Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder
kwerfeldein publiziert eine mehrteilige Serie über Betrachtungen zur Fotografie. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Warum machen wir bestimmte Bilder? Welche Bilder machen wir nicht und warum? Was motiviert Menschen dazu, sich mit Fotografie zu beschäftigen? Und was ist eigentlich gute Kunst? In diesem Teil beschäftige ich mich damit, warum einige Menschen im Netz über die Bilder anderer FotografInnen wettern und was die Kritik über die Persönlichkeit der Kritiker aussagen kann.
„Lästern tut doch jeder mal!“, höre ich eine Freundin sagen, als ich sie in einer Ausstellung darauf hinweise, dass sie noch kein gutes Haar am Fotografen gelassen hat. Die Kontraste seien zu schwach, das Thema inhaltlich absolut uninteressant und die Hängung eine Katastrophe.
Meine Freundin hat tatsächlich recht, denn Menschen sprechen ziemlich gern über andere Personen, die gar nicht anwesend sind. Mindestens ein Drittel der Zeit, die wir miteinander kommunizieren, beinhaltet solche Lästereien, fand der Psychologe Robin Dunbar heraus.
Aber nicht nur im persönlichen Gespräch wird gelästert. Wer im Netz unterwegs ist, dem wird aufgefallen sein, dass auf einigen Portalen häufig eine recht harsche Kommentarkultur herrscht. Es wird ganz offen gesagt, was man nicht mag und wen man warum nicht gut findet.
Die Kommentare sind dabei hinter dem Schleier der Anonymität häufig gewürzter als von Angesicht zu Angesicht. Es geht häufig nicht um einen echten Austausch, bei man voneinander lernen kann. Doch worum geht es dann?
Warum bewerten Menschen andere?
Was wir gut oder schlecht finden, sagt etwas darüber aus, wer wir sind. Positive oder negative Einschätzungen über verschiedene Aspekte des Lebens sind identitätsstiftend, denn Bewertungen beantworten die Fragen „Wer bin ich?“ bzw. „Wer bin ich nicht?“ Über Bewertungen grenzen wir uns von anderen Menschen ab und legen damit auch den Grundstein für zukünftiges Verhalten.
Ebenso hat das Mitteilen eigener Meinungen auch wichtige Funktionen für zwischenmenschliche Beziehungen. Finden wir ein Bild einer anderen Person gut oder schlecht, teilen wir damit direkt oder indirekt unseren Anspruch an künstlerisches Schaffen mit. Wir informieren den anderen auch darüber, was wir denken und fühlen und werden dadurch vorhersehbarer.
Nehmen wir folgendes Beispiel: Max ist auf der Vernissage von Emil. Max findet Emils Bilder inhaltlich belanglos und teilt dies seiner Begleitung Marie mit. Max informiert Marie damit über seine individuellen künstlerischen Präferenzen. Marie wird Max daher höchstwahrscheinlich nicht in die Ausstellung ihrer Freundin Peggy einladen, die ähnliche Fotos wie Emil macht.
Eine geteilte Bewertung ist auch eine Art sozialer Klebstoff, der ein Gefühl der Verbundenheit schafft. Max fällt es wahrscheinlich leichter, mit Marie über die Bilder zu meckern, anstatt seinen Freund Emil direkt damit zu konfrontieren. Max muss Marie vertrauen, dass sie seine Kritik an den Bildern von Emil für sich behält.
Was sagt eine positive oder negative Bewertung über uns aus?
Dass Menschen Eigenschaften und Verhaltensweisen anderer Personen hinreichend gut einschätzen und vorhersagen können, zeigt eine Übersichtsarbeit der Forscher Vazire und Carlson aus dem Jahr 2010. Das heißt, unsere Wahrnehmungen sind nie exakt, sondern zu einem gewissen Grad fehlerhaft.
Allerdings unterscheiden sich Menschen darin, wie positiv, neutral oder negativ sich Menschen über andere Personen äußern. Interessanterweise spielt die Persönlichkeit desjenigen, der bewertet, eine ganz wesentliche Rolle, denn die Richtung der Bewertung variiert in Abhängigkeit von Persönlichkeitseigenschaften.
Eine Studie der Arbeitsgruppe von Dustin Wood aus dem Jahr 2010 zeigt, dass Personen, die sich über andere positiv äußern, verträglicher, freundlicher und weniger feindselig sind. Sie zeigen eine höhere Lebenszufriedenheit und weisen geringere Depressionswerte auf als Menschen, die sich über andere Personen negativ äußern.
Die Studie zeigt jedoch auch, dass Personen, die andere eher negativ wahrnehmen, zu pathologischen Persönlichkeitseigenschaften und höheren Narzissmuswerten neigen. Jemanden anderen abzuwerten, kann ein effektives Mittel sein, um einen geringen Selbstwert durch den Vergleich mit einem vermeintlich schwächeren Konkurrenten zu anzuheben und sich selbst gut zu fühlen.
Vor allem das Internet bietet diverse Möglichkeiten, kurzfristig Frust abzulassen und sich selbst aufzuwerten. Dieser positive Effekt der negativen Bewertung hält jedoch nur kurzfristig an, denn das eigentliche Selbstwertdefizit wird durch die Kritik an anderen nicht behoben.
Was lernen wir daraus?
Wie wir uns über andere äußern, sagt manchmal mehr über uns aus, als über die Person, über die wir sprechen. Wir vermitteln indirekt etwas über unser Wohlbefinden, über unsere Gefühlswelten, über unsere Ziele, Werte und Einstellungen in Beziehung zu unserer Umgebung.
Wer andere Personen eher in einem schlechten Licht sieht und sich durchs Internet trollt, kann sich durchaus fragen, welchen kurzfristigen positiven und langfristigen negativen Effekt das Bewerten hat. Ganz sicher gibt es auch andere Wege, sich gut zu fühlen und mit anderen in einen sinnvollen Austausch zu treten, der wertschätzend an beiderseitigen Entwicklungsmöglichkeiten andockt.
Du meinst, dass ein Bild eines Künstlers schlecht gelungen ist, zu wenig Inhalt darin steckt oder es mit Inhalt überfrachtet ist? Ein echter Austausch jenseits der Internetkommentarspaltenkultur bringt oft beide weiter, wenn er nicht in ein verbales Kräftemessen ausufert. Manchmal relativieren sich starre Ansichten im persönlichen Gespräch schnell.
Falls Du hingehen meinst, andere Fotografen machen schlechtere Bilder als Du, dann bist Du vielleicht auf dem besten Weg, eine schillernde Künstlerkarriere vor Dir zu haben. Wir drücken die Daumen, dass andere Leute Deine Bilder in einem ähnlich positiven Licht sehen.
Ein Tipp für alle Singles: Nimm Dein Date mit in eine Ausstellung. Meckert Deine Begleitung ohne Punkt und Komma über die Bilder, dann halte Dich doch lieber am Barkeeper fest. Der zaubert wenigstens gute Getränke und ist im Bestfall ein verträglicherer Beziehungskandidat. Merke: Ein Wort sagt manchmal mehr als tausend Bilder.