Transit
Ich bin aus beruflichen Gründen häufig und lange unterwegs. Meine Geschäftsreisen lassen mir normalerweise wenig Raum und Zeit für Kreativität. Die üblichen Stationen beschränken sich auf Flughäfen, Hotelzimmer, Büros und Sitzungsräume – keine exotischen Orte, sondern Orte banalen Alltags.
Es sind jene ephemeren Durchgangsorte, die allein durch die Reise miteinander verbunden sind und in einer Zwischenzeit existieren. Man ist noch nicht richtig da und eigentlich auch schon wieder weg. Gewissermaßen eine Metapher des Lebens: Man weiß, dass man nicht lange bleibt.
Mit meinem Fotoprojekt versuche ich, die Zeit zwischen Abreise und Ankunft zu dokumentieren. Die Reisezeit empfinde ich insbesondere im Flugzeug als außerhalb der profanen Zeit. Oft mutet das Blau des Himmels sakral an. Die Wolken, die aussehen wie Baumwollknäule; sind sie Natur oder Artefakt?
Die Höhe und der tiefblaue Ozean reduzieren die Südspitze Grönlands auf ihre geometrische Form. Im Winter kurz vor Einbruch der Dunkelheit wirkt der Schnee auf den weichen Hügeln der mongolische Steppe wie Streuzucker.
„Transit“ reflektiert aber auch das Los des Fremd- und Alleinseins auf der Durchreise. Der Reisende wechselt das Flugzeug, steigt am Flughafen aus und um auf das Taxi, checkt im Hotel ein und später wieder aus, um dann den gleichen Weg in die andere Richtung zurückzulegen.
Um zwei Uhr morgens Ortszeit ist man immer noch wach. Der Fernseher läuft und füllt die stille Leere. Zu Hause ist es erst sechs Uhr abends. Man isst allein und trinkt ein letztes Bier an der Hotelbar.
Viele der Orte in „Transit“ sind Nicht-Orte im Sinne des französischen Anthropologen Marc Augé. Besonders die Funktion von Flughäfen, Durchgangsorte ohne Geschichte, ist nicht das Bleiben.
Ihr Zweck ist nicht, eine besondere Identität oder eine besondere Relation zu ihrer Umgebung herzustellen. Viel mehr soll ihre Ähnlichkeit zueinander begünstigen, dass man sich als Reisender leicht zurechtfindet.
Hier ist man stets auf dem Weg an einen Ort, der wichtiger ist als dieser Durchgangsort. Die Zeit am Flughafen ist Wartezeit, tote Zeit. Man möchte weiter, so schnell es geht. Hier begegnet sich niemand.
Auch Hotels sind Nicht-Orte. Man benutzt sie anonym und losgelöst von den gewöhnlichen lokalen Bindungen. Man ist nicht heimisch in ihnen, macht selten persönliche Begegnungen und kaum Kontakte jenseits funktionalen Austauschs.
Letztlich ist die Zeit zwischen Abreise und Ankunft aber auch ein Moment der Freiheit. Bis zur Rückkehr in die profane Zeit befindet man sich in einem von den Sachzwängen des Alltags befreiten Zustand.
Das Fotoprojekt „Transit“ ist im Laufe meiner Reisen und Auslandsaufenthalte organisch gewachsen. Die Serie hat ihren Ursprung in meiner Biografie und in der Unmöglichkeit, Wurzeln zu schlagen.
Eine Frage, die sich mir derweil immer häufiger aufdrängt, sozusagen als Gegenstück zu Transit, ist die, was Zuhause eigentlich bedeutet. Sie bietet mir den Stoff für eine neue Fotoserie.
sehr gelungener artikel.
beschreibt das feeling, das häufig auf einsamen geschäftsreisen entsteht perfekt. ich bin jetzt kein „frequent traveller“, aber wenn ich mal beruflich unterwegs bin, geht’s mir sehr ähnlich.
danke!
Sehr geile Fotos!
Für mich unterstreichen die Bilder den Text, können aber mit der Gefühlslage ebenbürtig allein stehen und funktionieren auch ohne weitere Worte.
Text und Bild im Einklang. Die Bilder unterstreichen sehr gut die Anonyminität und die auf Funktion ausgerichtete Umgebung (mit Ausnahme des Wolkenbilds). Wie Bilder eines Tagebuchs eines Tages ohne Namen.
Mir persönlich etwas zu kontrastreich, hart entwickelt, um die Nüchternheit der Szenen zu erfassen. Ist aber Geschmacksache, vielleicht ja gar nicht gewollt.
Eine Symphonie von Bild und Text … einfach Klasse. Ich habe mir die Tage zu vor die Webseite angeschaut. Ein Dankeschön auch an Kwerfeldein fürs zeigen.
Atmosphisch starker Einklang von Wort und Bild. Gefällt mir.
Ein sehr guter lebensnaher Foto-Bericht – absolut nachvollziehbar, spürbar und fühlbar.
Der vorletzte Satz wirkt, berührt, betrifft – jetzt muss ich raus, Luft schnappen …
Da hat sich anscheinend jemand stark von anderen Vielreisenden/Flughafenflaneure inspirieren lassen, die exakt das gleiche Ziel verfolgten. ;-)
Genannt seien hier folgende Fotobücher, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen und auch Marc Auges „Nicht-Orte“ aufgreifen, falls sich jemand weiter für solche Auseinandersetzungen bzw. Perspektiven in der Fotografie interessiert:
– Martha Rosler: In the Place of the Public. Observations of a Frequent Flyer
– Francesco Gianciotta/Marc Auge: A Journey Apart. Inside And Outside Airports
Die Bilder erscheinen mir sehr stark verfremdet, um ja den Eindruck der Anonymität und Austauschbarkeit zu erreichen. Sie wissen aber zu gefallen.
Ich find die Fotos echt gut. Die Stimmung wird perfekt transportiert.
Diese Ruhelosigkeit ohne Halt. Danke für die Bilder
Ach S/W ist halt immer wieder fein…
Das Wolkenbild sehe ich auch nicht so passend in der Serie
Ist das mit Silver Efex entwickelt? Die Körnung ist schon sehr hoch gedreht, aber gefällt
Finde denKontrast nicht zu hoch… passt gut
@ Schwarzer Wald, ja, das Wolkenbild stammt ursprûnglich aus einer anderen Serie, die S/W wurden mit Silverefex entwickelt
Danke für die Info… finde die Bearbeitung für die Bilder genau richtig!
Sicher nichts für Detailfetischisten, aber für die Stimmung (und darum geht es ja) TOP
Klasse Artikel, mit dem ich mich 100% identifizieren kann! Das geht mir genauso. Da kommt man in die tollsten Städte der Welt und hat kaum mal Zeit für einen iPhone Schnappschuss.
Sehr schöner Artikel. Die Thematik der „Nicht-Orte“ finde ich sehr spannend. Orte, die gerade deshalb (fotografisch) reizvoll erscheinen, weil sie kaum jemand beachtet.
Ja und Nein. Sehr ästhetische Fotos. Aber eigentlich sagen sie mir, dass es der Mensch, der unterwegs ist, irgend etwas macht, was ihn zur Einsamkeit oder diesem Gefühl von „Dazwischen-Sein“ treibt. Orte sind Orte. Das ist überall so. Aber wenn der Mensch keine Ambitionen hat, einen Bezug zu ihnen herzustellen, dann liegt es doch nicht an den Orten?!
Ich war eine zeitlang so intensiv unterwegs, dass ich morgens beim Aufwachen nicht mehr wusste, in welcher Stadt ich mich überhaupt befand. Da wurde mir bewusst, dass die Orte an sich nichts dafür können. Denn diese gleichen Orte bedeuten für viele andere Menschen sehr viel: Sie sind Arbeitsstätten, Eigentum, Lebensräume… Mir wird da das Eigene (Vermögen oder Unvermögen) auf die Umgebung projiziert und das entsprechende Bild dazu gefunden.
Spannender und anregender wären Fotos, in denen sichtbar wird, wie oder worüber Bezüge hergestellt werden können.
Hammer Fotos! Vorallem das mit dem Bus gefällt mir sehr, die Bewegungsunschärfe vermittelt m.M.n. sehr gut das Vergängliche bzw. wie schnell die Zeit vergeht.
Sehr schöner Artikel, dessen Aussage ich als Berufsreisender auch gut nachvollziehen kann. Die Menschen aus dem eigenen Umfeld finden die Erzählungen immer spannend: „Oh, Du kommst aber viel rum!“, doch von den Städten und Ländern sieht man selten mehr als Flughäfen, Bahnhöfe, Hotels und Büros.
schöner artikel und schöne fotos. kenne das gefühl da ich auch permanent reise.
ist das zweite bild von Paris CDG?
Ja, CDG Paris, Terminal 2F
Blogartikel dazu: Transit published on Kwerfeldein – MATTHIAS KOCH
Blogartikel dazu: Transit – Matthias Koch Fotograf