30. Dezember 2013 Lesezeit: ~5 Minuten

Schrei nach Veränderung. Eine Wegbeschreibung.

Es ist Weihnachten 2005. Meine Freundin drückt mir ihre Digitalkamera in die Hand und bittet mich, ihre Familie zu fotografieren. Ab jetzt wird sich mein Leben von Grund auf verändern.

Die nächsten fünf Jahre lerne ich zu fotografieren. Ich möchte Landschaftsfotograf werden. Und die Bilder von David Nightingale und Kathleen Connally inspirieren mich dazu.

Meine Bilder werden stetig populärer. Auf Flickr und in meinem Fotoblog flattern die Kommentare nur noch so herein und 50 Favoriten pro Bild sind die unterste Grenze.

Ein Bekannter meint: „Dein Selbstbewusstsein muss ja von Tag zu Tag wachsen.“

Ich liebe das. Diese Dramatik. Der nicht abreißende Strom lobender Hymnen auf „meine“ Landschaften. Menschen schreiben mir, dass sie heute an mich gedacht haben, weil der Himmel so blau war wie auf meinen Fotos.

Doch ab 2009 werde ich dem überdrüssig. Ich hinterfrage das, was ich tue und merke, dass ich eigentlich gar keine Lust mehr auf Landschaftsfotografie habe. Und dass die Kommentare für mich nicht mehr das sind, was sie einst waren.

Die Situation schreit nach Veränderung.

2010 traue ich mich und beginne, mich ganz der Straßenfotografie zu widmen. Das fühlt sich richtig an. So angenehm alltäglich. Unaufgeregt. Doch ich hänge immer noch am Lob der anderen und reagiere verletzt, wenn mich jemand kritisiert.

Ich denke immer wieder über die Frage der Persönlichkeitsrechte nach, lese viele Artikel dazu und hole mir Rat von anderen Straßenfotografen. Obwohl es unpopulär ist, entscheide ich mich dafür, zu fotografieren. Menschen mit Gesichtern.

Ich möchte außerdem weg von all dem Aufgeregten. Ich habe mich satt gesehen an Bildern, bei denen alles stimmt und es sich gerade deshalb so anfühlt, als ob überhaupt gar nichts stimmt.

Und 2013 stelle ich fest, dass ich immer noch an den Sternen und Kommentaren der Leute hänge. Werden meine Bilder gemocht, geht es mir gut, wenn nicht, bekomme ich schlechte Laune.

© Martin Gommel

Irgendetwas mache ich falsch. Es kann doch nicht sein, dass ich mich bis zum Ende meines Lebens von den Vorlieben anderer Menschen derart kontrollieren lasse.

Dazu fühlt sich alles an wie festgefahren. Mir fehlen die Ideen. Die Wertschätzung der Fotografie.

Stopp. Halt. Momentchen, Martin. Mach Dich nicht verrückt. Wer sagt denn, dass Du bis in alle Ewigkeiten so weitermachen musst?

Also nehme ich mir eine Auszeit und veröffentliche drei Monate lang kein einziges Foto. Dem Hunger nach Liebe durch Bestätigung wird jetzt erst einmal ein Ende gesetzt.

Dabei bin ich noch genauso oft draußen. Und suche in der Stadt nach Motiven. Bearbeite Bilder, speichere sie ab und… lasse sie auf der Festplatte schlummern.

Entschleunigt. Ent-emotionalisiert. Entspannt.

Durch diese Arbeitsweise bin nicht sofort der Kritik anderer Menschen ausgesetzt. „Das schärft den eigenen Blick ungemein“, meint eine weise Person und ich spüre, dass sich das für mich als Wahrheit herausstellt.

So fotografiere ich in aller Seelenruhe vor mich hin. Und merke von Tag zu Tag, dass sich in mir etwas öffnet, das ich bisher gar nicht kannte. Es ist unendlich und irgendwie tief.

Und auf einmal sehe ich Möglichkeiten, die ich zuvor noch nicht einmal im Ansatz bedacht hatte. Ich wechsle meine Kameras, probiere jetzt mehr aus und hänge nicht mehr so sehr daran, meinen Stil zu finden.

© Martin Gommel

Meine Bilder verändern sich. Und: Ich verändere mich.

Und mir wird klar: Ob meine Bilder heute oder morgen gemocht werden, ist mir mittlerweile sehr, sehr unwichtig geworden.

Im Gegensatz dazu wird der Wunsch stärker, etwas Bleibendes zu schaffen.

Karlsruhe – meine Heimatstadt – zu dokumentieren und damit Menschen, die die Fotos in 30 Jahren sehen werden, das Gefühl zu geben: „Ah, früher sah Karlsruhe so aus. Siehst Du die Baustellen? Die Fußgängerzone? Die Pyramide? Schau mal hier, so haben sich die Menschen damals gekleidet.“

Ich möchte etwas tun, was über den jetzigen Moment hinaus geht. Darüber hinaus, ob Leute nun meine Fotos liken oder in der Luft zerreißen. Ob sie die Bilder loben oder sie grässlich langweilig finden.

Eine neue Vision

Es ist das Ende des unbewussten Tauschhandels: Ich poste ein geiles Bild und Ihr liket es dafür und schreibt mir, wie geil das Bild ist.

Nach den drei Monaten beginne ich erneut, Bilder zu posten.

Mein Kopf ist frei geworden. Frei vom Trubel des Internets. Frei von der Sehnsucht nach Dramatik und Anerkennung. Es ist etwas Neues entstanden. Eine neue Vision. Ein neuer Weg.

Jetzt ist Dezember und ein neues Jahr bricht an. Im Bauch kribbelt es, wenn ich daran denke, was ich noch alles entdecken kann.

Und wenn ich wieder bemerke, dass irgend etwas nicht stimmt, werde ich mich wieder zurückziehen. Vielleicht ist auch das meine Art, mit den Dingen umzugehen.

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