Die Suche nach Anerkennung
kwerfeldein publiziert eine mehrteilige Serie über „Betrachtungen zur Fotografie“. Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Warum machen wir bestimmte Bilder? Welche Bilder machen wir nicht und warum? Was motiviert Menschen dazu, sich mit Fotografie zu beschäftigen? Und was ist eigentlich gute Kunst? In unserem ersten Teil beschäftige ich mich damit, was es mit der wachsenden Bilderflut auf sich haben könnte, ob Fotografie ein Mittel zum Ausgleich eines Anerkennungsdefizits sein kann und welche Folgen die Suche nach Anerkennung für die Fotografie hat.
Wir leben in einer Zeit, in der der Durst nach sozialer Anerkennung groß ist. Selbstdarstellungsshows boomen auf allen Kanälen, soziale Netzwerke leben von einer „Like-Sammelleidenschaft“, im Internet platzen Bilderfluten aus allen Ecken und Nischen. Welche psychologischen Prozesse stecken dahinter? Der Wunsch nach Anerkennung ist ein Schlüssel, um diese Frage zu beantworten.
Was bedeutet eigentlich Anerkennung?
Soziale Anerkennung beinhaltet Rückmeldungen in Form von Lob, Respekt und Wertschätzung. Der Wunsch nach Anerkennung ist per se nichts Schlechtes, sondern ein Grundbedürfnis aller Menschen. Durch die Wahrnehmung und Spiegelung der anderen entwickeln Menschen ein Gefühl dafür, wer sie sind.
Studien haben gezeigt, dass soziale Anerkennung zu gesteigerter Motivation und positiver Stimmung führt, während ein Anerkennungsmangel krank machen kann. Insbesondere dann, wenn große Anstrengung keine oder zu wenig Rückmeldung erfährt, resultiert Unzufriedenheit.
Das heißt, wir wollen und müssen wahrgenommen, gespiegelt und bestätigt werden. Soziale Anerkennung zu erhalten, ist so wichtig wie die tägliche Nahrungsaufnahme. Der Wunsch nach Anerkennung ist ganz normal und gesund.
Der Sozialphilosoph Axel Honneth* begreift den Kampf um Anerkennung als Prinzip jeder gesellschaftlichen Dynamik. Nach Honneth ist die gesellschaftliche Entwicklung immer eine Geschichte des Kampfes um Anerkennung gewesen. Die Suche nach Anerkennung ist also nicht neu.
Wann wird die Suche nach Anerkennung problematisch?
Kapitalismuskritiker geben Antwort darauf. Sie weisen darauf hin, dass in einer Gesellschaft, in der das Konkurrenz- und das Autonomieprinzip zum Motor sozialen Handelns auserkoren wurden, der Zugriff auf traditionelle Anerkennungsquellen verborgen bleibt.
Was heißt das im Klartext? Zu den traditionelleren Anerkennungsquellen zählten vor einigen Jahrzehnten vor allem der Wert von Familie und Beziehungen. Nach der Soziologin Eva Illouz* drängte sich der Wunsch nach Anerkennung in früheren Generationen weniger stark auf, da die soziale Stellung des Individuums, eben die Abhängigkeit von familiären Bindungen und die Erwartung an generative Reproduktion (Nachwuchs), weniger verhandelbar war.
Im 21. Jahrhundert hingegen sind Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit wichtige Merkmale, die das soziale Leben prägen. Unsere Auswahl- und Entwicklungsmöglichkeiten sind immens. Im Vergleich zu früheren Generationen stehen uns heute mehr Wege offen, uns frei zu entfalten und selbst zu verwirklichen. Und an diesem Punkt wird die Geschichte unserer kulturellen Entwicklung problematisch.
Was sind die Folgen der Anerkennungssucht?
Der Nutzen von Selbstverwirklichung und Autonomie hat Kehrseiten, die Alain Ehrenberg als das von Depressionen geplagte „erschöpfte Selbst“ bezeichnet. Ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch an Autonomie, steigenden Ansprüchen und der unausweichlichen Abhängigkeit von der Anerkennung anderer produziert Unsicherheiten, die vor allem jüngere Generationen prägen. Langfristig führt dies, so Ehrenberg, zur emotionalen Erschöpfung, also z. B. Depression.
Im Rahmen dieser gesellschaftlichen Veränderungen sind auch soziale Beziehungen instabiler geworden. In Deutschland wird derzeitig jede zweite Ehe geschieden. Freundschaften halten dem Anspruch an räumliche Flexibilität, die durch den Arbeitsmarkt gefordert wird, häufig nicht stand.
Da der Rückgriff auf soziale Beziehungen als Quelle der Anerkennung nicht mehr gelingt, müssen alternative Anerkennungsquellen angezapft werden, damit wir uns gut fühlen. Diese alternativen Anerkennungsquellen sind vor allem Status, Karriere und Erfolg.
Anerkennung durch Leistung ist nicht neu. Neu ist jedoch die Bedeutung von Leistung und Wettbewerb auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Wir bewegen uns auf einem Drahtseil: Wir wollen nicht von anderen abhängig sein und sind es doch. Wir wollen frei entscheiden und sind von den Auswahlmöglichkeiten überfordert. Wir wollen anerkannt werden, andere Menschen wertzuschätzen, fällt uns aber zunehmend schwerer, weil dies dem Konkurrenzprinzip widerspricht. Wir wollen geliebt werden, wie wir sind, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der der Markt um Ressourcen für ein gutes Leben hart umkämpft ist.
Fotografie und Anerkennung – eine Bestandsaufnahme
Aber was hat das denn nun mit Fotografie zu tun? Ich denke, dass die Fotografie ein Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Veränderungen ist, in der die Suche nach Anerkennung zum Hauptmotivator des eigenen Handelns auserkoren wurde. Dies ist eine gewagte Hypothese, aber sie lässt sich mit empirischen Studien zumindestens teilweise untermauern.
Langzeitstudien haben gezeigt, dass Ego-Zentrismus („Ich-Bezogenheit“) innerhalb der Gesellschaft ansteigt. Twenge und Campbell haben dieses Phänomen „The Narcissism Epidemic“* genannt. Meines Erachtens ist der Buchtitel „narzisstische Epidemie“ eine simple (und leicht überzogene) Vermarktungsstrategie, über die sich aber wunderbar streiten lässt.
In solchen Streitfällen ziehe ich immer gern empirische Studien heran. Die „narzisstische Epidemie“ zeigt sich laut Twenge und Campbell in selbstbezogenen Verhaltensweisen der jüngeren Generationen (z. B. Selfies). Empirische Studien zeigen tatsächlich, dass narzisstische Menschen eine größere Anzahl an Bildern im Internet (z. B. auf Facebook) teilen als andere. Wer nach schneller Zustimmung sucht, findet sie im Internet.
Es ist zudem einfacher geworden, eine Kamera zu besitzen und sich die technischen Kniffe im Selbststudium beizubringen. Wer heute eine Kamera im Schrank stehen hat, kann sich „FotografIn“ nennen und findet eine beeindruckende Auswahl an medialen Selbstdarstellungsoptionen vor.
Anerkennung – ein Geschäftsmodell
Viele Bildportale verwandeln die Suche nach Anerkennung in ein cleveres Geschäftsmodell. Portale, die Möglichkeiten zum Erhalt von Anerkennung bieten, expandieren. Nach Angaben von Flickr wurden im Jahr 2014 mehr als zehn Milliarden Fotos von über 100 Millionen Nutzern hochgeladen. Das Wachstum von Tumblr lag im zweiten Quartal 2014 bei über 120 %, vergleichbar hohe Zahlen verzeichnen auch Instagram und Pinterest.
Bevor sich entrüstete Stimmen erheben, möchte ich gern einen wichtigen Aspekt klarstellen: Ich meine nicht, dass alle Personen, die Fotoportale nutzen, unter einem chronischen Anerkennungsdefizit leiden. Neben dem Wunsch, anerkannt zu werden, können auch andere Motive wirksam sein, etwa der Wunsch nach Kommunikation oder die Notwendigkeit der Selbstvermarktung für Berufsfotografen.
Der Besitz einer Kamera scheint jedoch nicht selten eine Legitimation zu sein, sich KünstlerIn zu nennen. Bei engagierten HobbykünstlerInnen dürfen eine Facebook-Page mit der Bezeichnung „Max Müller Photography“, ein Flickr-Profil und eine eigene Webseite nicht fehlen. Besonders engagierte FotografInnen melden sich zusätzlich bei Ello, Tumblr, Instagram, DeviantArt, 500px, Xing, LinkedIn und IchbinKünstler2.0 an.
Die Fotografie und die Kunst sind Medien, die den Wunsch nach Anerkennung in besonderem Maße bedienen. Bildportale funktionieren über psychologische Verstärkermechanismen, die im Gehirn so berauschend wirken wie Drogen. Der Wunsch nach medialer Anerkennung kann süchtig machen.
Welche langfristigen Folgen haben diese Entwicklungen für die Fotografie?
Die Bilderproduktion wächst exponentiell und damit reduziert sich auch der Preis, der für ein Foto gezahlt wird. Das ist eine Entwicklung der letzten Jahre, die nicht mehr aufzuhalten ist.
Die Formel zum Erhalt vieler Likes ist durchschau- und leicht erlernbar: Schnelle Anerkennung der Masse ist zum Beispiel dem relativ sicher, der ein junges, den Schönheitsidealen entsprechendes, weibliches Modell adäquat abzulichten vermag. Extrapunkte erhält man für eine Pose, die einen Hauch von Intellektualität und Tiefe verspricht.
Mit Photoshop kann man das Endprodukt abrunden, um es anschließend breit im Netz zu streuen. Dieses Rezept wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auf hohe Resonanz stoßen, denn es ist problemlos umsetzbar und kollektiv rezipierbar.
Je einfacher der Gedanke einer Bildsprache ist, desto eher ist die Chance da, dass ein Bild vor allem im Internet eine schnelle und hohe Resonanzwelle schlägt. Schwieriger ist es, eine Bildintention mit abstrakteren, weniger plakativen Mitteln abzubilden.
Wer sich auf leicht rezipierbaren Ebenen bewegt, tut etwas, was die Gesellschaft bereits kennt und wird sie daher nicht weiterbringen. Deshalb wird die anfängliche Resonanz über eine längere Zeit hinweg verblassen und das zurecht.
Was langfristig gesehen vor allem auf der Strecke bleibt, ist eine echte Auseinandersetzung mit Inhalten, die bewusst oder unbewusst formuliert ein Kriterium von hervorragender Kunst sein können. Das wichtigste Merkmal von Kunst ist ein schlaues Konzept, das nicht nur berührt, sondern auch informiert.
Welche Auswege gibt es aus der Anerkennungssucht?
Auffällig erscheint mir, dass viele junge FotografInnen zu einer Haltung der Bildungsverweigerung und Negierung alternativer, historisch tradierter Perspektiven tendieren, die es nicht ermöglicht, Fotografiegeschichte und Vordenker ausreichend zu würdigen.
Ich möchte ein Beispiel anführen: Neulich berichtete mir ein Fotograf, dass er keine Fotobände und Ausstellungen bekannter FotografInnen anschaue, weil das „alte Hüte“ seien. Diese Selbstüberschätzung passt in eine Zeit, in der das Prinzip Copy-Paste zum dominantesten Merkmal fotografischer Tätigkeit geworden ist. Neugier und Interesse an anderen hingegen sind wichtige Voraussetzungen für Austausch und wechselseitige Entwicklung.
Wer Mut zur Entwicklung einer eigenen Bildsprache und zur Auseinandersetzung mit Bildinhalten hat, verdient Respekt. Merke: Die Anzahl der gesammelten Daumen bei Facebook hat wenig damit zu tun, wie gut Dein Bild ist. Gute Kunst findet immer ihre Fans und wenn es nur zwei sind. Dann kommt es aber im besten Fall zu etwas Wunderbarem: Anregende Gespräche über die Kunst, von denen man lernen kann.
Einige Fragen bleiben offen: Wieviel Prozent der FotografInnen würden noch die Kamera in die Hand nehmen, wenn es diese Selbstdarstellungsoptionen nicht gäbe? Wenn die einzige Option das Sammeln und Aufbewahren in Fotoalben wäre? Wie viele Wochen würdest Du noch fotografieren, wenn keiner mehr Dein Bild likt?
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