Doppelbelichtung Mensch im Feld liegend.
02. Juli 2016 Lesezeit: ~11 Minuten

Vom Nichtdasein

Viktória Kollerová ist eine Fotografin aus Bratislava in der Slowakei. Bekannt ist sie hauptsächlich für ihre schwarzweißen Selbstbildnisse, aufgenommen in schönen, oftmals schroffen Umgebungen und mit einem Sinn für Ausdruck, Form, Tonalität und Humor, der bei mir zuverlässig und nachhaltig auf einen Nerv trifft.

Woraus ich schloss, dass ich herausfinden muss, warum diese Bilder zu mir sprechen und warum sie aufgenommen wurden. Etwas herausfinden über eine Frau, die von sich selbst sagt, dass sie „nicht viel redet“ und versuchen, ein bisschen in ihren Kopf zu gelangen:

Das könnte problematisch werden. Ich bin meistens selbst nicht dort.

Der Abdruck einer Person unter einem Teppich.

Gut, wer ist dann in Deinem Kopf? Oder einfacher gefragt: Was tust Du?

Früher habe ich Einzelunterricht in Englisch gegeben, aber seit fünf Jahren fotografiere ich nur noch. Große, kommerzielle Projekte bearbeite ich nicht, daher lebe ich mit minimalen Ausgaben.

Wolltest Du das immer schon? Künstler werden ja oft für Ihren Lebensstil bewundert, den sie nach vieler Leute Meinung aus freien Stücken wählen.

Das, was ich mache – es fällt mir schwer, es ein Künstlerdasein zu nennen – kommt mir meistens wie eine Behinderung vor. „Freiwilligkeit“ spielt nicht wirklich eine Rolle. Ich habe erst in meinen Zwanzigern zur Kamera gefunden, das ist vergleichsweise spät, aber die Intensität, mit der ich sie zu nutzen begann, könnte man unnormal nennen.

Anfang 2009 richtete ich eine digitale Kompaktkamera auf mich selbst und folgte dann einem sehr üblichen Entwicklungsmuster in Online-Fotoplattformen, veröffentlichte Bilder (nachdem ich sie einer heute recht albern anmutenden Nachbearbeitung unterzog), um von anderen Kamerabesitzern bewertet zu werden.

Fuß, Arsch, Arm, Hand, Apfel

Wurzel, Terrasse, ein kopfloser nackter Mensch.

Und zu meiner Verwunderung bekam ich von dieser Öffentlichkeit Unterstützung. Vielleicht war es die Energie, die aus dem größtenteils positiven Feedback entstand, die meine weiteren fotografischen Bemühungen befeuerte, darum bin ich dafür dankbar, denn Fotografie hat nach und nach die Hauptrolle in meinem Leben übernommen. Der Drang, ihr den größten Teil meiner Zeit zu widmen, kam Stück für Stück und manchmal macht es mich ausgesprochen glücklich. Aber da ist immer eine leise Flüsterstimme in meinem Hinterkopf.

Was sagt sie?

Sie macht mich nachdenklich, darüber, womit der Platz, den Fotografie in meinem Leben hat, andernfalls gefüllt würde.

Hältst Du eine Rückkehr zu einem nicht-künstlerischen Beruf für möglich oder wäre das eine Niederlage?

Ich hatte niemals einen richtigen Job, von daher: nein. Wieder zu unterrichten, ziehe ich oft in Betracht und Einzelunterricht ist nahe am Künstlerischen. Einen regulären Job in einer Firma, wie die, in die die meisten meiner Freunde verstrickt sind, das kann ich mir wirklich nicht vorstellen. Ich glaube nicht einmal, dass irgendeine Firma mich einstellen würde, nachdem sie dort meine Bilder ergooglet haben.

Aber manchmal hätte ich gern einen festen Job mit sicherem Einkommen, netten Kollegen und einem Grund, zu einer bestimmten Zeit aufzustehen. So etwas ist keine Niederlage. Man kann nicht aufhören, Künstler zu sein.

Hast Du Dich bei Kunstakademien beworben?

Ich habe vorgesprochen. Ein Professor hätte mich in seinem Studio haben wollen und ein anderer nicht. Die Bewertung Deiner Arbeit hängt halt immer von subjektiven Ansichten und Geschmäckern ab.

Eine abgeschnittene Pflanze steckt in einer Weinflasche neben ihrem Topf.Eine große Frau schaut auf drei sehr kleine Waschbecken.

Möchtest Du ein Künstler sein? Im dem Sinne, sich „für diese Position zu bewerben“?

Weiß nicht. Ich möchte gern undefiniert sein. Dokumentation ist für mich die echteste, aufrichtigste Art von Fotografie. Man kann darin nur großartig werden, wenn man das Auge, den Instinkt und vor allem das Wesen dazu hat. Nicht jeder kann das.

Also hast Du Dich stattdessen auf kommerzielle Fotografie eingelassen. Und ich erinnere mich, dass es ein Projekt gab, über das Du einmal gesagt hast, dass es ausgesprochen erfüllend war, so, als ob die ganze Sache mit der Fotografie auf einmal viel mehr Sinn ergäbe. Obwohl es mit Deiner persönlichen Kunstfotografie nichts gemein hat.

I Can Dream Again“ ist eine Portraitserie über Patienten, die ihren Kampf gegen ein Non-Hodgkin-Lymphom – eine Art Blutkrebs – gewonnen haben und über ihre Träume. Ich habe sie für einen Kalender aufgenommen und obwohl ich nicht machen konnte, was ich selbst wollte, war es bereichernd, für andere zu arbeiten. Aus dem gleichen Grunde mache ich sehr gern Bilder von Neugeborenen, Kindern, Bräuten, Liebespaaren. Ein Kalender für geheilte Krebspatienten, danach fühle ich mich etwas weniger schuldig.

Ein Mann im Bademantel.

Glaubst Du, diesen Wandel jetzt vollziehen zu müssen?

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist so bohrend. Manchmal werde ich aus dem Leben nicht schlau und etwas für andere zu tun, hilft mir beim Ausbalancieren. Selbstportraits so exzessiv zu praktizieren, wie ich es tue, das erzeugt Fragen nach Themen wie Selbstsucht, Identitätsstörung und übertriebener Egozentrik.

Meine katholische Erziehung hat ein recht sensibles Bewusstsein erzeugt und oft frage ich mich, ob es richtig ist, mich in meiner Arbeit so ausnahmslos auf mich selbst zu konzentrieren. Anders gesagt, ich zweifle oft daran, ob dies die beste Art ist, mein Talent und meine Energie einzusetzen, auch wenn es mir auf vielerlei Art hilft.

Dass Schuld im Katholizismus eine große Sache ist, fiel mir auf. Und Deine ist also Eitelkeit?

Ganz klar. Ihrer wurde ich schon oft bezichtigt. Selbstsucht.

Eine Frau mit Gebiss steht vor einem Marienbildnis.Füße vor einer Matratze mit abgeschnittenen Zöpfen darauf.

Und ein weiteres Problem ist, nichts beizutragen zur heutigen gesellschaftlichen Fotografie, wie sie an Kunstakademien läuft. Ich mag Konzeption und Bilder, die aus einem bestimmten Grund gemacht werden. Du weißt schon, hochgradig geplant und berechnet. Aber ich bewundere auch Bilder, die aus einem momentanen Impuls entstehen, von Gefühl statt Verstand getrieben. Idealerweise eine Mischung von beidem. Manchmal ist der Zufall der beste Fotograf.

Was glaubst Du, wie sich Deine Bilder in Bezug auf Ästhetik, Konzeption und Technik entwickelt haben?

Das sind für fast jeden, der das Medium gerade für sich entdeckt hat, sehr wichtige Aspekte. Jede hochwertige Kamera mit guter Linse macht aus nahezu allem einen „Wow-Effekt“. Dank digitaler Bildbearbeitung muss man nur etwas Schönes finden (und die Welt ist ja voller schöner Dinge, wenn sie nicht gar vollständig aus ihnen besteht – wie man mit Hilfe seiner teuren Ausrüstung später herausfindet), dann mit haarsträubenden Farben, Kontrasten und Schärfe versehen und voilà, da ist der professionelle Fotograf.

Mit etwas mehr Ambition und dem unbequemen Gefühl, dass Deine Tiefenunschärfe nicht „tief“ genug ist, wandelst Du Deine Bilder dann zu schwarzweiß, ziehst etwas Schärfe ab, fügst etwas nachgemachtes Korn hinzu und gibst ihnen dann geheimnisvolle, allumfassende Titel.

Sich für eine Stelle als Künstler zu bewerben, das geht heute am einfachsten per Fotografie.

In der Zwischenzeit jedoch spielst Du mit Ebenen und anspruchsvolleren Bearbeitungsmethoden oder näherst Dich dem Grafischen, um schließlich zu bemerken, dass das tatsächliche Aufnehmen eines Bildes nur noch einen winzigen Teil der ganzen Zeit ausmacht, die Du für die Erschaffung Deines Kunstwerks aufbringst.

An diesem Punkt wirst Du der Künstlichkeit des Prozesses unglaublich überdrüssig und weil Du Dich noch immer nicht so ganz wie ein Künstler fühlst, wendest Du Dich der Analogfotografie zu, innerhalb derer Du, genügend Ambition vorausgesetzt, von 35 mm zu Mittelformat, dann Großformat und schließlich Kollodium-Nassplatte wechselst, durch ein Nadelloch fällst oder die Wunderwelt der Lomografie betrittst.

Diesen Prozess hat mal jemand die „fotografische Pubertät“ genannt. Fühlst Du Dich nunmehr „adoleszent“?

Falls Adoleszenz emotionalen Aufruhr bezeichnet… bin ich noch drin.

Eine Frau in einer Höhle, davor vorbeigehende Menschen.

Eine wichtige Eigenschaft der Fotografie ist ihre Fähigkeit, zu enthüllen. Das schätze ich sehr. Die Wahl des Objekts, die Art, es anzusehen, die Inbrunst, mit der man seinem Konzept (oder dem Gefühl dahinter) zu folgen vermag, all das zeigt auf, was in einem vor sich geht oder ging.

Manchmal versteht man sein Konzept fast sofort, ein anderes Mal dauert es fast ein Jahr und einige der Bilder, die ich aufgenommen habe, warten noch immer darauf, von mir verstanden und angenommen zu werden. Es ist manchmal schwierig, seine eigenen Arbeiten zu akzeptieren.

Das bringt mich zum Lächeln. Dass man nicht nur mit Fotografie etwas tut, sondern dass sie auch mit einem selbst etwas macht und dass es eine Illusion ist, vollständige Kontrolle darüber zu haben.

Glaubst Du, die meisten Menschen sind sich dessen bewusst?

Ich glaube, die meisten Menschen sind zu sehr damit beschäftigt, ihre Fotografie zu perfektionieren, um sich irgendwelche Freiheiten zuzugestehen.

Aber das überrascht mich nicht, weil es immer etwas gibt, in dem man sich verbessern kann. Meiner eigenen fotografischen Erfahrung nach waren und sind technisches Können, Ästhetik, Bearbeitung, Technologie, Konzept und der Kunstbegriff immer wichtig. Ich versuche nur aufzupassen, welchen Stellenwert jeder dieser Aspekte im Gesamtprozess einnimmt. Und über all dem schwebt das Gefühl, das ich durch die Zeiten mit einem Bild, das ich gemacht habe, verbinden kann.

Beine unter einer Bettdecke und ein Teppichklopfer an der Wand.

Hast Du manchmal den Drang, Dich um andere gängige Stilrichtungen zu bemühen?

Stilrichtungen nicht. Ich sehe oft Bilder, die zu mir sprechen, also untersuche ich sie und versuche zu verstehen, was es ist, das dem, was ich fühle oder erfahre, so nahe ist.

Was ist überhaupt ein Stil? Ich sollte einmal in einem Interview eine schwierige Frage beantworten: „Beschreibe Deinen Stil in drei Worten.“

Vermutlich konntest Du das so oberflächlich nicht.

Ich konnte es überhaupt nicht beantworten. Wenn Leute sagen „Das ist so sehr Dein Stil“, bin ich oft verdutzt.

Die meisten Leute haben eine Handschrift.

Das ist das rechte Wort. Ich mag vertikale Bilder lieber als horizontale. Ich mag ein unscharfes Element in einem Meer aus Schärfe, Dynamik, Stabilität… Spannung. Aber es kommt mir dumm vor, einen Stil mit drei Worten zu beschreiben. Vor allem den eigenen.

Es wurde nicht ausdrücklich nach dem visuellen Stil gefragt. Du kannst auch Worte wie erforschend, enthüllend, verdeckend, beruhigend oder verstörend verwenden.

Ja, aber das sind viele Worte und viele davon Antonyme. Ein antagonistischer Stil. Eine adoleszente Fotografin mit einem antagonistischen Stil.

Schau, Deinen Stil zu beschreiben ist eine Falle. Ich würde niemals etwas, das so in der Entstehung begriffen ist, beschreiben wollen.

Dann hast Du doch Deine drei Worte: „It’s a trap!“

Schade, dass ich es schon abgeschickt habe.

Ein Haarschopf ragt aus einem überdimensionalen Ei.

Aus der Ausstellung „NoBody“, 2015

Ein pneumatischer Fernauslöser liegt auf dem Boden.

Als Teil der Bemühung, die Stimmen zum Schweigen zu bringen, die sie mit Gedanken an Eitelkeit und Egozentrik ablenken, hat Viki Kollerová – „a girl who tried to disappear“ – Ende 2015 für die Ausstellung „NoBody“ im slowakischen Banská Bystrica ihre eigene Präsenz schrittweise aus den Bildern entfernt.

Das Interview wurde von Marcel Pommer auf Englisch geführt und ins Deutsche übersetzt.