26. Februar 2015 Lesezeit: ~3 Minuten

Transit

Ich bin aus beruflichen Gründen häufig und lange unterwegs. Meine Geschäftsreisen lassen mir normalerweise wenig Raum und Zeit für Kreativität. Die üblichen Stationen beschränken sich auf Flughäfen, Hotelzimmer, Büros und Sitzungsräume – keine exotischen Orte, sondern Orte banalen Alltags.

Es sind jene ephemeren Durchgangsorte, die allein durch die Reise miteinander verbunden sind und in einer Zwischenzeit existieren. Man ist noch nicht richtig da und eigentlich auch schon wieder weg. Gewissermaßen eine Metapher des Lebens: Man weiß, dass man nicht lange bleibt.

Blick durch eine Windschutzscheibe auf die Fahrbahn in Richtung einer Großstadt

Fassadenausschnitt eines Flughafenterminals

Mit meinem Fotoprojekt versuche ich, die Zeit zwischen Abreise und Ankunft zu dokumentieren. Die Reisezeit empfinde ich insbesondere im Flugzeug als außerhalb der profanen Zeit. Oft mutet das Blau des Himmels sakral an. Die Wolken, die aussehen wie Baumwollknäule; sind sie Natur oder Artefakt?

Transit © Matthias Koch

Die Höhe und der tiefblaue Ozean reduzieren die Südspitze Grönlands auf ihre geometrische Form. Im Winter kurz vor Einbruch der Dunkelheit wirkt der Schnee auf den weichen Hügeln der mongolische Steppe wie Streuzucker.

„Transit“ reflektiert aber auch das Los des Fremd- und Alleinseins auf der Durchreise. Der Reisende wechselt das Flugzeug, steigt am Flughafen aus und um auf das Taxi, checkt im Hotel ein und später wieder aus, um dann den gleichen Weg in die andere Richtung zurückzulegen.

Blick auf einen Fernsehbildschirm an einer Hotelzimmerwand

Um zwei Uhr morgens Ortszeit ist man immer noch wach. Der Fernseher läuft und füllt die stille Leere. Zu Hause ist es erst sechs Uhr abends. Man isst allein und trinkt ein letztes Bier an der Hotelbar.

Viele der Orte in „Transit“ sind Nicht-Orte im Sinne des französischen Anthropologen Marc Augé. Besonders die Funktion von Flughäfen, Durchgangsorte ohne Geschichte, ist nicht das Bleiben.

Tasse Kaffee mit Zucker

Voraum zum Bedürfnisbereich auf einem Flughafen

Ihr Zweck ist nicht, eine besondere Identität oder eine besondere Relation zu ihrer Umgebung herzustellen. Viel mehr soll ihre Ähnlichkeit zueinander begünstigen, dass man sich als Reisender leicht zurechtfindet.

Hier ist man stets auf dem Weg an einen Ort, der wichtiger ist als dieser Durchgangsort. Die Zeit am Flughafen ist Wartezeit, tote Zeit. Man möchte weiter, so schnell es geht. Hier begegnet sich niemand.

Blick aus einem Flughafenterminal auf das Rollfeld

Ein schneller Bus rast durch die Nacht

Auch Hotels sind Nicht-Orte. Man benutzt sie anonym und losgelöst von den gewöhnlichen lokalen Bindungen. Man ist nicht heimisch in ihnen, macht selten persönliche Begegnungen und kaum Kontakte jenseits funktionalen Austauschs.

Letztlich ist die Zeit zwischen Abreise und Ankunft aber auch ein Moment der Freiheit. Bis zur Rückkehr in die profane Zeit befindet man sich in einem von den Sachzwängen des Alltags befreiten Zustand.

geschlossener Koffer auf einer Ablage

Blick aus einem Hotelfenster, im Vordergrund ein heller Vorhang, draußen Nacht

Das Fotoprojekt „Transit“ ist im Laufe meiner Reisen und Auslandsaufenthalte organisch gewachsen. Die Serie hat ihren Ursprung in meiner Biografie und in der Unmöglichkeit, Wurzeln zu schlagen.

Eine Frage, die sich mir derweil immer häufiger aufdrängt, sozusagen als Gegenstück zu Transit, ist die, was Zuhause eigentlich bedeutet. Sie bietet mir den Stoff für eine neue Fotoserie.

19 Kommentare

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  1. Text und Bild im Einklang. Die Bilder unterstreichen sehr gut die Anonyminität und die auf Funktion ausgerichtete Umgebung (mit Ausnahme des Wolkenbilds). Wie Bilder eines Tagebuchs eines Tages ohne Namen.
    Mir persönlich etwas zu kontrastreich, hart entwickelt, um die Nüchternheit der Szenen zu erfassen. Ist aber Geschmacksache, vielleicht ja gar nicht gewollt.

  2. Ein sehr guter lebensnaher Foto-Bericht – absolut nachvollziehbar, spürbar und fühlbar.

    Der vorletzte Satz wirkt, berührt, betrifft – jetzt muss ich raus, Luft schnappen …

  3. Da hat sich anscheinend jemand stark von anderen Vielreisenden/Flughafenflaneure inspirieren lassen, die exakt das gleiche Ziel verfolgten. ;-)
    Genannt seien hier folgende Fotobücher, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen und auch Marc Auges „Nicht-Orte“ aufgreifen, falls sich jemand weiter für solche Auseinandersetzungen bzw. Perspektiven in der Fotografie interessiert:

    – Martha Rosler: In the Place of the Public. Observations of a Frequent Flyer

    – Francesco Gianciotta/Marc Auge: A Journey Apart. Inside And Outside Airports

    Die Bilder erscheinen mir sehr stark verfremdet, um ja den Eindruck der Anonymität und Austauschbarkeit zu erreichen. Sie wissen aber zu gefallen.

  4. Ich find die Fotos echt gut. Die Stimmung wird perfekt transportiert.
    Diese Ruhelosigkeit ohne Halt. Danke für die Bilder

    Ach S/W ist halt immer wieder fein…
    Das Wolkenbild sehe ich auch nicht so passend in der Serie

    Ist das mit Silver Efex entwickelt? Die Körnung ist schon sehr hoch gedreht, aber gefällt
    Finde denKontrast nicht zu hoch… passt gut

  5. Klasse Artikel, mit dem ich mich 100% identifizieren kann! Das geht mir genauso. Da kommt man in die tollsten Städte der Welt und hat kaum mal Zeit für einen iPhone Schnappschuss.

  6. Ja und Nein. Sehr ästhetische Fotos. Aber eigentlich sagen sie mir, dass es der Mensch, der unterwegs ist, irgend etwas macht, was ihn zur Einsamkeit oder diesem Gefühl von „Dazwischen-Sein“ treibt. Orte sind Orte. Das ist überall so. Aber wenn der Mensch keine Ambitionen hat, einen Bezug zu ihnen herzustellen, dann liegt es doch nicht an den Orten?!

    Ich war eine zeitlang so intensiv unterwegs, dass ich morgens beim Aufwachen nicht mehr wusste, in welcher Stadt ich mich überhaupt befand. Da wurde mir bewusst, dass die Orte an sich nichts dafür können. Denn diese gleichen Orte bedeuten für viele andere Menschen sehr viel: Sie sind Arbeitsstätten, Eigentum, Lebensräume… Mir wird da das Eigene (Vermögen oder Unvermögen) auf die Umgebung projiziert und das entsprechende Bild dazu gefunden.

    Spannender und anregender wären Fotos, in denen sichtbar wird, wie oder worüber Bezüge hergestellt werden können.

  7. Sehr schöner Artikel, dessen Aussage ich als Berufsreisender auch gut nachvollziehen kann. Die Menschen aus dem eigenen Umfeld finden die Erzählungen immer spannend: „Oh, Du kommst aber viel rum!“, doch von den Städten und Ländern sieht man selten mehr als Flughäfen, Bahnhöfe, Hotels und Büros.

  8. Blogartikel dazu: Transit published on Kwerfeldein – MATTHIAS KOCH

  9. Blogartikel dazu: Transit – Matthias Koch Fotograf