Totgesagte leben länger:
Was mich an der Analogfotografie begeistert
Ja, ich gehöre der Generation Y an. Der Generation Smartphone, die mit Instagram ihr Essen dokumentiert. Die Selbstportraits bei Facebook hochlädt. Die Urlaubsbilder mit dem Handy macht. Alles am liebsten mit Filtern, die irgendwie oldschool oder retro aussehen.
Die Generation Y, die das „Fotoalbum“ fast nur noch als Symbol auf einem Display kennt. Die Generation der Digital Natives, die schon als Kind eine Digitalkamera hatte. Ja, ich gehöre der Generation Y an. Und trotzdem: Ich begeistere mich für die analoge Schwarzweiß-Fotografie. Warum? Sie ist eine willkommene Abwechslung zu meinem digitalen Alltag, ein bisschen Ruhepol im digitalen Datensturm.
Bei meiner freien Mitarbeit für eine Zeitung gibt es Situationen, in denen ich keinesfalls eine Analogkamera in der Hand halten möchte. Gruppenfotos zum Beispiel. Alle müssen genau in diesem einen Bruchteil einer Sekunde, in dem ich auf den Auslöser drücke, in die Kamera schauen und passable Gesichtsausdrücke aufsetzen.
Das klappt selten beim ersten Versuch. Eigentlich nie. Ein kurzer Blick auf das Display verrät mir, wer die Augen geschlossen hatte. Zweiter Anlauf. Bildkontrolle. Dritter Anlauf.
Bildkontrolle. Vierter Anlauf. Bildkontrolle. Egal, wie viele Anläufe es braucht, die Speicherkarte ist geduldig. Mich kostet es nur minimal Zeit – aber keinen Film, keine Chemie. Ein Bild nach dem anderen, bis alles passt. Im Zweifel ein Bild mehr als zu wenig. In dieser Situation bin ich froh, digital arbeiten zu können und empfinde Respekt für die Zeit, als es noch nicht möglich war.
Fotografiere ich zum Vergnügen, dann verzichte ich bewusst auf diese digitalen Vorzüge. In der Freizeit arbeite ich analog und fast nur für mich. Ein Großteil der Bilder ist allein für meine Augen bestimmt. Meistens sind es schlichte Motive, die es mir angetan haben: Linien, kleine Details im Alltag, nichts Aufregendes, nichts, was ich unbedingt mit anderen teilen muss.
Die Generation Y teilt sonst nahezu alles in Echtzeit mit den Freunden, der Welt, so ziemlich jedem. Facebook übernimmt dann schon die Selektion der Inhalte. Analog zu fotografieren heißt für mich Verzicht: Auf Vorteile, auf das Komplizierte und auf Öffentlichkeit. Bewusster Verzicht auf die digitale Realität also.
Der Prozess des Fotografierens ist dabei mindestens genauso wichtig wie das Endprodukt. Deswegen lasse ich mir vor dem Auslösen bei allem Zeit: Ausschnitt bestimmen, die Fokussierung läuft butterweich. Belichtung einstellen, das Zeitenrad klickt mechanisch beim Drehen. Blende auswählen, der Blendenring rastet in seiner Stellung ein. Zur Sicherheit eine letzte Kontrolle, ob der Ausschnitt stimmt. Alles in Gelassenheit, alles ohne Hektik.
Die Analogfotografie und die dreißig Jahre alte Kamera sind ein absoluter Kontrast zum beschleunigten und digitalen Alltag meiner Generation. Druck auf den Auslöser. Dann knallt der Spiegel einmal robust im Metallgehäuse. Das Bild ist im Kasten. Die Kamera ist schwer, groß, hat Ecken und Kanten – sie ist eben aus einer anderen Zeit.
Ihre mechanische Präzision begeistert mich immer wieder. Auch wenn es diese Technik ist, die klar über die Ergonomie gesiegt hat. Natürlich könnte ich auch mit dem Smartphone losziehen. Aber das imitiert mit seinem Auslösegeräusch nur auf alberne Art das Gefühl, das analoge Kameras und Film bieten.
Die Analogfotografie hat etwas Entspannendes. Jede Auslösung kostet Material, Geld und später auch Zeit in der Entwicklung. Die Filme sind teurer geworden, die Chemie ist ebenfalls nicht billig. Das erzeugt aber keinen Druck, im Gegenteil. Analog fotografiere ich viel bewusster, nehme die Kamera oft auch ohne auszulösen wieder vom Auge.
Im Zweifel ein Bild weniger als zu viel. Manchmal dauert es Wochen, bis 36 Auslösungen auf dem Film sind. Es kommt vor, dass ich in dieser Zeit vergesse, was auf den Filmanfang gebannt ist. Kein schnelles Nachgucken, keine Bildkontrolle. Gut so. Nur das Wissen, dass jede Auslösung es in diesem Moment wert war.
Die Filmentwicklung fügt sich dann schließlich in den meditativen Prozess von der Aufnahme bis zum fertigen Bild: Jeder Schritt ist streng vorgegeben, der Ablauf bleibt immer der gleiche.
Nachmittags im Keller die Patrone knacken. Film aufspulen. Abends dann im Bad einschließen. Dose mit Entwickler füllen. Bewegen. Warten. Leeren. Fixierer rein. Bewegen. Warten. Fixierer raus. Wasser einfüllen. Bewegen. Wasser auskippen. Aufhängen. Trocknen lassen. Und dann die Freude am nächsten Morgen. Auch das ein Reiz, den die Analogfotografie selbst für einen Kontrollfreak wie mich hat: Unvorhersehbarkeit.
Es kann immer etwas schief gehen. Fehler unterlaufen und es gibt kein STRG+Z, keine Rückgängig-Funktion, falls mir etwas nicht gefällt. Natürlich kann auch in der Analogfotografie nachgebessert werden. Aber ich nehme diese Möglichkeiten nicht wahr, ich will größtmöglichen Kontrast zur Digitalfotografie.
Ich will nicht die weiche Schwammigkeit, die immer mögliche Umkehrbarkeit von digitaler Nachbearbeitung. Ich will niemanden, der mich wie sonst fragt: Sind Sie sich sicher? Wollen Sie den Vorgang trotzdem ausführen?
Die Bilder, die es auf Papier schaffen, sammele ich dann in einem schwarzen Karton. Privatsphäreneinstellung: Nicht öffentlich, sozusagen. Ich nehme die Bilder immer wieder heraus, schaue die Filme wirklich Bild für Bild durch. Kein immergleiches Scrollen und Klicken, sondern etwas Reales in den Händen. Dafür kann ich mich begeistern.
Dabei wurde der Analogfotografie immer wieder der Tod ausgestellt. Nämlich immer dann, wenn die Produktion einer legendären Kamera eingestellt wurde. Wenn die letzte Charge einer Filmsorte produziert ist. Wenn digitaler Speicherplatz wieder ein bisschen billiger geworden ist.
Das Internet, so hieß es, werde das Analoge begraben. Im Gegenteil. Auf der analogen Insel lässt sich wunderbar Urlaub vom digitalen Stress machen. Und das „Reisegepäck“ kann man bequem im Internet bestellen. Man muss ja nicht immer auf die Vorteile verzichten.