Psychologie der Fotografie: Kopf oder Bauch?
Die Verquickung zweier auf den ersten Blick vermeintlich weit voneinander entfernter Themenfelder – Fotografie und Psychologie – wird im Buch „Psychologie der Fotografie: Kopf oder Bauch?“ untersucht und als wichtig be- und umschrieben im fotografischen Umgang mit dem Menschen, also dem wohl Empfindsamsten, was man vor seiner Linse haben kann.
Dieses Buch von Prof. Dr. Sven Barnow, seines Zeichens Leiter des Lehrstuhls für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Uni Heidelberg, setzt sich, bedingt durch seine fotografischen Tätigkeiten, mit der Fotografie von Menschen auseinander. Hierbei liegt sein Augenmerk auf den Positionen vor und ebenso hinter der Kamera: Wie kann man seinem Modell Ruhe vermitteln? Posen einleiten, ohne unter Druck zu setzen? Ehrliche, authentische Bilder erstellen, die Persönlichkeit und Charakter der zu portraitierenden Person zeigen?
Und natürlich auch: Wie kommuniziere ich mit der Person vor meiner Kamera? Nehme Scheu und Angst vor dem Fotografiertwerden? Wo sind überhaupt die Zusammenhänge zwischen Psychologie und Menschenfotografie? Und wie kann der*die Fotograf*in mit Hilfe der Psychologie bessere, echtere Bilder erschaffen? Die Zielgruppe dieses Buches ist breit gefächert – das Buch bietet Anfängern und Profis gleichermaßen Tipps und Ideen für die Menschenfotografie.
Das Buch enthält Interviews, Übungsideen und Anregungen sowie viele Fragen, die man sich als Fotograf selbst stellen kann, um seine Arbeitsweise mit Menschen zu untersuchen und zu optimieren. Es gibt kein einheitliches Patentrezept mit Schritten von 1 bis 10, die unter Garantie funktionieren. Jedoch werden viele Möglichkeiten vorgestellt, sich an die Menschenfotografie Schritt für Schritt heranzuwagen und Wege zu beschreiten, die hilfreich und zielführend sein können.
In verständlicher Sprache, ohne einen in Fachwörtern zu ersticken, werden Einblicke in die Fotografien, die Sven Barnow mit seinem Hintergrund gemacht hat, geboten. Ebenso wie es Bilder, gemacht von seinen Schülern, im Buch gibt. Gezeigt werden diese mit Vorher-Nachher-Vergleichen und genauen Beschreibungen der Erfahrungen der fotografierten Person und des Fotografen. Man findet innerhalb des Buches generell jedoch wenige Bilder, sondern dies ist eine textbasierte Lektüre, die das zu Vermittelnde wenn nötig auch mit Strichzeichnungen verdeutlicht oder nur mit dem beschreibenden Text auskommt, um Inhalte deutlich zu machen.
Das Buch bietet viele Einblicke in unterschiedliche Thematiken rund um das Fotografieren von Menschen. Ein besonderer Fokus liegt hierbei auch auf Menschen mit psychischen Problemen, was Herrn Barnows Berufsfeld zuzuschreiben sein wird.
Themen wie Kreativität, Körpersprache, Ausflüge zur Straßenfotografie sowie fachspezifischere Bereiche zur Fototherapie und dem Gear-Acquisition-Syndrom (kurz: „GAS“, das Objektiv-und Kamera-kaufen-müssen-Syndrom) findet man ebenfalls im Buch, das übrigens als klassische Druckversion ebenso wie als E-Book erhältlich ist. Ob es diese weit ausschweifenden Themengebiete wie das GAS innerhalb dieses Buches hätte geben müssen, zweifle ich ein wenig an, da es weniger mit dem Fotografieren an sich zu tun hat, sondern sich sehr auf den Beruf des Autors bezieht.
Zu jedem Unterthema im Inhaltsverzeichnis ließe sich wahrscheinlich einzeln ein Buch verfassen, doch für den Start in die Menschenfotografie halte ich dieses Buch für eine gute Lektüre, um sich mit wichtigen Fragen zur Fotografie von Menschen auseinanderzusetzen.
Bei einem Seitenumfang von 133 Seiten ist es mit 30,80 € (Österreich) und 22,90 € (Deutschland) ein recht teures Buch, dessen Anschaffung jedoch mit Sicherheit Verbesserungen in der Menschenfotografie hervorrufen kann und somit auch etwas mehr kosten darf. Erschienen ist es bei dpunkt, einem Verlag, der noch eine Vielzahl weiterer Bücher zu diversen Themen der Fotografie anbietet, die ebenfalls für Einsteiger ebenso wie für gestandene Fotografen eine Bereicherung darstellen.
Den Abschnitt mit dem Gear-Acquisition-Syndrom fand ich auch etwas am Thema vorbei. Ansonsten kann ich bestätigen, es ist ein sehr empfehlenswertes Buch zum Thema Portrait.
Sehr Interessant! Danke für den schönen Artikel.
„Kopf oder Bauch?“ Das, was man als „Bauch“ bezeichnet, ist wohl auch nur der Kopf, aber Intuition findet in anderen, uns weniger bewussten Bereichen des Gehirns statt.
P.S.
„… Straßengotografie …“ – Tippfehler.
Danke, korrigiert!
Witzig, auf genau dieses Buch bin ich bei meiner Recherche für die Bachelorarbeit auch gestoßen! Ich bin schon gespannt darauf, es mal zu lesen, vor allem da ich es ja nicht nur von der Fotografenseite betrachten kann.
Den Satz am Anfang fand ich übrigensetwas verwunderlich – für mich hat Fotografie unheimlich viel mit Psychologie zu tun, und das meine ich nicht nur weil ich Letzteres studiere! Für mich liegt es irgendwie auf der Hand, aber interessant, dass das für andere nicht so sein muss! Vielleicht liegt es auch nur an meiner sehr emotionalen Art der Fotografie – es gibt jenseits dessen ja auch noch so viel mehr.
(Wobei auch beispielsweie Landschafts- oder Architekturfotografie genauso viel mit Psychologie zu tun haben kann!)
Hallo Michelle!
Der erste Satz war von mir so gewählt, da auch mich das Gefühl nicht los lässt das speziell in der Menschenfotografie viele vergessen wie wichtig Psychologie ist. Das kleine Wort „vermeintlich“ darf man hier nicht übersehen :)
Danke für den Artikel! Das Buch klingt sehr interessant, da ich das Ablichten von Menschen stark mit Emotionen und Empfindungen in Verbindung setze.
Beste Grüße
Nora
Blogartikel dazu: Buchvorstellung 2 | Candy Shop
Ich habe gerade mit dem Buch begonnen und finde es auf der einen Seite spannend, auf der anderen Seite (bisher) noch etwas einschränkend. In dem Buch geht es bisher, zumindest soweit ich bisher vorgedrungen bin, vorrangig um emotionale/Charakter/Studio/Porträts mit dem Fokus darauf, einen oder mehrere authentische, zur fotografierten Person passenden Ausdruck einfangen zu können. Menschen kann man jedoch auch auf andere Arten fotografieren, die mitunter in ihrer Gestaltung von verschiedenen, nicht beeinflussbaren Faktoren geprägt sind. Mode, Beauty, Fashion, Lifestyle, Hochzeiten, Paare usw. Dort stellen sich z.T. ganz andere Herausforderungen aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Gegebenheiten.
Wenn ich mir so die Bilderflut der mehr oder weniger ambitionierten Hobby- und Amateur-, aber auch Berufsfotografen anschaue, habe ich in der Tat den Eindruck, dass ein paar Punkte schwer vernachlässigt werden und vorrangig auf die Technik geachtet wird. Sehr viele 08-15-Shots mit Standardposen, -bildaufbau, -bildgestaltung und -bildinhalt. Hauptsache die Farben stimmen und das Motiv ist gut ausgeleuchtet. Bei manchen setzt der Reife- und Erkenntnisprozess später ein, bei manchen hat man den Eindruck: nie.
Zu den Beispielfotos im Buch hoffe ich, dass sie nur illustrieren sollen und nicht die Meisterwerke des Autors sind.
Hallo Ralf,
ich denke schon der Umfang des Buches macht deutlich, dass nicht alle Bereiche des Portraits abgedeckt sein können – dafür ist dieses Feld doch wirklich sehr unterschiedlich auf zu fassen und um zu setzen wie du sehr richtig bereits schreibst.. Ich hoffe dennoch, dass es dir ermöglicht neue oder andere Aspekte im Bezug auf die Portraitfotografie zu entdecken und kennen zu lernen.
Viel Freude beim weiteren Lesen & Fotografieren !
Das Buch Psychologie und Fotografie hätte ich gerne
Reinhold J. Innig
info8888@t-online.de