergeben. Ich versuche dann herauszufinden, wie die Situation an einem Ort heute ist ob ich ihn aufsuchen kann.

So bin ich etwa auf das kleine Volk der Ik über einen Dokumentarfilm aus den sechziger Jahren gestoßen. Die Ik leben zurückgezogen auf einem Berg im äußersten Nordosten Ugandas. Ich konnte dort dann 2013 portraitieren. Weitere wichtige Quellen sind die Tagespresse und auch Bücher.

Ich beschäftige mich mit Afrika und bestimmten Regionen seit drei Jahrzehnten. Dabei lese ich viel, was nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang zu konkreten Projekten oder Vorort-Aufenthalten steht. Zu Texten treten Bilddokumente hinzu, einschließlich Fotografien aus der Kolonialzeit. Man muss sich auch mit kritischen Zeitdokumenten auseinandersetzen. Ich empfinde Verantwortung für mein Projekt und muss einen Standpunkt festlegen. Es geht um Menschen und meine Portraits stehen nicht im Zusammenhang mit einem tagespolitischen Bericht.

Wenn Du mich nach konkreter Literatur fragst, nenne ich ein paar Quellen: Online-Magazine wie New African Magazine oder The East African veröffentlichen aktuelle Berichte, die für Planungen nützlich sind. Bücher wie „Schatten über dem Kongo“ von Adam Hochschild oder „Wanderer der Nacht“ von Wojciech Jagielski sind für den Hintergrund empfehlenswert zu lesen. Zwei Literaturempfehlungen: „Things Fall Apart“ von Chinne Achebe und Joseph Conrads Klassiker „Heart of Darkness“ .

Männerportrait

Vor Ort sprichst Du ja auch mit den Menschen, die Du portraitierst, häufig mit Hilfe von Dolmetscher*innen. Hat sich im Lauf der Jahre etwas an der Kommunikation mit den Portraitierten geändert? Und hat sich am Stellenwert der Gespräche im Kontext Deiner Arbeit etwas verändert?

Die Begegnungen mit den Portraitierten sind über die Jahre immer leiser geworden. Es geht nicht um ein „spektakuläres“ Äußeres. Bei einem guten Portrait müssen beide, Portraitierte*r und Fotograf*in, sich verausgaben und ein Risiko eingehen. Es kommt auf das Vertrauen und die Verbindung zu den Portraitierten im Moment der Aufnahme der Fotografie an. Sie ist non-verbal. Ich kenne die Person, die ich portraitiere, nur seit kurzer Zeit, aber das ist kein Nachteil.

Die Gespräche zwischen den Portraitierten und mir entwickeln sich zumeist erst nach der Portraitsitzung. Sie sind über die Jahre länger geworden, da wir immer mehr Zeit an einem Ort verbringen. Die Gespräche beeinflussen meine Arbeit insofern zunehmend, als sie Einfluss auf den weiteren Verlauf der Reise nehmen. Ich folge oft den Empfehlungen der Portraitierten. Die Sprachbarriere ist da, lässt sich aber durch eine freiere Übersetzung, die das Gespräch flüssiger werden lässt, gut überwinden.

Erhalten die Portraitierten bei Gelegenheit einen Abzug ihres Fotos oder nach Erscheinen eines Buches ein Exemplar davon? Eher nicht, würde ich beinahe annehmen, da sie oftmals weit ab von einer geregelten Infrastruktur beheimatet sind und eine Kontaktpflege wohl nur durch einen direkten Kontakt möglich ist. Gibt es eine andere Art Kompensation, zum Beispiel, indem Du ein Honorar zahlst, vorab geregelt, oder – ohne Verabredung dazu – nach einer Fotosession aus eigenem Bedürfnis heraus?

Da eine Infrastruktur dazu fehlt, lässt sich zu den Portraitierten in der Regel kein Kontakt halten, um Bilder zu schicken. Bei den lokalen Vertrauenspersonen ist das oft anders. Einige kenne ich seit Jahren und ich habe ihnen auch Entwürfe zum Buch oder einzelne Bilder mitgebracht.

Das Thema Kompensation für die Portraitsitzungen ist mir wichtig. Über die Vertrauensperson verständigen wir uns mit Vertretenden einer Familie oder einer Gruppe über die Kompensation, bevor ich an einem Ort das erste Portrait mache. Die Kompensation kommt dann der Familie oder der Gruppe insgesamt zugute. Da ich mit der Großformatkamera nur wenige Portraits anfertige, trägt diese Kompensationsstrategie auch zur Entspannung der Aufnahmesituation bei. Sie vermeidet etwa Enttäuschung, wenn ich nur eines oder wenige Familienmitglieder portraitiere.

Mann posiert auf einer weiten Ebene

Die Kompensation findet monetär statt oder auch anders?

Ja, es geht in der Regel um eine Geldleistung. Geld kann sinnvoll für die Gemeinschaft eingesetzt werden, mit beliebigen mitgebrachten Gegenständen ist das so eine Sache. Gegenstände, die nur einmal da sind, bringen der Gemeinschaft oft wenig. Bis vor einigen Jahren hatte Geld in manchen entlegenen Regionen keinen Stellenwert. Wir haben dann in Abstimmung mit unseren Guides benötigte Lebensmittel auf dem Weg in Dörfern besorgt und mitgebracht.

Finden es die Menschen an Deinen Zielorten eher skurril, dass Du sie fotografieren möchtest oder haben sie selbst ein Anliegen, das sie direkt oder indirekt mitteilen möchten? Ist es ihnen wichtig, mit jemandem aus Europa zu kommunizieren, also mit einem Menschen aus einer Weltgegend, die den meisten von ihnen unbekannt sein dürfte und von der sie womöglich als einen Ort des überbordenden Wohlstands gehört haben, um etwas von sich und ihrer Lebenssituation mitzuteilen?

Niemand wundert sich, besucht zu werden. Wir tun das nicht in Europa und auch nicht die nomadisch lebenden Menschen in den Wüsten- und Savannenregionen. Es fragt fast nie jemand, weshalb wir kommen. Die Gespräche drehen sich meist um die örtlichen Bedingungen und Ereignisse. Und um Familiäres. Oft wird deutlich, wie distanziert und misstrauisch die Nomad*innen gegenüber dem Staat sind, an dessen Rändern sie leben.

Die staatliche Organisation wird kaum oder nur punktuell wirksam. In manchen Gegenden hatten isoliert lebende Gruppen kaum ein Bild vom eigenen Staat und der fernen Hauptstadt. Das ändert sich gegenwärtig in vielen Regionen durch den Bau von Pisten, die das ganze Jahr, also auch während der Regenzeit, befahren werden können. Um Europa geht es in den Gesprächen kaum.

Beim Fotografieren gibt es häufig Interesse an der Kameratechnik. Die Großformatkamera mit ihrer Mattscheibe macht den Vorgang transparent. Ein Bild wird auf der großen Mattscheibe sichtbar, bevor ein Planfilm belichtet ist. Ein im Einvernehmen aufgenommenes Bild ist nicht anstößig und der Aufnahmeprozess erzeugt keine Spannungen. Ein Portrait ist immer auf eine Weise für die Beteiligten interessant und berechtigt, egal wo auf der Welt es gemacht wurde.

Männerportrait

Einige der Menschen, die Du besuchst, leben in Volksgruppen, die nur noch verhältnismäßig wenige Mitglieder haben. Wie gehen die Portraitierten, ihre Familien und Gruppen damit um? Und was macht dieser Umstand mit Dir als Besucher, der Du Zeuge dieses bevorstehenden Verschwindens bist? Was macht das mit Deiner fotografischen Arbeit?

Für indigene Völker oder kleine Gruppen mit wenigen Mitgliedern ist die Gefahr groß, von ihren Nachbarn oder auch durch staatliche Maßnahmen zurückgedrängt zu werden. Die Zahl der Angehörigen verkleinert sich, wenn die Siedlungsgebiete schrumpfen. Die Hadza in Tansania leben bis heute von der Jagd und konkurrieren in ihrem Gebiet zunehmend mit Viehhirt*innen, die in ihr Gebiet eindringen. Ihr Siedlungsgebiet verkleinerte sich in den letzten Jahren zudem durch Umwandlung in Farmland.

Weitere Beispiele sind etwa die Ik im Norden Ugandas, die Kwegu im Süden Äthiopiens oder die El Molo am Turkana-See im Norden Kenias. Diese Gruppen haben auch gemeinsam, dass sie ihren benachbarten Völkern waffentechnisch unterlegen sind. Sie werden häufiger Opfer von Gewalt. Vor Ort ist es bedrückend, zu wissen, dass eine Kultur mit eigener Sprache im Verschwinden begriffen ist.

Gewalt ist in diesen Regionen ein gängiges Mittel der Auseinandersetzung? Traditionell oder ist das eher ein neues Problem, das mit diesen Veränderungen einher geht? Was bedeutet übrigens waffentechnisch überlegen in diesem Fall?

Gewalt ist in jeder Gesellschaft weltweit ein Thema. In mehreren Regionen, in denen die Bilder entstanden sind, ist Gewalt derzeit aber in besonderer Weise präsent. Dabei gibt es Auseinandersetzungen, die ihre Wurzeln in Traditionen haben. Viehdiebstähle, sogenannte „cattle raids“, werden seit langer Zeit beschrieben. Die Teilnahme gilt als Mutprobe und dient dazu, Vieh etwa als Brautpreis zu beschaffen. Überfälle führen zu Gegenaktionen.

Die große Verbreitung von Kleinfeuerwaffen wie der AK47 hat diese Konflikte erheblich brutalisiert. In den letzten Jahren gab es schwere Auseinandersetzungen mit vielen Opfern, vielfach auch über die Grenzen der Staaten Kenia, Äthiopien, Uganda und Südsudan hinweg. Die innerstaatlichen Konflikte wie auch die Dürren infolge von ausbleibenden Regenzeiten verschlechtern die Situation. Harsche Lebensbedingungen und Konkurrenz um Land erhöhen die Gewaltbereitschaft. Die Klimaveränderung ist in dieser Region bereits unmittelbare Ursache für zunehmende, bewaffnete Auseinandersetzungen.

Zum Stichwort „waffentechnisch überlegen“: Ich meinte damit, dass die nur wenige Mitglieder zählenden Völker wie etwa die Ik über keine oder ältere Waffen als ihre Nachbarn verfügen. Sie sind deshalb vermehrt Überfällen ausgesetzt.

Person mit Gewehr

Bist Du bei einer Deiner Reisen in bedrohlichen Situationen gewesen?

Gewalt mit Schusswaffen hat es bei einigen Aufenthalten in der Nähe und auch in der unmittelbaren Nähe gegeben. Sie war aber nicht gegen uns gerichtet.

Du arbeitest mit lokalen Guides zusammen. Sind diese in gewissen Gebieten bewaffnet?

Die lokalen Guides, die ja auch übersetzen, nie. In manchen Regionen begleiten uns aber bewaffnete Personen zum Schutz. Darüber entscheidet der Guide, der die Verantwortung trägt. Das ist keineswegs nur meine persönliche Sache, sondern betrifft das ganze Team. Manchmal ist diese Form der Begleitung auch staatlich vorgeschrieben und eine Region darf ohne gar nicht bereist werden.

Hast Du Zugang zu Regierungsangehörigen, Regionalverwaltungen, Wirtschaftsverbände etc., denen Du Deine Fotos zeigen und auf die Probleme dieser Gruppen und Völker hinweisen kannst? Gibt es in den Ländern überhaupt ein Interesse an Deinen Fotografien und an den Problemen der Portraitierten?

Ich habe über die Jahre hinweg immer wieder Delegierte des Staates und Personen kennengelernt, die für Kirchen oder NGOs tätig waren. In manchen Fällen haben uns solche Personen auch begleitet. Die Kontakte haben sich dabei vor Ort ergeben. Ich habe bei Gesprächen auch viel über die Regionen erfahren. Einige Kontakte zu Lehrer*innen, die sich mutig engagieren, sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Da bin ich Zuhörer. Manchmal, wenn es passt, zeige ich Bilder von vorangegangen Aufenthalten auf dem iPad.

In unserem Gespräch vor ein paar Jahren hast Du erzählt, dass Du eine Hasselblad und eine Linhof bei diesen Reisen benutzt. Sind es heute noch dieselben Kameras beziehungsweise dieselben Modelle?

Die Linhof Technika ist die Kamera, die ich inzwischen für die Portraitserie praktisch ausschließlich nutze. Es ist eine Laufbodenkamera für das Format 4×5 inch. Sie lässt sich zusammenklappen und ist dann beim Transport gut geschützt. Ich schätze sehr, wie das Aufnahmeformat die Bilder übersetzt, die Schärfentiefe und den Bildraum darstellt. Mit analogem Großformat zu arbeiten, ist dennoch sehr aufwändig. Ich muss ein Dunkelzelt und eine Menge Kassetten für die Planfilme mitführen.

Frau auf einer Ebene

Wie sieht überhaupt Deine Reiseausrüstung aus? Du bewegst Dich ja abseits touristischer Wege. Was für Equipment neben der Kameraausrüstung benötigst Du?

Die Ausrüstung ist umfangreich. In vielen Regionen, in denen die Bilder entstanden sind, führen wir fast alles mit. Dazu gehört das Essen wie auch das Trinkwasser und Treibstoff für die Fahrzeuge. Die Reise wird insoweit von unserem Guide jeweils gut vorbereitet.

Und wie und wo nächtigst Du? Oder Ihr, denn Du reist ja meistens oder häufig mit Familienmitgliedern, oder habe ich das falsch in Erinnerung?

In den Gebieten, wo die Portraits entstehen, nächtigen wir oft in Zelten, die nahe einer Siedlung aufgebaut werden. Wir nutzen im Übrigen alles, was es eben unterwegs so gibt: einfache Unterkünfte, Lodges oder Hotels. Meine Frau ist meistens dabei, manchmal auch einer oder beide Söhne und manchmal reise ich auch allein.

Wie viele Fotos entstehen durchschnittlich pro Reise? Entwickelt werden die Negative dann ja erst in Berlin bzw. Potsdam.

Während eines Projekts verbrauche ich rund 500 Planfilme. Bei jedem Portrait einer Person belichte ich zwischen drei und sechs Planfilme. Die Zahl hängt davon ab, ob es windstill ist oder nicht. Weiter ist bedeutsam, ob eine Person still hält oder in Unruhe ist. Da ich ohne Blitz arbeite und längere Belichtungszeiten nutze, ist mein System sensibel, was die Schärfe angeht. Ein Bild ist unbrauchbar, wenn etwa das Auge des Portraitierten aus der Schärfenebene herausfällt. Das passiert schnell, da die Großformatfotografie lange Brennweiten mit geringer Schärfentiefe erfordert. Die großen Drucke am Ende erfordern, dass alles stimmt.

Die Planfilme werden nach der Reise in Berlin von Jochen Rohner individuell entwickelt. Wir haben die Filmbelichtung und den Entwicklungsprozess genau miteinander abgestimmt. Für meine Portraits ist besonders wichtig, dass die Schatten Leben zeigen. Am Ende bleiben bei einem Projekt zwischen zehn und zwanzig gültige Portraits über. Der Auswahlprozess ist lang und Portraits können in unterschiedlichen Zusammenhängen neue Bedeutung bekommen.

Portraitaufnahme

Hast Du einen Überblick über die Anzahl gültiger Aufnahmen aus Afrika? Portraits und auch Architekturen, denn das ist vor Ort Dein zweites fotografisches Thema. Du fotografierst die Behausungen von Portraitierten. Oder sind es gar nicht zwingend deren Hütten?

Ich zähle die Bilder nicht bewusst. Es sind aber viele über die drei Jahrzehnte geworden. Die Bilder aus den neunziger Jahren werden nach und nach erst digitalisiert. Ja, ich arbeite auch an einer Bildserie über mobile und nicht-permanente Architektur. Sie entsteht in denselben Regionen wie die Portraits, aber es gibt keinen Zusammenhang in dem Sinne, dass ich das Haus eines Portraitierten zeige. Die Architekturbilder entstehen auch nicht zugleich mit den Portraits. Ich mache sie oft bewusst an anderen Orten, um genug Zeit zu haben, um mich auf das Thema zu konzentrieren und niemanden zu überfordern.

Werden die Aufnahmen nach wie vor in zwei Formaten in jeweils begrenzten Auflagen ausbelichtet bzw. gedruckt?

Die analogen Drucke entstehen mit festen kleinen Auflagen in zwei Formaten. Die große Serie hat das Format 180 x 145 cm. Die Portraits vermitteln bei dieser Serie fast Lebensgröße. Die Bilder haben neben der „Fernsicht“ eine weitere Dimension für die Betrachtenden im Nahbereich. Die Großformataufnahme löst die Strukturen und Materialien im Einzelnen auf. Die Bilder können so verschieden gelesen werden.

Deine Bildkomposition ist immer sehr streng. Die Portraitierten stehen mittig und schauen, zumeist gerade stehend, direkt in die Kamera. Ich vermute, dass Du die Haltung der Personen in etwa vorgibst, vor allem, um eine Einheitlichkeit in den Portraits zu erzielen?

Ich überlasse den Portraitierten, wie sie sich präsentieren und auf die Situation reagieren. Den Standpunkt der Kamera richte ich dann aus und entscheide damit über die Komposition und Lichtführung. Für die Portraitserie in dieser Form ist die Strenge wichtig. Es gibt beispielsweise Brustportraits, die mir als Bilder sehr wichtig sind, die ich aber aus der Serie, wie sie im Buch erschienen ist, herausgenommen habe. Die Portraitserie erfasst Personen, die in einem riesigen geografischen Raum leben und sehr unterschiedlichen Kulturen angehören. Die formale Strenge der Bilder konzentriert den topografischen Charakter der Serie.

Person vor einer Hütte

Du hast die Schärfe der Augen erwähnt, die Dir wichtig ist. Haben die Augen in den Portraits für Dich eine besondere Bedeutung, meinetwegen in dem Sinne, dass sie das Tor zur Seele darstellen oder ähnliches?

Ja, die Augen haben für mich eine besondere Bedeutung. Ich konzentriere mich bei der Bildkomposition auf die Augen und den Umriss des Körpers. Wie bei einer Zeichnung ist die äußere Linie entscheidend bei der Übersetzung des Portraits auf einer nur zweidimensionalen Fläche, die die Fotografie ja ist.

Häufiger sind die Waffen der Menschen zu sehen, werden stolz oder wie selbstverständlich zur Person dazugehörend präsentiert. Geschieht dieses Zurschaustellen auf Deine Anweisung hin oder ist das der Wunsch Deiner Modelle? Oder laufen sie tatsächlich sowieso immer mit den Waffen in der Hand herum, aus den vorhin genannten Gründen?

Ich portraitiere die Personen stets so, wie ich sie antreffe. Die Portraitierten, die eine Waffe tragen, hatten sie bei sich, als wir uns begegnet sind. Die Nomad*innen tragen in den entlegenen Regionen häufig Waffen, wenn sie sich auf einem Weg befinden. Die Waffen haben für sie eine hohe Bedeutung. Viele Gegenden, in denen die Portraitierten leben, sind konfliktreiche und bewaffnete Auseinandersetzungen häufig.

Was ist Dir beim formalen Aufbau der Bilder, die wir in Deinem neuen Buch sehen, noch wichtig?

Wichtig ist mir die Ausrichtung der Kamera in Bezug auf eine gleichmäßige Perspektive über die Bildserie hinweg. Das betrifft technisch gesehen die Höhe des Standpunktes der Kamera im Verhältnis zum Portraitierten und auch das Vermeiden von perspektivischen Verzerrungen. Hierfür muss die Kamera verstellbar sein. Ich nutze für die Portraits stets eine sogenannte Normalbrennweite bezogen auf das 4×5-inch-Format.

Auch der Umgang mit Licht folgt bestimmten Prinzipien. Ich vermeide bewusst Blitzlicht und verwende bei starker Sonne lieber einen großflächigen Reflektor zur Belichtung der Schatten. Grundsätzlich belasse ich aber auch die tiefen Schattenpartien. Die Portraitierten behalten so ihre Geheimnisse. Mich hat bei der Portraitmalerei immer der Umgang mit Schattenpartien interessiert. Gut ist auch die etwas längere Belichtungszeit bei der Portraitaufnahme: Sie gibt das Portrait in einer Weise wieder, die dem menschlichen Seheindruck näher kommt als eine sehr kurze. Schließlich bestimmt die Reduktion auf Grauwerte die Sprache der Bildserie. Sie begründet für mich eine Nähe zur Zeichnung.

Männerportrait

Du kommst ja eigentlich aus der klassischen Kunst, hast bei Wolfgang Petrick an der Universität der Künste in Berlin studiert. Warst Du damals auch schon an Fotografie interessiert? Und wie hat Dich das Kunststudium in Deinem Werdegang als Fotograf oder Künstler, der sich fotografischer Medien bedient, beeinflusst?

Die Fotografie hat in meiner Arbeit immer eine Rolle gespielt. Über Jahre waren mir aber gerade das Zeichnen und die Malerei wichtig. Ich glaube schon, dass diese „Herkunft“ auch heute weiter eine Rolle für die Arbeit spielt. Die Reduktion der aktuellen Serie auf schwarzweiß hängt mit der früheren Konzentration auf Schwarzweißmedien wie Bleistift zusammen.

Auch das Interesse für Material und Oberfläche ist durch Malerei mit ihrer Textur geprägt. Die Fotografie hat ja erst einmal keine Textur, keinen Farbkörper. Der Bildraum muss auf andere Weise geschaffen werden. Auch das Verständnis für die Figur und den Bildaufbau ist gewiss bis heute durch das Zeichnen mit geprägt. Ein ganz anderer Aspekt: Die persönlichen Kontakte leben fort. Auch wir haben uns bereits damals, 1992, kennengelernt!

Gibt es Fotograf*innen, die Dich inspiriert haben?

Da fallen mir Namen ein, die sehr unterschiedliche Werkkörper geschaffen haben: Jeff Wall, Shirin Neshat, Thomas Baumgarten, Dieter Appelt. Ich will jetzt nicht zu viele Namen nennen. Im Bereich der Portraitfotografie sind das gewiss August Sander und Robert Frank. Beeinflusst haben mich mit ihrer Sichtweise auf den Menschen vor allem aber Maler wie Hans Baldung Grien oder Christian Schad.

Männerportrait

Welche Fotograf*innen, die sich afrikanischen Themen widmen, schätzt Du besonders?

Die Arbeit von David Goldblatt interessiert mich seit der Zeit, als ich 1987 ein Jahr in Südafrika gelebt und Kunst studiert habe. Hinzu kommen Fotograf*innen wie Jo Ractliffe und Malick Sidibé.

Wie ist die Rezeption Deiner Afrikafotos in Deutschland, soweit Du das beurteilen kannst?

Ich habe einen intensiven Austausch über die Arbeit mit einigen Künstler*innen. Das schätze ich sehr. Ich finde es darüber hinaus schwierig, eine Einschätzung über die Wahrnehmung zu geben.

Die Presseresonanz zu Deinem Buch „Am Rande der Macht“ scheint mir ziemlich gut zu sein. Was erhoffst Du Dir für die Zukunft in Bezug auf Deine Fotografie?

Ich wünsche mir, an der Portraitserie und den anderen Projekten weiterzuarbeiten. Gerade interessieren mich Wechselwirkungen und Beziehungsgeflechte zwischen Gruppen immer mehr. Es entstehenden im Augenblick Bilder, die neue Aspekte heben. Auch das Drucken mit Jochen Rohner treibe ich voran, nachdem nun die Arbeit an „Am Rande der Macht“ abgeschlossen ist.

Vielen Dank für das Gespräch!