Schon seit der Aufnahme des ersten Fotos besitzt die Fotografie eine Sonderstellung als Medium der reinen Wirklichkeitsdarstellung. Und obwohl Künstler*innen seit diesem Zeitpunkt eifrig Techniken entwickelten, um die „Makel der Realität“ aus ihren Fotos zu verbannen, hat sie diesen Status noch immer inne. Schließlich sind es genau diese kleinen Fehler, die Fotografie ausmachen.
Doch am anderen Ende des „Weges zur Makellosigkeit“ steht ein anderes, noch sehr junges Medium. Während die Arbeit der Fotograf*innen in der ungeschönten Wirklichkeit beginnt, hat die Arbeit der Künstler*innen in der Computergrafik im Nichts ihren Anfang. Alles, was am Ende des Projekts sichtbar sein soll, muss man selbst kreieren. Beide Medien streben zu einer gemeinsamen Mitte, einer idealisierten, verschönten Darstellung der Wirklichkeit. Realistisch und dennoch perfekt.
In meiner Fotoserie „Primitives“ versuche ich, genau diese Verschmelzung von Fotografie und Computergrafik zu erkunden. Sie zeigt primitive geometrische Formen und Körper in einer wirklichen Umgebung. Fügen sich die Objekte zwar realistisch in ihre Umgebung ein, wirken sie aufgrund ihrer Gestalt dennoch entfremdet.
Den Betrachter*innen fällt sofort auf, dass hier zwei Welten zu einer verschmelzen. Anders als heute vor allem in der Film- und Werbebranche üblich, muss sich die Computergrafik hier jedoch nicht hinter den Kameraaufnahmen verstecken. Ihr einzigartiger Charakter der „mathematischen Perfektion“ wird bewusst betont, realistische Objekte werden auf ihre primitiven Grundformen reduziert.
Die Serie steht damit in enger Verbindung zu modernsten Darstellungsmedien wie der „Augmented Reality“, in der ebenfalls geometrische Formen zum Beispiel als Wegweiser in eine Kameraaufnahme eingeblendet werden.
Als Student der Medieninformatik beschäftigen mich diese Themen besonders, da ich in meinem Studium an und mit Technologien arbeite, die diese Verschmelzung digitaler Medien von beiden Seiten befeuern. Während am einen Ende an immer realistischeren Darstellungsmodellen gefeilt wird, entwickelt man am anderen Algorithmen, die Bild- und Videomaterial in immer komplexeren Verfahren manipulieren können.
Ich finde es unheimlich spannend, wie die Verschmelzung der Medien immer mehr Fragen über ihre Rollen aufwirft oder der technische Fortschritt den erneuten Wandel eines Mediums vorantreibt und so neue Darstellungsformen hervorbringt.
Coole Bilder. Mal was ganz anderes als sonst hier. Weckt starke Assoziationen zu den Werken der Demoscene. Erinnert mich ganz besonders an „Debris“ von Farbrausch.
https://youtu.be/mxfmxi-boyo
Interessanter Denkanstoß und tolle Bilder!
In diesem Zusammenhang muss man den Artikel auf „Leicaphilia“ wohl um das Medium „Computer“ erweitern.
http://leicaphilia.com/the-camera-always-lies-but-so-do-your-eyes/
Die an sich schon tollen Fotos werden durch die grafischen Elemente wunderbar ins Surreale versetzt. Herrlich!
Tolle Beispiele für den Charakter der digitalen Fotografie. Wir können bei ihr niemals sicher sein, woher die Daten für das Bild stammen. Ist es eine Kameradatei, sind es irgendwelche Bildbearbeitungsdaten oder Filter, sind es frei programmierte Daten? Was, mit Roland Barthes, für die analoge Fotografie (weitgehend) noch gestimmt hat, dass nämlich das Negativ ein Beweis dafür ist, dass bei der Aufnahme vor dem Objektiv etwas gewesen sein muss, stimmt bei der digitalen Fotografie eben nicht mehr. Die Bilder gefallen mir übrigens sehr gut.
Ein faszinierendes Wechselspiel von Realität und Fiktion! Sein Reiz ist für mich dort am stärksten, wo der Bruch zwischen beiden Sphären am wenigsten offensichtlich ist und man den Eindruck hat, dass es tatsächlich so gewesen sein könnte. Der mysteriöse große Quader im Tümpel auf der Weide oder die schwarze Fläche im nächtlichen Laternenlicht am Straßenrand, von der man nicht weiß, ob es eine Plakatwand, eine Lkw-Rückseite oder irgendetwas anderes ist, sind für mich die beeindruckendsten Bilder aus dieser Reihe. Beispiele wie die „Eisschollen“ unter der Brücke oder der große schwarze Würfel, der nur mit einer Ecke im See zu stecken scheint, wirken für meinen Geschmack ein bisschen zu verspielt, sind aber trotzdem handwerklich super gemacht.