01. Juli 2016 Lesezeit: ~7 Minuten

Im Gespräch mit Josef Chladek

Josef Chladek betreibt eine Webseite, die das analoge Medium Buch so nah wie möglich im Internet zu präsentieren ersucht. Hierzu werden wir beinahe direkt mit einem virtuellen Bücherregal konfrontiert, das uns aufgereihte Buchrücken in unterschiedlichen Größen vorführt, die wir dann beim Darübergleiten mit dem Mauszeiger auch von ihrer Vorderseite sehen können. Klicken wir nun auf den Titel, gelangen wir auf eine weiterführende Seite, die das Buch beschreibt und uns Beispielseiten zeigt.

Klaus Pichler, Clemens Marschall - Golden days before they end

Klaus Pichler, Clemens Marschall – Golden days before they end

Hallo Josef, danke für das kleine Interview! Kannst Du uns kurz erzählen, wie Du zur Idee Deines virtuellen Bücherregals gekommen bist?

Ich hatte schon sehr früh begonnen, meine Bücher zu erfassen, das war in einer nicht server-basierenden Datenbank. Nachdem ich berufsbedingt mit Datenbanken und Internet zu tun habe, war es technisch gesehen nur eine Kleinigkeit, das ans Netz zu bringen. Ausschlaggebend war jedoch, dass ich immer wieder Bücher nicht finden konnte (das reale Regal hat keine erkennbare Ordnung), also fing ich an, die Rücken zu erfassen und mir eben ein virtuelles Regal zu schaffen, mit dem ich in der Praxis schneller zu den Bücher fand (und finde).

Welche Arten von Büchern finden wir hauptsächlich in Deinem virtuellen Bücherregal – und wie viele sind bereits insgesamt erfasst?

Hauptsächlich sind es die Fotobücher; Literatur und Politik eignen sich ja weniger, aber auch da habe ich Pläne, diese in der Zukunft zu zeigen, der Fokus liegt dann halt auf Schutzumschlägen bzw. Typografie und Gestaltung. Momentan sind es ca. 2.000 Bücher, die online sind, pro Jahr wächst das um 500 bis 700 Bücher.

Selbst programmierst Du auch Webseiten – dadurch bist Du sicher ein wenig mit dem Design von Oberflächen vertraut. Inwiefern achtest Du bei (Foto-)Büchern auf ihre Gestaltung? Und inwieweit spielt das Trägermaterial hier eine Rolle?

Bei Fotobüchern liegt mein Fokus zuallererst auf den Bildern. Der Tendenz, nicht so bestechendes Bildmaterial durch großartiges Design und/oder Layout zu überdecken, stehe ich skeptisch gegenüber. Aber prinzipiell macht ein gutes Fotobuch die Kombination von Fotografie, Design, evtl. Typografie und die verwendeten Materialien aus – gerade deswegen sind ja außergewöhnliche und überdurchschnittlich gute Bücher rar und nicht so einfach zu „produzieren“.

Takuma Nakahira - For a Language to Come

Takuma Nakahira – For a Language to Come

Werden teils ganze Bücher zum Blättern dargeboten? Falls ja: Könnte dies nicht im Konflikt stehen damit, dass dann das echte Buch nicht mehr käuflich erworben wird? Oder bleibt immer eine Restspannung übrig?

Nein, ganze Bücher gibt es mit ganz wenigen Ausnahmen nie. Das liegt einerseits an der Arbeit und Zeit, die mir das abverlangt, andererseits soll das virtuelle Bücherregal ja eine Präsentationsplattform sein und neugierig machen. Und drittens kann so ein digitales Ansammeln von Bildern niemals ein Buch ersetzen, nicht ansatzweise – wiewohl die archivarische Qualität andererseits vielen ermöglicht, immerhin einen Eindruck eines Werkes zu bekommen.

Was denkst Du: Gibt es in 100 Jahren noch eine Chance für das gedruckte Buch? Oder ist alles nur noch digital verfügbar?

Ja, daran glaube ich sehr wohl – Bücher haben Menschen immer fasziniert, die Weitergabe und Haltbarkeit sind einfach bestechende Argumente. Die Frage ist jedoch eher: Wird es das virtuelle Bücherregal in 100 Jahren noch geben? Vor allem Technologie- und Betreiberwechsel von Plattformen, Dateiformate etc. machen das digitale „Aufheben“ und Bestehen sehr fraglich, das gehört zuallererst gelöst, damit wir von digitalen Werken als solchen sprechen können.

Koen Wessing - Chili September 1973

Koen Wessing – Chili September 1973

Wenn Du an Fotografie denkst und an Deine Vorliebe für Fotobücher, inwiefern würdest Du den Unterschied zwischen einer fotografischen Wandarbeit und einem Fotobuch beschreiben?

Das Singuläre eines Bildes an der Wand kann spannend, faszinierend sein, aber es ist zumeist kein Vergleich, den kompletten Zyklus, die weiteren Bilder einer Serie zu sehen. Aber ich habe das auch immer bei der Musik so gehalten: Singles sind nett, aber erst das ganze Album ordnet das singuläre Stück richtig ein und erschließt einem dann einfach mehr.

Der virtuelle Bücherschrank ist komplett auf Englisch gehalten. Könntest Du Dir vorstellen, auch mehrsprachig zu agieren? Oder steckt eine tiefere Idee hinter der internationalen Sprache?

Das ist rein pragmatisch zu sehen: Mit Englisch ist das virtuelle Bücherregal für die internationale Community am niederschwelligsten zu konsumieren. Weiter liegen die meisten Pressetexte in Englisch vor und das ist natürlich ideal von der Zeitökonomie her. Das Ganze in anderen Sprachen zu führen, wäre nett, aber dazu bräuchte es schlicht und einfach genügend Freiwillige, die die Texte transkribieren müssten. Und seit Bestehen gab es wegen der Sprache eigentlich noch keine Beschwerde.

Die Bücher sind teils antiquarisch, teils top aktuell. Siehst Du Dich mit dieser Webseite als Konservator – also Bewahrer der Bücher?

Mich hat es immer schon genervt, dass wenn ein Buch aus dem Regal einer Buchhandlung verschwindet, es meist nur als Textzeile in einem Antiquariatskatalog auftaucht. Wie es aussieht, welche Varianten es davon gibt – das erschließt sich schon nach wenigen Jahren nicht mehr. Das gilt fast zu 100 % für Bücher „vor“ dem Internet, aber teils auch für Neueres. Ohne mich als Konservator zu fühlen, führt das virtuelle Bücherregal halt automatisch dazu, dass es auch die jetzt neuen Bücher in den kommenden Jahren verfügbar hält und das ist schon ein Aspekt, den ich selbst, aber viele andere auch, sehr schätzen.

Moi Ver - Paris

Moi Ver – Paris

Und nun die wohl schwerste Frage: Welches sind Deine Top 3 Fotobücher – und warum?

In der Tat ist das nie leicht, hängt dazu auch von der Tagesverfassung ab und wahrscheinlich könnte ich aus einem Pool von 20 immer drei wählen, die gälten.

Takuma Nakahira – For a language to come: Einfach, weil es das roheste, kräftigste und düsterste Fotobuch zugleich ist, viel mehr kann ich zu dieser Wucht gar nicht sagen!

Koen Wessing – Chili September 1973: Weil es beweist, wie wenige Bilder es benötigt, um die Stimmung, ein Ereignis einzufangen. Und dass die Produktion auch „billig“ sein kann, wenn der Inhalt und die Bilder passen.

Moi Ver – Paris: Dass dieses Buch 1931 erschienen ist, sieht man ihm so gar nicht an. Ich glaube, es gibt kein Buch, das so aus der Zeit herausragt und immer noch so modern erscheint. Wenn man sich andere Stadt-Portraits aus der Zeit (oder auch spätere) ansieht, weiß man, welches Meisterwerk Moi Ver hier geschaffen hat!

Danke für Deine Zeit, Josef!

Anbei ein kleiner Tipp von mir: Bücher, die bereits vergriffen sind oder in astronomische Preislagen gestiegen sind, da sie zu Sammlerobjekten wurden, findet man unter Umständen bei Books on Books, einer Editionsreihe, die Bücher in Büchern reproduziert.

Hiermit entlassen wir Euch, um auf Stöberreise im Bücherregal zu gehen und das Medium Buch bewusst zu huldigen für seine Vielseitigkeit und Wichtigkeit – nicht nur für die Fotografie. Wir freuen uns zudem immer, wenn Ihr herausragende Bücher mit uns teilt.

Ähnliche Artikel