Ein Eichhörnchen auf einem Zaun.
16. Mai 2014 Lesezeit: ~9 Minuten

Wilde Nachbarn: Eichhörnchen auf dem Balkon

Nie hätten wir gedacht, dass Eichhörnchen zu einer Leidenschaft für uns werden und daraus sogar ein Fotoprojekt entstehen würde. Sie sind einfach zu uns gekommen, haben uns vom Baum gegenüber durchs Fenster angesehen und schon war es passiert.

Wir leben mitten in der Innenstadt von Hamburg. Es ist bei uns zwar sehr grün, dennoch wohnen wir nur wenige hundert Meter von den großen Straßen und Shoppingmeilen entfernt. Kein Ort, an dem man auf Wildtierbesuch eingestellt ist.

Im Herbst 2008 tauchten plötzlich vier Eichhörnchen im Baum vor unserem Arbeitszimmer auf. Sie turnten nur wenige Meter vor unserem Fenster herum und ließen sich kein bisschen durch uns stören.

Bei uns sah das anders aus. Wenn sie da waren, war an nichts anderes zu denken, als ihnen zuzusehen, sie mit Nüssen zu versorgen und sie einzufangen – mit der Kamera! Sobald sich die Hörnchen im Hofgarten zeigten, legten wir uns mächtig ins Zeug und lockten sie fast immer erfolgreich an.

Ein Eichhörnchen sitzt in einem Blumenkasten.

Nach und nach gönnten uns die Eichhörnchen immer mehr Einblick in ihr Leben. Das Futtern und der Streit darum sowie das Verstecken der Vorräte waren das Standardprogramm. Noch spannender anzuschauen waren die wilden Jagden in den Bäumen, wohin man kaum noch einem Hörnchen mit der Kamera folgen konnte.

Auch sonst eher verborgene Momente konnten wir einfangen: Eichhörnchen beim Chillen und Schlafen, die Versuche des Männchens, sich dem Weibchen zu nähern und schließlich sogar die Paarung.

Den ganzen Herbst und Winter besuchten uns die Hörnchen täglich. Umso trauriger waren wir, als sie mit dem einsetzenden Frühling immer seltener und dann gar nicht mehr kamen.

Ein Eichhörnchen pflegt sein Fell.

Im Jahr darauf zogen wir zwei Häuser weiter, jetzt mit Balkon. Schnell tauchten wieder zwei Hörnchen bei uns auf – wir nannten sie Paddi und Lu, eine Eichkatze und ein Eichkater.

Bei unserer ersten Begegnung mit Paddi sammelte sie gerade ganz offensichtlich Nistmaterial für den Bau eines Kobels – juchu, das Hörnchen zog also gerade hier in der Nähe ein! Kobel werden übrigens die Nester der Eichhörnchen genannt.

Schnell hatte Paddi spitzgekriegt, dass es auf unserem Balkon immer etwas zu futtern gibt. Wir haben auch ordentlich Werbung gemacht, um das Eichhörnchen anzulocken: Laut mit Nüssen geklopft, Nussspuren gelegt und uns in Eichhörnchensprache versucht.

Ein Eichhörnchen wartet an der Tür.

Zwar fehlte der direkte Balkonzugang über einen Baum, aber das ist für Eichhörnchen kein Problem: Als Kletterweltmeister findet sich für sie immer ein Weg – schnell waren Paddi und Lu bei uns. Und jetzt wurde es richtig privat!

Mehrmals täglich kam mindestens eines der Hörnchen auf unseren Balkon. Hatten wir abends nicht genügend Leckerlies oder die falsche Sorte nachgelegt, warteten Paddi oder Lu morgens schon auf dem Geländer und schauten erwartungsfroh und hungrig durch die Balkontür.

Bei Eichhörnchenfutter denken die meisten an Nüsse. Zweifellos stehen diese bei den Hörnchen auch ganz weit oben auf der Ernährungsliste. Sie ernähren sich tatsächlich aber deutlich vielseitiger: Nüsse, Eicheln, Zapfen, junge Triebe, Pilze, Samen, Wurzeln, heimisches Obst und Gemüse oder auch Mais und gelegentlich Insekten gehören zum normalen Nahrungsspektrum. 

Eichhörnchen beim Essen.

Bei unseren beiden Hörnchen waren hauptsächlich Wal- und Haselnüsse, Sonnenblumen- und Kürbiskerne sowie Weintrauben sehr beliebt. Aber schon beim Futter zeigten sich die individuellen Vorlieben. Während Paddi nicht genug Kürbiskerne in sich hineinstopfen konnte, ließ Lu sie links liegen.

Bei Obst und Gemüse waren beide sehr wählerisch und haben nur ab und zu an Möhrchen oder Äpfeln geknabbert. Einmal hat Paddi uns sogar das Stück Apfel vom Balkon zurück in die Küche gelegt, als wollte sie uns sagen: „ … das könnt ihr selber futtern!“

Ein Eichhörnchen frisst aus einem Napf.

An äußerlichen Merkmalen ist es kaum möglich, Männchen und Weibchen zu unterscheiden. Dass Paddi ein Weibchen ist, konnten wir sicher erst auf Fotos erkennen, auf denen durch das weiße Bauchfell ihre Zitzen hindurchschienen – eine säugende Mutter!

Wir freuten uns schon auf den Tag, an dem sie ihren Nachwuchs mitbringen würde. Das Weibchen zieht die Kleinen allein groß, das Männchen wird spätestens bei der Geburt vertrieben, wahrscheinlich war das bei Lu der Fall.

Jedenfalls hielt er zu der Zeit, als Paddi mit Riesenhunger für sich und ihren Nachwuchs sorgen musste, dezent Abstand. Paddis hoher Energiebedarf war auch sicherlich der Grund, warum sie immer zutraulicher bzw. risikofreudiger wurde, sich die Nüsse sogar aus der Hand abholte und auch gern die Küche stürmen wollte.

Ein Eichhörnchen wird gefüttert.

Leider hat Paddi uns ihre Familie nie vorgestellt, denn plötzlich kam sie nicht mehr. Natürlich waren wir erst besorgt und traurig. Wir gehen aber davon aus, dass sie einfach ihr Revier gewechselt hat und hoffen, dass es den Hörnchen dort gut geht!

Eichhörnchen ziehen gelegentlich in ein anderes Revier um, wenn Gefahr für die Jungen droht, zum Beispiel, weil sich Krähen oder Elstern für die neugierigen und noch tapsigen Jungtiere interessieren.

Möglicherweise war es auch einfach zu kribbelig im Kobel geworden, durch zu viele Eichhörnchenflöhe. Mit Parasiten wie Flöhen und Läusen haben die Hörnchen immer zu tun. Darum betreiben sie eine aufwändige Fellpflege, um den lästigen Parasitenbefall klein zu halten.

Der Schwanz eines Eichhörnchens.

Lu blieb uns länger treu. Bei seinen Besuchen fiel auf, wie verschieden die Charaktere der beiden Hörnchen waren: Paddi neugierig und entschlossen, Lu nervös und übervorsichtig, beide auf ihre Art sehr eigenwillig und immer für eine Überraschung gut.

Wir freuten uns daran, wie auch Lu zutraulicher wurde, er es sich in unseren Blumentöpfen gemütlich machte und dort einen Teil seiner Wintervorräte versteckte sowie über das winterliche Wachsen seiner beeindruckenden Ohrpinsel.

Gelegentlich fürchteten wir auch um ihn, wenn er unerschrocken in einem Baum herumturnte, in dem ein richtig großer Mäusebussard nach Beute Ausschau hielt – ein anderer regelmäßiger, wilder Besucher in unserem Innenstadt-Hofgarten.

Ein Eichhörnchen isst eine Nuss.

Im Frühling kam Lu immer seltener und blieb dann eines Tages ganz weg. Möglicherweise ist er einer Angebeteten gefolgt? Wir suchen immer noch jeden Tag mehrmals den Hofgarten mit unseren Augen ab, ob irgendwo ein Eichhörnchen rumturnt. 

Da sie im Moment nicht zu uns kommen, gehen wir jetzt eben zu ihnen. In Hamburgs wundervollem Park „Planten un Blomen“ treffen wir fast immer ein paar Verwandte von Paddi und Lu, die sich fotografieren lassen – wir können nun mal nicht anders.

Und auf unserem Balkon nehmen wir inzwischen an einem bunten Vogelleben teil. Jetzt sind Gimpel, Rotkehlchen, Meisen, Buntspechte und andere zusätzlich unsere Modelle.

Eichhörnchen in Nahaufnahme.

Eichhörnchen zu fotografieren wird nie langweilig. Ihr Tempo und ihre Beweglichkeit sorgen für wilde Lebendigkeit und immer wieder für fotografische Herausforderungen.

Im nächsten Moment wieder haben sie anscheinend Spaß daran, ausgiebig zu posen. Ganz aus der Nähe fasziniert jedes Detail, zum Beispiel, was sie alles mit ihren Pfoten anstellen können, wenn sie ihre Nüsse auf genügend Inhalt prüfen – dann sieht es manchmal so aus, als wären kleine Menschenhände am Werk.

Unsere Tierfotos sollen keine einzelnen Kunstwerke sein, die durch perfekte Technik bestechen.  Uns ist viel mehr daran gelegen, die Tiere so zu dokumentieren, dass man sich einerseits an den Bildern erfreut, andererseits aber bestenfalls auch etwas entdecken und lernen kann, sie in ihrem Umfeld versteht.

Ein Eichhörnchen im Sprung.

Es ist ein Geschenk, Eichhörnchen aus der Nähe fotografieren zu können und ein ganz besonderes, mit ihnen direkten Kontakt zu haben. Eine nicht so häufige Chance, diesen schönen, quirligen und freundlichen Tieren so nahe zu kommen!

Über Eichhörnchen gibt es viel, viel mehr zu erfahren. Das Buchangebot über wildlebende Eichhörnchen ist (war!) überraschend dünn. Um diese Lücke zu verkleinern, haben wir inzwischen schon zwei Bücher, beide erschienen bei tredition, herausgebracht.

„Das Eichhörnchenbuch“* über unsere vier Besucher vorm Arbeitszimmerfenster und aktuell „Eichhörnchen entdecken!“*, das einen umfassenderen Überblick über das Eichhörnchenleben in der Stadt gibt. Selbstverständlich tauchen Paddi und Lu auf vielen Fotos darin auf, dieser Artikel enthält nur eine winzig kleine Auswahl daraus.

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