Im Gespräch mit Pepper zur Warschauer Fotoszene
Pepper bezeichnet sich selbst als Kunstvermittler. Er ist jedoch auch Fotograf – oder wie ich sagen würde: ein „Kunst-Flaneur“, der recherchiert, kommuniziert und vernetzt, um Kunst- und Fotoschaffende miteinander zu verbinden; dazu ist er auch noch Autor. Jemand, der sich auch fernab von den bekannten, großen Kunstmärkten bewegt und diese mindestens genauso spannend findet wie all das, was bereits entwickelt wurde.
In einer gemütlichen, länger andauernden E-Mail-Interview-Konversation habe ich mich mit Pepper über die Warschauer Fotoszene und die polnische Fotografie an sich unterhalten. Zu diesem Thema wird er im Herbst dieses Jahres ein Buch beim KLAK-Verlag Berlin veröffentlichen. Wir können also gespannt sein, was er uns nun schon für Einblicke zuteilwerden lässt.
Warschau ist für viele nicht der erste Ort, der einem in Bezug auf Fotografie in den Sinn kommt – welche Pfade bist Du gegangen, um in Warschau zu landen? Was ist Dein persönlicher Hintergrund bezüglich der Fotografie?
Als ich mich im Sommer 2016 dazu entschlossen hatte, für eine Weile nach Warschau zu ziehen, da war ich bereits 29 Jahre lang in Berlin. Ich hatte einfach das Gefühl, dass mir ein Wechsel des eigenen Standortes mal ganz gut tun würde. So großartig Berlin auch ist, mein Leben dort war mir nach all dieser Zeit irgendwie zu nett, vorhersehbar und abgesichert geworden, obwohl ich nie Großverdiener war.
Das mag für viele als Zustandsbeschreibung das Non-Plus-Ultra sein, ist es in gewisser Weise ja auch, aber ich wollte für mich persönlich eine Entwicklung. Ich wollte alte Gewohnheiten durchbrechen und das, was ich vor einigen Jahren schon neu begonnen hatte – die intensive Auseinandersetzung mit der Fotografie, sowohl als Vermittler wie auch als Fotograf – vorantreiben.
Ich wollte also einen kreativen Impuls haben. Und in das Leben und die Kultur einer anderen, mir bis dahin nur wenig vertrauten Stadt einzutauchen, ist da ein ziemlich geeignetes Mittel, um mal die eigenen Werte und Gepflogenheiten zu hinterfragen und die persönlichen Ziele auf ihre Machbarkeit hin zu überprüfen und neu zu justieren.
Die Fotografie war mir immer wichtig, aber bis etwa 2010 lediglich ein kleiner Teil meiner beruflichen Auseinandersetzung mit bildender Kunst im Allgemeinen. Ich hatte mich in meiner Arbeit als Kunstvermittler nie auf die Fotografie spezialisiert. Vor einigen Jahren habe ich dann aber angefangen, selbst zu fotografieren und die gemachten Fotografien auszustellen und zu veröffentlichen.
Parallel dazu habe ich begonnen, mit Fotograf*innen, Fotohändler*innen, Kurator*innen und weiteren Gespräche zu führen. Zum einen, um Kontakte zu knüpfen, zum anderen aber auch, um zu lernen, um meinen Horizont in Bezug auf die Fotografie zu erweitern.
Ich habe in den letzten Jahren auch viel über Fotografie gelesen – allerdings eher Monografien und allgemeine Darstellungen, keine theoretischen Schriften – und natürlich sehr viel Fotografie in Galerien und Museen angeschaut. Dafür ist Berlin einfach perfekt geeignet. Es gibt nur wenige Orte auf der Welt, an denen es zu jeder Zeit so viel neue wie auch klassische Fotografie aus allen Ländern der Welt zu entdecken gibt.
Warschau ist da ein anderes Pflaster: Der Umfang der Galerieszene ist eher vergleichbar mit dem, was 1989 in Berlin existierte, bevor die Stadt zu dieser wichtigen Kunstmetropole avancierte, die sie heute ist. Die Museumsdichte ist in Warschau ebenfalls überschaubar. Es gibt also nicht so viele Fotoausstellungen zu sehen. Und das, was zu sehen ist, ist zu über 90 % polnisch.
Dafür, dass hier so wenig ausländische Künstler*innen und Fotograf*innen zu sehen sind, gibt es allerdings auch gute Gründe: Gesamtgesellschaftlich spielen Kunst und Fotografie in Polen einfach noch keine große Rolle. Es gibt hier auch so gut wie keine Sammler*innen. Und gelegentliche Käufe von Privatpersonen halten sich in Grenzen.
Zum einen fehlt den meisten das Geld und dann ist die Kunst hier noch nicht zu einem Statussymbol geworden. Und wenn dann etwas gekauft wird, dann vor allem Werke von Pol*innen. Deshalb die Konzentration auf polnische Künstler*innen und Fotograf*innen in den Galerien.
Ganz allgemein: Würdest Du sagen, dass man einem Bild ansehen kann, woher es kommt? Gibt es so etwas wie regionsspezifische Bildsprachen?
Puhh, ja, ich denke, dass es so etwas gibt, zu bestimmten Zeiten und an gewissen Orten, aber doch eher punktuell. Schaut man sich die polnische Fotografie bis in die 1990er Jahre an, dann lässt sich bei vielen Aufnahmen zumindest vermuten, dass sie aus einer mitteleuropäischen Produktion kommen, einfach deshalb, weil hier oft sehr klassisch fotografiert und zudem das Handwerk hochgehalten wurde und es in manchen fotografischen Bereichen auch gewissen Vorgaben seitens einer Staatsführung gab.
Wenn man sich also mit den nationalen Eigenarten des Fotografierens und der Bilder beschäftigt, würde man unter Umständen eine Eingrenzung des Entstehungsraumes vornehmen können. Ich selbst würde nur Vermutungen anstellen können und dabei sicherlich häufig falsch liegen.
Auch vor 1989, ohne Internet und permanenter Vernetzung mit der Welt, kannten viele in Polen die Fotografie, die in anderen Ländern gemacht wurde. Und das hat beeinflusst. Man war nicht abgeschnitten von den internationalen Trends. Viele Pol*innen sind auch im Ausland gewesen und haben Ideen mit zurückgebracht. Andere sind während des Kriegsrechts aus Polen weggezogen und haben ihre Karrieren im Ausland weitergeführt.
Da lief dann der Austausch in beide Richtungen. Man darf ja nicht übersehen, dass es auch in Polen Innovationen gab, Fotograf*innen, die via Experiment Neues geschaffen haben, auch völlig unabhängig von dem, was der Staat gern haben wollte. Individualist*innen, soweit sie nicht unterdrückt werden, interessieren solche staatlichen Vorgaben und Beschränkungen nicht. Tomek Sikora zum Beispiel ist nach der Ausrufung des Kriegsrechts nach Australien gegangen und hat dort aus der Werbung Aufträge erhalten, weil er völlig neue, in Polen entwickelte Bildideen mitgebracht hatte.
Es gab natürlich vor der Wende auch in Polen Künstler*innen, die sich der Fotografie als Medium bedient haben und die sehr erfolgreich damit waren. Da ist viel entstanden, das ins visuelle Gedächtnis eingegangen ist, auch im Westen, und deshalb sofort als ein Werk eines polnischen Künstlers oder einer polnischen Künstlerin erkannt wird.
Schau Dir beispielsweise die Arbeiten von Zofia Kulik an. Die sind sofort als die ihren erkennbar. Auch wenn es Arbeiten aus ihrer gemeinsamen Zeit mit Przemyslaw Kwiek sind, als sich die beiden KwieKulik genannt haben, sind diese überregional zumindest in Performance-, Prozess- oder Konzeptkunstkreisen bekannt.
Heutzutage, je vernetzter die Welt ist, je mehr Informationen überall und sofort abrufbar sind, je mehr Ausstellungen stattfinden, je mehr Magazine gedruckt werden, findet eine Durchmischung von Ideen, Stilen, Ästhetiken, Techniken statt, die die Fotografie unterschiedlicher Länder einander immer ähnlicher werden lässt.
Natürlich erhalte ich auch dann noch anhand der abgebildeten Landschaften, Architekturen, Gesichter, Bekleidungen usw. Hinweise darauf, wo bestimmte Fotos entstanden sein könnten. Und zu welcher Zeit. Wenn ich dann aber ein Foto von Peter Bialobrzeski aus Hong Kong oder Tokyo sehe, wer kann daraus noch erkennen, dass es ein Deutscher war, der die Aufnahme gemacht hat? Das muss man dann einfach wissen.
In den Arbeiten von Tomek Sikora findet man in beinahe jedem Bild Skurriles und einen Hauch von schwarzem Humor oder einer eher morbiden als heiteren Stimmung. Auffallend sind in den älteren Arbeiten unterschiedlichste Komposingformen im analogen Bereich, die sich in späteren Arbeiten im Digitalen fortsetzen. Sind diese Merkmale in der polnischen Fotografie verbreitet?
Tomek Sikora ist in jeder Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung in der polnischen Fotografie. Seine Experimentierlust, die intensive Durchmischung von Kunst und Werbung in seinem Gesamtwerk – wobei die Kunst nie wie Werbung aussieht, aber die Werbung meist einen stark künstlerischen Touch hat – überhaupt seine zahlreichen, trotz ihrer Komplexität meist als die seinen erkennbaren Bildsprachen – all das ist ziemlich einmalig. Seine nonkonforme Arbeit ist auch in Polen keineswegs die Norm. Sikora ist definitiv ein Unikat. Er ist übrigens auch ein ausgesprochen netter Gesprächspartner.
Würdest Du Zofia Kulik auch als eine Ausnahmekünstlerin beschreiben mit ihren sehr grafischen, politisierten Arbeiten, die eng mit der Collage verknüpft sind?
Zofia Kulik ist eine der wirklich herausragenden Künstlerinnen Polens, das muss man ganz klar sagen. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren hat sie, wie ja schon gesagt, gemeinsam mit ihrem damaligen Partner Przemyslaw Kwiek performative und konzeptuelle Werke geschaffen, die auch außerhalb Polens wahrgenommen wurden.
Aber erst, als sie sich Ende der 1980er Jahre dazu entschloss, allein zu arbeiten, wurde sie so richtig zum Star. Ein Grund dafür wird auch die hohe Wiedererkennbarkeit ihrer Tableaus aus schwarzweißen Fotomontagen sein, mit denen sie sich seit dieser Zeit beschäftigt. Und Kulik hat es geschafft, dass ihre markante fotokünstlerische Handschrift auf Dauer nicht langweilig wird; sie hat sie immer etwas weiterentwickelt.
Wie sieht es generell mit der Verbreitung oder Verteilung von Galerien, Kunstschaffenden und Fotograf*innen in Warschau bzw. ganz Polen aus?
Warschau ist eindeutig das Zentrum der polnischen Fotografie. Hier gibt es die meisten Galerien, wobei man sich immer vor Augen halten muss, dass auch die Warschauer Galerieszene sehr überschaubar ist mit ihren etwa 30 Marktteilnehmer*innen. Immerhin rund ein Viertel davon fokussiert sich ausschließlich auf die Fotografie, wie die Leica Gallery 6 x 7, Czulosc, Asymetria, die Fundacja Archeologia Fotografii, Ney Gallery und das ganz neue Instytut Fotografii Fort, das neben einer Galerie auch die erste reine Fotografiebibliothek in Polen betreibt. Dann gibt es noch zwei kleine Ausstellungsräume des zpaf, des Verbands der polnischen Kunstfotograf*innen, einer Institution, die noch aus kommunistischer Zeit stammt und heute eher ein Nischendasein pflegt, obwohl sie sich um Aktualität bemüht. Sie schafft es aber nicht so richtig, ihr verstaubtes Image abzustreifen. Andere Galerien in Warschau haben Fotografie mal mehr, mal weniger mit im Programm, Raster zum Beispiel, Profile oder Pola magnetyczne.
Natürlich gibt es auch in anderen Städten Polens Galerien, die Fotografie zeigen, aber das Zentrum der Foto-, wie auch der Kunstszene ist definitiv die Hauptstadt. Und dementsprechend leben hier auch die meisten Fotograf*innen.
Gibt es in und um Warschau eine Szene für Selfpublishing-Magazine, um sich, andere Künstler*innen und Fotograf*innen zu unterstützen und mit Hilfe der neuen Medien zu verbreiten?
Es gibt eine Selfpublishing-Szene, ja. Wie umfangreich sie aber ist, gerade auch in Bezug auf Magazine, kann ich noch nicht sagen. Anfang Dezember fand die zweite Warschauer Kunstbuchmesse statt, auf der sich sehr viele polnische Kleinverleger*innen präsentiert haben. Da ging es vor allem um Bücher in geringen Auflagen, viele davon sehr engagiert und stilvoll gestaltet.
Natürlich hatten auch Großverleger wie Steidl oder Prestel Präsentationsstände. Aber die polnischen Verleger*innen waren klar in der Überzahl. Magazine aus dem Selfpublishing-Bereich sind mir nicht so ins Auge gestochen, vielleicht aber deshalb nicht, weil ich nicht gezielt danach Ausschau gehalten habe.
In Polen ist alles auch eine Geldfrage. Ich hatte eingangs ja schon gesagt, dass es wenig Käufer*innen für Kunst gibt. Und ich sehe nicht, dass es bei spezialisierten Kunst- und Fotobüchern anders ist. Die Galerie Raster beispielsweise publiziert ziemlich interessante Bücher, unter anderem über Architektur in Warschau, aber auch über die Künstler*innen, die sie vertritt, wie die Fotokünstlerin Aneta Grzeszykowska.
Grzeszykowska ist ja inzwischen ein Star, auch international, aber das vorzügliche Buch über ihre Arbeit, das in kleiner Auflage erschienen ist, steht nach langer Zeit immer noch im Regal der Galerie und wird angeboten. Also, selbst große polnische Namen sorgen nicht dafür, dass die Bücher auch verkauft werden.
Der Fotograf Adam Lach gestaltet und produziert Bücher zum Teil selbst und kümmert sich auch um den Vertrieb. Ein Freund von mir in Berlin, Thomas Gust, der die Fotobuchhandlung Bildband Berlin im Prenzlauer Berg betreibt, hat zum Beispiel das von Lach produzierte Fotobuch „Stigma“ direkt vom Fotografen erworben.
Für Pol*innen ist es ein mühsames Stück Arbeit, eigene Publikationen unters Volk zu bringen. Aber ist das für Selbstverleger*innen in Deutschland anders? Ich denke nicht. Es gibt aber eine relativ neue Kunstzeitschrift, die vom Kurator, Kritiker und Fotoexperten Adam Mazur zusammen mit Jakub Banasiak gegründet wurde, SZUM. Beide sind im Team auch die Chefredakteure.
Eine meiner persönlichen Erinnerungen ist, dass es in Polen vor einigen Jahren, als ich mit meinem Vater dorthin gereist bin, noch sehr günstig analoges Filmmaterial, Papier und dergleichen zu erwerben gab (meine eigene erste Dunkelkammerausrüstung stammt von dort). Meine Erinnerung zeigt auch noch einen verschwommenen Rollfilmautomaten – wenn meine Erinnerung mich nun nicht trügt – der hier ja schon längst aus der Mode gekommen ist. Wird in Polen generell heute noch viel analog gearbeitet oder ist es dort ebenso gemischt wie in Deutschland? Siehst Du Tendenzen, was sich dort zukünftig verbreiten wird im Hinblick auf Fotografiestile und -techniken?
Auch hier kann ich nur meine subjektiven Wahrnehmungen wiedergeben und das auch nur für Warschau. Generell ist Fotografie in Polen ein teurer Spaß. Wer digital arbeitet, zahlt für Kamera und Ausrüstung so ziemlich dieselben Preise wie in Deutschland. Bei dem schon erwähnten, sehr viel niedrigeren Einkommen der meisten Menschen ist digitale Fotografie in der Anschaffung also eine ziemlich kostspielige Angelegenheit. Man benötigt ja auch noch einen Computer, Speicherkarten, Festplatten, eventuell Bildbearbeitungsprogramme. Und den Druck haben wir jetzt noch gar nicht erwähnt.
Auch Filme von Impossible für die alten Polaroidkameras kosten in Polen genauso viel wie in Deutschland. Wer analog eine neue Kamera haben will, eine Leica beispielsweise, zahlt ebenfalls die uns bekannten Preise. Wie es aber nun auf dem Gebrauchtwarenmarkt für analoge Kameras aussieht, das kann ich nicht sagen.
Ich habe aber schon einige Läden gesehen, sie sich auf analoge Kameras spezialisiert haben, und da auch durchaus auf Hochkarätiges wie Mamiya und Hasselblad. Für klangvolle Namen scheint es im Fototechnikbereich also Kunden zu geben. Dass das Einkommen vieler Pol*innen so niedrig ist, bedeutet ja nicht, dass es nicht auch wohlhabende Pol*innen gibt, gerade auch hier in Warschau. Und teure Kameras scheinen in Polen eher gekauft zu werden als günstige oder mittelteure Kunstwerke, geschweige denn hochpreisige.
Analoge Fotografie spielt sicherlich für viele Fotograf*innen eine große Rolle, bei den Traditionalist*innen ebenso wie bei jüngeren Künstler*innen. Ich führe gerade ein E-Mail-Interview mit der jungen polnischstämmigen Fotografin Alicja Dobrucka, die abwechselnd in London und Bombay lebt. Sie hat sich komplett auf analoges Fotografieren spezialisiert.
Also, insgesamt würde ich mal sagen, dass es hier keine Unterschiede zu Deutschland gibt, was die Verwendung der Techniken anbelangt. Und zu Deiner Frage nach den Stilen: Da denke ich, dass es sich immer mehr angleichen wird an das, was in der westlichen Welt so fotografiert wird. Von Spanien bis Finnland, von Polen bis in die Niederlande, irgendwie gleicht sich der Geschmack der Fotografierenden, der Redaktionen und der Kurator*innen und Galerist*innen immer mehr an. Wenn dann mal jemand etwas wirklich Eigenständiges entwickelt, dann fällt das sofort auf, wie eben Aneta Grzeszykowska, die ich vorhin erwähnt habe.
Du wirst ein ganzes Buch zur polnischen Fotografie beim KLAK-Verlag Berlin machen. Ein Buch, das ausschließlich Interviews mit Fotograf*innen, Galerist*innen, Kurator*innen, einem Kritiker und einer Auktionatorin enthalten wird. Denkst Du, die polnische Fotoszene wird in den nächsten Jahren mehr in den internationalen Fokus gerückt werden? Es gibt die bekannten, großen Zentren der Kunst wie Paris, New York, Berlin, um nur einige zu nennen. Denkst Du, dass sich deren Besonderheit über die Zeit vielleicht ein wenig abschwächt und noch unbekanntere Regionen einen Aufschwung erfahren werden? Oder zieht die Kunst viel mehr aus ihrer Heimat in diese existierenden Zentren ein?
Das ist ja nett, dass Du auf das Buch zu sprechen kommst. Ja, über den Weg des Interviews nähere ich mich der polnischen Fotoszene. So lerne ich einige ihrer Protagonist*innen persönlich kennen und erfahre in den Konversationen viel über die Gegenwart und Geschichte der polnischen Fotografie und Kunst, sowie allerlei über die Geschichte Polens an sich. Es wird eines der ersten Bücher in Deutschland sein, das sich mit der polnischen Gegenwartsfotografie auseinandersetzt.
Du fragst nach dem künftigen Stellenwert der polnischen Fotoszene im internationalen Kontext. Ich glaube nicht daran, dass da auf einmal ein Boom entstehen wird und alle Welt auf die polnischen Fotograf*innen und Galerien schaut. Dafür agiert die Szene selbst zu sehr im Nationalen. Ich habe ja schon gesagt, dass polnische Galerien vor allem Pol*innen zeigen, weil die Museen fast nur Polnisches kaufen und die wenigen Sammler*innen ebenso. Wo soll da auf einmal eine Internationalität herkommen? Dieses ganze Spiel beruht doch auf Gegenseitigkeit.
Würde Polen mehr ausländische Künstler*innen ins Land holen, ihnen Stipendien geben, sie zahlreicher in Galerien und Museen ausstellen und vor allem auch kaufen, dann gäbe es ruckzuck auch mehr Kooperationen mit Galerien in anderen Ländern und ein echter Austausch würde seinen Anfang nehmen. Wenn ein Land nur mit sich selbst beschäftigt ist, dann darf es sich nicht wundern, wenn es für andere nur bedingt von Interesse ist.
Es gibt natürlich polnische Künstler*innen und Fotograf*innen, die das bewusst oder unbewusst erkannt haben und deshalb ihre eigene Karriereplanung stark in Richtung Ausland treiben, dorthin, wo es Geld zu verdienen gibt und internationale Kontakte zu machen sind. Einige polnische Galerien suchen ebenfalls den Anschluss an den internationalen Kunstmarkt, indem sie versuchen, an guten Messen teilzunehmen.
In der Fotografie wären das beispielsweise die Paris Photo und neuerdings auch die MIA in Mailand. Wieder andere versuchen, einen Stand auf einer der kleineren Kunstmessen zu ergattern, wie der Art Vienna. Das ist, auch hier, alles eine Frage der Kosten. Polnische Galerien haben da eventuell noch den Exotenbonus und werden schneller zugelassen als weitere Galerien aus Berlin – immer vorausgesetzt, sie können sich die Messe leisten.
Den Rang von New York, Paris und London wird Warschau nie haben. Ohne Geld, ohne Sammler*innen, ohne eine große Museums- und Galerienszene ist da nichts zu reißen. In Berlin gab es lange Zeit auch keine Sammler*innen und das Geld fehlt teilweise bis heute, aber in Berlin gab es immer schon viele Museen und eine gute institutionelle Kunstförderung mit internationalem Anspruch, beispielsweise den DAAD und das Künstlerhaus Bethanien, die beide neben Ausstellungen mit internationalen Künstler*innen auch internationale Stipendienprogrammen haben bzw. beherbergen.
Außerdem gab es nach 1989 unglaublich viele extrem günstige Wohnungen und Gewerberäume, die Künstler*innen und Galerist*innen aus aller Welt in die Stadt lockten. Warschau dagegen hat all das nicht. Nicht einmal der Wohnraum ist günstig. Auf dem Wohnungsmarkt sind die Preise ähnlich wie im heutigen Berlin. Das Interesse an der Stadt wird daher überschaubar bleiben, so bedauerlich das auch sein mag. Und jetzt, da mit der PiS eine äußerst patriotisch gesinnte Regierung an der Macht ist, die gewiss kein Geld für ausländische Künstler*innen und Fotograf*innen ausgeben wird, ist in meinen Augen auch keinerlei Perspektive für einen Anschluss an den internationalen Kunstmarkt vorhanden.
Gibt es interessante Anmerkungen zur gängigen Ausstellungspraxis, unterscheidet sie sich gegebenenfalls von anderen etablierten und bekannten Vorgehensweisen? In Deutschland sind Off-Spaces, die meist eben genau keine White Cubes sind immer populärer, vor allem, aber nicht nur, unter jungen Künstler*innen. Gibt es diese Tendenzen auch in Polen?
Ich hatte die Galerie Czulosc erwähnt als einer der wenigen Kunstorte, der sich auf Fotografie spezialisiert hat. Wäre Czulosc in Berlin, würde sie als Off-Galerie gehandelt werden. Aber hier in Warschau steht sie gleichberechtigt neben der Leica Gallery, deren ganze Struktur kommerziell ausgerichtet ist, obschon ihr Besitzer Rafal Lochowski seit sieben Jahren Geld zuschießt und nach rein ökonomischen Gesichtspunkten selbst diese Galerie in Warschau nicht funktioniert. In Warschau vereint alle Galerist*innen, dass sie etwas machen wollen, dass sie Warschau als Kunst- und Fotostandort voranbringen wollen. Czulosc macht es ohne finanziellen Hintergrund, Leica mit einem finanziellen Hintergrund.
Vielen Dank, Pepper, für diesen langen und interessanten Austausch! Wir können, denke ich, zu Recht neugierig sein auf das Buch, das Du derzeit bearbeitest. Und auf die Zukunft der polnischen Fotoszene – es wird sich zeigen, was an all diesen Orten weiter geschieht. Während der Wartezeit auf das Buch könnt Ihr auf Peppers Blog weitere Interviews lesen, die er mit der polnischen Fotoszene und anderen geführt hat.